50. Ansprache zum Thema „Ordensleben“ anlässlich einer Aufnahme ins Noviziat, am 08.12.1896.
Meine Freunde, ihr seid gekommen, um von Gott die Gnade zu erbitten, ihm ganz zu gehören, und das nicht nur mit eurem Herzen, sondern auch im ganzen Äußeren eures Lebens, indem ihr Oblaten des hl. Franz v. Sales werdet.
Der eine von euch ist noch sehr jung an Jahren und kommt, wie die Propheten sagen, vom Baum des Lebens, um seine ersten Blüten aufbrechen zu sehen. Der zweite ist bereits an Jahren gereift und will schon von diesem Baum Früchte ernten. Und ihr habt recht, alle beide. Ins Kloster im Frühling des Lebens, die ersten Eindrücke zu empfangen, die ersten Empfindungen im Schatten des gesegneten Heiligtums des Ordensstandes entgegennehmen: Das ist etwas Gutes und Heiliges. Denn der Ordensmann, der zu früher Stunde begonnen hat, lässt nichts verkommen. Er entfaltet alles, was er in sich vorfindet, alle Eindrücke, Gedanken und Empfindungen, alles, was ihn befähigt zum Ordensstand… Man tut aber ebenso gut daran, zu kommen, nachdem man die Höhe des Lebens hinter sich gebracht hat, um die Früchte dieses Baumes zu sammeln, die nach einem Wort des Propheten wohlschmeckend sind für die Seele und belebend fürs Herz… Kommt darum, und ihr werdet freundlich aufgenommen werden. Der Meister hat euch einen schönen Platz anzubieten am Tisch der ewigen Glückseligkeit.
Ja, ihr tut gut daran… Denn wo findet sich zur gegenwärtigen Stunde das wahrhaft beständige, wenn nicht im Ordensstand? Gewiss hält Gott auch für jene, die in der Welt zurückbleiben, Gnaden zur Verfügung. Diese Gnaden aber müssen stark sein und häufig erneuert werden, denn der Mensch ist schwach. Die Welt, der Teufel und die Leidenschaften, die heute gefährlicher sind denn je, stehen gegen ihn. Im gegenwärtigen Augenblick können wir auf uns die Worte Jesu anwenden: „Haec est hora tenebrarum“, „das ist die Stunde der Finsternis…“
Ihr tut darum gut daran, meine Freunde, wenn ihren euren Glauben, eure Frömmigkeit und euren Eifer im Schatten des Ordensstandes sicherstellt. Da findet ihr alle Garantien und Hilfen zur Beharrlichkeit. Ihr werdet inmitten der Feinde, die darauf aus sind, euch zu Fall zu bringen, nicht schutzlos dastehen. Ermutigt und beschützt werdet ihr durch gute Beispiele und ermunternde Worte und findet viel reichlichere Gnaden zum Ausharren als irgendwo anders.
Seht nur, wieviel Macht das Ordensleben in der hl. Kirche besitzt. Zweifellos kann die Kirche auch ohne die Orden leben und sich über Wasser halten. Doch ohne sie wäre sie einer geschleiften Festung gleich und wie ein offenstehender Garten, von Dieben und wilden Tieren verwüstet. Wäre entblößt und gemartert, und ihre Aktion, so machtvoll und göttlich sie auch ist, fände nur sehr schwer den Weg zu den Herzen. Das Erbe unseres Herrn würde sie nur schwer intakt halten können. Das weiß die Bosheit unseres Jahrhunderts nur zu genau.
Darum greift sie gerade den Ordensstand an, erfasst sie doch nur zu gut, dass er das sicherste Bollwerk, der geheiligte Herd ist, wo die Seelen ihre göttliche Fackel immer wieder entzünden können. Die Bosheit der Welt weiß nur zu gut, dass der Ordensstand die Wohnstätte des Friedens und der unerschütterliche Fels ist, gegen den ihre Schlammfluten ohne Erlahmen anrennen. Darum ihr unerbittlicher Ansturm, um ihn zu vernichten, sind doch die Feinde des Ordensstandes dieselben wie die Feinde Gottes. In der Seele der Ordensleute findet sich etwas, was ihr Leben, ihren Geist und ihr Verhalten verurteilt. Etwas, was in schreiendem Gegensatz steht zu ihrer Existenz. Darum in unerbittlicher Hass.
Dieser Kampf gegen das Ordensleben ist aber der beste Beweis dafür, dass die Ordensleute Gott angenehmer sind und über das Herz Gottes mehr Macht ausüben und in ihren Händen Vorzugsgnaden sind. Fassen wir darum festen Mut zu dieser Lebensart. Lieben wir das Ordensleben. Verstehen wir, welche Gnaden, welche Tröstungen und Wohlgerüche in dieser Lebensweise verborgen sind, die nichts zwischen Gott und der Seele duldet. „Iuxta cor meum.“ (Anm.: „Ganz nahe meinem Herzen“), sagt der Prophet von Seiten Gottes. Zwischen mir und euch hat nicht ein dünner Faden Platz. Euch offenbare ich, was mein Vater mir anvertraut hat, euch offenbare ich meine geheimsten Gnaden. Vor euch halte ich nichts verborgen. Alles, was ich weiß, wisst auch ihr, weil ich es euch mitteile. Ihr seid nicht mehr meine Knechte, sondern meine Freunde.
Das also heißt Ordensleben, jenes Leben, das uns von so vielen Ketten, von so vielen Sorgen befreit und uns solche Freiheit einbringt… Was gibt es Freieres als den Ordensmann im Angesicht seiner Regel, seines Direktoriums? Wenn er gerne und großmütig durch diese Pforte eintritt und im Schutze des Turmes Davids wohnt, wer oder was kann ihn dann angreifen und zu Fall bringen? …
Verfügt er da nicht über eine gewisse Allmacht und ist ganz umkleidet mit Gott? Die Treue zur klösterlichen Observanz macht den Ordensmann zu einem Vollmenschen (homme complet). Was ist der Mensch denn? Ist er nicht ein Strahl vom Antlitz Gottes, ein Teil seines Atems, ein Entwurf seines Abbildes? Er muss sich nur von diesem göttlichen Architekten vervollkommnen, vom göttlichen Maler das Gemälde vervollständigen lassen, dann wird er den Engeln gleich… Das sind keine bloßen Worte, die ich euch da vortrage, sondern Kirchenlehre, Ausdeutung unseres Glaubens.
Ihr habt mit eurer Entscheidung also recht getan. Möge Gott euch mit den Segnungen, die er den Kindern der Patriarchen gewährte, auszeichnen! Möge er euch gewähren, dass ihr die Zahl der Seelen, die zu euch kommen, vervielfacht, damit eure Krone noch mehr Vollkommenheit aufweise und eure Freude keine Grenzen erkenne. Gott lenke eure Schritte, damit euer Gehen voller Sicherheit sei und ihr viele Seelen zu ihm führen könnt!
Seid jederzeit ebenso treu wie ihr es jetzt zu sein wünscht. Hört nie auf, voranzuschreiten, denn das Leben ist kurz, und ihr haltet in nicht ferner Zukunft Schätze von Gnaden in Händen, die ihr an die Seelen austeilen könnt. Welch ein Glück, den Seelen Gott geben zu können! Ihnen einen Teil seiner himmlischen Seligkeiten mitteilen zu dürfen, die hier und heute schon beginnen und im Jenseits ihre Fortsetzung finden werden. Das sind die Wünsche eurer Mitbrüder, die Wünsche der hl. Kirche!
