Ansprachen

      

47. Ansprache zur Ewigen Profess der Patres de Vauberecy, Rocher und Vautrin, am 23.06.1896.

Liebe Freunde, ein lateinisches Sprichwort sagt: „Funiculus triplex difficile rumpitur.“ (Anm.: „Ein dreifaches Seil oder Band ist schwer zu zerreißen.“). Ihr befindet euch heute drei Verpflichtungen oder besser drei Banden gegenüber, die euch an Jesus heften und die die Stärke und Bürgschaft eures Lebens bilden sollen.
Das Band des Subdiakonates, das Band der drei ewigen Gelübde, und noch ein drittes Band, an das man nicht immer genügend denkt und auf das ich eure Aufmerksamkeit lenken möchte.

1. Das Band des Subdiakonats: Zu dem Zweck müsst ihr die Worte des Pontifikales betrachten. Gebt acht auf die Worte des Bischofs, es sind sakramentale Worte. Die übrigen Unterweisungen, die diesen eigentlichen sakramentalen Worten vorausgehen oder folgen, zeichnen euch eure strikten und rigorosen Pflichten vor. Sie bringen ein großes Licht mit sich und gewähren euch Einsicht in die ganze Tragweite der Verpflichtungen, auf die ihr euch einlasst. Das Subdiakonat ist der endgültige Schritt, von dem man nicht mehr zurück kann. Es ist der Schritt zwischen zwei Abgründen, oder vielmehr nach einem Wort der Hl. Schrift: es ist der Abgrund, der zwischen zwei Schritten klafft, die ungeheure Tiefe, über die man nicht mehr gehen kann. „Inter nos et vos chaos magnum firmatum est.“ (Anm.: „Zwischen uns und euch klafft ein großer Abgrund.“). Die Trennung ist unwiderruflich, ohne Grenze, ewig: „Ut hi qui volunt hinc transire ad vos non possunt. Neque inde huc transmeare.“ (Anm.: „Wer von hier zu euch hinüber will, kann es nicht, und umgekehrt.“).

Über diese Trennung heißt es betrachtend nachdenken und sie zu begreifen suchen. Und erst nachdem ihr eure Kräfte sondiert und gemessen habt und ihr euch über die Energien eures Herzens klar geworden seid, sollt ihr diesen unwiderruflichen Schritt tun, indem ihr euch an erster Stelle auf die Gnade Gottes stützt…

Was lasst ihr auf der anderen Seite zurück? Das Pontifikale sagt es: eure Freiheit, das gewöhnliche Leben der Welt und der Mehrheit der Menschen. Ihr lasst die Vergnügungen und Genüsse des Diesseits zurück, die Freiheit, euer Leben nach eigenem Gutdünken zu organisieren…

Dem sagt ihr also endgültig Lebewohl und dürft es niemals mehr zurücknehmen. Fällt diese Trennung schwer?

Ihr habt euch dessen schon versichern können, meine Freunde. Was ihr da endgültig zurücklasst, taugt nicht viel… Alles, was euch da an Herz und Sinnen rühren kann, ist mit so viel Bitterkeit und leidvoller Mühe durchsetzt und muss so teuer bezahlt werden, dass für unser Opfer nicht zu bedauern übrig bleibt.

Nehmt den ehrwürdigsten von diesen Lebensständen her, den des Familienvaters, die Last des Unterhaltes einer Familie, die Bürde von Unterhalt, Erziehung und Zukunft der Kinder. Dazu die so schmerzlichen Trennungen und auch Undankbarkeiten, und die schreckliche Pein, oft die Familie arm zu sehen und trotz aller Anstrengungen gezwungen, sich überall hin zu zerstreuen… Versteht die geheimen Leiden so vieler Familien und all das, was sich oft unter einem lächelnden Antlitz und einem glücklichen Äußeren verbirgt… Von all diesen Erbärmlichkeiten seid ihr ganz oder fast ganz befreit. Mit all diesen Sorgen und Nöten und bitteren Leiden hat es für euch ein Ende, mit diesem Tod der Seele, wie die Hl. Schrift sagt. Das alles verlasst ihr heute.

