Ansprachen

      

48. Ansprache über Petrus, Jakobus und Johannes, zur Profess der Patres Panthe und Lipp, sowie zur Einkleidung und Aufnahme ins Noviziat der Patres Gibouret, Trüten und anderer. 08/1896.

Unser Herr hatte unter den evangelischen Orten einen, der ihm mehr als alle anderen ans Herz gewachsen war, es war der See Genezareth. Dort hat er eine große Zahl seiner Wunder gewirkt. Da hat er auch, meine Freunde, seine ersten Apostel ausgewählt. Eines Tages ging er am Ufer des Sees entlang. Da sieht er den Simon Petrus und seinen Bruder Andreas ihre Netze auswerfen. Kommt mit mir, sagt er zu ihnen, ich will euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich lassen sie ihre Netze liegen und folgen ihm.

Etwas entfernt sieht er die beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes, ihre Netze in ihrem Boot flicken, zusammen mit ihrem Vater. Auch sie beruft er, und sie lassen ihre Netze liegen, verlassen ihren und folgen ihm.

Meine Freunde, diese Begebenheit hat für uns eine tiefe Bedeutung. Welches waren die ersten Apostel, die er erwählte? Es waren jene, die später innigeren Anteil hatten an seinen Traurigkeiten, Freuden und den Offenbarungen seiner Allmacht: Petrus, Johannes und Jakobus. Diese drei Persönlichkeiten stellen aber vollkommen die drei wesentlichen Eigenschaften des Ordensmannes, besonders des Missionars und des Apostels dar: Petrus, das heißt Glaube, Jakobus, das heißt Opfer und Johannes bedeutet Lebe. Wenn Jesus sie erwählt, dann zeigt er damit, was er von uns will. Gewiss sind wir nicht würdig, uns mit den Aposteln zu vergleichen, und dennoch haben wir die gleiche Sendung zu erfüllen. Denn was Petrus, Jakobus und Johannes taten, haben auch wir zu vollbringen. Ihre Sendung ist die unsere. Diese drei Apostel wurden am See Genezareth berufen. Er sie also vom Ufer jenes an Schiffbrüchen und Klippen reichen Meeres zu sich, so wie er uns von den Ufern des Meeres dieser Welt wegruft, die auch uns Gefahren, freilich andersgeartete, bedeuteten. Er hat uns unseren Familien entzogen, wie er die Söhne des Zebedäus ihrem Vater wegnahm. Er will, dass wir ihm folgen wie die Apostel, er will uns wie sie zu Menschenfischern machen. Es gibt somit zwischen uns und ihnen lediglich den Unterschied des Verdienstes, das weit entfernt vom Ihrigen ist.

Der Herr hat uns ausgewählt. Wer wird auf Grund seines Glaubens Petrus sein, wer dank seiner Abtötung Jakobus, und wer kraft seiner Liebe Johannes? Überlegt, mit welchem Namen er euch gerufen hat, als er zu euch sagte: „Folgt mir!“…

Folgt mir, um Verkünder meiner Lehre zu werden und mit dem Glauben eines hl. Petrus zu predigen… Folgt mir, um wie der hl. Jakobus durch Prüfungen und Trübsale, ja durch ein echtes Martyrium zu gehen… Folgt mir, um wie Johannes Apostel der göttlichen Liebe zu werden, um die Liebe zu Gott und zum Nächsten in Strömen in die Herzen zu gießen. Seht nach, welchen Namen ihr annehmen, welche Richtung ihr einschlagen sollt. Und vergesst nicht, dass es Jesus selbst ist, der sagt: Folget mit! Lasst eure Netze, eure Barke, eure Familie, sämtliche Beschäftigungen und Neigungen, die euch bislang ausfüllten, zurück! Verlasst euer Boot, das ihr bis zu diesem Augenblick selbst gesteuert habt. Habt ihr es immer gut geführt, euer Boot? Seid ihr immer ein geschickter Fährmann gewesen? Glaubt ihr, wenn Gott euch allein gelassen hätte, ihr hättet euren Nachen zu einem glücklichen Hafen geführt? Glaubt mir, lasst heute eure Barke zurück, gebt die Eigenführung eures Wollens und euren Tuns auf. Schenkt euren Willen dem Herrn und folgt ihm! … Lasst euer Urteil fahren, um euch künftig nur auf sein Urteil zu verlassen. Gebt eure Ansichten auf, um die seinen zu übernehmen. Ja, verlasst ein für allemal dieses Schiff, das ihr bisher mit mehr oder weniger Ungeschicklichkeit durch so viel Erbärmlichkeiten und Klippen gesteuert habt, die es mehr als einmal geschädigt haben. Vielleicht sogar durch Schiffbrüche hindurch… Folgt dem Erlöser!

