Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 16.06.1886: Der Geist und die Tugenden der Kongregation. Das Lehrgut des hl. Franz v. Sales.

Jeder Orden gibt seinen Geist an seine Jünger weiter, weil in jedem Orden ein spezieller Geist vorherrscht, der seine Häuser befruchtet. Gott hat nicht alles in dasselbe Formeisen gegossen: das eine passt mehr zu diesem Orden, das andere zu jenem. Jeder muss folglich finden, was ihm am besten konform ist. Obwohl die hl. Kirche nur eine ist, weist sie doch Schattierungen auf, je nach den verschiedenen Völkern und Zeiten. Jeder Orden muss folglich den spezifischen Charakter seiner Einrichtungen bewahren.

Der hl. Franz von Sales hat uns eine Straße geöffnet, auf der der Gang gesichert und leicht zu gehen ist. Sein Weg hat seine Probe bereits bestanden und gibt uns die Hoffnung, dass auch unser Gehen darauf zu einem guten Ziele führt. Durchdringen wir uns darum Tag für Tag mehr mit diesem Geist und dieser Lehre, die ebenso gesund wie sicher sind.

Die Satzungen markieren uns einige Tugenden, die unserem Geist ständig gegenwärtig sein müssen, damit wir sie vor allem anderen unseren Schülern einprägen: fangen wir darum gleich an, sie selber zu praktizieren!

Der Glaube: Der Glaube ist es, der die Welt gerettet hat, er allein wird sie wiederum retten. Der charakteristische Geist unseres hl. Stifters ist es, einen lebendigen Glauben zu vermitteln, und diesen lebhaften Glauben dem Charakter der jungen Menschen einzuprägen, denn das wird ihre beste Schutzwehr im Leben sein.

Die Aufrichtigkeit: Aufrichtigkeit gegenüber Gott, der Familie und seinen Lehrern. Das ist das Gegenteil zum Schülergeist, der sich verbirgt vor den Lehrern und eine Folge der bösen Natur und der schlechten Beispiele ist, die unsere Jugend von allen Seiten vorgesetzt bekommt. Ehrlichkeit desgleichen in den Versprechungen und Verpflichtungen, die man übernommen hat.

Achtung vor der Obrigkeit: Achtung vor ihr in der Ordnung des Glaubens und der Gnade. Die Verpflichtung ist weniger groß Menschen gegenüber, die die Macht in Händen halten, sie aber missbrauchen. Die jungen Menschen sollen sich gleichwohl innerhalb der Grenzen jener Hochachtung halten, die aus einer guten Erziehung hervorgehen, selbst wenn es sich um solche Machtmissbraucher handelt. Wir müssen sie lehren, dass jegliche Autorität von Gott kommt, und wenn wir der Autorität gehorchen, so gehorcht man nicht Menschen, sondern Gott. Wenn man sie diese Unterscheidung lehrt, wird ihre Achtung vor der Autorität immer intakt bleiben.

Die Achtung vor der Familie und dem Vaterland: Man lacht heutzutage über die Vaterlandsliebe. Die Hl. Schrift des Alten Testaments spricht da eine andere Sprache. Sie will, dass wir unser Vaterland lieben! Und unsere hl. Kirche lehrt dieselben Grundsätze. Seht, wie in den Benediktinerklöstern die Mönche am Tag ihrer Profess die Stabilitas loci, das ständige Verweilen in ihrem Kloster versprechen. Wurde das Kloster zerstört, gab es auch keine Mönche mehr: „deficit locus, deficit monachus.“ (Anm.: „Fehlt das Kloster, fehlt auch der Mönch.“). Schärfen wir den jungen Menschen die Liebe zum Vaterland, zur Heimaterde, ein.

Mut und Treue: Mut in allen Augenblicken, besonders in der Heimsuchung, der Prüfung. An Treue zu unseren Verpflichtungen, an Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit gebricht es überall in unserer Zeit. Um diese Wahrheit den Herzen einzuprägen, gibt es nur ein Mittel: eine wahrhaft christliche Philosophie lehren, den jungen Menschen beibringen, dass der Lohn nicht Sache dieses Lebens, sondern erst des anderen ist, dass er also später kommt. Eine unverbrüchliche Treue zu unserem christlichen Glaubensgut. Die Freimaurerei greift gerade dieses Glaubensgut an. Welche Folgen muss das haben für die Moral und die Beziehungen der Menschen untereinander!

