Ansprachen

      

24.  Ansprache zur Gelübdeablegung der Patres Boney und Krolikowsky sowie zur Einkleidung von P. Mercier und drei Laienbrüdern am 05.02.1891.

„Gehet hin und lehret alle Völker… lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe.“ Macht euch auf, um allen Völkern die Frohbotschaft zu bringen. Ihr sollt sie lehren, alles zu tun, was ich zu euch gesagt habe.

Zu allererst werdet ihr mir entgegenhalten, dass wir heute Abend nicht nur Priester zum Noviziat und zur Profess aufnehmen. Wir haben in diesem Augenblick nicht nur Missionare des Wortes in unserer Genossenschaft der Oblaten zuzulassen.

Darauf will ich euch sofort antworten: Auch unsere Brüder müssen wir die Patres predigen. Denn das Wort des Herrn: „Gehet hinaus und lehret“, passt vollkommen auch für sie, weil heutzutage die Sendung eines jeden Ordensmannes, wer er auch sei, notwendigerweise in der Evangelisation durch Wort, gutes Beispiel und guten Einfluss besteht. Franz v. Assisi ruft eines Tages seinen Ordensbruder und treuen Begleiter Leo und sagt zu ihm: „Kommen Sie, Bruder Leo, wir gehen jetzt predigen!“ Er nimmt seinen Stock und sie gehen los, eilen mit gesenktem Blick und stillschweigend durch einige Straßen von Assisi und kehren dann zum Kloster zurück. Aber, sagt da Bruder Leo, wir wollten dich predigen und haben kein Sterbenswort gesagt! Doch, Bruder Leo, antwortete ihm der hl. Franz, wir haben wirksamer gepredigt als wenn wir laut das Wort ergriffen hätten. Denn wir haben erbaut und die religiöse Bescheidenheit verständlich gemacht. Wendet darum auf euch selber an, was ich euch jetzt, meine Freunde, sagen will. Die Priester, die das Wort Gottes dem Volk nahebringen sollen, bereiten sich lange Jahre und mit Hilfe ernster und tiefer Studien auf das Predigtapostolat vor. Sie üben sich für den am Wort ein, betrachten und studieren, was sie einmal vortragen wollen. So verschaffen sie sich ein solides Fundament an Lehrgut, das notwendig ist, um sachkundig das Wort Gottes weiterzugeben. Die unmittelbare Vorbereitung auf jede Predigt wird dadurch nicht überflüssig. Doch darf der Priester auch auf die entfernte Vorbereitung in keiner Weise verzichten. Aus Stein lässt sich kein Blut gewinnen, ebenso wenig kann man eine fundierte Lehre von einem Menschen erwarten, der sich nicht durch Gebet und Arbeit dafür gerüstet hat. Auch nicht von einem Geist, der nicht gebildet, noch von einem Gedächtnis, das nicht trainiert wurde. Lange und gründliche Studien sind dafür  unerlässlich.

Hier darf ich den drei hier gegenwärtigen Patres bestätigen, dass sie großen Eifer angewandt haben sowohl auf den Unterricht wie auf ihr eigenes Studium der theologischen Wissenschaften und religiösen Fragen. Lob muss ich auch spenden unseren Brüdern, und da möchte ich gleich ein Wort anfügen: Ich dulde keinen Ordensmann, ob Pater oder Bruder, der kein theologisches Wissen hat. Ein Mensch, der nicht geistig arbeitet, ist immer auch ein Mensch, der nicht geistig arbeitet, ist immer auch ein Mensch ohne theologisches Wissen. Er kann unmöglich etwas Nützliches leisten, und warum? Weil er unmöglich etwas hervorbringen kann, was er selbst nicht einmal kennt! Wieviele sprechen über alles und jedes und sagen doch zu guter Letzt nichts. Das Wort Gottes muss darum gründlich vorbereitet werden, damit es den Gläubigen in Katechismus und Predigt weitergereicht werden kann. Es muss Auszug und Aufguss von euren Schätzen sein, die Altes und Neues enthalten sollen, damit ihr euren Zuhörern den Anteil an Nahrung reichen könnt, die sie brauchen.

Als ich im Großen Seminar mit der Theologie begann, war mein Gewährsmann Bouvier. Man schärfte uns ein, keine Zeit zu verlieren… Zwei vergeudete Stunden waren ein schwerwiegendes Vergehen. Davor hatten wir Angst, und wir wandten während des ganzen Studiums unseren ganzen Fleiß auf. Wir machten es nicht wie jene, die der dahinfließenden Zeit zuschauen, so wie sie dem dahinfließenden Wasser nachschauen. Die Gotteswissenschaft betreiben, Hl. Schrift, Kirchengeschichte und die übrigen Fächer der katholischen Wissenschaft studieren, stellt somit eine äußerst ernste Verpflichtung dar, vor allem für einen Ordensmann. Noch einmal sei es gesagt: Ihr werdet nur so viel wert sein als ihr euch angeeignet habt.

