Kapitel vom 17.04.1879: Die Pflichten gegen den Novizenmeister und den Oberen.
Unser Vater erinnerte uns an unsere Pflichten gegen Meister und Vorgesetzten, weil verschiedene Fehler dagegen vorgekommen seien. Solche Verstöße können aber von Gott ergebenen Seelen nur auf Grund einer großen Blindheit des Geistes begangen werden, weil man deren Schwere nicht erkennt, oder aber weil der Wille vom rechten Weg in gefährlicher Weise abgleitet. Sie sind imstande, uns den Fluch Gottes zuzuziehen, ich will nicht sagen, den ewigen Fluch, aber vielleicht doch den Verlust des Berufes. Ich kann hier, sagt unser Vater, das Beispiel der Heimsuchung anführen: Während 25 Jahren hat sich keine einzige Schwester der Heimsuchung freiwillig bei einem kritischen Gedanken über das Tun der Meisterin oder Oberin aufgehalten. Ist das nicht bewundernswert? Damit soll nicht gesagt sein, diese Vorgesetzten hätten alles vollkommen gemacht. Behaupten wir auch nicht, Frauen würden sich leichter unterwerfen als Männer. Sie haben ihre Launen. Aber all diese Ordensfrauen waren Heilige, und das Kloster von Troyes galt als Musterkloster.
Wir müssen uns also für den Gehorsam begeistern, doch für keinen passiven, sondern einen höchst aktiven. Denn auf diese Weise gehorchen ist der höchste Akt des Wollens, umso starkmütiger, weil man ja den Willen eines anderen tut. Die Engel und die Seligen des Himmels sind aufs Höchste aktiv, da ihr Wollen ja mit dem Willen Gottes vollkommen einig geht. Hätten wir nur ein Körnchen Glauben, würden wir Berge versetzen, sagt unser Herr. Der Glaube, von dem hier die Rede ist, betrifft nicht den Glauben an die Glaubensgeheimnisse, den haben wir, sondern den Glauben an den klösterlichen Gehorsam. Kraft dieses Glaubens würden wir eine Kohlpflanze mit dem Kopf nach unten in den Boden stecken, und die Wurzel nach oben. Um aber solch einen Akt zu setzen, bedarf es der Allmacht Gottes, so gewaltig ist das. Um einen Kohl normal zu pflanzen, genügt menschliche Kraft.
Anderswo fänden wir vielleicht keine derartigen Prüfungen, dafür aber andere, Bußübungen, die wir nicht haben, lange Betrachtungen, weniger Schlaf, Fasten. Praktizieren wir aber unser religiöses Leben nicht auf diese Weise, was tun wir dann eigentlich? Wir sind glücklich und leben hier in Frieden, werden genährt und beherbergt, und tun unseren eigenen Willen von früh bis spät. Wahren wir doch unser gesundes Urteil! Sind wir Ordensleute, seien wir es doch ganz und vollkommen und nicht nur halb! Können wir uns aber nicht dazu entschließen, dann wollen wir gehen, nicht erst morgen, sondern auf der Stelle. Wollen wir es aber doch, dann handeln wir dem entsprechend und handeln wir gut!
Eines Tages fragte die hl. Chantal unseren hl. Stifter: Sie haben uns Ordensfrauen gegründet. Warum bilden Sie keine Priester in Ihrem Geist heran? Worauf der Heilige antwortete: Die große Schwierigkeit liegt darin, dass man uns allzu sehr zum Räsonnieren erzieht. Das Hinterfragen tötet aber den Geist Gottes. Die hl. Mutter Chantal fragte noch einmal: Wenn aber Männer wollten… Worauf dann der Heilige zur Antwort gab: Ja, wenn ein Mann will!
In der Tat, wenn ein Mann will, kann er sich auch unterwerfen, und ein Mann unterwirft sich besser als eine Frau. Gewiss wird es dann noch Schwierigkeiten geben. Dann lesen wir das Leben der Guten Mutter durch und finden es bewundernswert! Glauben wir aber nur nicht, sie habe sich ohne Mühe und Schwierigkeit in solch einem Zustand von Vollkommenheit befunden! Nie hatte eine Ordensfrau mehr Schwierigkeiten, ins Kloster gehen. Dazu hatte sie ein sehr treffsicheres Urteil und war versucht, scharf zu urteilen. Und doch hat sie niemals über die Handlungsweisen ihrer Vorgesetzten gerichtet, solange sie Untergebene war, d.h. während der Hälfte ihres Lebens. So muss auch jeder Ordensmann Gott versprechen, ihm sein Urteil und sein Wollen zum Opfer zu bringen, und zwar ohne Abstriche und Einschränkungen. Wir sollten viel füreinander beten, dass wir vom auferstandenen Herrn dieses Leben erlangen, das nicht mehr dem Tod unterworfen ist, das unveränderliche Leben der Auferstehung.
Gehorsam: Seit dem letzten Kapitel hat unser Vater uns ans Herz gelegt, unseren Willen jeden Augenblick treu mit dem Willen Gottes zu verbinden.
Am hl. Karfreitag, sagte er, den Herrn nicht allein am Kreuz zu lassen, sondern ihm alles aufzuopfern, was uns begegnet.
Am Karsamstag, riet er uns, mit unserem Herrn aufzuerstehen und tapfer stehen zu bleiben, statt ins Grab unserer Sünden und Unvollkommenheiten zurückzufallen, da wir ihm ja versprochen haben, das Grab zu verlassen.
Am hl. Osterfest legte er uns ans Herz, das zu tun, was unser hl. Stifter für dieses Fest von uns will: uns selbst zu vergessen, um den Auferstandenen festlich zu empfangen.
Die kommenden Tage empfahl er uns, für unsere Schüler zu beten, dass ihre Ferien gut verlaufen und sie vor Gefahren bewahrt bleiben. Osterdonnerstag bestand er darauf, darin fest zu bleiben, der Versuchung zu widerstehen, die jetzt allgemein drohe und der Stimme des Herrn zu folgen, wenn Gott spricht. Denn von unserer Treue hängt unsere Heilung ab und vielleicht unser ewiges Heil.
