Ansprachen

      

74. Ansprache zur Gelübdeablegung der P. Chevrollier und Prevotat zum Thema „Der Oblate“ am 29.09.1900

Meine Kinder, ihr wollt Oblaten des hl. Franz v. Sales werden. Das ist euer Wunsch, das Ziel eurer Anstrengungen und der Grund eurer Gegenwart hier. Was ist aber ein Oblate? In der Kirche gibt es Benediktiner, Jesuiten, Oratorianer. Es gibt strenge Orden: Kartäuser, Trappisten… Und wir kommen jetzt mit einem neuen Namen an. Was wollen wir?

Zunächst warum der Name „Oblaten“? Im Lateinischen will „oblatus“ einen bezeichnen, der sich opfert, der sich hingibt. Auf dem Altar werden Brot und Wein vor der Konsekration Oblaten genannt. Und dem Brot und Wein, die beim hl. Messopfer geopfert werden, gleichen auch wir.

Was wird aus diesen Messoblaten? Sie werden bei der Wandlung in den Leib und das Blut unseres Herrn verwandelt. Nicht mehr Brot hält der Priester in den Händen, und nicht mehr Wein erhebt er im Kelch. Sie sind der hl. Leib und das kostbare Blut des Erlösers geworden, die auf Kalvaria zur Erlösung der Welt hingeopfert wurden.

Meine Freunde, aus einfachen Gläubigen, einfachen Seminaristen und Priestern müssen auch wir nun Oblaten werden, d.h. wir müssen verwandelt werden, so dass wir nicht mehr wir sind, sondern andere werden, jeder ein anderer Christus.

Zunächst gilt es, Jesu Äußeres in uns erstehen zu lassen.

Das Äußere ist wichtig. Die Welt kennt uns allein aufgrund unseres Aussehens. Sie sieht uns ja nicht ins Herz, sondern urteilt nach dem äußeren Schein, nach der Art, wie wir uns geben, uns halten, mit dem Nächsten umgehen, wie wir uns bei unseren religiösen Handlungen verhalten. Unsere Sorge muss darum einem guten Äußeren gelten. Es soll einfach sein, ohne alle Geziertheit und Künstelei. Wir haben da einen anderen Ehrgeiz als die Manieren der guten Gesellschaft und gut gesitteter Familien anzuwenden.

Als unser Herr in Nazareth lebte, unterschied ihn nichts von den anderen Kindern. In Judäa und Galiläa tat er nichts Sonderbares und in die Augen Springendes. Einer unser letzten Heiliglandpilger, der Abbe Tenaille, sagte mir: „Etwas ist mir dort aufgefallen: Palästina wird heutzutage von Arabern, Griechen und Juden bewohnt, alle drei Völker von uns durch ihren Glauben und ihr Schisma getrennt. Doch allen dreien ist ein lebhafter Eindruck, ein tiefes Andenken an die Güte und Liebenswürdigkeit der Beziehungen zurückgeblieben, die unser Herr damals zu dem Volk unterhielt. Wenn man heute nur seinen Namen nennt, dann verneigen sich alle in Ehrfurcht und sagen: ‚Ja, Jesus, war so gut und erwies allen Gutes!‘ So sind zweitausend Jahre vergangen, von unglaublichen Revolutionen und von zahllosen Zusammenbrüchen gekennzeichnet. Die Bescheidenheit, Herzensgüte und Einfachheit des Erlösers aber haben alles überdauert.“ Da haben wir unser Vorbild, meine Freunde. So müssen wir es auch machen. Hier ist das Urbild der Schlichtheit und Geradheit, der vollendeten Redlichkeit und Ehrfurcht, die wir allen gegenüber an den Tag legen sollen, mit denen wir zu tun haben. So hielt es die Gute Mutter. Welch großen Respekt brachte sie allen, selbst kleinen Kindern, entgegen. Bei ihrem Anblick ahnte man ein wenig, wie es unser Herr gemacht haben musste.

Das ist etwas Großes, meine Freunde, diese Ehrfurcht vor den Seelen. Von Ecuador bis Brasilien breitet sich ein ungeheures Gebiet aus, das von Indianern bewohnt ist. Von Völkern, die zu drei Vierteln noch wild sind, doch nicht mehr wild genug, um sich willig der Zivilisation zu unterwerfen. Dorthin wurde eine Gemeinschaft von ausgezeichneten Ordensleuten geschickt, große Prediger, uns weit überlegen. Ihnen ging aber das ab, wovon ich soeben sprach. Was war die Folge? Die Indianer haben sich erhoben gegen ihre Missionare, sodass diese gehen mussten. Man schrieb mir daraufhin, es seien dort Oblaten nötig, wenn dies möglich sei, Menschen, die aus dich nichts machen, die vielmehr eine große Einfachheit zur Schau tragen, die sich also nicht über, sondern unter all jene stellen, die sie gewinnen wollen.