Liebe Freunde, ich beglückwünsche euch drei aus ganzem Herzen. Euer Eifer fürs Studium trug alle Zeichen des Segens Gottes. Ich hatte Gott um ein Zeichen besonderer Liebe fürs Noviziat gebeten, und er hat mir dieses da gewährt, das sicherste und ernsteste. Sollen aber auch unsere Laienbrüder sich für die Predigtübungen interessieren, die im Noviziat vorgenommen werden. Sollen sie daran irgendwie teilnehmen?

Jawohl. Wir haben in Pella den Bruder Leo Wolf, er erteilt den einen Tag 30 Männern religiöse Unterweisung, den andern Tag 30 Frauen. Und er duldet nicht, dass jemand vier- oder fünfmal in seiner Katechese kommt, ohne ganz und gar bekehrt zu sein. Welcher Missionar, welcher Pfarrer würde wagen, das gleiche zu fordern? Bruder Leo hat seinen Katechismus von Grund auf gelernt und in seiner katholischen Heimat, dem Elsass, gelernt. Er will einen ganz praktischen Unterricht erteilen und spricht aus tiefster Überzeugung. Und so hat er Erfolg.

Darum sollen auch unsere Brüder durch Studium und tägliche Lektüre im Leben der Heiligen oder einem anderen religiösen Buch sich auf den künftigen Katechismusunterricht vorbereiten. So häuft man in seinem Geist, in seinem Herzen und seinem Gedächtnis ein Wissen an und findet es darin vor, sobald man es braucht. Man gibt es in einer interessanten und fesselnden Art und Weise weiter, am Kap der Guten Hoffnung, in Ecuador oder anderswo. Dann werdet ihr mir bestätigen, dass ich recht gehabt habe. Macht darum mit heller Aufmerksamkeit eure täglichen Lesungen. Haltet euch auch bezüglich aller wichtigen Punkte der kirchlichen Lehre, Gebote, Sakramente und Feste auf dem Laufenden. Dann könnt ihr das Wort ergreifen: „Gehet hinaus und lehret alle Völker…“

Liebe Freunde, es genügt nicht, nur das Wort zu ergreifen. Ihr müsst darüber hinaus euer ganzes Leben hinopfern und hingeben, jenes gewisse Etwas, das sich denen mitteilt, die mit uns zusammenleben und das sie erobert… Das ist die Macht des Ordensstandes. Oder ist etwa ein Ordensmann ein besserer Redner als ein Weltgeistlicher? Nicht allzu oft finden sich große Kanzlerredner in den religiösen Orden. Der Ordensmann soll vielmehr vor allem durch die Tat und durch seinen Einfluss auf sein Milieu predigen.

Gehet hinaus und lehret alle Völker. Das ist also für uns alle eine ernste Verpflichtung. Ihr tretet in einen Orden ein, um den Seelen zu helfen, sie zu lehren und zu leiten.

Könnt ihr das aber ohne Vorbereitung? Müsst ihr euch da nicht für Predigtübungen im Noviziat interessieren?

Ihr wollt euch vielleicht mit Leib und Seele in die Predigttätigkeit stürzen, weil ihr bereits Priester seid und alles zu besitzen glaubt, um gut zu predigen… Wo aber habt ihr die Fertigkeit erworben? Im Internat, wo man euch vielleicht schon als Postulanten betrachtete? Ihr merkt, dass eure Predigt schon eine Wirkung hervorbringt? Jedenfalls seid ihr verpflichtet zu lehren: Geht hinaus und lehret! Ihr lehrt eure Mitbrüder, wenn ihr vor ihnen predigt oder wenn ihr euch im Predigtwort so einübt, wie ihr es später einmal im Ernst tut. So beginnt ihr jetzt schon, Gott in eure Einflussnahme auf die Seelen einzubeziehen.

Ob Pater oder Bruder, der Oblate darf kein Egoist und Einsiedler sein, er muss notwendigerweise einen Einfluss auf die Seelen ausüben, was er ihnen zu sagen hat… Hört euren Patres zu, die euch vorangehen, achtet darauf, wie sie sprechen, und macht es wie sie…

Aber der Bruder ist doch in seiner Werkstatt tätig. Dort ist sein Platz. Hat er aber nicht oft jüngere Brüder um sich? Gehet hinaus und lehret… Gewiss hat er nicht den Auftrag, ihre Beichte zu hören, ihnen die Rechenschaft abzunehmen. Aber mit Hilfe seines Einflusses auf sie soll er ihnen zeigen, was sie tun sollen. Und die Jüngeren sollen sich mithilfe dieses Kontaktes weiterbilden. Lehret alle Völker. Lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe.

