Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 27.07.1886: Besuchung des Allerheiligsten. Gegenwart Gottes. Gewissenserforschung.

Auf diese Weise, die wir auseinandergelegt haben, kann jeder zu jeder Stunde betrachten. Nehmt das Direktorium oder folgt dem inneren Zug der Gnade, und kehrt zum Direktorium zurück, wenn ihr nichts mehr verspürt. Bei der abendlichen Besuchung des Allerheiligsten verhalten wir uns gleichermaßen wie bei der Betrachtung. Fühlt man sich zu einer Besuchung unseres Herrn im hl. Sakrament angeregt, sollen wir diesem Zug folgen. Diese Andacht wird sehr empfohlen, es ist die Andacht der Auserwählten. Ich habe es nie erlebt, dass ein Sakramentsverehrer verloren ging. Im Gegenteil erlebte ich dadurch unerwartete Bekehrungen. Der hl. Alfons sagt, um zum Himmel zu fliegen, brauchen wir zwei Flügel: die Andacht zum heiligsten Altarsakrament und die Andacht zur seligsten Jungfrau. Diese Andacht können wir also nie genug empfehlen.

In Frankreich haben wir Gewohnheiten beibehalten, die zum Teil auf die Jansenisten zurückgehen: man macht keine Kniebeugen mehr und hält keine geweihten Kerzen mehr in den Familien. Gerade dass man dem Herrn noch erlaubt, im Tabernakel zu weilen! All das richtet sich gegen die reale Gegenwart. Das ist ein wenn nicht dogmatischer, so doch praktischer Angriff. König Ludwig, erzählt Joinville, liebte es, in der hl. Messe die hl. Hostie und den Kelch anzuschauen. In Clairvaux hat die Andacht des hl. Bernhard und seiner Mönche zur hl. Eucharistie viele Wunder und außerordentliche Zeichen hervorgebracht. Diese Verehrung ist in Frankreich unter dem Wind des Jansenismus ausgetrocknet. Der hl. Alfons hat die Geister ein bisschen zu dieser Andacht zurückgeführt. Die jansenistische Einstellung ist ganz und gar antikatholisch, sagt der hl. Franz v. Sales, und der Verstand sagt uns ganz deutlich: ohne Eucharistie bleibt nichts mehr übrig.

Um diese Verehrung müssen wir Gott ganz innig bitten. Ist man bei der Besuchung müde, kann man einen Hymnus rezitieren, und ihr betrachten. Das „Adorate“ wird von unserem hl. Stifter empfohlen. Das ist eine recht innige Unterhaltung mit unserem Herrn. Die Gebete des hl. Alfons, und seine „Besuchungen“ können nicht genug empfohlen werden, sie sind ein Meisterwerk, wenn nicht in literarischer, so wenigstens in religiöser Hinsicht. Man kann auch an gewisse Stellen des Evangeliums denken, z.B., was unser Herr zur Samariterin, zum hl. Petrus, etc. gesagt hat. Wir haben hier im Tabernakel doch denselben Herrn zugegen. Ihn können wir um Einsicht in diese Dinge bitten. Dieses Zwiegespräch ist der Seele ungemein nutzbringend. Wenn man zu Füßen des heiligsten Sakramentes die Worte des Evangeliums meditiert, erhält man zehnmal mehr Erleuchtungen als läse man sämtliche Schriftausleger. Der hl. Vinzenz v. Paul fand hier das Mittel, alle Schwierigkeiten zu überwinden.

Sehen wir voraus, dass wir zum vorgeschriebenen Zeitpunkt unsere Besuchung nicht halten können, wollen wir sie zu einem anderen Zeitpunkt machen. Können wir sie gar nicht machen, müssen wir sie ersetzen durch umso größere Aufmerksamkeit und Sammlung, sowie durch eine Geistliche Kommunion. In ihrer kleinen Nische lernte und erfuhr die Gute Mutter während ihrer vertrauten Unterhaltung mit ihm, alles von unserem Herrn im hl. Sakrament. Nie können wir diese Andacht genug pflegen und lernen dabei niemals aus. Da liegt für den Ordensmann das „panis abconditus suavis.“ (Anm.: „das verborgene köstliche Brot“) bereit, und je mehr man davon isst, umso besser schmeckt es.

„Die Oblaten sollen sich gewohnheitsmäßig in der Gegenwart Gottes halten.“ Man kann sich in der Gegenwart eines Menschen befinden und dabei doch an etwas anderes denken. So ist auch diese Gegenwart Gottes kein Strapazieren der Nerven und Anspannung des Geistes, wohl aber des Herzens, das Gott gefallen und ihm jede Betrübnis ersparen will. Und das ist gar nicht so schwer, man muss nur die Absicht haben, seine Pflichten tagsüber treu zu erfüllen, und Gott das ihm Zustehende geben. Begeistern wir uns wieder zu dieser Übung der Gegenwart Gottes durch den Stundengedanken und die Übung der Guten Meinung!

Die Gewissenserforschung: Die erste mittags ist kurz: ein kurzer Rückblick auf Aufstehen, Betrachtung, hl. Messe und die folgenden Handlungen. Da genügen zwei bis drei Minuten, dann erweckt man Reue. Die Gewissenserforschung am Abend soll etwas länger sein: wir denken an die mittägliche Gewissenserforschung zurück und lassen, wie der hl. Franz v. Sales sagt, die Personen, mit denen man es zu tun hatte, die Handlungen, die man sich vorgenommen und die Versuchungen, die man erlebt hat, im Geist vorüberziehen. Das macht man so ernst wie vor der Beichte und man beichtet gleichsam wirklich vor Gott. Es ist sicher, dass Gott dieses Sünden dann auch verzeiht, die man mit Reue erforscht hat. Übrigens tilgt eine einzige unserer religiösen Übungen, wenn wir sie gut verrichten, sämtliche lässliche Sünden. Das ist eine der Gnaden des Ordensstandes, die nicht daran hindern, auch die speziellen Gnaden der hl. Beichte zu erwerben.