Kapitel vom 28.10.1885: Das Direktorium.
Sämtliche Orden haben ihren eigenen Geist, ihre besondere Physiognomie, die sie den angewandten Mitteln entnehmen, um ihr Ziel zu erreichen. Die Kartäuser sind Männer der Einsamkeit und des Schweigens, die Trappisten Männer der Arbeit und der Abtötung. Jeder Orden hat also sein eigenes Gepräge, sein geistiges Gesicht. Welches ist nun unser Charakteristikum? Wir gebrauchen nicht die Mittel der anderen Orden. Unser hl. Stifter hat uns einen direkteren und sichereren Weg gezeichnet: das Direktorium. Das Direktorium ist unser großes Mittel, unser Wesensgrund. Es verleiht uns unseren persönlichen Stempel, unser Gepräge.
Was ist denn unser Direktorium? Es nimmt sich doch so unscheinbar aus und scheint nur für Frauen gut zu sein…
Nun, das Direktorium hat einen hl. Franz v. Sales geformt, der es von Kindheit an geübt hat, bevor er es den Heimsuchungsschwestern gab. Und dieses Büchlein hat ihn zum vollendeten Abbild unseres Herrn gemacht. Das Direktorium war es auch, das die Gute Mutter Maria Salesia geformt hat, die vollkommenste Tochter unseres hl. Stifters, die ihm am meisten glich.
Das Direktorium bedeutet den vollkommenen Verzicht auf sich selbst bei jeder Handlung, in jedem Augenblick des Tages. Es bedeutet Vereinigung mit dem Erlöser. Da ergreifen wir die Hand des Heilandes, um jede unserer Handlungen zu verrichten. Betrachtet nur die Geschicklichkeit unseres hl. Stifters: auf den Schlag, fast ohne Mühe, möchte man sagen, lässt er uns das Ziel erreichen, das die anderen Ordensleute nur mit große Mühe und um den Preis vieler Bußübungen und Anstrengungen erreichen. Er hingegen geht geradewegs auf das Ziel los. Und dann, die Strengheiten ermüden und machen bald die äußeren Werke der Mönche mehr oder weniger zunichte, denn ein Ordensmann, der seine Ordensregel vollständig übt, ist kaum noch zu etwas anderem fähig. Das Direktorium dagegen führt uns zum selben Ziel, zur Vereinigung mit Gott, leichter und schneller, und lässt uns unsere ganze Kraft und unsere ganze Handlungsfreiheit. Die Frucht des Direktoriums ist aber der Friede der Seele, die Ruhe des Geistes in Gott, ohne Schwanken und Besorgnisse. Ich kannte Mönche, die nach 30, 40 und 50 Jahren der Abtötungen und Strengheiten sich mutlos fragten: Bin ich auf dem rechten Weg? Auf unserem Weg brauchen wir keine Unsicherheit zu befürchten. Das Direktorium ist ein absolut sicherer und treuer Weg, der der Seele den Frieden schenkt und sie ohne Fehl zu Gott führt.
