62. Ein Missionsbischof: Ansprache für eine Aufnahme ins Noviziat am 06.06.1898
Gestern empfingen wir den Besuch eines Missionsbischofs aus dem Tibet, der uns mit der Einfalt eines Kindes die verschiedenen Heimsuchungen erzählte, die er durchgemacht hat. Sein langer Tibetaufenthalt war von sehr vielen Schwierigkeiten gezeichnet, denn dort herrschte eine schreckliche Temperatur: Der Durchschnitt im Winter ist 35 Grad unter null. Und bei dieser Kälte hatte der gute Bischof als Bett nur ein Brett ohne Matratze oder Strohsack. Oft war die Decke, in der er sich einhüllte, voller Körperfeuchtigkeit, und da er kein Feuer hatte, blieb sie gefroren und hart wie Hobelspäne. Er vermied es, seinen Kopf darauf zu stützen, damit sein Gesicht nicht erfror. Am Morgen brauchte er Zeit, um seinen Bart vom Bett, an das er angeklebt war, loszulösen. Seine Nahrung war entsprechend: Kein Gemüse, keine Früchte. Die Erde gab in gewissen Gegenden Gerste, und das galt schon als Luxus! Ferner Hafer, der dort leichter gedeiht. Man röstet die Körner, um einen Teig daraus zu machen, und, was ihn auch nicht besser macht, man isst ihn jeden Tag. Zu diesen materiellen Leiden kommen dann die Verfolgungen, und wie überall, die Schwierigkeiten von Seiten der Regierenden.
Was aber dieser Bischof Biet davon geerntet hat, ist ein unvergleichlicher Glaube und eine Liebe, die man durch alle seine Worte hindurch fühlt. Den Erstkommunikanten und Firmlingen hat er sehr schöne Dinge gesagt. Am Abend hat er dann bei seinem kurzen Besuch im Mädchenheim zu den kleinen Mädchen gesprochen, die auf die Erstkommunion vorbereitet werden. Er führte dabei aus: „Am Erstkommuniontag erhält man von Gott alles, und man muss tatsächlich vorsichtig sein, um keine unklugen Wünsche vorzutragen… Das erlebte ich auf eine überraschende Weise: ich hatte auf diesen großen Tag eine gewisse Zahl von Kinder vorbereitet, und am Abend suchten mich zwei Mädchen auf und sagten: ‚Herr Bischof, Sie haben gesagt, Gott gewährt alles, um was man ihn an diesem schönen Tag bittet. Wir wollen ihn bitten, uns zu sich in den Himmel zu nehmen…‘ ‚O nein, Kinder‘, antwortete ich, man muss zuerst seine Krone verdienen, muss arbeiten, leiden…‘ ‚Dennoch, Herr Bischof, wir sind entschlossen, schon jetzt zu sterben…‘ Ich betrachtete den Wunsch als eine kindliche Phantasie. Nun, am Abend führt man die Kinder an den Strand. Die eine der beiden stellt ein Körbchen ans Ufer nieder. Eine Woge kommt und trägt es fort. Das Kind springt ihm nach, um es zu fassen, wird aber selbst ergriffen, und davongetragen. Ihre Freundin will sie retten, wird aber ihrerseits fortgerissen. Beide verschwinden. Gott hatte ihren Wunsch erhört…“
Der Bischof sprach mit bewegter Stimme von der Undankbarkeit der Menschen, der Kinder, die die göttlichen Gnaden vergessen und sich von ihren Leidenschaften und den verkehrten Ratschlägen ihrer Freunde fortreißen lassen. „Wenn ihr wüsstet“, sagt er, „dass das Blut unseres Herrn selbst euch losgekauft hat… Seht ihr ihn, bleich am Kreuz hängen, mit Wunden bedeckt, mit seiner hl. Mutter und dem Lieblingsjünger unter dem Kreuz? All das nimmt er an aus Liebe zu uns. Er konnte auch nicht leiden, nicht sterben, tat es aber aus Liebe zu uns. Wenn euch das nicht rührt, habt ihr kein Herz. Welch ein Unglück, herzlos zu sein, das Blut des Erlösers mit Füßen zu treten, seine um solchen Preis erlöste Seele zu verlieren…“
Meine Freunde, da habt ihr eine kleine Seite der Missionsgeschichte gehört. Wir könnten etwas dazu beisteuern, wenn wir unsere Afrikamissionare besuchen. Bischof Simon, der uns in Bälde aufsuchen wird, ist durch sehr viele Heimsuchungen gegangen. Dort ist es nicht zu kalt, aber meist zu heiß. Die Hungersnot macht sich furchtbar bemerkbar, es gibt nichts zu trinken. Seit vier Jahren leiden sie Hunger. Zurzeit lässt die Not etwas nach, weil ein paar Tropfen Regen gefallen sind. Aber es bleiben noch sehr viele Plagen übrig.
Meine Freunde, heute treten Sie in die Kongregation ein, und wer weiß, ob Gott nicht auch Sie beruft, dieses Leben zu teilen? Wie sehr muss man ihn doch bitten, er möge Ihnen für Ihren Geist eine Überfülle von Licht schicken, auch Großmut, um alle Verzichte zu ertragen, die Sie, gleichgültig wo, zu ertragen haben werden. Glückselig die Apostel, die wie unser Herr, wie der hl. Johannes und der hl. Paulus um den Preis der Ruhe ihres Daseins vorangehen. Welch einer glücklichen Begegnung werden wir gewürdigt, wenn wir auf der Suche nach Seelen unterwegs sind! Der Erlöser selbst steht nämlich am Rand unseres Weges und sagt euch: „Folget mir! Da findet ihr mein Kreuz, meine Verdienste, meine Lehre! Helft mir, die Welt zu retten…“ Wie glücklich ist, wer auf die Stimme des Erlösers antwortet!
Was aber kann uns dazu befähigen, wenn nicht die Gnade? Der gute Bischof zitierte uns den hl. Augustinus, der zu Gott betete: „Mein Gott, was wünschst du von mir?“ – „Dass du mich liebst.“ – „So lege du in mich alles, was du wünschest und befiehl dann alles, was du willst!“ ‚Domine, da quod iubes, et iube quod vis‘.“
Wir wollen Gott darum bitten, dass er Sie mit seinem Geist bekleide, mit seiner Großmut einhülle. Unser Hl. Vater, der Papst, sagte seinerseits zu uns: Seid opfermütig „usque ad effusionem sanguinis“ (Anm.: „bis zum Blutvergießen“)! Fürchtet nicht, euch auszugeben, denn dann tut ihr das, was ich wünsche, und ich werde mit euch zusammenarbeiten.
Herr, du siehst unsere Schwäche, unseren mangelnden Mut, unsere versagende Energie. Gib deinen schwachen Werkzeugen Gelehrigkeit gegenüber deiner Aktion. Mit Eifer wollen wir in deine Missionen eilen. Dann haben wir nach einigen Augenblicken der Plage das Glück, uns dir einmal mit einer reichen Ernte vorzustellen, du unsere Krone und Ruhm. Amen.
