Die Betrachtung.
Die Betrachtung beginnt zwanzig Minuten nach dem Aufstehen. Obwohl im Direktorium steht, man richte sich bezüglich Betrachtung nach den Anweisungen der Philothea, des Theotismus, etc., gibt unser Generaloberer (Anm.: „aktuell P. Brisson.“) zu bedenken, dass es eine eigentliche Methode für unsere Betrachtung nicht gibt.
Denn unsere Betrachtung ist eine Unterhaltung, ein Zwiegespräch mit Gott, erfolgt also ganz einfach und ohne Ziererei. Die Seelen sollen vielmehr einfach und in aller Demut und mit bestem Willen zu Gott gehen und bei ihm verweilen mit den Gedanken, die uns ansprechen und uns am stärksten mit unserem Herrn vereinigen.
Wenn gesagt wird, selbst Franz v. Sales sagt es, man solle eine Vorbereitung vorausschicken, und auch wenn von Erwägungen, Gemütserhebungen und Entschlüssen usw. die Rede ist, müssen wir nicht meinen, man müsse hintereinander alle diese Akte durchgehen. Im Gegenteil, wir brauchen nicht zu fürchten, die Erwägungen auszulassen, um anschließend zu den Affekten zu kommen. Das alles wird nur deshalb erwähnt, weil es für jede Unterhaltung mit Gott zutrifft… Wir sind mit dieser Methode nicht verheiratet, sondern man führt einfach seine Seele zu Gott, indem man sie gut in seine Gegenwart versetzt und dann mit ihm ins Gespräch kommt, indem man sein Herz mit dem besonderen Gnadenzug überlässt, d.h. vor allem der Führung des Hl. Geistes immer in uns, sobald wir betrachten, und lenkt uns nach seinem Willen.
So kann es geschehen, das die Seele in der Betrachtung sagen kann, was immer ihr gefällt, und das von Anfang an. Wenn sie also, kaum in die Gegenwart Gottes versetzt, so fahre sie ruhig darin fort, solange sie sich dazu hingegeben fühlt, und zwar auch ohne Überlegungen und Affekte. Ist die Seele ergriffen von Liebe, Furcht und Reue, soll sie sich Gott darin hingeben und ihm sagen, was sie dabei an Wünschen und Absichten oder sonst wie bewegt. Fühlt sie sich zur Bewunderung oder Dankbarkeit hingezogen, so bleibe dabei, da es von größtem Nutzen ist, sich zur Ehre der göttlichen Majestät mit diesen heiligen Gedanken abzugeben. Spornt sie eine Tugend zu eifrigen Wünschen an oder entlockt ihr eine Sünde Tränen der Reue, so möge sie diesen inneren Bewegungen folgen und sich damit nähren, solange sie ihr etwas abgeben. Passen ihr mehrere Gedanken besser, so betrachte sie darüber. Genügt ihr ein einziger, so suche sie nicht mehrere.
Es mag sogar vorkommen, dass die Seele einen Gedanken vorzieht, der ihr für die Betrachtung längst teuer und vertraut ist. Sie gebe sich ihm ohne Furcht hin. Das Entscheidende beim Betrachten ist ja, sich mit Gott zu unterhalten. Diese Unterhaltung heißt es nach unseren besonderen Bedürfnissen zu regeln, vor allem entsprechend dem Wunsch Gottes selbst, den er uns durch einen gewissen inneren Zug offenbart. Den Oberen teile man den gewöhnlichen Weg mit, auf dem unsere Beziehung verläuft, damit sie uns notfalls leiten können.
Nicht wenige haben aus der Betrachtung eine Übung des Verstandes und des Willens gemacht, wo man der Seele Gewalt antut, während die Betrachtung doch ihre Vereinigung mit Gott bezweckt. Man lasse darum die Seele auf dem kürzesten Weg zum Vielgeliebten ihres Weges ziehen, ohne sie an tausend Plätzen aufzuhalten. Eine so vorgenommene Betrachtung ist jedermann möglich, vornehmlich wenn man vom aufrechten Verlangen geleitet ist, Gott zu gehören und ihn über alles zu lieben. Sollte es denn da Schwierigkeiten bereiten, sich mit Gott über das, was man so stark liebt, zu unterhalten?
Dennoch geschieht es häufig, dass die Seele zerstreut und trocken bei der Betrachtung ist. Darüber dürfen wir uns nicht beunruhigen und wundern. Führen wir dann unsere Seele sanft zu Gott zurück jedes Mal, wenn man sie verirrt antrifft. Was das Beten bei Trockenheit betrifft, wenn man nichts empfindet, so soll man es auf gewisse wiederholte Seufzer und Notschreie zur göttlichen Barmherzigkeit beschränken, z.B.: „Herr, hab Mitleid mit mir!“ „Mein Gott, ich liebe Dich!“ „Bekehre uns und gib jedem, was er braucht.“ Solche Schreie soll man ohne Unterlass wiederholen, selbst wenn wir einen Widerwillen dagegen verspüren. Das ist nämlich Gott höchst angenehm, der auf uns schaut und uns hört. Besser ist es jedenfalls, durch häufige Stoßseufzer zu Gott zu gehen, als um kalte Gedanken und Erwägungen zu ringen, die uns unaufhörlich entgleiten, und zu nichts führen, weil unser Geist sie nicht zu verkosten, ja nicht einmal festzuhalten vermag. Darum sagt unser Vater (der P. Brisson), die beste Betrachtung sei jene, die sich in der geistigen Trockenheit mit Widerwillen und Überdruss abspielt.