Alle eure jüngeren Mitbrüder sollt ihr anhalten, das zu tun, was man euch ans Herz gelegt, häufig an Gott zu denken, genau euer Direktorium zu befolgen. Man hat euch nahegelegt, Gott beständig vor Augen zu haben, weil er das Ziel eures Lebens ist. Euch hat man dies gesagt, damit ihr es anderen weitergebt…

Muss man denn jedermann den Weg der Vollkommenheit lehren? Jawohl! Schaut nur den hl. Franz v. Sales an…

Gibt es aber keine Gradabstufungen im christlichen Leben? Ich weiß nicht, was ihr unter Gradabstufungen versteht. Ich habe das Vertrauen, dass ein guter Laie mehr Glauben haben kann als der nächstbeste Priester, mehr Abtötung als ein Ordensmann, mehr Demut als eine fromme Seele. Er kann sich mehr Mühe geben, diese oder jene Tugend zu üben oder selbst die Tugenden insgesamt. Aus dem, was man euch im Noviziat über das innere Leben gelehrt hat, wählt das aus, was ihr den anderen weitergeben könnt. Man muss ja nicht von denen, die ihr beeinflussen wollt, gleich die Gesamtheit der Lehren vom innerlichen Leben fordern. Bildet langsam und klug ihr Gewissen, dann wird es euch auch gelingen.

Müsst ihr euch eine bestimmte Grenze vornehmen und sagen: Hier bleiben wir stehen? Nein, denn wer könnte den Gnaden des Hl. Geistes schon eine Grenze setzen? Steht es euch zu, das festzulegen? ... Euer Sendungsauftrag verlangt von euch kein besonderes Talent. Wärt ihr ein Genie, dann wärt ihr zu dieser Arbeit unnütz. Wenn ihr aber gar nichts Besonderes an euch hättet in der Art, wie ihr zu den Seelen geht, dann wäre eure Existenz überflüssig. Ihr sollt, und das ist eure Mission als Oblaten, den Seelen die Gabe Gottes bringen, das Licht Gottes vermitteln: Lehret sie alles halten, was ich euch aufgetragen habe.

Dazu bedarf es zweier Dinge: der Gnade Gottes und eures guten Willens.

1. Fehlt die Gnade Gottes? Das behaupten, wäre eine Gotteslästerung. Die Theologie lehrt, die Gnade sei immer auf der Höhe der Anforderungen Gottes. Kann sie uns überhaupt abgehen bei der Fülle der uns gegebenen sicheren Verheißungen? Wie oft hat die Gute Mutter Maria Salesia beteuert: Gott wird immer da sein. Er wird im Überfluss geben, weit über eure Wünsche hinaus. Unser Hl. Vater bekräftigte mir: „Was Sie da in Angriff nehmen, ist Gott selbst, der Sie damit beauftragt. Und alle, die mit Ihnen zusammenarbeiten, erfüllen für ihre Person den Willen Gottes. Was fehlt euch da noch? Der Anruf, die Sendung Gottes? Nun, ich, der Papst, übergebe sie euch. Ich sende euch aus, ich arbeite mit euch, ich bin mit euch.“

2. Um den guten Willen, meine Freunde, heißt es beten! Das Unglück unserer Epoche will es, dass es an diesem guten Willen mangelt, weil es am Glauben gebricht. Jesaja sagte: „Eure Kraft gleicht einem trockenen Wergbüschel. Es lässt sich keine Energie mehr feststellen. Ein Gewicht fällt und schlägt das Werg platt.“ Was aber den Oblaten zum Oblaten macht, ist gerade das Herz, der Wille, die Tatkraft. Man darf sich nicht hinausreden: „Ich möchte ja gerne die Willenskraft haben, hab sie aber nicht.“ Bildet nur euren Willen zäh heran, dann habt ihr einen. Nehmt euer Direktorium zur Hand und verwirklicht es Punkt für Punkt. Dann werdet ihr sehen, was aus eurem Willen alles wird. Er wird jeden Augenblick lebenskräftiger, bis zum Hundertfachen seiner Kraft wachsen, voller Mut und Tatkraft. Dann könnt ihr dem Appell und Wunsch Gottes, unseres Herrn, auch genügen. Dann führt ihr aus, was er euch aufträgt. Gehet hinaus und lehret alle Völker…

Liebe Freunde, möge unser Herr auf die Seelen überreich herabkommen mit seiner Gnade, die er unseren Patres und Brüdern mitteilen will, die  jetzt entweder ihre erste Hingabe oder die feierliche Zeremonie ihrer Gelübdeablegung vornehmen wollen. In diesem Augenblick wird Gott euch in überfließendem Maße und ohne zu rechnen zuteilen. Möge die Gnade aus euren Priester- und Oblatenherzen dann auf alle Seelen, die zu euch kommen, überströmen! Seid das, was die Gute Mutter aus euch machen wollte! Seid das, was die Hl. Kirche sowie der Hl. Vater Leo XIII. von euch will! Er sagte mir damals, als ich ihn wieder verließ: „Machen Sie gute Ordensleute ‚bis zur Vergießung des Blutes‘“!