68. Ansprache zu einem Noviziatsbeginn und drei Gelübdeablegungen zum Thema „Die Mission der Oblaten und das Direktorium“ am 12.06.1899. Gehalten in der Kapelle des Kleinen Kollegs.
Meine Freunde, was wir heute hier tun, geht nicht nur uns hier an, sondern die ganze Kirche. Diese Zeremonie wird ihre Wirkungen nicht bloß heute und während unseres ganzen Lebens haben, sondern ihren Widerhall die ganze Ewigkeit hindurch finden.
Was ist es, was die Seelen bekehrt? Natürlich die Gnade Gottes. Aber durch wessen Vermittlung? Wer ist es, der die Sünden nachlässt? Wer gibt der Seele die Richtung und das Licht, um in den Himmel zu kommen? Der Priester. Wer muss auf der Erde den Glauben und die Liebe wieder einpflanzen? Der Ordensmann.
Durch seine Berufung ist er der Retter der Seelen, und zwar einer großen Zahl von Seelen. Seht nur unseren hl. Stifter an, seht Fenelon, der Franz v. Sales so sehr liebte und ihm so ähnlich wurde. Jene, die in diesem Geiste arbeiten, heimsen eine überfließende Ernte ein.
Betrachtet das Leben der Heiligen: welche haben die meisten Bekehrungen erwirkt? die größten Heiligen. Das Maß der Ernte entspricht im Allgemeinen dem Maß der Mühe und Arbeit des einzelnen. Was man nicht tut, bleibt ungetan und wird von einem anderen in Beschlag genommen, vom Feind der Menschen.
Gewiss gibt es verschiedene Gaben und Talente. Jede Kongregation hat ihr eigenes Ziel. Heute wie ehedem machen die Söhne des hl. Benedikt den Boden urbar und verwahren kostbare Schätze der Wissenschaften wie der Literatur. Der hl. Vinzenz von Paul strömt zusammen mit seinen Priestern und Töchtern immer noch überreich christliche Liebe aus und gießt die Verdienste über Leiber und Seelen.
Welches ist nun eure Mission auf Erden? Die des hl. Franz v. Sales: Seelen retten für ein Heil, das bleibt. Die Seelen in der wahren und soliden christlichen Frömmigkeit gründen. Betrachtet die Gegenden, die unser hl. Kirchenlehrer evangelisiert hat: Savoyen ist trotz aller Anstrengungen der Gottlosigkeit und trotz der Zeitirrtümer eins der katholischsten Länder der Erde geblieben. Auch im Westen Frankreichs, wo Fenelon die wahre Lehre ausgebreitet hat und zurzeit die schlechte Presse mit all den Machtmitteln eines ungläubigen Regimes am Werk ist, gibt es eine große Zahl von Pfarreien, in denen jedermann seine Ostern hält und seinen Pfarrer hochachtet. Wo man Gott liebt und an ihn denkt.
Dafür aber, meine Freunde, bedarf es Menschen, die ihr Geschäft verstehen und die es gründlich besorgen.
Wie soll man dies bewerkstelligen? Mithilfe großer und tiefschürfender theologischer Studien? Ohne Zweifel heißt es sich anstrengen, dass man seine Theologie beherrscht. Doch dies allein genügt nicht. Zur Wissenschaft muss sich Frömmigkeit gesellen, „pie sciens et scienter plus“ (Anm.: „Fromm wissend und wissend fromm sein.“). Ihr seid verpflichtet, gründlich zu studieren, indem ihr euch dabei unserer Methoden bedient. Doch die Theologie beherrschen kann nicht genug sein. Dieses Wissen muss von der Frömmigkeit erleuchtet sein, von einem lebendigen Glauben, der eure Herzen durchdringt und der euch ganz tief in eure Studien eindringen lässt, dass ihr bis zu den Grenzen der Wissenschaft vorstoßt.
Jawohl, ihr müsst leidenschaftlich die Sache lieben, mit der ihr euch befasst! Wozu nützen halbtote Herzen? So pflegte Franz v. Sales zu sagen. Ein Oblate ohne Herz ist ein nutzloses Wesen, unser hl. Stifter kann damit nichts anfangen. Setzt also eure ganze Sorgfalt und all euren Eifer ein, damit eure Studien in euch einen bleibenden Platz einnehmen und ein integrierender Bestandteil eures Wesens werden.
Wenn ihr aber auch alles wisst, bleibt euch immer bewusst, dass ihr noch nicht am Ende seid: Eure Vereinigung mit Gott muss so erschöpfend und komplett sein, dass sie eine sieghafte Anziehungskraft auf die Seelen ausübt, die euch nahekommen.
Wenn ich euch das sage, dann sage ich etwas, was ich vier Jahrzehnte lang bei der Guten Mutter erlebt habe. Ihr Leben bestand gerade darin: in einer beständigen Treue zu Gott, in der Liebe, im Opfer, im Großmut, den der Heiland bei ihr mit einem außerordentlich starken Einfluss auf die Herzen belohnte. Das bestätigte mir öfter bezüglich ihrer Lehre der Sekretär der Propagandakongregation… An euch ist es, meine Freunde, diese Schätze zur Geltung zu bringen!
