Kapitel vom 16.01.1879: Vom Essen.
Zuvor eine Bemerkung des Herausgebers:
Übersetzer und Herausgeber haben zunächst gezögert, dieses Kapitel als Ganzes zu veröffentlichen: die angeführten Beispiele scheinen unserer Mentalität so gar nicht mehr zu entsprechen. Wir haben uns dann aber doch dazu entschlossen, denn:
1. Es ist interessant, was vor 132 Jahren (Anm.: „Zahlen auf 2011 angepasst.“) möglich war und die Zustimmung unseres Gründers fand.
2. Es ist immerhin möglich, dass unsere Mentalität sich täuscht:
a) unser Herr selber hat beim letzten Abendmahl auf den Knien seinen Aposteln die Füße gewaschen, einen Sklavendienst geleistet und wünscht, dass wir dasselbe tun.
b) die eine und die andere Übung wird auch heute noch in gewissen Orden zu bestimmten Gelegenheiten geübt:
Der Text des Kapitels:
Unser Vater sagte, die innerlichen Seelen fänden Gott im Refektorium auf eine ganz besondere Weise. Diese brüderlichen Liebesmahle (Agapen), im Stillschweigen eingenommen und durch heilige Lesungen genährt, ziehen die Seelen himmelwärts. Während des Essens dürften wir aber nicht unsere Betrachtungen machen, weil die Aktivität des Geistes unserer Gesundheit schaden würde. Nur sollten wir zu den Mahlzeiten nicht allein des Essens halber gehen, sondern auch um unsere Kulp zu machen und die Ermahnungen entgegenzunehmen. Bezüglich der Ermahnungen ist folgendes zu beachten: Ein Mitbruder hat festgestellt, dass ein anderer Mitbruder eine gewisse Übung schlecht ausführt. Im Refektorium macht er ihn nun vor allen darauf aufmerksam, indem er sagt: „Ich mache den Mitbruder Soundso demütig auf diesen oder jenen Punkt aufmerksam.“ Für diese Praxis wie für jede andere bedarf es natürlich der Erlaubnis des Gehorsams. Wer bei einem anderen einen gewissen Fehler festgestellt hat, soll den Oberen oder Novizenmeister darauf aufmerksam machen. Der entscheidet dann, ob eine Bemerkung bei Tisch angebracht ist. Vielleicht hat das Vorgefallene nämlich nur den Anschein eines Verstoßes, und ein Mitbruder sollte nicht zu Unrecht angeklagt werden. Man halte sich einfach an die Meinung des Oberen. Jedenfalls ist es ein ausgezeichnetes Mittel, die eigene Wertschätzung zu zerstören und uns daran zu hindern, auf uns selbst irgendwie zu vertrauen. Wenn ein Oblate seinen Oberen auf den Fehler eines anderen aufmerksam macht, hat dieser die Gelegenheit, zu sagen: „Aber Sie verstoßen ja selber gegen diesen oder jenen Punkt, und wir werden in Zukunft mehr darauf achten.“
Die Abtötung vornehmen: Sie bestehen darin z.B. auf dem Boden sitzend zu essen, den eintretenden Patres die Füße zu küssen, etc.
Sie sollen nicht aufstehen, ohne sich in irgendetwas abgetötet zu haben: Diese Abtötung bezieht sich auf die Qualität, nicht auf die Quantität. Jeder soll nach seinem Appetit essen und nicht nach dem, was der andere tut. Wer also einen stärkeren Appetit hat, soll sich nicht nach denen richten, die wenig verzehren.
Aus der Hand unseres Herrn empfängt er Speise und Trank und alles andere mit gleicher Willigkeit, sagt es ihm nun zu oder nicht: Hier haben wir die Wurzel des salesianischen Geistes vor uns, für das Essen, wie für alles andere. Wir sollen uns beim Essen erinnern, dass wir arm sind, unser Brot selbst verdienen und darum mit der einfachen und bescheidenen Kost zufrieden sein müssen, die uns vorgesetzt wird, indem wir die hl. Familie von Nazareth zum Vorbild nehmen. Im Übrigen sollte dieser Geist der Armut überall herrschen, besteht doch die Armut nicht nur darin, kein Eigentum zu besitzen, sondern auch darin, uns sorgfältig von den kleinen Bequemlichkeiten im Gebrauch der Dinge dieser Welt freizuhalten oder sie so wenig wie möglich zu benutzen. Ja, schränken wir uns in allem möglichst ein. Gott belohnt uns ja nicht nach seinen Wohltaten und Gaben, sondern nach dem, was wir ihm geopfert haben. Das Leben des Oblaten sollte ein ununterbrochenes Opfer und ein Oblate nie ohne Leid sein. Eine Stunde ohne Leid ist eine verlorene Stunde. Vergessen wir das nie und dass unser Herr sich für uns arm gemacht hat, und uns diese Liebe zur glückseligen Losschälung geben möge.
Gehorsamverteilung: Die hauptsächlichen Anliegen unseres Vaters betrafen die Seelen, die uns anvertraut sind. Ferner der Geist der Demut und die treue Entsprechung dem gegenüber, was Gott von uns verlangt.
