51. Ansprache zum Thema „Frömmigkeit“ anlässlich einer Aufnahme ins Noviziat vom P. Cochereau, am 17.12.1896.
Mein lieber Freund, das schönste Geschenk, das der hl. Franz v. Sales einem Ordensmann machen kann, ist die Gabe der Frömmigkeit. Denn sie ist die Zierde und Blüte, der Wohlgeruch des Ordensstandes. Sie mildert all seine Herbheiten und verleiht uns den Gesichtsausdruck, den wir gegenüber uns selbst sowie in den Augen all derer, die uns sehen, zur Schau tragen sollen. Erbittet diese Frömmigkeit von der Guten Mutter und dem hl. Franz v. Sales. Bittet letzteren um Einsicht, wie tief die verschiedenartigen Handlungen, die er auszuführen hatte, vom Geist der Frömmigkeit, der Selbstlosigkeit und Liebe geprägt waren.
Wenn der Ordensmann die Opfer, die seinen Weg begleiten, nicht mit innerer Frömmigkeit bringt, was schafft er dann schon? Sein Leben wird ja nicht nur von Kämpfen und Mühen ausgefüllt, Mühen und Arbeiten sind nur die Bewegung, aber nicht das Leben… Das Herz braucht eine Nahrung, und wo findet der Ordensmann diese Nahrung anders als in seiner Frömmigkeit?
Bitten Sie darum inständig um Geist der Frömmigkeit, die uns in allen Dingen Gott finden lässt. Dieser Geist legt unserer Seele die Frage auf die Lippen: Wozu arbeite und mühe ich mich? Für wen leide ich, wenn nicht für dich, Herr? … Mit dieser Seelenverfassung bleibt Gott in euch und ihr in ihm. So seid ihr nicht mehr bloße Menschen, die unter einer mühseligen Pflicht seufzen, sondern seid Männer Gottes, der eure Stütze ist, und ihr schöpft aus dem Vollen, in der Sicherheit eurer Seele.
Seid also fromm im Gebet, fromm in der Betrachtung… Wie fromm ist doch solch ein betrachtendes Gebet, wenn man Gott sein Herz und seinen Willen zum Opfer bringt. Die Frömmigkeit steckt ja nicht im Gefühl, sondern im Herzen und Willen, indem man beide Gott zum Opfer bringt.
So müssen Sie handeln. Wenn Sie dann eines Tages die Stufen des Altars hinaufsteigen dürfen, werden Sie dort unseren Herrn erkennen. Wie Johannes werden Sie dann sprechen: Es ist der Herr! Du bist der Gott meines Herzens und meiner Seele, der Gott meiner Kindheit und meines ganzen Lebens. Du bist meine Gerechtigkeit, der Gott, der mich aus den Hinterhalten meiner Feinde befreit hat… Ja, Herr, das alles bist du…
Bereiten Sie sich darum vor, jetzt schon das hl. Messopfer auf diese Weise darzubringen, um eines Tages in Ihren Händen wirklich den Erlöser zu halten. Schon jetzt lassen Sie bei der hl. Messe Ihrer Seele freien Lauf, da er ja für Sie da ist. Ich sage es noch einmal: je mehr Sie ihn betrachtet haben und ihm nachgefolgt sind, umso sicherer werden Sie ihn erkennen an dem Tag, wo er Ihnen am Altar gehorchen wird…
Der Herr sagte zu seinen Aposteln: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern meine Freunde. Denn alles, was mein Vater mir gesagt hat, verkünde ich euch jetzt, und ich erfahre von seiner Liebe nichts, was ich euch nicht mitteilte…“ Sehen Sie, so spricht der Herr zum Priester während der hl. Messe. Doch man muss es verstehen und darum müssen Sie sich darauf vorbereiten, dass Sie eines Tages die hl. Messe selber gebührend lesen können.
Was das Offizium betrifft, so denken Sie daran, was der hl. Franz v. Sales im Direktorium darüber sagt: Ihr rezitiert einen Vers, und die Engel wiederholen ihn im Himmel. So wird Ihnen das Brevier zur großen Hilfe in der Frömmigkeit. Und so werden Sie es liebgewinnen.
Nachdem Sie das Offizium mit Liebe gebetet haben, werden Sie dann ebenso gottergeben und fromm in Ihren Pflichten, hingegeben Ihren Verpflichtungen, fromm, wenn ihr zu euren Schülern sprecht. In der Liebe Gottes unterhalten Sie sich dann mit ihnen, und so bereiten Sie sich auf Ihre Sendung bei den Seelen vor… Denn für den Umgang mit den Seelen muss man viel gelernt und begriffen haben. Martha und Maria sagten zum Herrn: „Herr, wärest du hier gewesen, dann wäre Lazarus nicht gestorben…“
So werden auch Sie oft sagen: Herr, wärest du hier gewesen, wäre die und die Seele nicht gestorben. Darum muss man, mein lieber Freund, so verfahren, dass er jederzeit anwesend ist. Bereiten Sie sich darum gründlich auf die Sendung vor, die Sie erwartet. Darum wird das Noviziat Ihnen von großem Nutzen sein, weil Sie genau das sind, wo der Herr Sie haben will.
Versteht man das Noviziat aber anders, als ich es eben ausführte, was bleibt dann davon übrig? Nichts! Das richtig gelebte Noviziat gibt Licht, Einsicht und Verständnis für das Ordensleben. O, wie ich es hochschätze, das Noviziat, wenn man es so verbringt. Dazu muss unsere Seele aber Gott in alles einbringen. Nur dann finden wir Gott in unserem Noviziatssaal, in unseren Büchern, in unseren Gedanken. Außerhalb diesem sind wir nichts und haben wir nichts. Dieses beständige Beten, von dem ich euch eben sprach, diese beständige Aufmerksamkeit auf Gott in jeder unserer Beschäftigungen ist uns auch eine starke Garantie für Sicherheit und Seelenruhe. Nur dann sind Sie dessen sicher, was Sie für das Heil der Seelen tun, mit denen Sie einmal zu tun haben werden, sind Sie auch sicher Ihrer eigenen Seele.
Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen da einschärfen will. Alle im Noviziat sollen dies begreifen. Erinnern Sie sie immer wieder daran, damit sie erfassen, was es heißt, Novize zu sein, wie die Gute Mutter es verstand. Befolgen wir aber diesen Weg, was erwartet uns am Ziel? Hören Sie, was Jesus sagt: „Ich bin der Weg…“ Zu ihm lasst uns gehen, der Quelle aller Einsicht und allen Glücks.
Zu ihm gehen: Dieses Gebet bleibt nicht ohne Erhörung… Möge die Freude, mein lieber Freund, der Anteil Ihres Lebens sein. Dann wird der Herr mit Ihnen sein in jeder Ihrer klösterlichen Handlungen, besonders aber in der glücklichen Ewigkeit, wohin wir alle streben und worauf wir uns alle vorbereiten müssen.
