35. Vortrag im Noviziat am 15.11.1894
Der hl. Bernhard gibt uns ein sehr wirksames Mittel an die Hand, um ein guter Ordensmann zu werden: wesentliche Bedingung ist dafür, das Ordensleben zu lieben. Die Liebe ist ja Prinzip und Quelle alles Handelns und Wollens. Sobald wir das lieben, was wir zu tun haben, sind wir auch bereit, es gut zu machen. Um etwas gern zu tun, genügt freilich nicht ein einmaliger Anlauf. Die großen Hindernisse sind die Versuchungen und Schwierigkeiten, sowie die Anstrengungen des Teufels, um die Novizen aus der Fassung zu bringen. Der hl. Bernhard brachte seine Zeit damit zu, seinen Novizen Mut zu machen. Sie alle kamen zu ihm, weil er eine besondere Begabung hatte, sie innerlich zu stärken. Ein jugendlicher Adeliger, der ins Noviziat aufgenommen worden war, suchte ihn eines Tages auf und sagte zu ihm: „Unmöglich, dass ich hier bleibe.“ – „Und, warum?“ fragte ihn Bernhard. – „Meine Gesundheit, die Nahrung hier… Ich kann die Fisolen nicht vertragen.“ Der hl. Bernhard erkundigte sich: „Was gibt es denn heute Abend zu essen?“ – „Heute ist der Tag der Fisolen.“ Am Abend isst er die Fisolen und findet sie besser als die Hasen, Fasanen und anderes Wildbret. Die nächsten Male das gleiche Phänomen. Schließlich sucht er den hl. Bernhard auf und sagt: „Mein Vater, lassen Sie das Wunder aufhören. Die Befriedigung, die ich jedes Mal beim Verzehr der Fisolen erfahre, bringt mich, so fürchte ich, um den Himmel.“ Und an den folgenden Tagen findet er die Fisolen ebenso schlecht wie vorher und wurde ein guter und heiliger Ordensmann.
Die Novizen des hl. Bernhard hatten noch viele andere Versuchungen. Wie oben gesagt, Bernhard verbrachte seine Zeit damit, ihren Mut und ihre Liebe zu mehren, und wenn sie genug gekämpft hatten, sagten diese Novizen, die „clara vallis“ (Anm.: „Das lichte Tal“, Übersetzung von Clairveaux.) sei ein Stück Paradies. Bernhard aber fügte hinzu, sie hätten recht, dass alle, die ihm hier auf Erden nachfolgten, ihm auch in den Himmel nachfolgen würden. „Um dorthin zu gelangen, ist nur eine Pforte zu durchschreiten, da wir dort dasselbe Leben fortsetzen, nur unter einem besseren Himmel.“
Dem hl. Bernhard gelang es, seinen Novizen Liebe zum Ordensleben einzuimpfen. Sobald sie begriffen hatten, gaben sie sich ihrem Institut mit großer Kraft hin und wurden große Heilige. Hatte doch der hl. Bernhard ihnen versprochen: Alle, die mit mir zusammen ankommen werden, werden auch einen schönen Anteil am Himmel erlangen.
Was ist also zu tun, um das Ordensleben zu lieben? Irgendeine religiöse Übung kostet uns ein Opfer, verdrießt uns: das Stillschweigen, die Pünktlichkeit, das Offizium, das uns übertragene Amt. Diese Opfer heißt es entschlossen auf sich zu nehmen. Nach einiger Zeit gibt uns Gott die Gnade, unsere Pflicht liebzugewinnen. Bald geht ihr dann euren Weg mit Leichtigkeit, und zu guter Letzt liebt ihr sogar, wofür ihr euch anfangs nicht erwärmen konntet.
Das Geheimnis des Ordensstandes liegt im Opfer. Gott gibt uns hundertfach zurück, was wir ihm gegeben haben.
Der hl. Bernhard erzählt: „Am Anfang meiner Bekehrung sammelte ich die Dornen des Kreuzes, das Rohr, die Nägel, den Schwamm und die Lanze, und aus all diesen Dingen machte ich ein Bündel, das ich gegen mein Herz presste, indem ich Gott sagte, ich würde kein Werkzeug des Leidens zurückweisen.“ Darum sieht man auf manchen Gemälden den hl. Bernhard, der Lanze, Nägel und andere Leidensinstrumente an sein Herz drückt. Tun wir dasselbe: Wenn wir entschlossen beginnen, gibt uns Gott das Verständnis all dieser Dinge. Der Anfang ist immer schwer. Ein Kind, das das Lesen erlernt, hat Schwierigkeiten, die ersten Wörter zu buchstabieren. Auch uns fällt der Anfang schwer. Die Buchstaben, deren wir uns bedienen, sind „brennende“ Buchstaben. Machen wir es wie der hl. Bernhard: Am Beginn unseres Ordenslebens müssen wir alle Wünsche Gottes annehmen, so wie sie sich ergeben: unsere Leiden, Demütigungen, alles, was uns kreuzigt, und dabei sprechen: „Wie gut mir das tut!“ Das ist der einsichtige und wirksame Weg. Stellt euch da nicht oberflächlich, leichtsinnig und unwissend an. Unwissend seid ihr, wenn ihr nicht begreifen wollt, dass eine Übung vollziehen, die uns abstößt, für uns ein Mittel ist, das Herz weitzumachen.
Beginnen wir so und nehmen wir alles an, was uns Opfer kostet: Überwindungen und Demütigungen… Tun wir das, dann schickt Gott uns sein Licht und seine Erleuchtungen. Was ich euch da sage, ist das Geheimnis des Ordenslebens, mit dessen Hilfe man mit allem fertig wird und sich heiligt. „Das verschafft euch den lieben Gott“, meinte die Gute Mutter.
Wir haben nicht viele geistliche Bücher. Ich denke gerade daran, wie viel doch die Leute vom Ordensstand wussten, als Franz v. Sales erschien. All diese Dinge des Ordenslebens wie Armut, Keuschheit und Gehorsam wurden damals verstanden, und darum empfiehlt der hl. Stifter nicht viele Bücher des inneren Lebens. Es wäre gut, wenn wir hier die „Christliche Vollkommenheit“ von Rodriguez hätten, um in unserem Geist die Gedanken des Ordenslebens wachzurufen. Für die Praxis haben wir ja unser Direktorium. Ich lade euch ein, das zu tun, worüber wir heute Abend sprechen: dem Herrn, unserem Gott, Versprechen ablegen und dann Wort halten.
