Ansprachen

      

31. Ansprache: Einkleidung des Fernand Peyschaud. Aufnahme ins Noviziat der Patres Bridet, Pomme und Chauveau, sowie des Bruders Jean.
Profess der Patres Prosper und Karl Dufour, Buron und Ladislaus Jaworowsky sowie des Bruders Vinzenz am 15.09.1893.
- gehalten zu St. Bernhard –

Anmerkung des Übersetzers: Damals fielen Einkleidung und Noviziatsbeginn offenbar nicht auf denselben Tag. Vermutlich erhielt schon der Postulant das Ordenskleid.

Liebe Freunde, eure heutige Bitte sagt vieles aus: es verrät, dass ihr Männer mit Herz, großmütige Männer sein wollt, die sich selbstlos einsetzen wollen, die keine Mühen noch Opfer scheuen, um den Seelen sowie der menschlichen Gesellschaft zu nützen. Kurzum, die Gott und den Menschen ihre Dienste anbieten, ohne andere Grenzen zu kennen, als den Willen Gottes. Das ist ein großartiger Entschluss, einer, der euch selbst viel Mut verleiht. Da Gott selbst diesen Funken in euer Herz gelegt hat, beweist er damit, dass er euch liebt. Euch hat er auserwählt, damit ihr an einem Werk mitschafft, mit dem er große Verdienste und Verheißungen verbunden hat. Dazu muss er erst einen ganz besonderen Blick voll Güte und Barmherzigkeit auf euch geworfen haben. Heute wollen wir das Ordenskleid übergeben, ins Noviziat aufnehmen und schließlich Gelübde ablegen lassen. Sie, mein liebes Kind, werden gleich ein Kleid empfangen, das Sie von allen übrigen Menschen scheidet. Sie haben dann nicht dieselben Pflichten zu erfüllen wie Weltleute, sondern ganz spezielle und spezifische, und dies Gewand wird es Ihnen immer ins Gedächtnis rufen. Tragen Sie Ihre Soutane gern! Die Welt wurde durch die Soutane zivilisiert. Geht nur die Geschichte durch: Wurde Frankreich nicht vom Klerus geschaffen? Führt mir ein einziges Faktum, einen einzigen Akt echter Liebe an, der nicht ursprünglich von dem Kleid inspiriert wurde, das Sie gleich tragen werden. Ich gehe noch weiter: Noch heutzutage leben Frankreich und Europa von der Soutane! Wem hat denn unser gesamtes öffentliches Unterrichtswesen seine Programme zur Erziehung der Jugend entnommen? Wo erhalten die moderne Gesetzgebung und Verwaltung ihre Anstöße? Wurden sie etwa von Laien erfunden? O nein, sie sind nur die Kopie der Gesetze und Verwaltung der Kirche. Gewiss gibt es das Römische Recht, aber ist dies etwas anderes als das christliche Recht? Suchen Sie in den Wissenschaften und Künsten, in der Malerei: woher kommt denn die erst Inspiration all dieser Reichtümer, auf die die heutige Welt so stolz ist?

Das schönste Genie Frankreichs, Bousset, trug die Soutane. Und der größte Organisator der Nächstenliebe, der Apostel der Armen und Schwachen, der hl. Vinzenz v. Paul, trug dasselbe Kleid. Man konnte ihn nachahmen in seinen Wohltätigkeitswerken. Die Welt konnte ich nacheifern wie die Künstler es tun, wenn sie die Gemälde Raffaels nachbilden. Aber es bleibt trotzdem wahr, dass dieser große Meister hoch über seinen Nachahmern schwebt, und dass niemand so herrlich verwirklichen konnte wie er.

