Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 25.03.1885: Die täglichen Verpflichtungen. (Teil 2)

„Gleich beim Erwachen möge jeder sein Tun und Lassen nach dem Beispiel des hl. Franz v. Sales Gott aufopfern.“
Beim Erwachen wird es das Beste sein, das zu tun, was uns unser hl. Stifter anrät. Gewiss werden wir nicht dem Zug unseres Herzens widerstehen und eine besondere Andacht pflegen, zu der wir uns hingezogen fühlen. Im Allgemeinen aber ist für uns das Direktorium das Mittel, die beste und größte Wirkung zu erzielen.

„Zu Beginn wichtiger Handlungen erneuere er diese Aufopferung.“
Unser hl. Stifter scheint vorauszusetzen, dass wir bei jeder Handlung unseres Tagewerkes etwas zu leiden haben. Gerade dadurch können wir die Abtötungen und Strengheiten der großen Bußorden ersetzen. Darum wünscht er, dass wir am Anfang unserer wichtigen Handlungen die Gute Meinung erneuern: alles Gott aufopfern, was wir dabei zu leiden haben, sowie das Gute, das wir dabei vollbringen. Das annehmen, was Gott uns schickt, scheint in der Tat unserem Geist zu entsprechen. Es fördert unsere Vereinigung mit dem Ewigen und das Innewohnen der hl. Dreifaltigkeit. Das ist darum unser hauptsächliches Dokument.

„Besonders sorgfältig sei er darauf bedacht, bei all seinen Handlungen dem Willen Gottes zu entsprechen.“
Es geht also nicht darum, unsere eigenen Neigungen, die eigene Befriedigung und den eigenen Ruhm zu suchen. Diese vollkommene Übung widerspricht am stärksten dem rein menschlichen Antrieb. Es bedeutet den Abschied vom eigenen Ich. Die anderen Orden haben ihre Devise, z.B. „omnia ad maiorem Dei gloriam.“ (Anm.: „Alles zur größeren Ehre Gottes.“). Unser hl. Stifter kennt nur ein Wort: „Vivat Jesus“ (Anm.: „Es lebe Jesus.“), d.h. Gott muss in uns leben, wir kommen erst an zweiter Stelle.

„Wenigstens eine viertel Stunde sollen die Oblaten täglich dem Besuch des Allerheiligsten widmen.“
Die Besuchung des Allerheiligsten ist eine der Hauptübungen unseres Alltags. Wie sollen wir sie vollziehen? Man kann im Geist die Morgenbetrachtung noch einmal durchgehen, das Tagewerk überprüfen oder aber eine Anbetung des Allerheiligsten im Sinne des hl. Alfons von Ligouri machen. Pflegen wir eine große Verehrung zum hl. Sakrament, wie es unser hl. Stifter gehalten hat! Das war sein Lebensinhalt. Können wir diese Besuchung nicht machen, z.B. auf Reisen, grüßen wir unseren Herrn wenigstens in allen Kirchen, an denen wir vorbeikommen, beten wir ihn an für all die Menschen, die ihn nicht anbeten. Gehen wir niemals an einer Kirche vorüber, ohne den im Geist anzubeten, der darin zu wohnen sich würdigt.

„Nach dem Vorbild ihres hl. Stifters werden sich die Oblaten bemühen, immer und überall in der Gegenwart Gottes zu wandeln.“
Nicht durch einen Gedanken des Verstandes, das würde uns nur ermüden. Es geht hier um den Wunsch, in jedem Augenblick den Willen Gottes zu tun. Wir sind nicht verpflichtet, beständig an Gott zu denken, das könnten wir nicht. Wir fühlen uns lediglich verpflichtet, unsere Gute Meinung von Zeit zu Zeit zu erneuern.

„Die Oblaten halten mittags und abends eine Gewissenserforschung.“
Die Erforschung mittags ist nur ein kurzer Rückblick, den wir auf die Handlungen des Vormittags werfen. Für die Gewissenserforschung des Abends wenden wir größere Mühe auf.

„Das hl. Offizium sollen sie aufmerksam und andächtig beten und daran denken, dass sie damit das Amt der Engel ausüben…“
Bemühen wir uns, beim Beten des Offiziums die Gedanken des Direktoriums zu gebrauchen. Daran sollte man sich von Anfang an gewöhnen. Damit schneiden wir alle Zerstreuungen kurz ab und bleiben Gott innig vereinigt.

„Sie werden keinen Tag verbringen, ohne zu studieren… und werden nie vergessen, dass es notwendig ist, ihr theologisches Wissen immer mehr zu vertiefen.“
Wir haben viel zu lernen: Theologie, Kirchenrecht, Hl. Schrift, mystische Theologie. All das ist sehr nützlich, um uns an alle Klassen der Gesellschaft wenden zu können. Vorträge und Unterrichte an Hand von Büchern sind sicher ganz gut, aber kommen nicht immer an. Wir müssen es wie die Bienen machen, die in den Blüten nur das Notwendige saugen, um daraus Honig und Wachs zu machen, je nach den Umständen.

„Während der Mahlzeiten wird gelesen. Nach der Weisung unseres hl. Stifters wird man nicht vom Tisch aufstehen, ohne sich irgendwie abgetötet zu haben.“
Worin soll diese Abtötung bestehen? Unser hl. Stifter sagt, in irgendeiner Überwindung. Sie kann positiv sein, indem man vom weniger schmackhaften mehr nimmt, oder negativ, indem man vom Schmackhaften, z.B. der Nachspeise, etwas weniger nimmt, etc. Während der hl. Passionszeit nehmen wir treu im Geist der Buße alles entgegen, was uns begegnet. Bleiben wir mit unserem Herrn vereinigt, damit wir nicht etwas anderes tun als er: während er sein Kreuz trägt, suchen wir nicht, das unsere abzuwerfen. Denken wir stets daran, dass wir Ordensleute sind und die Abtötung unseres Herrn immer an uns tragen sollen.