Ansprachen

      

42. Ansprache zum Noviziatseintritt eines Postulanten, der aus der Großen Charteuse kam, am 23.04.1895.

Mein lieber Freund, ich empfinde eine ganz besondere Freude daran, Sie heute ins Noviziat aufzunehmen. Dafür habe ich viele Gründe. Denn hier haben Sie Ihre Studien gemacht, und die Zeit, die Sie in St. Bernhard verbrachten, hat bei Ihnen gute und fromme Erinnerungen zurückgelassen. Sie hatten immer schon den Wunsch geäußert, sich Gott hinzugeben. Das war die Grundmelodie Ihres Herzens, ohne freilich zu wissen, wohin der Hauch Gottes Ihre Schritte lenken werde. Sie haben Ihren Weg gesucht, und Gott hat Sie durch besondere Zeichen seines Willens bis hierher geführt. Der Weg, den Sie durchlaufen haben, blieb nicht ohne Belehrung für Sie. Sie haben erfahren, dass Gott allezeit getreu ist, dass Ihre Seele einen sichereren Zufluchtsort und eine abgeschiedenere Wohnstätte braucht. Sie haben gesucht und gefunden. Was mir aber beweist, dass Ihr Suchen von Gott inspiriert war, ist die Tatsache, dass Sie zuerst dort gesucht haben, wo Sie die größte Sicherheit zu finden glaubten: Sie haben an eine Türe geklopft, die mich an die liebenswürdigsten Erinnerungen meines Lebens als Christ und Priester erinnert. Sie haben an der Türe echter Ordensleute geklopft, die unser hl. Stifter in besonderer Weise liebte und die unsere Gute Mutter Maria Salesia sehr verehrte. Berühmte Mönche sind sie geworden in der Kirchengeschichte, da dieser Orden sich niemals geändert hat und niemals einer Reform bedurfte. Dort herrscht in der Tat das Ordensleben in seiner ganzen Vollkommenheit.

Ja, die Kartause stellt genau das vor. Dort machte ich mit Vorliebe meine jährlichen Exerzitien. Ich hatte den Eindruck, ein immerwährendes Aroma, ein göttlicher Wohlgeruch steige dort von allen Dächern empor. Ich fühlte, wie mein Herz dort mit unwiderstehlicher Gewalt zur Liebe Gottes emporgezogen wurde. Die göttliche Vorsehung ließ mich da Seelen begegnen, die dank ihrer Heiligkeit und Gelehrtheit meine Seele erleuchtet haben. Immer, wenn ich einen Seminaristen zur Großen Kartause geschickt hatte, kam er ganz verwandelt von dort zurück. Und diesen so heiligen Orden, der einen so tief gehenden Einfluss in der Kirche ausübt, haben Sie während mehrerer Monate studieren können. Ihre Gesundheit erlaubte Ihnen nicht, dort zu bleiben. Für diese Berufung muss Gott nämlich eine ziemlich robuste Gesundheit schenken, um die erforderten Bußübungen ertragen zu können. Sie konnten somit dort nicht verbleiben, erlebten aber gute und wahre Ordensleute. Sie begegneten dort keinen Mönchen, wo jeder für sich allein betet und seinen persönlichen Neigungen folgt. Jedermann ohne Ausnahme folgt derselben Regel. Jeder begreift, dass ein Ordensmann kein Mensch ist wie jeder andere, dass man im Herzen Ordensmann sein muss, weil das Äußere allein nicht genügt, nicht wie jene Früchte also, die schön von Aussehen sind, im Inneren aber Fäulnis bergen.

Den wahren Ordensmann haben Sie im Gehorsam gefunden. Welch eine hohe Ehrfurcht vor dem Gehorsam! Der Novizenmeister der Großen Kartause, der in Troyes mein Mitschüler war, ging einmal mit seinen Novizen spazieren und sagte zu einem von ihnen, der einen kleinen Fehler begangen hatte: „Sie würden verdienen, dass man Sie in diesen Dornbusch wirft…“ Er setzte den Spaziergang fort, bis einer der Novizen ihm sagte: „Mein Vater, Sie haben unseren Mitbruder aber einen sehr harten Gehorsam erteilt.“ Er drehte sich um und sah den Novizen, der sich in den Dornenbusch geworfen und sich Hände und Gesicht verletzt hatte.

