Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 08.12.1886: Das Direktorium.

Unsere Seele erweise sich treu, in der Gegenwart Gottes zu halten und in Vereinigung mit Gott zu arbeiten: das ist unser Geist. Das innere Wort Gottes vernehmen, das die Seelen zu Gott führt, und ihm treu folgen in aller Gerechtigkeit und Gewissenhaftigkeit, das ist der komplette Geist unseres hl. Stifters. Und ich müsste hinzufügen: in aller Strenge, weil wir feststellen, dass der hl. Stifter mit seinen Pfarrern streng verfuhr. Er war gütig, ließ aber nichts durchgehen. Er wollte nicht, dass man irgendetwas von seinen Pflichten vernachlässige. Im Augenblick seines sagte der hl. Stifter voraus, er werde noch mehr Jünger haben, als er bereits gegründet hatte. Er sah in der Tat im Geiste, was er für die Frauen errichtet hatte, würde sich auch bei den Männern ausbreiten. Das war die Verwirklichung der Prophezeiung des Papstes Klemens über ihn: „Gehe hin, mein Sohn, und trinke die Wasser deines Brunnes, die sich über die öffentlichen Plätze ergießen mögen!“ Halten wir daran fest. Darum wollen die Satzungen auch, dass man während der Exerzitien nicht bei einem fremden Priester beichte. Schon außerhalb der Exerzitien ist dies eine delikate Frage. Die anderen Priester  haben nicht den Geist unseres Direktoriums. Je besser sie sind, umso gefährlicher ist es für euch, bei ihnen zu beichten, weil sie dadurch umso attraktiver sind und umso mehr Einfluss auf euch ausüben. Die beste Art und Weise, Seelen zu führen, ist, dass wir selber das Direktorium praktizieren. Denn das ist es, was uns den wirklichen Sinn der Seelenleitung eröffnet. Wir können gewiss studieren, Vorträge und Bücher der Seelenführung lesen, das ist alles gut. Um aber den eigentlichen, praktischen Sinn dafür zu erwerben, muss man das Direktorium üben. Das spüren die Seelen sofort, und unterscheiden unschwer den guten Priester, der sein Direktorium lebt und den anderen, der dies nicht versteht. Gewiss kann und soll man Mittel zur Verfügung haben, die Seelen zu erfassen und zum Guten zu bewegen, und das ist notwendig, da der Mensch aus Leib und Seele besteht. Darum sollen auch die Sinne daran beteiligt werden. Erst dann versteht man den hl. Franz v. Sales ganz. Andernfalls seid ihr nichts als bloß gute Priester. Sie glauben, seine Lehre zu verstehen, und ziehen daraus Folgerungen, die dem wahren Sinn seiner Lehre direkt entgegengesetzt sind. Ihnen geht der Wesensgrund ab, und der Sinn seiner Lehre entgeht ihnen. Dieser wahre Sinn besteht nämlich einzig im Leben nach dem Direktorium. Das ist kein Grund, um die anderen Orden gering zu schätzen. Wir sind alle Kinder desselben Vaters und müssen wünschen, dass alle Orden dermaßen blühen, dass Frankreich und die ganze Welt unter ihrem gesegneten Einfluss stehen, statt dass sie unter dem Einfluss der Feinde Gottes, in den Krallen der Freimaurerei schmachten. Tun und sagen wir darum nie etwas, was gegen einen Orden ausgelegt werden kann. Das wäre gegen die Liebe und die Gerechtigkeit. Aber wir müssen unsere eigenen Grundlagen hüten. Der Familienvater teilt sein Land unter seine eigenen Kinder auf. Hegen und pflegen wir darum unsere Erbschaft, ohne uns um die anderen zu kümmern und sie zu kritisieren, wenn sie anders handeln als wir. Das heißt es gut begreifen. Wir müssen uns alle eigenen Kraftquellen erhalten, um unseren Ordensgeist aufrecht zu erhalten.

Lest das „Leben der Guten Mutter“, dann seht ihr, worin unser Geist besteht, unsere Seinsart, die Tugenden, die sie praktiziert hat, und die wir uns aneignen sollen. All das muss zu einem Ganzen werden, einem Grundbestand, wie es bei der Guten Mutter der Fall war, denn ihr Grund- und Wesensbestand war das Direktorium. Unser hl. Stifter gebraucht einmal die Anekdote des Mithridates, der sich angewöhnt hatte, immer etwas Gift zu sich zu nehmen, damit sein Leib unempfindlich werde gegen eine Vergiftung. So sollten auch wir uns immer mit den gleichen Dingen nähren und die gleiche Durchformung vornehmen. Dann kann uns nichts zu Fall bringen und zerstören.

Wir beten zu unserem hl. Stifter, zu unserer hl. Mutter Chantal, zu unserer Guten Mutter Maria Salesia, dass wir diesen Geist gut verstehen lernen, ihn in all unseren Handlungen betätigen, und zu diesem Zweck das Direktorium treu befolgen. Die Gute Mutter hat oft gesagt, sie hinterlasse ihre „Gabe“ den Oblaten, d.h., die Gabe des Verständnisses und der Praxis dieser Dinge. Als ihr „Erbe“ wollte sie es hinterlassen. Die es wünschen, werden es nach dem Maß ihres guten Willens und ihres Mutes auch erben. Tragen wir darum alle an unserer Seele diesen salesianischen Stempel, an dem uns Jesus und die Seelen erkennen.

Wir stehen im Advent, zu dem die Gute Mutter eine besondere Andacht hegte. Sie nannte ihn die Zeit der Wünsche, die Zeit, den Geist Jesu zu wünschen, und ihn auch zu ersehnen! Unser ganzes Leben sollte ein Advent sein, während dem wir die Anschauung Gottes und der ewigen Glückseligkeit erwarten. Gott allein weiß, in welchem Augenblick der Advent für uns enden wird. Bis dahin wollen wir ihn bitten mit den sehnsüchtigen Gebeten der Patriarchen und Propheten. Rufen wir ihn mit allen Kräften unserer Seele an, er möge seine Ankunft in uns antreten. Beten wir viel zur Guten Mutter während der Adventszeit, rufen wir sie mehrere Male am Tag an, um zu erlangen, was wir heute betrachtet haben.