Ansprachen

      

23.  Ansprache zur Gelübdeablegung des P. Wuillert am 16.04.1890.
- gehalten zu St. Bernhard -

Mein lieber Freund, Sie haben diesen Tag sehnlich erwünscht und dieser Professtag muss Ihnen in der Tat große Tröstungen bringen. Sie haben viel zurückgelassen, um zu uns zu kommen, Ihre Pfarrei, Ihre Mitbrüder, Ihre täglichen Gewohnheiten, Ihren Wohlstand, die Seelen, denen Sie gedient haben. Haben auch Ihr Vaterland verlassen und alle Bande zerschnitten zu Ihrer Vergangenheit. Gott weiß das und weiß es nach seinem Wert zu schätzen.

Mit Sicherheit will Gott Sie heute entschädigen für alle diese Opfer, die Sie für ihn gebracht haben. Er gibt Ihnen in der Genossenschaft der Oblaten des hl. Franz v. Sales nicht nur das zurück, was Sie verlassen haben, sondern viel mehr dazu. Denn Gott lässt sich an Großmut nicht übertreffen. Und ich zweifle nicht daran, dass Sie Ihrerseits Gott all das geben werden, was er von Ihnen verlangen wird.

Sie kennen den neuen Weg, auf den Sie sich da einlassen. Sie kennen Ihre Theologie hinreichend gut, um die Gaben und Gnaden richtig einzuschätzen, die Gott Ihnen heute erweist. Je länger Sie auf diesem Weg voranschreiten, umso mehr wird die Erfahrung Ihnen zeigen, dass Sie gut daran taten, sich dem hl. Franz v. Sales und den Oblaten anzuvertrauen.

Was sind Oblaten?

Sehen Sie in der Kirche und in der hl. Liturgie, wie man da in besonderer Weise das verehrt, was man „Oblaten“ nennt, die dargebotene, aufgeopferte Gabe, die die Materie des Messopfers bildet, „oblata“, davon kommt Oblation = Opfergabe, Opferung. Diese werden auf den Altar gelegt, man beräuchert sie wie man das hl. Sakrament beräuchert.

Später geben diese Hostien unserem Herrn selbst Raum. Bis dahin sind sie nur „Oblaten“, oblata. Dennoch werden sie bereits beweihraucht aus Ehrfurcht vor dem, was später mit dem Leib und Blut, der Seele und Gottheit unseres Herrn ausgefüllt wird, was also bestimmt ist, Jesus Christus zu werden. Sie sind selber jetzt solch eine Opfergabe, eine Gott dargebotene Spende. Und ich komme im Namen der hl. Kirche, Ihnen Mut zuzusprechen und Ihrer Seele den Trost, die Freudigkeit und Hoffnung auf das Glück, das Sie erwartet, anzukündigen. Ich rufe Sie, wie die Hl. Schrift sagt, zum ewigen Leben und sage Ihnen, worin dieses künftige Leben besteht. Heute beginnt somit für Sie die Opferung, die Sie Gott darbringen und die Ihrerseits bald auch in den Leib und das Blut unseres Herrn verwandelt wird.

Lieber Freund, sagen Sie ein freudiges Ja zu diesem Selbstopfer, das Sie da vornehmen sollen. Möge Ihr ganzes Äußere sich in das Äußere unseres Heilands wandeln, möge Ihre Seele zu seiner werden, Ihr Herz sich in seins umgestalten. Wir sollten ja nur ein Herz und eine Seele mit dem Herrn bilden. Wir sollten in ihn gleichsam hinüber schmelzen, sodass sich keine Unterscheidung mehr vornehmen lässt zwischen ihm und uns. Sehen Sie nur, welch eine erhabene Berufung Ihnen zugeteilt ist! „Dass ihr in Wahrheit Gott Aufgeopferte seid!“ Versetzen Sie sich also in diese Verfassung, dass Sie Ihr ganzes Äußeres dem des Herrn gleichgestalten, und formen Sie dann Ihr Inneres diesem verwandelten Äußeren gleich.

Jawohl, bilden Sie Ihre Seele der Seele des Erlösers gleich, ahmen Sie ihn nach, indem Sie beten und eintreten für die Menschen, wie er es tat mit den Juden und mit seinen Aposteln. Sie hat er belehrt, indem er sich ihnen widmete und ihnen alles schenkte, was er machte, sein Leben und seine Aktivität. Dann werden Sie Glück und Erfolg haben in Ihren Werken und Unternehmungen. Möge Ihr Herz dem seinigen gleichwerden, und lieben Sie wie Jesus, unser Herr, geliebt hat.