Ihr legt also gleich eure ewigen Gelübde ab, und diese sind etwas sehr Ernstzunehmendes. Versteht ihr eure Gelübde überhaupt? Ihr versteht sie nur unter der Bedingung, dass ihr sie gut gehalten und lange darüber mit Gott nachgedacht habt. Erst nachdem ihr euch viel Mühe gabt, sie zu halten. Erst wenn ihr sie mit Liebe gehalten habt.

Doch ihr fangt bereits an, sie zu kennen, eure Gelübde… Im Äußeren und vor der hl. Kirche legt ihr sie jetzt für immer und ewig ab, in euren Herzen tatet ihr dies schon längst. Denn ihr habt damals ja echte Gelübde abgelegt, nicht einfache Versprechen. Ein religiöses Gelübde ist aber seiner Natur nach ewig. Die Kirche hatte nur aus Klugheit euer Gelübde bloß für die Dauer eines Jahres angenommen. Wenn aber eine Seele sich hingibt, tut sie das nicht, um sich nach einem Jahr wieder zurückzunehmen. In ihrem Gedanken und ihrer Absicht tat sie es für immer.

Wenn ihr eure ewigen Gelübde abgelegt habt, wird Gott in eure Seelen einen Frieden und eine Sicherheit legen, von denen ihr bislang keine Ahnung hattet. Dann spürt ihr, dass Gott euch wahrhaft gerufen hat, dass er euch sucht und will. Dass er euch trägt du euch unterwegs stützt. Ihr fühlt, dass er das ist, mit euch zusammenlebt, und nur noch eins mit euch sein will. Diese Erfahrung machen alle guten Ordensleute mit ewigen Gelübden, und ihr werdet sie ebenfalls machen. Sie genießen einen ungewöhnlich tiefen Frieden und eine unerschütterliche Sicherheit. Dann fühlt man sich haargenau in dem Stand und an dem Platz, für den man geschaffen war, man fühlt sich voller Freude und ganz und gar gottgehörig.

Das dritte Band, von dem wir sprechen wollen, ist unser viertes Gelübde: das (private) Gelübde der Liebe, das der hl. Franz v. Sales vor und über die drei anderen stellte: die Liebe zu seinem Stand und zur Kongregation.

Oder ist es nicht Liebe, wenn man seinen Stand vollkommen und über alles liebt? Ist das nicht Liebe zu Gott, Liebe zum Willen Gottes? … Ihr sagt mir vielleicht: Das gibt man sich doch nicht selbst, man ist nicht Herr darüber, etwas Derartiges zu haben, etwas zu empfinden oder nicht… Nehmt euren Katechismus zur Hand. Was ist die Liebe?

Eine übernatürliche Tugend, kraft welcher man Gott liebt um seinetwillen, mehr als alles anderes, und seinen Nächsten wie sich selbst aus Liebe zu Gott. Das ist die Definition der Liebe. Eine übernatürliche Tugend also. Kann man infolgedessen die Liebe aus eigener, natürlicher Kraft und mittels eigener Anstrengung erwerben? Nein, sie ist ja eine übernatürliche Tugend, eine spezielle Gnade Gottes.

Es besteht ein totaler Unterschied zwischen dieser Liebe und unseren menschlichen Zuneigungen. Letztere sind etwas rein Menschliches, Natürliches. Man hat eine Zuneigung für diese oder jene Person, für diese oder jene Beschäftigung, für diesen oder jenen Stand. Die Liebe jedoch, die übernatürliche Liebe zu einem Stand, die von der Gottesliebe hervorgebracht wird, ist nichts Menschliches mehr. Hier geht es nicht mehr um natürliche Gefühle. Wer oder was kann dies allein vermitteln? Die Gnade Gottes. Wollt ihr euren Stand lieben? Dann bittet Gott darum. Das ist die Gnade Gottes, die kostbarste, die er euch schenken kann, die Gabe der klösterlichen Liebe, weil der gute Ordensmann, der seinen Stand liebt, in einer beständigen Übung der Liebe verharrt. Alles, was er tut, ist von Gott gewollt. Er liebt sie nur, weil Gott es so will. Er findet sein Glück darin, in jedem Augenblick den Willen Gottes zu verrichten.