Folgt ihm mit dem Glauben eines hl. Petrus, indem ihr wie er euer Wollen und Urteilen und Meinen zum Opfer bringt. Er, der Erlöser, wird zu euch Liebe fassen, wie er es zum hl. Petrus tat, und er wird zu euch wie zu ihm sagen: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen baue ich meine Kirche, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen… Ja, auf diesen Felsen, den Felsen eures Ordenslebens, eures Apostolates, eures Seelsorgedienstes werden sich viele Seelen stützen und ausruhen kommen, Seelen, die leiden, die Licht des Glaubens brauchen. Und wie der hl. Petrus werdet ihr sie im Glauben bestärken: „Confirma frates tuos.“ (Anm.: „Stärke deine Brüder.“).

Meine Freunde, der Glaube teilt sich mit, wirkt ansteckend. Und den Glauben vermittelt ihr. Es ist des Priesters Wort, das Wort des Ordensmannes, seine innere Gesinnung, das was in ihm lebt und ihn zum Handeln treibt: all das teilt den Glauben in der Umgebung aus. Der Glaube, den ein Priester den Seelen mitteilt, steht immer im Verhältnis zu dem Glauben, von dem er selber lebt. Es ist ein sehr richtiges Sprichwort: „Qualis sacerdos, talis populus.“ (Anm.: „Wie der Priester, so das Volk“): Wie der lehrende Priester, so das zuhörende Volk. Ist euer Glaube nicht tief, wird auch der ihre nur an der Oberfläche haften… Ihr gebt ihm nichts an Zuwachs. Was ihnen an Glauben bleibt, wird in Bälde verkümmern und zugrunde gehen. Bittet darum Gott um Glauben und vollbringt viele Akte des Glaubens. Seid Männer eines tiefen und großmütigen Glaubens. Glaubt an Gott, glaubt an seine Macht und seine Liebe! Dieser Glaube ist die Gabe des hl. Petrus. Wollt ihr darin den hl. Apostel nachahmen? Erbittet von Gott an diesem Tag eurer Einkleidung oder eurer Profess solch einen energischen und hochherzigen Glauben, den nichts erschüttern kann: „Domine, adauge nobis fidem.“ (Anm.: „Herr, vermehre uns den Glauben.“).

Es fällt in der Hl. Schrift auf, dass unser Herr niemals jemand gelobt hat, sei es was es will. Nur wegen eines besonders tiefen Glaubens: „O mulier, magna est fides tua“, „O Frau, wie groß ist dein Glaube!“ Und zum römischen Hauptmann sagt er: „Wahrlich solch einen großen  Glauben habe ich in Israel nicht gefunden!“ „Vade, et sicut credidisti, fiat tibi.“ (Anm.: „Geh hin, und wie du geglaubt hast, so geschehe dir!“).

Mit diesem Glauben, meine Freunde, könnt ihr Berge versetzen… Bittet darum den Herrn innig um diese Gabe des Glaubens. Ich hatte in der Seele der Guten Mutter Maria Salesia ein bewundernswertes Beispiel des Glaubens vor Augen. Wie lebendig und tief er bei ihr war, dieser Glaube, der Gottes gewiss ist und auf die Barmherzigkeit Gottes vertraut, dieser Glaube an den Willen Gottes, an alles, was geoffenbart ist, an alles, was von der Kirche befohlen ist, dieser starke, großmütige, sieghafte Glaube, der über alles hinwegschreitet, und keine Hindernisse kennt. „Magna es fides tua, fiat tibi sicut vis.“ (Anm.: „Groß ist dein Glaube. Es geschehe, wie du willst!“).

Mit dem hl. Petrus also sollen wir den Glauben teilen, mit Jakobus das Opfer, das Blutzeugnis, die Abtötung! Jakobus war dermaßen abgetötet, dass er die ganze Nacht auf kaltem Stein kniend im Gebet zubrachte. Seine Knie, bezeugen die alten Väter, waren schwielig und hart geworden wie Knie eines Kamels…

Meine Freunde, ich erlebte, wie die Gute Mutter für diesen oder jenen Sünder betete, und sie sagte mir: „Wie schwer ist es doch, Seelen zu retten! Wie teuer muss man es bezahlen, Seelen zu gewinnen!“ Wie wollt ihr also Seelen retten, wenn ihr nichts tut? Wenn ihr nicht abgetötet seid? Wenn ihr die Abtötungen nicht annehmt, die Gott von euch verlangt? Wenn ihr wie gewöhnliche Menschen dahinlebt? Wenn ihr keine andere Sorgen kennt als eure kleinen Bedürfnisse des Alltags, als eure kleine Daseinsweise? Sind wir denn auf diese Weise Apostel? Seelen werden nur durch Opfer gerettet. Wir müssen sie vorher zurückkaufen, bezahlen, müssen von unserem Eigenen hergeben, müssen leiden, damit wir ihre Bekehrung und Beharrlichkeit erwirken. Nur so erlangen wir das Maximum an göttlicher Gnade für diese Seelen.