Hier habt ihr unseren Geist, das ist wahrer Oblatengeist im Umgang mit der Welt. Das sage ich nicht nur ganz allgemein und theoretisch. Schaut nur unsere Werke an, z.B. in Griechenland: niemand außer uns vermochte dort durchzuhalten.

Ihr werdet mir sagen: „Herr Pater, hier singen Sie aber kräftig unser eigenes Lob…“ Nein, meine Freunde. Wir können den anderen gewiss nicht das Wasser reichen, das erkenne ich gerne an. Doch wählen wir wenigstens eine Methode und eine Art zu sein und zu handeln, die ich für ganz wirksam halte. Das erinnert an jenen guten alten Arzt, der vier Arztsöhne hatte und der zu ihnen sagte: „Meine Söhne, Wissen ist etwas, wenn auch nichts besonders Großes. Aber verstehen, etwas zu unternehmen, darauf kommt es an…“
Jawohl, es kommt darauf an, dass wir mit unserem Wissen zum einzelnen Menschen mit großer Ehrfurcht gehen können. Schaut unseren Herrn an, wie demütig, sanft und ehrfurchtsvoll er selbst kleinen Kindern gegenüber war! Niemals wirft er sich zum Herrn, zum Direktor, zum Selbstherrscher auf. Hört nur, wie er spricht und sich nie aufdrängt. Er gebraucht Vergleiche: Ein Mann wünscht sich eine kostbare Perle zu erwerben, die er durch fleißiges Suchen entdeckt hatte. Da verkauft er alles, was er besitzt, um sie zu erwerben und verkauft sie dann erneut zu einem viel höheren Preis… Alle Welt versteht diese Lektion, er überlässt jedem die Anwendung und schockiert niemand. Er setzt ganz schlicht auseinander. Das ist das Richtige, das ist Oblatengeist.

Geht darum beim Unterricht mit Liebe und Geduld vor wie unser Herr, indem ihr auch gleichzeitig das Mittel an die Hand gebt, zum Licht zu gelangen, und das mit Hilfe einer bescheidenen, klaren, einfachen Art und Weise, die ganz durchtränkt ist von Glaube und Liebe zu unserem Herrn. So werdet ihr an den unmöglichsten Orten Erfolg haben, am Kap der Guten Hoffnung, in Hieragabies z.B., wo unsere Patres inmitten eines Volkes leben, das ohne Unterkunft, ohne Hilfsquellen von allem entblößt, niemals einen Strahl der Wahrheit erfahren haben. Die Güte und Schlichtheit der Missionare aber haben ihr Herzen erobert, so dass sie mit Begeisterung herbeieilen, und die Missionare mir schreiben: Wir sind hier wie in unserer Familie. Niemals möchten wir wieder nach Europa zurückkehren. Diese armen Leute lieben uns und wir lieben sie. Und tatsächlich segnet Gott sie auffallend. Dieser Tage erhielt ich einen Brief vom Bischof Simon, diesem ausgezeichneten Missionar, worin er schreibt: Wir brauchen hier gute und heilige Ordensleute. Schicken Sie uns nur solche! Von denen, die nicht heilig sind, kann man keinen großen Nutzen erwarten. Senden Sie uns aber heilige, dann geschieht viel Gutes, und das ohne große Mühe.

Ja, meine Freunde, wenn ihr in dieser Verfassung zu den Seelen geht, mit der Einfachheit, der Bescheidenheit, dem Entgegenkommen und der Güte des Erlösers, werdet ihr im Himmel eine schöne Krone erwerben.

Doch darf man nicht bloß ans Äußere denken, wir müssen vor allem aufs Innere bedacht sein.

Ihr müsst um jeden Preis innerliche Seelen werden. Ohne das ist unser Wert gering, und wir leisten nur wenig. Das ist etwas, was gewisse Naturen erschrecken kann…

Oder ist er nicht schwer, meine Freunde, dieser Eifer zum bedingungslosen Gehorsam, dieser beständige Verzicht auf das eigene Urteil, das immer geduldige Ertragen ein und derselben Gesellschaft, die blinde Hingabe an dies und das Amt? Ist es nicht eine allzu unterwerfende Verpflichtung zum Direktorium? Manche sind vielleicht versucht, es zu glauben und wie die Jünger zu sprechen, als sie die Worte aus dem Mund Jesu vernahmen: „Wahrlich, ich sage euch, mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut wahrhaft ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ Die einen, die Unwissenden, riefen da aus: „Was will er damit sagen? Wir verstehen nichts…!“ Andere, ein bisschen Klügere, meinten: „Welch ein Versprechen! Das ist doch absurd! Will er sich denn zur Fleischhauerei führen lassen?“ Wieder andere bäumten sich ganz offen auf: „Wie hart ist es, solche Worte zu hören!“ Wir können das nicht annehmen. Und sie alle gehen fort, unser Herr sagt nicht: „Bleibt!“