All das ist Sache der Erziehung, alle Tugenden, die wir an uns haben vorbeiziehen lassen. Was den eigentlichen Unterricht betrifft, so sind wir natürlich auch hier nicht berechtigt, zu tun wie wir möchten. Den Schülern heißt es die Hohlheit, die Leerheit der heidnischen Schriftsteller aufzuzeigen. Seien wir auf der Hut: selbst, obgleich die Schüler kaum genau beachten, was sie übersetzen, so bewirkt doch der tägliche Umgang mit heidnischen Schriftstellern zu guter Letzt wie die tägliche Nahrung eine vollständige Verwandlung.

„Der Unterricht darf bei uns nie von der Erziehung getrennt werden.“ Diesen Artikel der Satzungen sollten wir uns tief einprägen. Wir müssten ihn auf einem Zettel oder in unserem Geist mit wir deshalb ständig eine Predigt halten müssten. Wir wollen jedenfalls keine Gelegenheit vorübergehen lassen, sooft sich eine bietet, um diese Tugend zu lehren.

Das muss die Praxis der Lehrer und aller mit Erziehung und Unterricht betrauen Oblaten sein. So wachsen großmütige, solide Christen heran, die ihre Pflicht begreifen und erfüllen. Und noch einmal: die Schüler sollen nicht den Eindruck haben, es würde immer wieder ein Schmiedehammer auf sie niederfallen. Darum heißt es da immer abwechseln. In den Übungen der Frömmigkeit, die wir unseren Zöglingen vermitteln, folgen wir mit Vorliebe den Lehren des hl. Franz v. Sales. Diese Methoden sind nicht veraltet, wurden sie doch vor kurze, erst von der Kirche gebilligt, als sie ihn zum Kirchenlehrer erklärte. Das gilt ebenfalls für den häufigen Empfang der hl. Sakramente, die Beichte und die hl. Kommunion. Diese Lehre unseres hl. Stifters hat einen gewaltigen Vorteil, leistet der Diskussion keinen Vorschub, sondern ist ganz klar und einfach. Das ist nicht die scholastische Methode, die durch Diskussion voranschreitet, sondern die einfache Methode der Erklärung und Darlegung. So sollt ihr vorgehen. Das ist einfach und klar und bewirkt für die Lebensgewohnheiten einen ausgezeichneten Erfolg. Da bleibt nichts zu suchen übrig, man gleitet nicht in Zweifel und Verwirrung. Das ist „ebener und sicherer Weg“, wie die Kirche die Lehren des hl. Franz v. Sales qualifiziert. (Anm.: Hier ist eine Textlücke.).

Hier ist wieder der Rat angebracht, immer Papier bei sich zu haben und alles Gute und Nützliche, nach Themen in alphabetischer Reihe geordnet, darauf zu notieren, und das Ganze in einen Karton zu stecken. Indem man niederschreibt, behält man besser und weiß immer, wo man seine Erinnerungen wiederfindet. Pater Gratry gebrauchte dieselbe Methode, um seine Konferenzen zu halten, und diese waren fesselnd. Das bricht die Eintönigkeit unserer Belehrungen. So handelten die großen Kanzelredner. Man trägt seine Bibliothek gleichsam mit sich in der Tasche herum. Über was immer man reden muss, man hat seinen guten Vorrat. Das ist ein wirksames Mittel: was immer es sei, sich ohne besondere Mühe zu merken. Tut das bei eurer Lektüre der Werke des hl. Stifters und anderer Autoren.

Bittet den Hl. Geist, er möge eure Mitbrüder segnen, die sich auf die hl. Weihen vorbereiten. Bittet ihn, er möge sich euch und uns allen mitteilen, damit wir nur noch ein Herz und eine Seele und einen Geist bilden, damit wir uns vom Hl. Geist, der in uns wohnt, lenken und führen lassen. Betet darum bei der hl. Messe und Kommunion und erwecken wir darüber häufige Stoßgebete. Nichts sammelt und ergreift die Seele stärker als das Gebet zum Hl. Geist. Er ist es, der in uns das Gebet formuliert durch von Gott eingegebene „unaussprechliche Seufzer.“