Was bleibt euch also zu tun, damit eure Seele für diese providentielle Sendung gerüstet sei? Nehmt das kleine Büchlein, das Direktorium: es ist der kürzeste Weg zur Vollkommenheit eures Standes. Wenn ihr es verkostet und esst, wird es eurem Geschmack zunächst bitter erscheinen. Dann aber wird es eurem Herzen unnennbare Tröstungen verschaffen. Versteht mich wohl! Es kommt darauf an, sich zu heiligen mit Mitteln, die so einfach scheinen, dass man versucht ist, zu meinen: Da steckt doch nichts dahinter! In der Theorie vielleicht ja… In der Praxis aber ist es anders. Nichts verbindet die Seele inniger mit Gott! …
Ihr, meine Freunde, die ihr euch jetzt endgültig Gott übergebt, macht euch ohne Grenzen und Schranken an die Praxis des Direktoriums. Die Apostel befanden sich vom ersten Tag an in unmittelbarem Kontakt mit unserem Herrn, wo sie ihm begegneten. Sie wollten ihn nicht nur sehen und hören, sondern auch bei ihm verweilen, um ihn nie mehr zu verlassen. „Herr, wo wohnst Du?“ fragten sie ihn. „Magister, ubi habitas?“ Und sie blieben diesmal drei Tage bei ihm. Sprecht zu unserem Herrn nie in einer vagen, unbestimmten Form, sondern mit jenem tiefinneren Wort eines Wesens, das sich ihm ganz übergibt und sich rückhaltlos aufgibt.
Wir haben frappierende Beweise des Segens Gottes auf unserer Seite: warum haben wir einen Missionsbischof? Warum wurde Bischof Simon berufen, eine Diözese zu gründen, die materiell nicht eine der notwendigen Bedingungen erfüllt? Welchem Umstand verdankt er dies? Seiner so durchdringenden und geraden Intelligenz? Seinem kindlichen Gehorsam, denn er tut nie etwas, ohne die Ermächtigung durch seinen Oberen. Und das bedeutet Opfer! Sein Eifer lässt sich auch nicht erschüttern durch jene ermüdenden Reisen von zwei oder drei Monaten unter einer sengenden Hitze am Tag und einer exzessiven Nachtkühle zu gewissen Jahreszeiten: Reisen von zehn, fünfzehn, ja dreißig Meilen ohne Wasser und fast ohne Brot, Er kommt an bei degenerierten Volksstämmen – wie wir sie auch bald in Europa haben werden, wenn es so weitergeht – entartet bis zur Verwilderung.
Woher den Mut schöpfen, verloren mitten in einer Wüste? Mithilfe seines Direktoriums! Darum hat Gott sein Werk so gesegnet. Als er in Pella ankam, fand er dort nur zwei Katholiken vor. Und jetzt gibt es dort noch Katholiken. Welchen Empfang hat man ihm doch bei seiner Rückkehr in der letzten Zeit dort bereitet! Welche Ovationen! Die Leute weinten und küssten seine Kleider und sagten: „Wir hatten keinen Vater mehr, jetzt haben wir ihn wieder mehr denn je!“
Und das Geheimnis von all dem? Bischof Simon hat nicht bloß in der Theologie gefunden, sondern in diesem kleinen Büchlein. Darum, liebe Freunde, glaubt an die Allmacht des Direktoriums. Möge aus euren Herzen sein Wohlgeruch auf eure Lippen steigen im Beichtstuhl und auf der Kanzel, dann werdet ihr Heilige sein. Darin ist eine immense Gnade mit eingeschlossen. Wie oft sah ich Novizen unruhig und verwirrt, so dass sie nicht mehr klar ihren Weg erkannten. Wenn sie aber einmal zu Gott gesagt hatten: Mein Gott, ich bin dein, ich will mein Direktorium leben, verschwanden alle Ängste.
So möge auch unser neuer Novize heute mit Mut den Schritt tun! Er ist leider der einzige, ein zweiter wurde ihm von Gott bereits in die Ewigkeit heimgeholt. Gott hat ihm sicher einen schönen Lohn reserviert. Sein Glaube und seine Frömmigkeit, mit dem er sich auf das Noviziat vorbereitete, haben uns sehr erbaut. Wir beten für ihn. Wir bitten ihn aber auch um einige Strahlen jenes Lichtes, das er jetzt genießt, um die Mitteilung dessen, was er von seiner Berufung verstanden hat und um die Offenbarung der Liebe, die Gott zu uns hegt.
So wird diese Zeremonie ihre Früchte bringen. Und wenn wir einmal alle im Himmel versammelt sind, werden wir uns über diese gesegneten Stunden unterhalten und zu uns sagen: „Die Vorsehung hat uns da eine überfließende Quelle von Gnaden bereitet…“ Dann wird Gott die Sünden, die unserer Schwäche entsprangen, verzeihen, und wird uns einen guten Empfang bereiten, wenn wir unsere Aufgabe treu erfüllt haben. Amen.
