Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 21.04.1886: Gehorsam. Passionszeit.

Man gibt euch einen Auftrag und ihr geht ihn tapfer an: das meint das Gelübde des Gehorsams. Doch ist das noch nicht alles: Wir müssen nämlich auch unser Urteil unterwerden, und das bedeutet folgendes: Man befiehlt euch etwas. Nun sagt euer Urteil: der Befehl muss ausgeführt werden, auch wenn er gegen mein Gefühl verstößt. Ihr führt ihn aus, ohne Widerstand und Gegenlist. Der Ordensmann ist freilich nicht verpflichtet zu glauben, etwas sei weiß, wenn er es als schwarz sieht. Was er tun muss, ist „Kurz-abschneiden“, wie die Gute Mutter zu sagen pflegte, und beten, um die Versuchung zu überwinden.

Das Urteil unterwerfen bedeutet somit, das Urteilsvermögen zum Jasagen zu bestimmen, es unterwerfen, wenn es uns weismachen will, die Sache würde besser anders getan, und ohne lange Überlegungen dem Befohlenen gemäß handeln.

Die Heiligen haben beim Gehorchen ihr Urteil kraftvoll untergeordnet. Die Gute Mutter gab davon herrliche Beispiele.

Die Satzungen bestimmen, dass wir nicht nur dem Generaloberen Gehorsam schulden, sondern ebenso dem Haus- wie Provinzialoberen. Unter diesen Bedingungen und wie wir es vorhin erläutert haben, ist der Gehorsam nicht schwer. Wir sollen ihn einfach und aufrichtig leisten. Dann haben unsere Handlungen wie bei Jesus göttlichen Wert. Das Tun unseres Herrn nahm sich in Wirklichkeit unbedeutend aus: „Nonne fabri filius.“ (Anm.: „Ist das nicht des Zimmermanns Sohn?“) Meiden wir, wenn wir Befehle geben, uns als Herrn aufzuspielen. Jedermann verdient unsere Hochachtung, und niemandem wollen wir Verweise geben, und Vorwürfe machen. Befehlen widerspricht also in keiner Weise der brüderlichen Liebe. Sagen wir, wenn nötig, ein kleines Wort der Ermunterung und werfen wir uns nicht als Richter und Herren auf.

Die Satzungen bestimmen, dass wir kein Buch ohne Approbation der Oberen und des Ordinarius veröffentlichen. In Paris erteilt der Ordinarius diese Erlaubnis nicht. Die Herren dort sagen, sie hätten auch sonst schon genug zu tun. Dennoch muss das Ordinariat über jede Veröffentlichung eines Buches informiert werden. Halten wir uns treu an diese Vorschrift, was die Ermächtigung durch die Autorität betrifft. In der letzten Zeit gab es bedauerliche Zwischenfälle: ein Buch wurde verurteilt, obwohl sein Verfasser einem der großen Orden angehörte. Wahrscheinlich hatte er seine Arbeit nicht der Approbation der Obrigkeit unterworfen.

Was unsere Brüder betrifft und die Bitte, in den Klerikerstand übertreten zu dürfen, so sehen die Satzungen eine sehr weise Maßnahme vor. Die Ordensbrüder unterscheiden sich von den Patres lediglich dadurch, dass sie des priesterlichen Charakters entbehren. Um diesen Rang und Charakter zu haben, bedarf es nicht nur notwendiger Qualitäten, sondern auch schwieriger Spezialstudien. Sie dürfen diese Bitte, wenn sie nicht erhört wurde, darum erst nach drei Jahren wieder vorbringen. Möchten unsere Brüder doch die schöne Seite ihrer Berufung voll begreifen. Lange Zeit gab es in den Orden nur einen einzigen Rang- Da aber hohe Herren, Königsöhne, als Gunst erbaten, für Handarbeiten herangezogen zu werden, musste man fürchten, die Begeisterung werde so groß, dass keine Ordensleute für die übrigen Tätigkeiten mehr übrig blieben. Darum beschloss man im Generalkapitel, es solle in Zukunft zwei Gruppen von Ordensleuten geben, damit die Verhältnisse und die Arbeiten wieder geregelt würden.

Die Laienbrüder mögen sich darum großer Gelehrigkeit befleißigen, und sich treu in der Gegenwart Gottes halten. Ihr Weg ist leichter und sicherer als der der Patres. Sie stehen unserem Herrn, der seligen Jungfrau und dem hl. Josef näher, die ebenfalls Handarbeit verrichtet haben.

Wir stehen in den großen Tagen der hl. Karwoche. Bitten wir den Herrn um die Gnade des Gehorsams, ihn, der gehorcht hatte, „usque ad mortem.“ (Anm.: „bis zum Tod.“). Gott sei Dank gesagt, dass wie ich glaube, die allgemeine Einstellung unserer Klostergemeinde zum Gehorsam neigt. Dafür danke ich Gott. Das beweist, wie sehr sich Gott um unsere Ordensgemeinschaft kümmert. Der Gehorsam ist eine bittere Blüte, die aber köstliche Süßigkeiten einschließt. Unser Herr ist in seinem Leiden recht verlassen. Ein Jüngling begleitete ihn, als er den Juden ausgeliefert wurde, „ließ der Jüngling seinen Mantel zurück und floh relicto eo fugit.“ Der hl. Johannes blieb treu, und auch die hl. Frauen hielten aus am Fuß des Kreuzes. Denken wir darüber nach in diesen hl. Tagen. Halten wir uns eng an die Freunde unseres Herrn, das ist unsere Kraft, das ist unser Geist. Gewiss brauchen wir den Glauben des hl. Petrus, und die Stärke des hl. Paulus. Bitten wir gleichwohl um die Treue des hl. Johannes. Denn er begleitete unseren Herrn bis zum Fuß des Kreuzes unter Lebensgefahr: „usque ad effusionem sanguinis.“ (Anm.: „bis zum Vergießen des Blutes.“) wie Papst Leo XIII. es zu uns sagte. Durchdringen wir uns tief mit diesem Gedanken. Drängen wir uns ganz in die Nähe unseres Herrn- Werden wir ihm ähnlich und führen wir ein einziges Leben mit ihm.