Ansprachen

      

26.  Ansprache zu einer Profess und einigen Aufnahmen ins Noviziat am 28.08.1891.

Der hl. Augustinus und von der Liebe zwischen Ordensleuten und verschiedenen Nationalitäten.

Meine Kinder, heute begehen wir das Fest des Vaters fast aller Ordenskongregationen, des hl. Augustinus. In der Kirche kennen wir drei oder vier ursprüngliche Ordensregeln: die des hl. Benedikt, die des hl. Franz v. Assisi und im Morgenland die des hl. Basilius. Während langer Zeit gab die Kirche nur diesen Satzungen der alten Kirchenväter den Namen „Regel“. Als ich in Rom zum ersten Mal um Billigung unserer Satzungen und die der Oblatinnen nachsuchte, strich man sorgfältig den Namen „Regel“. Erst in meiner letzten Bittschrift bezüglich der Satzungen der Oblatinnen erkannte man dieses Wort an, und die Kirche wollte damit ein Zeichen des Vertrauens zum hl. Franz v. Sales geben. Denn es ist mir nicht bekannt, dass sie einer anderen Kongregation diesen Titel zuerkannte. Wir feiern also das Fest des ersten Gründers einer klösterlichen Gemeinschaft, die nicht aus Mönchen bestand. Auch Franz v. Sales sagte von seinen ersten Heimsuchungsschwestern: Es sind weder Ordensfrauen noch Nonnen, sondern eher Oblatinnen.

Wir haben im Prinzip die Regel des hl. Augustinus übernommen, und unter seiner Schutzherrschaft empfangt ihr den Talar und tretet ins Noviziat ein, während Sie, lieber Freund, wie ich hoffe, für immer, Ihre ersten zeitlichen Gelübde ablegen. Wir wollen den hl. Augustinus um etwas von seinem Glauben und seiner Liebe bitten, stellt man ihn doch dar, wie er in seiner Hand ein brennendes Herz hält. Dieses Herz gab ihm die Einsicht, gab ihm die Wissenschaft und die Heiligkeit. Der hl. Augustinus ist bemerkenswert durch die Macht seiner Liebe, und dank dieser Liebe vermochte er so viele Seelen um sich zu scharen. Dank dieser Liebe konnte er auch diese hohe Zahl von religiösen Institutionen gründen, die der Kirche, ihrer gemeinsamen Mutter, ihre Dienste anbieten. Wenn aber nichts geschieht ohne die spezielle Voraussicht Gottes, dann sehe ich in diesem Zusammentreffen ein Zeichen besonderer Liebe, mit der Gott uns umgibt, da er euch in die Gesellschaft eines der Heiligen aufnimmt, die er am meisten geliebt hat.

Etwas fällt uns an der heutigen Zeremonie auf: dass ihr nicht alle aus demselben Land stammt. Die Kongregation muss in der Tat, nach einem Wort der Guten Mutter, „an alle Nationen der Welt appellieren“, und deshalb möchte ich heute diese Gelegenheit benutzen, um euch eine Lehre zu erteilen, an der mir außerordentlich viel liegt: nämlich, dass jene, die nicht zu unserer Provinz, nicht zu unserer Provinz, nicht zu unserer Nation gehören, besser behandelt und mehr geliebt werden müssen als die anderen. Das muss der wesentliche Charakter unserer Kongregation sein. Ihr habt sicher bei den alten Dichtern gelesen, z.B., im Drama „Iphigenie auf Taurus“ gelesen, dass ein barbarisches Gesetz damals in verschiedenen Gegenden dieses so hochzivilisierten Griechenlands mit seinen so menschenfreundlichen Sitten bestand: Fremde mussten getötet werden! Das stammte vom Teufel. Bei den Juden hingegen, die andererseits mit Ausländern keine Ehe eingehen durften, behandelte man Fremde mit einer ganz besonderen Liebe. Es genügte, als Fremder auf einen öffentlichen Platz zu erscheinen, um Gastfreundschaft in den Häusern der Einwohner zu empfangen. Damals gab es ja noch keine Herbergen. So sollen auch wir, ich wiederhole es, die Fremden unter uns mit ausgesuchter Freundlichkeit und Wohlwollen umgeben. Das ist nur zu gerecht.