Er liebt seine Berufung, er liebt sie innerhalb der Bande, die ihn fesseln. Er liebt sie in seinen Mitbrüdern. Er liebt sie im Amt, das ihm übergeben ist, er liebt sie in seiner Ordensregel und den Satzungen, er liebt sie in deren Geist und deren Werken. Er liebt sie sogar in den Erbärmlichkeiten seiner Mitglieder, um mit ihnen Mitleid zu haben, für sie zu beten, ihnen zu helfen und ihnen selbstlos zu dienen.

Bittet Gott um diese Gnade, meine Freunde, dass ihr gern Oblaten des hl. Franz v. Sales seid. Ich kann euch versichern, dass ihr überall vergeblich nach dem suchen werdet, was Franz v. Sales seinen Kindern gibt. Vertieft euch, wenn ihr wollt, in den Geist und die Lehre religiöser Orden, in die Herzmitte aller Schriften der berühmtesten aszetischen Schriftsteller, ihr werdet nirgendwo finden, was Franz v. Sales euch bietet, glaubt es mir. Ihr werdet nirgendwo eine Lehre entdecken, gleich jener der Guten Mutter Maria Salesia. Was bedeutet das? Dass Gott zu euch eine ganz besondere Liebe hegt.

Ja, er hegt eine ausgeprägte Vorliebe für eure Seelen. Ein ganz besonders geartetes Licht gießt er über alle Jahre eures Lebens. Seid ihm dafür dankbar und beweist ihm diese Dankbarkeit durch eure Gegenliebe.

Bittet Gott um diese Liebe, die euch untereinander ebenso eint wie sie euch mit euren Vorgesetzten, eurer Regel und euren Satzungen, mit eurer Arbeit und euren Kongregationen verbindet. Sie verbindet euch mit allem, was diese sagt, tut und lehrt. Nehmt es deshalb recht zu Herzen!

Diese Gnade, die Gott euch schenkt, wenn ihr ihn darum bittet, ist dem Herzen Gottes besonders teuer, denn sie schenkt er bloß den auserwählten Seelen, jenen, die ganz in der Mitte seiner Zuneigung sowie in den Plänen seiner Barmherzigkeit mit der Welt stehen. Der Kaufmann schafft, um Profit zu gewinnen und Geld zu verdienen, der Soldat strebt nach dem Ruhm der Schlachtfelder. Der Gelehrte zerbricht sich den Kopf, um eine Entdeckung zu machen, die ihm Unsterblichkeit sichert. Um das alles kümmert ihr euch nicht… Ihr braucht eure Blicke nur zu Gott zu erheben, der ganz Liebe ist: „Deus charitas est.“ (Anm.: „Gott ist die Liebe.“). Braucht ihn nur inständig um ein Teilchen, einen Strahl seiner göttlichen Liebe zu bitten. Mit diesem Liebesstrahl besitzt ihr alle Reichtümer, weil die Liebe der unendliche, universale Schatz ist. Tut das, meine Freunde, und bittet in diesem Augenblick Gott innig darum. Und wir hier unterstützen eure Bitten mit unseren Gebeten. So sind wir stärker als alle Versuchungen, alle Mutlosigkeiten und Schwierigkeiten, die uns von allen Seiten kommen können. Und eines Tages wird das kein Band auf Zeit mehr sein, sondern ein Band ewiger Glorie und ewigen Segens.