Kapitel vom 03.03.1886: Die Novizen. Seelenführung. Berufe.
Nach dem Wortlaut der Satzungen kann ein Novize zur Profess im Alter von 17 Jahren und zwei Monaten zugelassen werden, doch wird es selten vor 18 Jahren geschehen.
Um zur Profess zugelassen zu werden, sagen die Satzungen, muss man ein großes Verlangen nach der christlichen Vollkommenheit bekunden. Das ist kein frommer Satz, der da zur Erbauung steht, sondern eine Bedingung. Der Atem Gottes muss da wehen und den Wunsch nach einem Gott mehr geweihten Leben einflößen. In „foro externo“ (Anm.: „im äußeren Bereich“) kann es besondere Motive geben, jemand zur Profess zuzulassen, das wird aber selten geschehen. Was heute am meisten fehlt, ist ein Leben, das bis in den Grund hinein christlich und fromm ist. Die Stunde naht, wo die religiösen Orden keine andere Garantie mehr haben als den persönlichen Wert ihrer Untergebenen. Die Gesetze der Kirche werden von den weltlichen Gesetzen angegriffen. Man will sie daran hindern, Rechte geltend zu machen und eine im Äußeren sichtbare Lebensweise zu führen. Darum müssen die Ordensleute tief religiös werden. Wir müssen nach dem Direktorium leben, das ist und bleibt unsere Grundlage. Es kann nämlich überall geübt werden, in der Schmiede, in der Küche und in allen Ämtern. Geben wir ihm darum mit ganzem Eifer in, es muss uns das spezielle Gepräge geben. Mit dem Direktorium erringen wir den Sieg, und keine irdische Macht wird etwas gegen uns vermögen. Die Menschen können wohl unseren Leib töten, darüber hinaus aber sind sie machtlos.
Das ist die Absicht des Novizenmeisters, die Novizen nach dem Direktorium zu formen. Das ist aber auch die Pflicht aller Mitglieder der Genossenschaft, einander durch Gebet und gutes Beispiel zu helfen. Beten wir bei der hl. Messe und bei hl. Kommunion füreinander. Machen wir das zu unserem Herzensanliegen. Ich mache euch dies zur Pflicht bei allen Mementos für die Lebenden. Betet für die Oberen, die Patres, die Brüder, für jene die zu uns stoßen sollen und die wir so dringend brauchen. Solange ich noch lebe, sollte die Kongregation in all das eingespielt sein, damit sie nachher nur dem eingeschlagenen Weg zu folgen hat. Wie eine komplett aufgebaute Maschine, die nur noch zu laufen braucht. Dazu bauen wir eine solide Grundlage auf.
Wir brauchen tüchtige Seelenführer. Wir bauen nämlich auf einem Baugrund, der uns nicht gehört. Sind wir doch der Barmherzigkeit derer ausgeliefert, die unsere Jungen und Mädchen in unseren Seelsorgewerken leiten. Unsere christlichen Laien gehorchen nur ihren Beichtvätern, und nur wenn wir das stets berücksichtigen, können wir arbeiten. Um nun den Geist unseres hl. Stifters weiterzugeben, brauchen wir Missionare, Beichtväter, darin ausgebildete Priester, die der Gehorsam dann ausschickt, um Seelen zu führen. Nur auf diesem Weg können wir Nachwuchs bekommen. Eine gute Seelenführung gewinnt uns Berufe. Die Seelenführer, sagt der hl. Stifter, sind Kanäle der Gnaden Gottes. Es bedarf oft eines sichtbaren und fühlbaren Mittels, damit die Gnade Wirkung erzielt. Bitten wir unseren Herrn um Nachwuchs, bitten wir ihn, dass er Arbeiter in seinen Weinberg sende. Er konnte, wenn er wollte, nicht bloß 72 Jünger haben, sondern so viel, wie er wollte. Er war der Meister. „Rogate“, sagt der Herr dennoch, „bittet“! Er will, dass man seinen Vater bitte, solche zu senden.