Die Soutane ist für uns nicht bloß ein Symbol des Opfers und der selbstvergessenen Hingabe, sondern auch der Tugend der Wissenschaft und des Talentes, ja sogar der Genialität. Wir müssen noch weiter gehen: Sie ist sogar ein viel kostbareres Sinnbild, nämlich des Anrufs Gottes, der Auserwählung und unserer Berufung in den Ordensstand. Wie zu Zeiten der Fischer am See Genezareth, wo Jesus an Johannes und Jakobus vorbeiging und die Worte sprach: „Folget mir!“ worauf die beiden ihren Vater, ihre Netze und Boote zurückließen und Jesus nachfolgten, so beruft Sie gleich anziehen werden, ist Zeichen Ihrer Bereitschaft für diesen Ruf, ist Zeugnis Ihres Willens, dem Herrn jederzeit nachzufolgen. Man wird es nicht versäumen,  den Glanz dieses symbolhaften Kleides zu trüben. Vielleicht werden die Räder der Wagen, die auf den öffentlichen Straßen dahinfahren, auf dieses Kleid Schmutzflecken spritzen. Unter diesem göttlichen Habit mag sich sogar einmal ein Unwürdiger verstecken. Dennoch bleibt es wahr, dass man nirgendwo, nicht in der Armee und nicht im Staatsdienst oder anderswo, unter irgendeinem Kleid eine so große Zahl von Menschen findet, die so ehrenwert, religiös, selbstlos, gerecht und intelligent sind wie hier. Wenn ich das sage, lieber Freund, dann spreche ich von der Vergangenheit, zeige aber auch die Gegenwart an und sage die Zukunft voraus. Ich gratuliere Ihnen darum, dass Sie es für wert fanden, die Zahl derer zu vermehren, die dieses heilige Kleid tragen.

Ihr aber, die ihr die Soutane bereits tragt und jetzt in den Ordensstand eintreten wollt, begreift wohl, was dieser Stand bedeutet. Ihr wollt euch dem Wohl und dem Heil eurer Brüder weihen. Ihr tretet in eine Gesellschaft von Menschen ein, deren Ziel es ist, Gutes zu tun, Gutes, das sich von den einfachsten und bescheidensten Dingen bis zu den größten und erhabensten erstreckt. So sagte mir der Bischof von Riobamba: „Von den gewöhnlichsten und den alltäglichsten Beschäftigungen bis zu jenen, die die höchsten sozialen Fragen betreffen.“ Und um dies zu bewerkstelligen und euch ihm zu weihen, werdet ihr Ordensleute. Der Ordensmann hat es weder auf eine eigene Familie, noch auf ein eigenes Haus noch auf persönlichen Vorteil abgesehen. Er ist frei, damit er sich der Sache ohne jeden Hintergedanken widmen kann. Ein Pfarrer hat noch sein eigenes Hauswesen, muss für seinen Unterhalt und seine Bedürfnisse aufkommen. Das verlangt von ihm eine gewisse Sorge. Der Ordensmann hingegen sorgt sich nicht um Nahrung und Kleidung, weil für alles gesorgt ist. Darum kann er sich dem von ihm erwarteten Werk ohne jeden Hintergedanken widmen. Ist er Lehrer, kann er ungeteilt dem Dienst seiner Klasse leben. Ist er Missionar, ist er es mit Leib und Seele, mag man ihn auch an eine verlassene Küste schicken. Nichts kann ihn zurückhalten, und würde es ihm an allem fehlen. Ihn ficht es nicht an, er ist ja Ordensmann und vertraut auf den Gehorsam und die göttliche Vorsehung.

Der Ordensmann kann kein anderes Ziel verfolgen als den Seelen zur Verfügung zu stehen, zu denen ihn Gott gesandt hat. Kein irdisches Interesse schiebt sich in sein Tun und Lassen ein. Sein einziges Interesse ist das Glück der Seelen.

Begreift darum, meine Freunde, die Vorzüglichkeit des Ordensstandes, der der Welt so notwendig ist. Wieviel Wunden vermag niemand zu heilen, wieviel Schmerzen zu lindern! Wer soll es tun, wenn nicht der Ordensmann, und sonst niemand… Wenn ich überlege, was alles auf der Erde geschehen ist, im Laufe der Geschichte. Wenn ich ein Beispiel suche, wo ein Mensch einem anderen einen erschöpfenden, umfassenden und selbstlosen Dienst geleistet hat, finde ich nichts Vollkommeneres dieser Art als die Erlösung unseres Herrn Jesus Christus des Erlösers der Welt. Er hatte nichts, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Er ist das Vorbild des Ordensmannes, er, der dazu gesandt war, die Welt zu erlösen. So hat auch der Ordensmann die Sendung, Seelen zu retten. Er braucht dazu nur sein göttliches Vorbild nachzuahmen.