Vielleicht habe ich, meine Freunde, unrecht, wenn ich jene, die gehen wollen, zurückhalte. Ich sollte mich ihrem Wunsch nicht widersetzen. Was tut aber unser Herr? Er dreht sich u seinen Aposteln um und fragt: „Wollt auch ihr mich verlassen?“ Und Petrus ist es, der ruft: „Herr, zu wem sollen wir denn gehen? Du allein hast Worte ewigen Lebens…“ So treu sind die Freunde des Herrn. Das ist das vollkommene Bild des Ordensmannes, der seiner Berufung die Treue hält und der wie Petrus und Johannes seinem Herrn verbunden bleibt. Damit distanziert man sich von seinem persönlichen Widerwillen, seinen Gefühlen, seiner Philosophie, seiner eigenen anbetungswürdigen Person und spricht zu unserem Herrn: „Zu wem sollten wir den gehen? Bist nicht du es, der Worte ewigen Lebens hat? Nein, wir verlassen dich niemals…!“

Der Erlöser aber, meine Freunde, reagiert sehr empfindsam auf solche Worte, auf solche Zeugnisse. Er liebt den treuen Oblaten, der zu seinen Verpflichtungen steht, durch das Direktorium im Geist der Einfachheit, der Demut und Willfährigkeit beheimatet ist, der nicht urteilt und sich ganz einfach den Händen Gottes überlässt.

Das ist der Oblate, wie er sein soll. Glaubt ihr, das sei leicht zu verwirklichen? Versteht mich wohl: Es ist zu gleicher Zeit äußerst schwierig, ja fast unmöglich, wie es ganz und gar leicht ist. Leicht ist es dem, der Gott aus ganzem Herzen liebt und der inmitten der Schatten, wie immer diese aussehen mögen in egal welchem Amt, nur ein Gefühl hat: das der Liebe zu Gott.
Der unerschütterlich verharrt in seinem Entschluss. Der nicht flatterhaft ist wie ein Blatt, das im Sturm herumflattert, geteilt zwischen ja und nein: ich weiß… ich weiß nicht… Ist das denn ein Mann? Nein, das ist ein Schilfrohr in der Wüste, wie unser Herr sagte. Wer dagegen tut, wie ich ihm da rate, erfreut sich eines sanften und glücklichen Lebens, von Liebe und Glaube eingehüllt. Wenn unser Leben gut verstanden wird, ist es eine einzige Wonne, ein einziges Glück, ein beständiger Genuss… Tut das, dann ist euer Glück gesichert.

Richtet ihr euch aber nicht danach, seid ihr untreu, folgt euren Abneigungen gegen den und jenen Mitbruder, hört auf die Einflüsterungen eures eigenen Urteils, feilscht mit dem Gehorsam, dann ist euer Leben nicht leicht. Dann werdet ihr mir sagen: „Ich kann nicht mehr!“ Ja, das glaube ich durchaus. Oder: Ich bin von Widerwillen wie erschlagen! Das nehme ich euch ohne weiteres ab. Ich will fortgehen. So geh doch fort…!

Ihr aber, meine Freunde, die ihr jetzt die Gelübde ablegen wollt, ihr wisst, worauf ihr euch da einlasst. Habt keine Angst, Gott ist getreu. Ich bin nicht mehr jung, bin 84 Jahre alt, und habe doch niemals auch nur eine Sekunde bereut, mich Gott anheimgeben zu haben. Dabei halte ich mich keineswegs für ein außerordentliches Wesen, weit entfernt davon. Warum aber habe ich es nie bereut? Weil Jesus mir die Treue hielt. Damit behaupte ich nicht, ich sei ihm nie untreu geworden. Ich behaupte weiters, dass er niemals eine Seele um Stich lässt die sich ihm übergeben hat.