Bilden wir uns bloß nicht ein, wir könnten an geretteten Seelen reich werden, könnten Apostel werden, wenn wir gemütlich dahinleben, unsere Annehmlichkeiten suchen und keine Mühen auf uns nehmen. Ohne Opfer und Leiden, ohne Gott viel zu geben in Gehorsam, Armut und Liebe, an Gottvertrauen und Hingabe in den Zufälligkeiten und Ereignissen unseres Lebens ist es unmöglich, Seelen zu gewinnen. Nur so erkaufen wir sie, auf andere Weise nicht.

Lasst euch darum solch ein Leben der selbstlosen Hingabe und des Opfers sehr angelegen sein. Macht zu eurer Herzensangelegenheit diese Hingabe an die Seelen, die Gott euch jetzt bereits schickt und die er euch in der Zukunft schicken wird. Ich erinnere mich, wie ich als junger Seminarist mehrere Kameraden kannte, die die Opfer des Stillschweigens, des Refektoriums und der Nächstenliebe für die Seelen aufopferten, die Gott ihnen eines Tages schicken würde. Und haben diese später wirklich viele gerettet? Jawohl, viele, das sage ich euch aus Erfahrung.
Wie wollt ihr denn möglichst viel auf Erden tun, wenn es euch nichts kosten soll?
Wollt ihr wahre und treue Ordensleute sein, dann nehmt euer Kreuz auf eure Schultern, tragt es jeden Tag und folgt dem Herrn auf Schritt und Tritt. Wollt ihr wie der hl. Jakobus das Vertrauen und die Verehrung der Gläubigen gewinnen? Dann seid abgetötet, wie er es war. Das ist die Münze auf die einzige, mit der man ihre Herzen gewinnt. Achtet wohl darauf, meine Freunde: ohne das wird euer Ordensleben ausgedörrt, und traurig werden, ein Leben ohne Sinn und Inhalt. So nehmt denn mutig die Last des Kreuzes jeden Morgen auf euch und tragt es tapfer den ganzen Tag über. Das Kreuz der Leiden und der kleinen und unvermeidlichen körperlichen Verzichte. Das Kreuz auch der geistigen Abtötungen, der Widerwärtigkeiten, Demütigungen, Widersprüche und Peinen, die auf uns aus den Ereignissen jeglicher Art zukommen. Nur mittels dieser Münze erkaufen wir Seelen, und ihre Zahl wird umso größer sein, je mehr wir von solchen Gelegenheiten profitieren. Ohne Abtötung werden unsere Worte und Handlungen nur eine klingende Schelle sein, klingend zwar, aber eben nur eine Schelle, leer und hohl. Zimbeln tönen ebenfalls, wenn man draufschlägt, aber der Ton verhallt und nichts bleibt zurück. Seid also abgetötet, seid wie der hl. Jakobus!

Und da bleibt noch der hl. Johannes, der vielgeliebte Apostel, übrig. Welches war sein Charakteristikum? Er selbst sagt es: „Unus ex discipulis quem Jesus diligebat“, ein Jünger den Jesus liebte. Liebte Jesus also die übrigen Jünger nicht? Doch, er liebte sie alle. Er liebte den hl. Petrus sehr und fragte ihn auch drei Mal: Petrus, liebst du mich? Mehr als diese da? Herr, du weißt auch, dass ich dich liebe. Warum bezeichnet sich also selbst Johannes als den Jünger, den Jesus liebte? Hört gut zu: Um ein guter Oblate zu sein, mus man ein Mann des Glaubens wie der hl. Petrus, muss man ein Mann des Opfers wie der hl. Jakobus sein. Dich das genügt nicht: man muss auch unseren Herrn lieben mit der Liebe des hl. Johannes. Was liebt ihr denn auf Erden, meine Freunde? Seht nach, worauf euer Herz abzielt, seht nach, wohin eure Gefühle drängen… Nach welcher Seite und Richtung neigt sich der Hang eurer Neigungen? Gebt ihr der Kreatur, in welcher Gestalt auch immer, etwas von dem, was Gott gebührt? Wie der viel geliebte Apostel müssen wir alles unverkürzt Gott geben.

