Kapitel vom 23.04.1879: Wichtige Lehren und Hinweise.
Unser Vater las uns den Artikel vor: Wichtige Lehren und Hinweise. Er schärfte uns zunächst ein, keine anderen Heiligungsmittel zu gebrauchen, außer denen, die in unserem Institut gebraucht werden. Es sei auffallend, dass der hl. Stifter, sonst sanft und entgegenkommend, hier keine Ausnahme zulässt. Er hatte somit etwas Neues gebracht, da man ja den Titel eines Kirchenlehrers nur solchen verleiht, die diesen oder jenen Punkt der Dogmatik oder der Moral weiter entwickelt haben. Das gibt es in keinem anderen religiösen Orden. Überall sonst, ist ein Mittel gut und heiligend, darf man es auch benutzen. Warum also erlaubt er uns nicht, etwas außerhalb des Institutes zu tun?
Weil er nichts unserem eigenen Belieben überlassen will, alles stehe vielmehr unter einem universellen Gehorsam. Suchen wir darum außerhalb unserer hl. Regel kein Mittel, uns zu heiligen. Unser Gehorsam erstreckt sich auf alles und nimmt uns vollkommen in Beschlag. Täten wir das nicht, so befänden wir uns außerhalb des Gehorsams, und wäre es noch so gut. Was die äußeren Abtötungen betrifft, wählen wir ebenfalls nur jene, die die hl. Regel uns vorschlägt.
Unser hl. Stifter beabsichtigt damit, unseren Eigenwillen mehr und mehr ohne Unterbrechung zum Absterben zu bringen, indem er ihm ständig auferlegt, was nicht von ihm ausgeht. Unser eigenes Urteil zurückzudrängen, indem man ihm eine andere Schau vor Augen hält als seine eigene. Dieser Tod des Willens ist schwer, weil der Wille am längsten widersteht. Wir beginnen erst dort so recht, wo die andern aufhören. Es mag den Anschein haben, als fessle diese absolute Abhängigkeit unsere menschliche Aktivität. Das ist aber ein großer Irrtum. Solange der Mensch seiner eigenen Initiative folgt, ist seine Aktion beschränkt. Überlässt er sich aber dem Willen Gottes, vermag er ungeheuer viel, ja, er nimmt teil an der göttlichen Allmacht.
Geben wir uns also dem Gehorsam hin. Von unseren drei Gelübden ist der Gehorsam das, das die zwei anderen beherrscht und einschließt. Liefern wir uns ihm freilich nicht ganz und restlos aus, so verlieren wir bloß unsere Zeit. Nach langen Jahren Erfahrung sehen wir ein, dass das, was wir aus uns selbst gemacht haben, wenig wert ist, und dass wir dies wenige auch noch schlecht gemacht haben.
Die Oblaten sollen sich dem Oberen offenbaren: das geschieht in der sogenannten Rechenschaft. Dabei handelt es sich einzig und allein um solche Sünden, die eine Verletzung der hl. Regel nach sich ziehen. Was die einzelnen Verstöße gegen die Satzungen betrifft, die ja aus sich heraus keine Sünden sind, so bilden auch sie nicht Gegenstand der Rechenschaft. Rechenschaft bedeutet somit nicht, sich in Einzelheiten einzulassen, sondern darum, Vertrauen zu schöpfen beim Vorgesetzten und Novizenmeister: man offenbart ihm kindlich (Anm.: „im frz. Originaltext ‚naivement‘ genannt.“) die Gedanken seines Inneren. Dieser zweite Grundsatz ist die Folge des ersten, und auf diese beiden Säulen sollen wir uns nach Franz v. Sales gründen: Gehorsam und Vertrauen dem Oberen gegenüber!
„Der Oblate strebe ohne Unterlass nach der wahren und aufrichtigen Herzensdemut.“ Unser hl. Stifter sagt nicht Demut des Geistes, sondern des Herzens. Nehmen wir ein Beispiel: Da ist ein Mensch voll Wissen und Gelehrsamkeit. Sein Geist unterwirft sich nur schwer, da er sich kaum dazu überreden kann, er sei unwissend. Darum soll er sich im Herzen verdemütigen, indem er zu sich sagt: Ich habe gute Einsichten, das ist wahr, vor Gott aber bin ich deshalb nicht weniger schuldig. Ich will darum freudig alle Demütigungen annehmen, die mir begegnen, als mein Los, als etwas, was mir zukommt und gebührt. Seht ihr, in diesem Sinn müssen wir nach Demut streben. Manche meinen, um demütig zu werden, müsse man Gewaltakte verrichten, um sich einzureden, man sei den anderen unterlegen, während man ihnen doch offenkundig in gewissen Punkten überlegen ist. Nein, sondern praktizieren wir die Demut, indem wir mit Freude die Demütigungen annehmen. Das ist nicht immer leicht, das geht gegen unsere Natur. Dadurch aber ahmen wir unseren Herrn nach, der nicht die Demut des Geistes haben konnte, sondern in vortrefflicher Weise die Demut des Herzens geübt hat.
Gehorsamserteilung:
Während der Woche empfahl uns unser Vater, der klösterlichen Observanz treu z sein. Wir sollten dies aufopfern für unsere Verwandten, die nach Franz v. Sales einen breiten Platz in unseren Gebetsanliegen einnehmen sollen. Wir sollten es ferner tun für die Seelen, die uns anvertraut sind, weil wir dazu ausdrücklich verpflichtet sind. Er legte uns ans Herz, auch die geringsten Vorschriften der hl. Regel ernst zu nehmen, weil wir gerade dadurch Gott gefallen.