Dort weiß man auch, was Armut heißt. Die Dinge eures Gebrauchs betrachtet man dort als Eigentum Gottes und behandelt sie mit religiöser Ehrfurcht. Auf dem Tisch des Novizenmeisters sah ich eine Traube Johannisbeeren und sagte lachend zu ihm: „Herr Pater, bereiten Sie ein Festmahl vor?“ – „Ich habe sie soeben gepflückt“, antwortete er, „Gott schickt sie uns, und wir haben die Gewohnheit, die Gaben Gottes zu achten.“ Das ist Wissenschaft, hohe Wissenschaft. Das ist Intelligenz. Wer das nicht versteht, tut es aus mangelnder Einsicht. Gott hat ihm diese hohe Intelligenz verweigert.

Sie haben mir beim Eintritt bei uns, lieber Freund, ein Wort gesagt, das ich im Gedächtnis behalten habe: „Das Leben der Oblaten gleicht dem der Kartäuser. Die Art und Weise, zu Gott zu gehen, der allgemeine Geist ist durchaus dem der Kartäuser ähnlich.“ Und Sie haben hinzugefügt: „So viel ich bis jetzt sehe, ist das Leben der Kartäuser nicht so streng wie das der Oblaten.“ Gewiss haben wir hier nicht die äußeren Bußübungen der Kartause, nach einiger Zeit aber gewöhnt man sich auch an diese. Bei den Kartäusern jedoch kennt man dafür kein Direktorium mit den beständigen inneren Abtötungen, die es auferlegt. Man hat uns dort nicht verboten, es uns gemütlich zu machen und uns so zu benehmen, wie wir wollen. Bei den Oblaten dagegen spürt man immer die Last einer schweren Hand auf den Schultern. Ein Oblate ist somit ein Kartäuser zusammen mit dem Gehorsam und der Armut, in seiner Zelle, bei der hl. Messe, bei allen Übungen der Frömmigkeit. Die Regel macht keine Unterschiede. Wir müssen sie in gleicher Weise beim Studium, in der geistigen Arbeit lieben. Hinzutun müssen wir die apostolische Liebe, die aber nur auf einen Kartäuser aufgebaut sein soll. Sonst ist man kein Oblate.

Was ihr bereits verstanden habt, das hat man mir oftmals bestätigt. In Rom hat man mir unablässig wiederholt, wenn die Oblaten ihre hl. Regel und Ordensdisziplin beobachten, werden sie solange Bestand haben wie die Welt, werden eine große Menge Heiliger hervorbringen und viele Seelen zu Gott führen. Das hat mir auch Papst Leo XIII. bekräftigt. Sie, lieber Mitbruder, sollen also wohl behalten, was Sie in der Großen Kartause gelernt haben. Und auf diesem soliden Fundament sollen Sie Ihr Oblatentum aufbauen, durch Studium, Geistesarbeit und Seeleneifer.

Wir werden Sie gleich ins Noviziat aufnehmen, und das ist ein seelisches Engagement, ein Herzenseinsatz für Gott. Sagen Sie es Gott tief drin in Ihrem Herzen, dass Sie Ihr Versprechungen von heute Ihr ganzes Leben lang halten, dass Sie immer nahe bei Jesus bleiben und Ihre Fußstapfen setzen wollen.

Vergessen Sie nicht, dass ein Oblate mehr als jeder andere zum innerlichen Leben verpflichtet ist. Ohne ein Leben nach dem Direktorium sind wir Nichtse. Suchen wir darum nicht anderswo Licht und Erleuchtung! Gott allein gibt sie, und er schenkt sie dem, der das Direktorium praktiziert, denn Gott ist getreu, wie die Gute Mutter gern sagte.

Seien Sie darum immer frohen Mutes! Wenn Sie wüssten, was in den Augen Gottes einen Akt der Treue wert ist, wenn Sie wüssten, was es um einen guten Priester, um einen heiligen Ordensmann ist, welche Freude ein solcher unserem Herrn, welch unaussprechliches Glück er dem Herzen Mariens bereitet, welche Innigkeit und tiefe Harmonie seines Wollens und Fühlens mit dem Heiland er erfährt! „Vos autem dixi amicos.“ (Anm.: „Ich nenne euch meine intime Freunde.“). Ihr seid meine intimen Freunde, denen ich alles weitergebe, was mein Vater mir übergibt, reiche ich euch weiter. Das sind göttliche Worte, Verheißungen, die Gott allezeit erfüllt.

Erneuern wir tief im Grunde unseres Herzens unsere Versprechen, damit er bei unserem Anblick sagen kann: Ich finde meine Wonne darin, in eurer Mitte zu weilen, ich habe euch aus Tausenden ausgesondert, ihr seid meine Erwählten für Zeit und Ewigkeit. Das gilt für alle Patres, die begreifen wollen, dass man erst ein Kartäuser sein muss, um ein guter Oblate zu werden.