Denn wer seine Heimat verlässt, hat viele Opfer zu bringen, wie die Hl. Schrift sagt, inmitten eines Volkes, das nicht das seine ist. Schwere Opfer, um sich einzugewöhnen und auszuharren. Ich habe mein ganzes Leben lang festgestellt, dass in den Seminaren jene, die die Fremden gut aufgenommen haben, gute Priester gewesen sind und umgekehrt. Schon als Kind habe ich zu mir gesagt: An diesem Zeichen will ich euch erkennen, ob er gut ist, und ich hab mich nicht getäuscht. Darum sei uns dies eine fundamentale Verhaltensregel. Und darum, mein Freund, seien Sie unter uns nicht nur willkommen, sondern geliebt.

Das schulden wir schon der Überzeugung unseres hl. Stifters, der jede noch so geringe abfällige Bemerkung über andere Provinzen und Völker verbot. Die Liebe kennt keine Grenzen, sie ist größer als alles Geschaffene: Gott ist die Liebe. Beschränkt sich aber eure Liebe auf diesen oder jenen, auf diese oder jene Nation, dann ist sie keine Liebe. Unsere Herzen sollen ganz und gar in eins verschmelzen. Stellt nur dieselbe Beobachtungen an, wie ich es tat als Kind! Ich bestehe auf diesem Punkt wegen des Pater R., des einzigen unserer Professoren, an den ich mich heute in besonderer Weise wende. Ich wünsche, dass diese meine Worte im Archiv der Kongregation aufgezeichnet seien, und zwar nicht als ein bloßer Punkt der Leitung und Seelenführung, sondern als eine absolute Regel, die notwendig ist für eine gute Einheit der Herzen und echte Frömmigkeit, und, lasst es mich euch ganz leise ins Ohr flüstern: Notwendig auch für eine gute Kinderstube und Erziehung. So geben wir Ihnen, mein lieber Freund, gleich das Ordenskleid, das Menschen von der übrigen Menschheit trennt und anderen Menschen bei unserem Anblick den Gedanken eingibt, dass wir uns selbst sagen: Ich bin nicht von dieser Welt, die irdischen Anliegen sind nicht mehr die meinen, sondern nur noch die himmlischen. Ich bin kein Soldat dieser Erde mehr, sondern des Himmels, und unter dieser Waffenrüstung kämpfe ich für ihn. Haltet eure Soutane in allerhöchster Achtung, wie in allerhöchster Achtung, wie es der hl. Aloysius tat. Zieht ihr sie an, dann preist den Herrn, dass er euch mir diesem Gewand bekleidet hat. Wenn ihr dies alles begreift, seid ihr glücklich, wie die Schrift sagt. Und setzt ihr es in die Praxis des Lebens um, wird euer Talar euch euer ganzes Leben eine süße Last sein, und wird es auch im Grab bleiben.

