Kapitel vom 06.05.1885: Die wöchentlichen Verpflichtungen. (Teil 2)
„In jedem Haus erscheinen die Oblaten des hl. Franz v. Sales wenigstens einmal in der Woche pünktlich und gesammelt zu den geistlichen Konferenzen (Kapiteln). Ziel dieser Konferenzen ist die Verleugnung des eigenen Willens und Urteils.“
Das ist zugleich der Lebensnerv und das Geheimnis des klösterlichen Lebens. Auf sein Urteil und seinen eigenen Willen verzichten, ist unserer Natur entgegengesetzt. Da heißt es einen Akt des Glaubens vornehmen und glauben. Die Verleugnung ist das eigentliche Mittel, um zum Ziel unseres Institutes zu gelangen. Darin liegen das ganze Ordensleben und selbst das ganze Christenleben beschlossen. Bitten wir Gott um die Gnade, diese Tugend gut zu praktizieren und vor allem in diesen Zeiten sie uns zur Gewohnheit werden zu lassen. Hier geht es um eine Sache, die unserem Wollen zuwiderläuft. Schließen wir es darum in unser Herz und sagen wir zu Jesus: „Herr, weil du es willst, will ich es auch!“ Das ist der erhabenste Akt des Willens und der menschlichen Freiheit, und nur der, der dazu die Gnade von oben bekommt, kann es ausführen. Und nur, wer darum bittet, wird ihrer teilhaft. Bitten wir also Gott darum und unsere Gute Mutter, die beginnt, auch im Äußeren ihre Macht bei Gott zu beweisen.
„…die Vereinigung mit dem Willen Gottes bei allen Handlungen…“
Man gelangt dahin durch die Gute Meinung. Das ist sogar die Praxis des Himmels, die in nichts anderem besteht, als das zu tun und zu wollen, was Gott gefällt. Geben wir uns alle Mühe, diese Disposition in unsere Seele zu pflanzen.
„…die brüderliche Eintracht…“
Tun wir nach dieser Seite alles in unserer Macht Stehende. Wir riskieren gar nichts, wenn wir in dieser Hinsicht sogar ein bisschen übertreiben. „Daran soll man erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt.“ Unser hl. Stifter wiederholt dasselbe Wort. Die gegenseitige Liebe ist unsere Abtötung. Wir haben kaum eine andere.
„…der Eifer für unsere Selbstheiligung…“
Unsere Gewissenserforschungen klären uns auf über diese Punkte. Denn sie haben zwei Ziele: unsere Fehler zu erkennen und unser Verhältnis zu Gott zu überwachen. Wollen wir wissen, ob wir im Ordensleben Fortschritte machen, so können wir das dann, wenn wir treuer unser Direktorium halten, und wenn wir in den uns empfohlenen Tugenden voranschreiten.
„…besonders aber der Eifer für die uns anvertrauten Seelen…“
Diesen Seelen müssen wir uns hinopfern: man gibt sich hin durch das Gebet. Es ist nämlich die Tat Gottes, nicht des Menschen, wenn wir die Seelen bekehren. Darum heißt es für die Seelen beten, die uns anvertraut sind, z.B. für die Seelen unserer Schüler. Durch das Gebet setzt sich unser Eifer um. Haben wir für solch einen Jungen gebetet und kommt er dann bei uns beichten, so können wir gar nicht gleichgültig bleiben bezüglich seines Seelenzustandes. Manchmal sind wir sogar überrascht, welche Wirkung unsere Worte bei einem Menschen, für den wir gebetet haben, auslösen. In den Dienst der Seelen müssen wir unsere ganze Leidenschaft einsetzen und die ganze Energie, deren wir fähig sind. Dieser Eifer wird jedoch gebremst durch die Vorschriften der Kirche, der hl. Regel und unserer Vorgesetzten.