Euch, die ihr bereits die ersten Schritte zum Altar hinauf geschritten seid und eure Gelübde ablegen wollt, euch sage ich das, was der Hohepriester den Gläubigen, die im Begriff waren, das Heiligtum zu betreten, zurief: „Heiligt euch und werdet Heilige!“ Ihr müsst ein anderer Christus werden. Ihr legt kein bloßes Versprechen ab, vor allem keinen einfachen Vorsatz, sondern geht ein festes Engagement ein, tut einen feierlichen Schwur, und dieser Schwur wird euch verklären und in einen anderen Menschen verwandeln. Ein Kirchenvater hat gesagt: „Christianus alter Christus.“ (Anm.: „Der Christ sei ein ‚anderer‘ Christus.“). Das gilt noch viel mehr vom Ordensmann, der seine Gelübde ablegt. Ich gehe noch weiter: Der Ordensmann soll nicht nur ein anderer, ein zweiter Christus sein, sondern sozusagen Christus selbst. Gott sagt im Hinblick auf seinen: „In splendoribus sanctorum ex utero ante luciferum genui te.“ (Anm.: „Im Glanze der der Heiligen habe ich Dich vor dem Morgenstern gezeugt.“) Ich bringe Dich hervor, ich, der ich mit Dir der ein und derselbe Gott bin. Wenn ich Dich zeuge, schwebte mir dabei ein Ideal vor: dieses Ideal habe ich nicht den Engeln entnommen, sondern den Menschen. Ich habe dich sozusagen aus sämtlichen Tugenden und allen Herrlichkeiten zusammengesetzt, die später in deiner Nachahmung die Heiligen anziehen sollen, jene Menschen, die ich berufen habe, eines Tages meine Gläubigen und Freunde zu sein: „in splendoribus sanctorum!“ Wir müssen also ein anderer Christus werden, müssen in uns all jene Tugenden ausbilden, die Gott in seinen eingeborenen Sohn gelegt hat. Und angenommen, Christus existierte nicht, was je eine Unmöglichkeit ist, und Gott wollte ihn erschaffen, dann müsste er in euch das Material finden können, um dies zu verwirklichen. Ich gebrauche diesen Vergleich und diese Unterstellung, um euch die Erhabenheit unserer Berufung verständlich zu machen, euch unsere Verpflichtung begreiflich zu machen, dass wir uns um unsere Heiligung bemühen. Wenn die Gute Mutter sagte: „Man wird in ihnen den Erlöser wieder über die Erde gehen sehen“, hat sie sich da getäuscht? Nein, sie sagte die Wahrheit, eine Prophezeiung! Und ihr sollt sie verwirklichen. Und ihr sollt das durch ein feierliches Gelübde bekräftigen, das euch binden soll. Denn von dem Augenblick an muss das Joch der christlichen Vollkommenheit unablässig auf euren Schultern lasten und euer Herz in beständiger Wachsamkeit erhalten. Studiert und betrachtet diese religiösen Gelübde. Ich versichere euch, dass ihre Praxis euch nicht nur zu Freunden Gottes macht, sondern in gewisser Weise zu seinen Gliedern, zu seiner Substanz und Person. Es fehlt uns hier die Zeit, die Lehre von den Gelübden auseinanderzusetzen. Ich sage euch noch einmal, dass unsere Gelübde etwas dermaßen Heiliges und Machtvolles sind, dass sie den Menschen ganz und gar durchdringen, seine Schwächen in Tugenden, seine Unbeständigkeit in Treue verwandeln müssen. Und gerade unsere Treue in der Beobachtung der Gelübde wird uns die Gnade einbringen, diese Wunder zu bewirken.

Zu guter Letzt noch ein letzter Gedanke: Unser Herr hat euch gesagt: Ich habe euch gerufen. Wohin rief er euch? Zum Kreuz! Ich habe euch gerufen, dass ihr eure Füße in meine Fußspuren setzt. Wohin gingen denn die letzten Schritte unseres Herrn? Den Berg Kalvaria hinauf! Folgen wir ihm also dorthin!

Wir alle aber, die wir hier zugegen sind, eure Eltern und Freunde, wir alle wollen beten, dass ihr die Gnade erhaltet, die echte Ordensleute hervorbringt, die Gnade, die Heilige schafft. Amen.