Sagen wir Gott Dank! Behandeln wir ihn nicht wie die Weltmenschen es tun! Erweisen wir ihm die Gerechtigkeit, dass immer, wenn wir großmütig waren, er uns hundertfach belohnt hat, anstatt uns im Stich zu lassen. Ich stand einmal am Sterbebett einer Oberin der Heimsuchung, der Mutter Paula Serafina Laurent, einer Frau von hohem Geist und glühender Seele. Durch Geburt war sie mit Familien von edler Rasse und unerschütterlichen Überzeugungen verbunden, die eine äußerst sorgfältige Erziehung verbürgten. Sie schien nicht für die Heimsuchung geschaffen, wie sie selber zugab, sondern eher für einen strengen Orden. Aus Gehorsam hatte sie sich aber den kleinsten Vorschriften ihres Berufes unterworfen. Ihre Treue trieb sie bis zum Heroismus. Als sie im Begriff war zu sterben, drehte sie sich zu mir her und sagte: „Ich muss Zeugnis ablegen für Gott. Unser Herr hat jenen das Hundertfache versprochen, die alles verlassen, um ihm nachzufolgen. Das ist nur zu wahr. Was ich von ihm empfangen habe, übertrifft jede Berechnung…“

Das also heißt Treue, Verzicht auf alle persönlichen Ansichten. Nie werdet ihr es zu bereuen haben, euch auf diesen Weg eingelassen zu haben. Er ist angenehm und glückbringend. Wenn der Teufel euch das Gegenteil einsagen will, hört ihn nicht an. Und entspricht manchmal das Beispiel eurer Umgebung nicht euren Erwartungen, was kann euch das wollen? Ihr gehört ja Gott! Ihm habt ihr euer Herz bis zum Tod geschenkt und geweiht. Bleibt treu, bleibt fest! Aufgeben ist feige, es beweist Herzensschwäche und Geistesarmut. Seid Männer und keine Schilfrohre!

Und jetzt, meine Kinder, werdet ihr dahin gehen, wo der Gehorsam euch hinschickt. Vielleicht habt ihr viel zu kämpfen. Wer kennt die Zukunft? Wer kann euch die Zahl der Seelen nennen, die ihr zu retten haben werdet? Ein guter Ordensmann muss immer viele Seelen retten. „Ich bin aber kein Priester“, werdet ihr mir vielleicht entgegenhalten. Was soll’s? Gebet und Opfer sind es, die die Seelen bekehren. Befleißigt euch, all die kleinen Übungen nicht zu vernachlässigen. Haltet euch in der Kapelle gerade, ohne euch aufzustützen. Tut all die kleinen Abtötungen der hl. Regel. Später werdet ihr dann all dem wieder begegnen, das versichere ich euch, indem ihr leicht Seelen gewinnt. Gerade wegen der Treue im Kleinen werdet ihr Gnaden bekommen. Seid darum glücklich, wenn ihr zu leiden habt, um Seelen dem Erlöser zu gewinnen.

Und eine letzte Empfehlung: Liebt eure Kommunität! Liebt die Kongregation! Könntet ihr euch doch das gleiche Zeugnis ausstellen, das ein gewisser Mönch im Leben der Wüstenväter sich ausstellte! Es war ein ganz unauffälliger Mönch. Der Tod nahte und er zeigte keinerlei Unruhe. Der Obere wie seine Mitbrüder fürchteten darum eine gewisse Überheblichkeit seinerseits. Sie suchten ihm die Strenge des göttlichen Gerichts nahe zu bringen: „O“, sagte er, „mein Leben ist weit davon entfernt, keine Mängel aufzuweisen, das gebe ich zu. Aber unser Herr hat gesagt: ‚Richtet nicht, damit ich nicht gerichtet werdet! Mein Gebot ist dies: Liebet einander!‘ Mit seiner Gnade habe ich immer meine Brüder geliebt und habe mich bemüht, niemand je zu verurteilen. Wie könnte mich da der Erlöser verdammen und richten, da ich doch allezeit sei Gebot gehalten habe? …“ Darum, liebet auch ihr euer Noviziat! Wie geheiligt ist doch dieser Boden, wie gesegnet die Mauern des Noviziates! Als ich das Kleine Seminar verließ, küsste ich seine Wände! Oder sagt euch der Ort nichts, wo ihr Gott lieben gelernt habt? Liebt auch eure Mitbrüder, euren Meister. Liebt alle eure früheren Freunde, wahrt ihnen einen Platz in eurem Herzen und euren Gebeten! Es genügt nicht, eure Zuneigung nur euren Eltern vorzubehalten. Ihr müsst sie jeden Tag weiter ausdehnen, damit sie alle einmal mit euch in den Himmel kommen.

Das ist es, was ihr jetzt versprechen sollt. Wir aber wollen fest für euch beten zu Franz v. Sales, Franziska v. Chantal und natürlich unserer Guten Mutter Maria Salesia, dass sie eure Opfergabe huldvoll ansehen und sie der göttlichen Majestät angenehm machen, damit auch Gott euch liebt und euch segnet, heute und immer, und euch zu einer hohen Heiligkeit führe. Amen, ja, Amen.