Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.03.1886: Das Noviziat. Die Armut.

Ich habe bereits gesagt, wir sollten nicht die Profess abwarten, um die Gelübde zu praktizieren. Wir müssen uns darin beständig üben und immer höher zielen als das Ziel liegt.
Während des Noviziates müssen die Gelübde noch vollkommener beachtet werden als nach der Gelübdeablegung. Man steht ja dann im ersten Eifer der Berufung, der Novize hat frischere und reichlichere Hilfen zur Hand. Alles diese Hilfsquellen heißt es treulich ausnutzen. Wir machen keinen großen Fall aus Phantasieprodukten. Nein, unser hl. Stifter war das vollkommene Abbild unseres Herrn. „Est, est“, sagt das Evangelium: „So ist es und nicht anders.“ Wir sollen nichts überschätzen, unsere Phantasie nicht aufstacheln, nicht Spitzfindigkeiten nachjagen.

Hegen wir am Anfang eine außerordentliche Wertschätzung für die Demut, die Einfachheit und Wahrhaftigkeit, für alles, was von Gott stammt und wie Gott ist. Das ist unser Anteil, unser Erbgut, unser Schatz. Lassen wir außer diesem nichts gelten. Unser Herr ist auf die Welt gekommen, hat sich als Wesen mit Leib und Seele geoffenbart, hat gesprochen und gehandelt und hat unser Vorbild werden wollen. Das heißt es wohl begreifen. In dieser Denk- und Seinsordnung wollen wir ständig verharren. Die Phantasie und Sensibilität der Novizen sollen wir nicht noch anheizen. Gott ist es, der bei uns alles macht, und Gott ist die Wahrheit. Das ist etwas Großartiges. Danken wir Gott ob dieser Einfachheit, die unser Leben prägt, und ob dieser Wahrhaftigkeit. Wir brauchen nicht unsere Anstrengungen zu verdoppeln, um dem einen dies, dem anderen das vorzudemonstrieren. Gott offenbart sich in aller Einfachheit und Wahrheit. In der Seelenführung brauchen wir keine profunde Theologie, brauchen keine außerordentlichen Mittel und keine unerwarteten Hilfsquellen. Predigen wir den Herrn einfach wie es unser hl. Stifter tat, verkünden wir die Lehre der Kirche. Dann wird die Gnade unseres Herrn mit uns sein. Sie wird den Samen unserer Worte befruchten, denn er ist aufrichtig und wahr. Das ist unser Geist, das ist der Geist des Noviziates.

Und noch einmal: danken wir dem Herrn, dass er uns das Geheimnis der wahren Wissenschaft geoffenbart hat. Außerhalb von diesem mag vielleicht Wahrheit bestehen, man kann auch vielerlei lockende Dinge mit der Wahrheit verknüpfen. Dinge, die verführen, anziehen, faszinieren. Wir aber brauchen all das nicht. Fünf Jahre hindurch bleibt der Professe, wie gesagt, Novize. Das ist erdnah, all das. Da gibt es nicht, um Massen aufzuputschen, zugegeben. Lebt nach dem Direktorium, macht euch in allem gleichförmig, was unser hl. Stifter gesagt hat, dann verfügt ihr über eine ungeheure Macht, einen vollen Einfluss, der die Seelen erfasst und gewinnt.

Gehen wir jetzt über zum Gelübde der Armut. „Was die Professen durch Arbeit und persönliche Bemühung erwerben, oder was sie als Mitglied der Kongregation erhalten, dürfen sie sich weder aneignen, noch dürfen sie es behalten: sie werden es zum Nutzen der ganzen Gemeinde abgeben.“

Niemand kann also zu seinem persönlichen Nutzen Handel treiben, arbeiten, unterrichten. Das leuchtet ein. Alles, was wir erwerben, gehört der Klostergemeinde.

Das bloße Eigentumsrecht verbleibt auf unserem Namen stehen, weil das staatliche Gesetz uns dazu zwingt. Doch haben wir keine Erlaubnis, diese Güter zu verwalten. Wir treten die Verwaltung unseres Eigentums entweder der Kommunität oder unserer Familie ab. Die Wichtigkeit dieser Bestimmung ist enorm. Ich könnte euch ein Heimsuchungskloster nennen, wo man sich seit 50 Jahren bemüht, Ordnung und Frieden einkehren zu lassen. Große Theologen, geschickte Männer haben sich darum bemüht, diese Gemeinschaft, die dem Untergang geweiht ist, zu retten, umsonst. Das Übel steckt nicht da, wo man es vermeint. Das Wasser dringt durchs Dach bis zu den Fundamenten und das Haus stürzt ein. Stopft das Loch, legt Gips und Mörtel drauf, dann braucht ihr keinen Architekten… Die Armut findet kein Verständnis! In dieser Klostergemeinde verfügt jede Schwester über ihre Güter, gibt Almosen, eine von ihnen unterhält eine Kirche, alles angeblich mit Erlaubnis… Lasst jede Schwester die hl. Armut üben und zieht ihre Einkünfte ein, dann wird die Kommunität in Vollkommenheit voranschreiten. Ohne das wird sie zusammenstürzen.