Ihr aber, die ihr euch aufs Noviziat vorbereitet, versteht gut, worum es da geht. Es ist nämlich eine Lehrzeit für das Ordensleben. Der Novize soll bereits ein vollkommener Ordensmann sein, und was er da vorstellt, soll er es für immer bleiben. Gott wird gewiss seine Gnade und seine Erleuchtungen noch vermehren, er versetzt uns aber von dieser Stunde an in den Himmel und in seine Herzmitte. Euer Noviziat sollte darum bereits ein wirklicher Beginn eures Ordenslebens, vollkommener Armut und Keuschheit und vollendeten Gehorsams sein, eines Lebens des Direktoriums. Ihr werdet nichts mehr dazu gewinnen und nichts Neues mehr zu tun kriegen. Die Gesamtheit und Fülle eines guten Ordensmannes muss darum jetzt schon bei euch euer normaler Zustand sein. Verbringt darum euer Noviziatsjahr gut und müht euch um ein weites Herz. Denn später könnt ihr als Oblaten des hl. Franz v. Sales zu den verschiedensten Ämtern berufen werden, die ihr jetzt noch gar nicht kennt. Dann müsst ihr sagen können: „Mein Herz ist bereit.“ Sammelt zu diesem Zweck einen reichen Vorrat an Großmut, müht euch um große Weite des Herzens und der Seele. Das Noviziat werde euch zu einer Zeit höchster Ausdehnung eurer Liebe und Einsicht ins Ordensleben. Tretet nicht engen Geistes darin ein, sondern gebt euch ohne Einschränkung unserem Herrn und seinem Hl. Geist hin. Ihr seid keine Seminaristen mehr, knausert und rechnet darum nicht, seid nicht kleinlich und eng, sondern lasst euch ganz und ungeteilt auf den Weg der göttlichen Liebe ein.

Gott ist groß, seid es auch eurerseits. Und wie könnt ihr das? Indem ihr die Tage der Treue verbringt und indem euch der Gehorsam etwas Heiliges bedeutet, das euch ganz einnimmt. „Ich sprach und es geschah.“ Verharrt in beständiger und hochherziger Abhängigkeit, die nicht ein kleines Teilchen für sich reserviert. Das Noviziat ist sehr schön. Heute noch sah ich einen alten Freund aus dem Priesterseminar wieder. Die schönsten Erinnerungen, die wir aufleben ließen, stammen aus der Seminarzeit. Warum? Weil wir das unter einer Hausordnung standen. Und wir haben diese auch beobachtet, und zwar taten wir dies aus Liebe. Bis in diese letzten Jahre ging ich nie am Kleinen Seminar vorbei, ohne dass mir das Herz höher schlug. Ja, wie treu habe ich die Hausordnung befolgt. Darum rufe ich auch euch auf, euch ganz eng an eure Noviziatsordnung zu halten, und was ihr am liebsten tut, sei immer das, was eurer Natur am schwersten fällt. Dann werdet ihr schon sehen, was Schönes daraus wird. Macht es nicht wie jene Seminaristen, denen es am Beruf fehlt und vor allem an Gottesliebe, und die im Seminarleben einen Zeitvertreib sehen. Liebt euren Novizenmeister, liebt die anderen Novizen, liebt auch die Übungen des Noviziats. Ihr müsst eins mit ihnen werden. Handelt ein Novize si, dann kann man etwas von ihm erwarten, andernfalls nicht. Im Großen Seminar hatten wir einen äußerst verdienstvollen, aber auch äußerst originalen Vorgesetzten. Viele sagten: „Der Obere tut nicht, was er tun sollte und kümmert sich nicht genug um die Schüler...“ Alle, die den Oberen als einen Menschen betrachteten, der gegen sie sehr gut war, sind heilige Priester geworden. Die anderen dagegen, oberflächliche und unsichere Kantonisten.