Unser Amt sollte uns eine Herzensangelegenheit sein, mehr noch sollen wir uns für die Ausbreitung von Berufen einsetzen. Es sei uns ein liebendes Bedürfnis, Berufe nicht nur für uns zu erwerben, sondern auch für die anderen zu gewinnen. Don Bosco ist ein Beispiel für die Fruchtbarkeit der Seelsorgewerke und die große Zahl von Seelen, die durch sie dem Herrn gewonnen werden. Er behauptet, ein Drittel aller Christen habe den Ordensberuf von Gott bekommen. So ungefähr war es auch, als die Kirche noch Herrin und frei war. Was wird aus all diesen verlorenen Berufungen? Wie viel irregeleitete Menschen, Unglückliche, Diebe, Mörder, Säulen der Hölle! Seien wir davon tief durchdrungen. Betrachtet den hl. Bernhard: Er war überzeugt, dass er nirgendwo hingehe, ohne dass er Ordensberufe mit heimbrachte: das schien ihm eine Pflicht zu sein. „Christi bonus odor sumus.“ (Anm.: „Wir sind Christi Wohlgeruch.“)! Die Bienen, sagt der hl. Stifter, werden von dem Duft des Honigs angelockt. Wenn unser Leben den Duft von Tugenden ausströmt, werden die Seelen von diesem Wohlgeruch angelockt, herbeieilen, gewonnen durch was, fragt der hl. Augustinus. Nicht durch den Verstand, sondern durch das Herz: „Trahimur amore.“ (Anm.: „Wir werden von der Liebe angezogen.“). Es gibt verschiedene Kräfte, diese aber ist die höchste: „In vinculis Adam, in charitate.“ (Anm.: „Durch die Fesseln Adams, durch die Liebe.“).
Vielleicht haben wir das bis heute nicht recht verstanden. Der hl. Vater hat mich bei unserem zweiten Wiedersehen getadelt, weil wir uns nicht genügend entwickelt haben und noch nicht in anderen Diözesen verbreitet waren. „Was ist schon Troyes“, sagte er, „ich hatte Sie doch nach ganz Frankreich gesandt!“ Ich erlebe es, dass alle darauf bestehen, dass wir viele Berufe bekommen. Wir haben darum die Pflicht, Gott nicht zu enttäuschen. Wer die Küche besorgt und wer das Haus fegt, muss um Berufe beten wie alle übrigen, und sie werden sie erhalten. Warum ist unser P. Rollin Ordensmann? Weil Schwester Genofeva in der Heimsuchung Ordensfrau war. Ich hatte beim ersten Mal nicht begriffen, was der Papst mir gesagt hatte. Manche verstehen erst nach zehn oder zwanzig Jahren. Das ist ein Unglück. Ich bin keiner, der „aera verberans.“ (Anm.: „Luftstreiche ausführt.). Ihr werdet mir antworten: „Man kann niemand am Hals herbei zerren. Man solle, meine ich, euch ein bisschen am Hals ziehen… Man darf dem Familienoberhaupt ruhig ein bisschen Gewalt antun.
Je öfter ich nach Paris fahre, umso mehr bin ich überzeugt von der Notwendigkeit, uns weiter zu entfalten. Sprechen wir noch einmal von den Novizen und den Noviziatsübungen, von denen die Satzungen reden. Die Novizen sollen die hl. Regel vollkommener üben als die anderen Oblaten, weil sie höher zielen müssen, um das Ziel zu erreichen: Sie müssen sich ja sagen: „Ich muss mein Noviziat mit allem Ernst machen, da ich einzig zu diesem Zweck gekommen bin. Ich muss mich vollständig und ohne jeden Vorbehalt unterwerfen.“
Sie mögen die Demut üben, und wenn sie es nicht können, sollen sie unseren Herrn darum bitten, und sich darin üben. Es kommt nicht darauf an, mehr oder weniger Fähigkeiten zu haben.
„Der Teufel“, sagt die Gute Mutter, „hat sehr viel mehr Fähigkeiten, als ihr. Es ist doch wirklich nicht schwer, sich zu unterwerfen, wenn man bedenkt, was man taugt.“
„Sie sollen sich bemühen, ihr Leben zu verinnerlichen, und in ihrem Seelenleben, ja selbst in ihrem äußeren Benehmen ein Abbild unseres Herrn Jesus zu werden mit Hilfe der Mittel unseres Vorbildes, des hl. Franz v. Sales!“
Das ist unser Formeisen, unsere Lochzange. Wir müssen gerade und ohne Gussnaht, scharfkantig und ohne Faserwerk zugeschnitten sein. Das ist es, was wir mit Hilfe der Gnade aus uns machen müssen und was wir von Gott für die anderen erbitten sollen. Beten wir viel! Rufen wir die Gute Mutter Maria Salesia an, und zwar für alle unsere Anliegen!