Ich wünsche, dass die hl. Armut das Gepräge der Oblaten sei. Wenn die Gute Mutter das Kloster von Troyes heilig gemacht hat, dann deshalb, weil sie dort eine genaue und strenge Armut eingeführt hat. Die Güter der Klostergemeinde gehören Gott. Deren Verwalter sind nicht berechtigt, außerhalb der Grundsätze der hl. Regel Neuerwerbungen vorzunehmen. Die alten Schenkungsakten von Foicy sind so gefasst: „Herr N. und seine Gattin vermachen Gott und zum Gebrauch der Schwestern unserer Lb. Frau von Foicy…“ Seht ihr: „Gott und zum Gebrauch der Schwestern!“ Das ist Ordensleben. Denken wir daran in der Seelenführung und der Leitung von Kommunitäten! Das ist eine delikate Sache: Manchmal ist es nämlich besser, nichts zu sagen. Die Theologie lehrt, im Angesicht eines eingewurzelten Übels ist es manchmal besser, es dabei zu belassen. Beherzigt dies Prinzip und tut dann, was ihr tun könnt, um die Seelen aufzuklären.

Vor der Profess muss man durch notariellen oder gar durch Privatakt alles abtreten. Immer ist der notarielle Akt nicht zweckmäßig, was den Gebrauch und die Nutznießung der Güter betrifft. Gebrauch und Nießnutz ist das Kapital des Gelübdes der Armut. Hat man einmal darüber verfügt, kann man darauf ohne Erlaubnis des Hl. Stuhles nicht mehr zurückkommen. Das bloße Eigentumsrecht scheint, da nur nominell, von geringerer Bedeutung zu sein in Bezug auf das Armutsgelübde. Es genügt die Erlaubnis des Generaloberen, um es auf einen anderen zu übertragen. Es betrifft ja nur den Namen und wird als pure Formalität betrachtet. Ich wünsche, dass man dies aufzeichnet. Das Gelübde der Armut soll mit der größten Genauigkeit beobachtet werden. In der Stunde, in der wir leben, ist es das Ziel der Freimaurerei, die Ordensgemeinschaften zu zerstören. Man bedrückt sie mit einer übermäßigen Steuer. Um zu überleben, dürfen die Orden kein „öffentliches“ Eigentum mehr haben. Das ist die einzige Möglichkeit, dem Fiskus zu entgehen. Der Staat tut das gewiss, um Geld zu bekommen, doch die Hauptabsicht dabei ist, die Orden zu zerstören. Hätte man es nur auf das Geld abgesehen, fände man es anderswo in größerer Menge. Das Pfründenregister von vor der Französischen Revolution verrät uns, dass die Einkünfte sämtlicher Klöster von Troyes zusammengenommen nicht die Hälfte des Herrn Emile Hoppenot erreichten. Dies Vermögen erwarb er seit zwanzig Jahren durch Seidenstickerei. Darum bekämpfen die Revoluzzer die Orden und täuschen sich nicht: sie wollen sie vor allem aushungern und so zum Verschwinden bringen. Darum müssen die Orden Hilfsquellen erschließen zum Überleben, und diese Hilfsquellen müssen der staatlichen Kontrolle entzogen sein. Alle offen in Erscheinung tretenden Güter sind dem Staat verfallen. Die Ordensleute befinden sich hier in einem beständigen Hin-und-Her, in einer unaufhörlichen Unruhe. Ihr Haushaltsplan kann nicht offiziell aufgestellt werden. Dadurch wird der Einzelne zwar freier, vielleicht aber auch verleitet, sich dies und das zu genehmigen. Das Gelübde der Armut gerät in Gefahr zu verschwinden. Es kann ja nicht aktiv kontrolliert werden. Darum meine Aufforderung: Seien wir wirklich arm! Wir sind heute mehr denn je verpflichtet, dieses Gelübde ganz ernst zu nehmen. Es ist ein wirksames Mittel der Heiligung, nichts zu tun und sich nichts zu erlauben außerhalb des durch die hl. Regel Erlaubten.

Die Pflicht, den Geist der Armut zu erhalten, fällt jedem einzelnen zu, da die Kommunität ihn nicht mehr schützen kann.

Was die Kleidung betrifft, wollen wir uns mit dem Notwendigen begnügen. Wir brauchen nicht zu frieren. Wir tragen auch keine durchlöcherten Schuhe. Unser Herr besaß das Notwendige und Geziemende, aber nicht mehr.

Unsere Nahrung sei gut. Sie entspreche der Nahrung der ehrbaren Arbeiter und Handwerker früherer Zeiten, nicht immer der heutigen. Nehmen wir die Nahrung, wie sie sich in einer Familie von mittlerem und bescheidenem Einkommen findet, wo Ordnung und Sparsamkeit herrschen. In den Wein gießen wir etwas Wasser und beachten die Abtötung, die darin besteht, nicht darauf zu achten, ob wir dies oder das essen. Man soll nach Appetit essen und überall den Geist der Armut üben. Er sei der Wächter, das „propugnaculum“, das „Bollwerk“, die Schutzwehr des klösterlichen Lebens. Es war ein Lieblingsgedanke der Guten Mutter, dass das Geschaffene Gott gehört, und man mit dem Geschaffenen den Vater ehrt, wie man den Sohn mit den Sakramenten und den Hl. Geist durch die Treue zur Gnade ehrt. Denn von Gottvater erhalten wir das Geschaffene und damit ehren wir ihn und dienen ihm. Machen wir uns diesen Gedanken zu Eigen.

Unsere Armut soll also keine übertriebene sein. Wir nehmen vielmehr unseren Herrn zum Vorbild. Unser ganzes Leben sei ja nach ihm geformt! Jeder möge ihn in seinem Willen und seinem Herzen tragen. Das wird den Segen der Kongregation sichern. Wenn wir arm sind, haben wir den Segen Gottes. Wenn nicht, verstoßen wir gegen unser Ziel mehr als jede andere Kongregation.