Im Noviziat tut man so, um sich mit Gott zu vereinigen, und man bittet ihn um Starkmut, dass man bis zum Ende einen beispielhaften Lebenswandel führe. Denkt darüber nach, seht euer Noviziat unter diesem Gesichtspunkt, dann tut ihr wohl. Ich weise energisch jeden anderen Geist zurück, der dem beschriebenen zuwiderläuft: das wäre ein sicheres Zeichen, dass einer ein Versager und eine wandelnde Ruine würde. Ich behaupte nicht, die Oberen bilden sich ein, vollkommen zu sein. Ich sage nicht, sie seien nicht den Geringsten aus euch unterlegen. Was ich aber weiß, ist, dass ihr an dem Tag, wo eure Seele aus Liebe zu Gott einem beliebigen Oberen vollkommen unterworfen ist, ganz und gar dem entspricht, was Gott von euch wünscht. Als ich noch ein Kind war, ließ man mich das Leben der Heiligen lesen. Ich war zutiefst betroffen über jenen Zug aus dem Leben des Martyrers Ignatius, den er wie folgt seinen Gläubigen schreibt: Als ich nach Rom ging, fand ich mich angekettet an zehn Leoparden in Gestalt von Soldaten, die noch grausamer waren, je größere Güte ich ihnen erzeigte. Ihre schlechten Behandlungen waren mein Unterricht. So sollt auch ihr zu euch sagen: Mein Noviziat ist mein Unterricht. Ob der Obere so ist und der Novizenmeister so, ob dieser Novize so und der andere so ist, was verschlägt’s schon? Wozu bist Du denn gekommen? Empor die Herzen! Der Prophet Daniel öffnet sein Fenster in Richtung Jerusalem, kniete nieder und betete in Richtung eines Tempels, der gar nicht mehr existierte.

So sollt auch ihr durch das Fenster des Himmels blicken, um zu  sehen, was ihr tun sollt. Man liebt ja den Ort, wo man mit dem Himmel in Verbindung steht.

Sie, mein lieber Freund, stehen im Begriff,  sich Gott anheimzugeben. Und wir nehmen Sie gerne auf, weil wir ihr Heimatland gerne haben. Kam denn der hl. Prudentius nicht aus Spanien? Ist er nicht nach Troyes gekommen? Er wurde hier Bischof und hat die Kirche durch sein hl. Leben und sein literarisches Wissen erbaut. Die hl. Maura war seine geistliche Tochter. Erbitten Sie von ihm, was er am Altare Gottes erlebt hatte. Fühlte er da nicht seine Seele vor Liebe zu Gott dahin schmelzen und aus dem Fels seines Herzens reichliche Tränen quillen, die sich mit dem geheiligten Blute des Erlösers mischten. Bitten wir ihn, er möge ihnen das Verständnis des Ordenslebens eröffnen und Ihnen große Geradheit des Urteils schenken. Möge der hl. Prudentius Sie den Oblaten des hl. Franz v. Sales vorstellen. Wir sehen ihn so gern als Hintergrund des Gemäldes Ihres Lebens. Bitten Sie ihn des Weiteren, er möge Ihnen ein reiches Gefolge von Ordensleuten und Gläubigen erwirken. Wir bräuchten sie so sehr. Der Familienvater braucht ja Arbeiter in seinem Weinberg. Armer Weinberg, der so vernachlässigt und verwildert aussieht. Wir brauchen Priester nach dem Herzen Jesu, die in sich das gesegnete Zeichen der Gottheit tragen, das Zeichen des Erlösers. Diese sollen ja die Herzen anziehen, nicht um sie zu behalten, das wäre Gottesraub, sondern um sie ins Herz Gottes zu ergießen, dass alle nur ein Herz und eine Seele bilden. Die Ernte ist schön, gewiss. Machen Sie sich darum ans Werk und fürchten Sie nicht die Mühsale der Arbeit noch die Hitze der Sonne. Gott wird Sie erhören. Der Prophet Elias hatte sich, ermüdet von seinen Wanderungen, niedergeschlagen und verzweifelt, unter einen Ginsterstrauch hingestreckt und bat Gott, sterben zu dürfen. Er schlief, bis ein Engel des Herrn ihn berührte und ihm sagte: „Steh auf und iss, du hast noch einen langen Weg zu gehen!“ Er stand auf, aß und trank und ging in der Kraft dieser Speise 40 Tage und 40 Nächte, bis er zum Berg Gottes, dem Horeb, gelangte. Ihr aber, meine Freunde, schreitet mutig voran auf dem Weg, auf den ihr euch eingelassen habt. Es wird euch an nichts gebrechen, weil Gott selbst euer Schützer und Freund sein wird. Amen.