Lieben Sie Ihre Mitbrüder, wie der Herr seine Apostel liebte. Lieben Sie die Seelen, wie er sie liebte, Ihre Familie, wie er die Seinen liebte. Lieben Sie Ihr Vaterland, wie er es tat. Es entspricht unserem Ordensgeist, uns ganz dem Leben unseres Herrn anzugleichen und alles, was sich vor dem Klostereintritt an Gutem in unserer Liebe und Anhänglichkeit fand, zu bewahren, es so zu lieben, wie unser Herr es liebte, und wie er selbst es in unser Herz gelegt hat. Seine Heimat lieben, seine Eltern lieben, sogar das, was zu unseren Fähigkeiten gehört: So bejaht und fördert unser Beruf all diese Gesinnungen, bedient sich ihrer, heiligt und vergöttlicht sie gewissermaßen. Bewahren Sie also alles, was sich in Ihrem Herzen findet, alles, was gut ist. Beten Sie für jene, die Sie bisher geliebt haben. Beten Sie für die Schweiz, Ihr Vaterland. Die Schweiz ist auch für uns teuer, sie ist die Quelle, die uns das Leben gab, das Land, wo für uns der Glaube und die Gnade aufgeblüht ist (Anm.: „Vermutlich eine Anspielung auf die Heimat der Guten Mutter Maria Salesia Chappuis, die aus der Schweiz stammte.“). Wir lieben darum dieses Land. Wir vereinen uns deshalb auch mit Ihren Gebeten.  Die Schweiz hat genauso wie Frankreich oder Österreich-Ungarn unsere Gebete nötig! Ich wohnte der Audienz bei, die der Hl. Vater während des Jubiläums den Delegierten der katholischen Schweiz gewährte, und Papst Leo XIII. empfahl diesen dringend: Seid auf der Hut, euer Land ist Gefahren ausgesetzt. Schließt euer Ohr den schlechten Einflüsterungen, lasst euren Glauben neu aufleben, stärkt euren Kampfesmut, damit ihr den Versuchungen widersteht, die von allen Seiten auf euch einstürmen… Wir beten mit Ihnen, dass Gott dieses Land im Glauben bestärke und ihm Großmut verleihe im Kampf gegen das Böse, gegen die verderblichen Lehren von draußen wie gegen die Feinde des Glaubens von innen.

Sie sollen also das Herz unseres Erlösers haben, Ihr Land zu lieben. Unser Herr sagte im Hinblick auf die Kanaanäerin zu seinen Aposteln: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“, d.h.: Meine augenblickliche Mission erstreckt sich auf die Seelen, die im Land Israel zugrundegehen, und schließt nicht die anderen Länder ein. Er liebte also das Land und Haus Israel. So sollen auch Sie Ihr Land lieben und Gott die Seelen Ihres Heimatlandes aufopfern. Sie schließen sie ein in Ihre eigene Aufopferung und bewahren sie in Ihrem Herzen.

Das also, lieber Freund, ist das Geheimnis Ihrer Berufung. Sie müssen sich ohne Vorbehalte opfern, ich sage es noch einmal. Wir sind Brot und Wein, die wir auf dem Altare darbringen. Die Opfergabe, auf die das Wort Gottes herabsteigen und eine totale Umwandlung vollbringen soll, der des Messopfers ähnlich.

Im eucharistischen Opfer ändert sich die Substanz, die äußere Gestalt bleibt (Anm.: „Transsubstantiation“). Auch der Oblate soll äußerlich allen anderen Menschen gleichen: „Leben bedeutet für mich Christus…“ Sie verstehen all das und lieben es, denn das war es ja, was Sie zu uns gezogen hat, was Ihren Willen gewonnen und Ihnen die Worte in den Mund legte: „Ja, Vater!“

Sehen und gehen Sie voran im Licht des fleischgewordenen Wortes. Nähren Sie Ihre Seele damit in Ihren Gebeten und Betrachtungen. Wenn man zutiefst durchtränkt und durchdrungen ist von Gott und dann zu seinem Amt und den Pflichten seines Berufes zurückkehrt, dann gehört unser Arbeiten und Werken nicht mehr uns, es ist Eigentum unseres Erlösers geworden! All das sagen Sie dem lieben Gott, und uns geben Sie im gleichen Atemzug, mein lieber Freund, die Hoffnung, dass wir Ihnen einen guten  und heiligen Ordensmann gewonnen haben, der allezeit eingedenk bleibt, dass sein Noviziat nicht zu Ende geht, sondern Tag für Tag neu beginnt. Tag für Tag müssen wir dieses mühsame Werk der Selbstentäußerung fortsetzen, das schließlich zu jenem wunderbaren und hohen Bau führt, von dem der hl. Paulus spricht, den wir bis zum Himmel emporführen sollen.

Das Noviziat ist nach den Worten des hl. Bernhard die Eingangshalle zum Paradies. Ja, verweilen Sie in dieser Eingangshalle, wo man in Sicherheit lebt, die Gesänge der Engel, ihre Symphonien, das Ave Maria vernimmt und die Besuche des Erlösers empfängt.

Bleiben Sie alle Tage Ihres Lebens im Noviziat und verlassen Sie diesen so gesicherten und angenehmen Vorhof des Himmels nie. Wenn Sie sich gleich Gott zum Opfer bringen, werden sich unsere Gebete mit den Ihren bei Gott vereinigen. Sie werden Sie umgeben und einhüllen, wie Weihrauch die Opfergaben am Altar einhüllt. Wir werden Gott bitten, er möge die Fülle seiner Salbung und seiner Gnade und Stärke über Sie ausgießen, damit Ihre Tage, mein lieber Freund, glücklich und früchtereich werden. Dann werden Sie sich für den Himmel einen überfließenden Lohn verdienen, hat doch unser hl. Stifter versichert, wer diesem Weg folgt, werde von himmlischer Freude erfüllt. Diese aber beginnt hier unten schon und endet nie mehr dort oben: Und das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen.