Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom (06.?)02.1886: Gehorsam gegenüber dem Oberen.

Ich wünsche, dass die Erklärung der hl. Regel, die ich da vortrage, für euch ein Lehrgut sei, das bleibt. Die Gute Mutter Maria Salesia ist unsere Gründerin in dem Sinn, dass sie die uns betreffende Befehle Gottes empfangen hat. Ich bin euer eigentlicher Gründer. Was ich sage, und die Gute Mutter nicht gesagt hat, besitzt Gesetzeskraft. Würde die Genossenschaft später anders handeln, so würde sie keinen Bestand haben. Meine Worte sollten die grundlegende Doktrin eines jeden sein. Es darf keine verschiedenen Arten zu sehen geben, so dass wir nur eine mehr oder weniger gelungene Anhäufung von Individuen wären. Entscheidend für uns ist, dass wir alle dieselbe Art zu urteilen, zu denken und zu tun haben. Dem Oberen gegenüber gebührt ein absoluter Gehorsam. Mag er irren oder nicht, das ist unwichtig. Mag er ein Heiliger sein oder nicht, das ist nicht entscheidend. Ist der Papst ein Heiliger, dann erweist Gott der Kirche damit eine große Gnade. Er kann aber ein Durchschnittsmensch sein, sogar wenig achtbar, es würden jene, die ihm den Gehorsam verweigern, dann ebenso schuldhaft, als würden sie den größten Heiligen nicht gehorchen.

Als Gründer habe ich einen Auftrag zu erfüllen, wofür ich der hl. Kirche, meinem eigenen Gewissen und euch Verantwortung schulde. Ich muss euch folglich diese Dinge sagen. Bei uns gibt es keine Demokratie („Republik“), bei uns leitet einer und die anderen gehorchen. Dieser Gehorsam hat Grade in dem Sinn, dass ein kleiner Gehorsam nicht wie ein großer verpflichtet. Auf allen Gradstufungen aber bleibt er ein echter Gehorsam. Die Einheit der Herzen ist somit erforderlich, und alle Herzen drehen sich um einen Mittelpunkt, und dieser Mittelpunkt ist der Gründer. Man darf den Radius nicht ausdehnen, bis er eine Parabel wird, wie Kometen, die ihren Weg nicht mehr zurückfinden. Es gibt heutzutage bei uns nur noch eine Macht, die Freimaurerei. Das ist eine sehr elastische Lehre. Die ersten Mitglieder hier in Troyes 1809 waren die besten Christen der Stadt. Der Großmeister der Loge war der Hausmeister des Priesterseminars, ein sehr christlicher Mann. Da wir nun gegen solch eine gewaltige Macht kämpfen müssen, muss auch unsere Kongregation stark sein, dass sie niemals erschüttert werden kann. Es liegt mir sehr viel daran! Entfernen wir uns darum nie aus dieser oder jener Überlegung heraus vom Gehorsam, „so gut das auch sei“, wie unser hl. Stifter sagt. Ich sage das für mich wie für meine Nachfolger, die die Last des Generaloberen zu tragen haben werden. Haltet immer den Gehorsam hoch. Bei den Oblaten soll es nie eine Demokratie („Republik“) geben. Die Auslegung der hl. Regel, wie ich sie hier vortrage, ist lebensvoll und durchgreifend. Alle Oblaten mögen jederzeit der hl. Regel sowie denen, die für ihre Beobachtung verantwortlich sind, eine tiefe Ehrfurcht entgegenbringen. Seien wir stark in der Einheit, in der Einheit des Denkens und des Wollens, dann wird unsere Existenz gesichert sein in den Grenzen der Forderungen, denen wir uns zu stellen haben.

Bleiben wir überzeugt, dass wir mit unseren individuellen Kräften allein nichts vermögen und nichts zu Ende führen. Es gilt ein stärkeres Band, die Einheit der Liebe, wie unser hl. Stifter es nennt. Verharren wir untereinander und vornehmlich mit den Vorgesetzten in dieser Einheit der Herzen und Willen. Dank sei Gott, dass wir bis zu dieser Stunde diesem Weg gefolgt sind. Ich betone das jetzt so stark, weil die Kommunität an Zahl zunimmt, dass es bei uns nur ein Wollen und Tun gebe.

„Als eine sehr wichtige Herzensangelegenheiten werden sie demnach die Selbstheiligung betrachten“, sagt die Regel. Sich selbst heiligen ist somit unser erstes Ziel. Würden wir nicht persönlich daran arbeiten, so würde uns eine wesentliche Bedingung abgehen. Mit ganzem Herzen und mit aller Kraft heißt es daran gehen. Kein Vorwand darf uns je davon abhalten, nicht einmal die Krankheit. Die Gute Mutter war jedes Mal heiliger, wenn sie eine Krankheit überstanden hatte. Ich glaubte immer, ich allein habe diese Feststellung gemacht. Doch eine Schwester teilte mir kürzlich denselben Eindruck mit. Auch ein Übermaß an Arbeit darf uns nicht davon abhalten. Dann müssen wir nur umso häufiger zu Gott rufen: „Domine, salva nos!“ (Anm.: „Herr, rette uns!“), uns umso fester an den Herrn klammern und sein Herz, und seine Hand nicht loslassen. Wenn ihr von großen Versuchungen, Trübsalen und Schwierigkeiten geplagt seid, geht zu eurem Novizenmeister, falls ihr Novizen seid, oder zu eurem Beichtvater: innerhalb fünf Minuten, das genügt für Männer, kann man sehr vieles sagen, um Aufklärung bitten. Und fast immer beruhigt ein ruhig gesprochenes Wort das unruhige Herz.

Nach unserer persönlichen Heiligung sollen wir uns auch an die Heiligung des Mitmenschen machen, sagt die hl. Regel, und zuerst an die christliche Erziehung der Jugend, sie heiligen auf unserer Erde, sie hinlenken zum Himmel, denn das ist das erste Ziel unserer Erziehung. Das übrige folgt erst danach.
Als unser zweites Seelsorgeziel bezeichnet die Regel die Mission in ungläubigen und irrgläubigen Ländern. Dazu braucht es heilige Missionare. Diesbezüglich steht es außer Zweifel, dass es für uns unmöglich ist, etwas Gutes zu wirken ohne Mithilfe der Oblatinnen, die hier in Troyes gegründet wurden. Ich wünsche sehr, dass dies immer so bleibe. Darum braucht sich nicht jeder einzelne von uns zu kümmern, aber jeder soll meine Einstellung zu diesem Punkte kennen. Die Oblaten sind natürlich nicht die Vorgesetzten der Oblatinnen. Das möchte die Kirche nicht. Doch besonders in den Missionsgebieten möge man Hand in Hand zusammenarbeiten. Ich empfange eben einen Brief aus Pella. Sie haben dort 40 Kinder und das ist herrlich. Das können aber unsere Patres nicht alleine meistern. Hatte unser Herr nicht auch heilige Frauen um sich? Wurde die hl. Magdalena nicht die erste Apostolin der Auferstehung? Darum wünsche ich auch diese Zusammenarbeit. Das ist mein Leitgedanke, mein Wille, wie es der Wille Gottes ist. Darin frage ich niemanden anderen um seine Meinung.

Nach meiner Ansicht sollen wir den Schwestern Ehrfurcht entgegenbringen. Wir haben über sie keinerlei Autorität auszuüben, es sei denn, die Generalleitung habe sie uns ausdrücklich übergeben. Ich verbiete absolut im Namen des Gehorsams, über sie zu reden und zu urteilen. Das gilt ja überhaupt von allem, was im Kapitel gesagt wird. Ich sage das für unsere jungen Oblaten, die dies vielleicht noch nicht wissen. Es ist ein formeller und absoluter Gehorsam. Damit wir zum Ziel gelangen, das wir uns vornehmen, muss jeder im Rahmen seiner Zuständigkeit bleiben und nicht urteilen, wenn er nicht den Auftrag dazu erhalten hat. Das ist nichts Neues, sondern der Geist der Heimsuchung. Was hat die Heimsuchung vor Verfall bewahrt? Dass sie ihre klösterlichen Observanzen mit höchster Treue und Hochachtung gewahrt hat. Versteht gut, was eine Kongregation, ein religiöser Orden ist! Und welch eine Ehrfurcht, welcher Gehorsam, welche Diskretion da von euch verlangt wird!

Ich wünsche, dass wir ein Gebräuchebuch haben, wie es zu Zeiten unseres hl. Stifters der Fall war, und dass dieses Gebräuchebuch Gesetzeskraft hat, damit unser Werk als das Generaldirektorium der Kongregation Bestand habe. Warum bestehe ich heute so stark auf diesen Dingen? Ich kann behaupten, dass ich mich verfehlt habe, weil ich mich nicht genügend durchgesetzt habe. Der Hl. Vater hat mir das auch bestätigt. Und da treffe ich heute Menschen, die nicht die Nächstbesten sind und die sich mit dem Prozess der Guten Mutter befassen. Welch eine Wichtigkeit messen sie diesem Verfahren bei! Welchen Glauben setzen sie in all das! Einen Glauben, der zehnmal den meinigen übertrifft. Dieser Eindruck veranlasst mich, mich stärker durchzusetzen. Ich sage es noch einmal: ich habe es bis jetzt nicht getan. Wie ich es hätte tun müssen, und ich würde gegen meine Pflicht verstoßen, täte ich es nicht in der Zukunft.

Beten wir viel bei der hl. Messe und Kommunion in dieser Meinung und damit jeder es so treu wie möglich verwirkliche.