Wird es euch aber gelingen, in eure Seele solch eine großmütige und ungeteilte Liebe zu pflanzen, ohne dass ihr euch gewaltig anstrengt, ohne dass ihr überhaupt an Opfer denkt? Ganz bestimmt nicht. Wollt ihr Gott lieben, wie es sich gehört? Dann müsst ihr den hl. Johannes nachahmen. Jesus sagte zu ihm: Folge mir, und Johannes ließ auf der Stelle seine Barke liegen, ließ die Netze und seinen Vater zurück und folgte Jesus nach. So müsst auch ihr beim Ruf Jesu alles loslassen und ihm nachfolgen, indem ihr aus ganzem Herzen tut, was dem Herzen Jesu gefällt. Ihr habt also noch eine Art zu sprechen und zu handeln an euch, die sich von der Art Jesu unterscheide. Stellt euch also um und strengt euch an, immer zu denken, zu reden und zu tun wie unser Herr es getan hätte. Dann wird er euch lieben, weil ihr ihm eurerseits Beweise eurer Liebe gegeben habt. Ahmt beim Unterricht die Unterrichtsweise des Herrn nach, beim Predigen die Predigtweise des Herrn, dann befindet ihr euch in der Herzmitte des Erlösers.

Das ist die Arbeit, die sich uns aufdrängt, meine Freunde. Darüber heißt es sich klarwerden. Wir müssen soweit kommen, dass wir in uns die Gottvereinigung, den Gehorsam, die Demut sowie die Annahme der Leiden unseres Heilands reproduzieren. Sobald ihr zu Füßen eures Kreuzes begriffen habt, wie sehr Jesus uns geliebt hat, als er für uns litt und starb, sobald ihr an der Kommunionbank das Geheimnis der Liebe, das in der hl. Eucharistie wirksam ist, ergründet habt, dann habt ihr alle Mittel in der Hand, euch ihm immer mehr zu nähern. Dann kommt ihr auch gerne, um euch an seinem Herzen auszuruhen. Dann beginnt ihr, dem Lieblingsjünger ein bisschen zu gleichen. Dann könnt ihr zu euch selber in der Freude des Herzens sprechen: „Ich werde geliebt…“ „Discipulus quem diligebat Jesus“ (Anm.: „Der Jünger, den Jesus geliebt hat.“). Bittet, meine Freunde, den Herrn um die Gnade, in seiner göttlichen Liebe zu wachsen, jener Liebe, die Apostel schafft, jener Liebe, die bewirkt, dass man alles dem Erlöser schenkt, dass man in allem, was uns begegnet, die Hand und die Tat Jesu erblickt.

Und das ist Ordensleben, meine Freunde. Das sind Petrus, Jakobus, und Johannes, jene drei Jünger, die Jesus am See Genezareth berief… Ich werde am Sterbebett eines vor allem bereuen, denke ich, dass ich keine Gelegenheit hatte, eine Wallfahrt ins Hl. Land zu machen, an den Ufern des Sees Genezareth entlangzugehen, mit eigenen Augen jenes Meer zu betrachten, auf dem unser Herr so oft gefahren ist, einige Tage da zu verweilen, wo unser Herr seine Apostel berufen hat, zu hören, was er zu den Aposteln und zu der Menge sagte, so vielen Wundern beizuwohnen, die Menge zu betrachten, die er durch die Brotvermehrung genährt, und jene andere Menge zu erleben, denen er das Geheimnis des Glücks lehrte: „Beati pauperes…“ (Anm.: „Selig die Armen…“). Welchen Frieden muss die christliche Seele dort finden! Man wird dort noch den Hauch des Erlösers spüren können! Dort kann man lernen, so wie Petrus, Jakobus und Johannes zu sprechen und zu handeln. Dort muss man es lernen, Jesus zu lieben und zu ihm mit dem hl. Petrus zu sagen: Zu wem sollten wir gehen, Herr? Du allein hast Worte ewigen Lebens. Oder: Herr, hier ist gut sein, bleiben wir für immer hier und bauen wir drei Zelte! ... Doch ich werde das alles erst vom Himmel aus schauen dürfen. Meine Freunde, möge Jesus in diesem Augenblick euch segnen, wie er Petrus, Jakobus und Johannes am Ufer des Sees Genezareth gesegnet hat. Möge er über euch seine göttlichen Hände ausstrecken und euch berufen, wie er seine ersten Apostel berufen hat. Möge er in euch bei seinem Anruf eine unversiegliche Quelle erwecken, die zum ewigen Leben sprudelt, eine früchtereiche Quelle an Glaube, Abtötung und Liebe, damit ihr selbst davon leben könnt, und sie dann um euch herum in der ganzen Welt auszuteilen.

„Herr Jesus, wir sind heute schon deine treuen Kinder und selbstvergessenen Apostel und werden es immer mehr sein: Segne uns, Herr! Erfülle uns mit Glauben, Großmut und Liebe, damit unser Leben allzeit auf der Höhe unserer göttlichen Berufung stehe und wir viele Seelen gewinnen können, Herr Jesus. Amen.“