21. Ansprache zum Fest Mariä Opferung am 21.11.1889.
-gehalten zu St. Bernhard-
Im Alten Testament findet sich ein Gedanke, der ständig wiederkehrt: Gott hat gesprochen, Gott hat den Menschen Verheißungen gemacht. Und dieses Gotteswort, dieses Testament Gottes soll dem ganzen göttlichen Werk als Grundlage und Stütze dienen. Als das jüdische Volk noch gering an Zahl war, ließ ihm Gott unaufhörlich einschärfen: Denkt daran, erinnert euch der Verheißungen, die Gott dem Abraham, Isaak und Jakob gegenüber tat. Denkt an dieses Testament Gottes!
Dies war der Ausdruck seines Willens über diesem Volk, das Zeugnis für die Beständigkeit und Ewigkeit seines Werkes. Alles war in diesem Wort eingeschlossen, alles gründete darauf, alles kreiste um es.
Die ganze Hl. Schrift war gleichsam in diesem Wort zusammengefasst. Kein Prophet sprach, ohne die Berufung Abrahams ins Gedächtnis zu rufen, und was Gott ihm und den alten Patriarchen gesagt hatte. Selbst die selige Jungfrau stützt sich im Magnifikat auf diese Verheißungen Abrahams und seiner Nachkommenschaft.
Auch der hl. Paulus erinnert auf dem Areopag an diese Anfänge des Glaubens. Vor allem in seinem Brief an die Hebräer geht er auf dieses geschichtliche Zeugnis der Grundlegung des göttlichen Testamentes ein. Er zählt Wort für Wort die hauptsächlichen Fakten dieses Alten Testamentes auf. Im Offizium des Donnerstages lässt uns die Kirche den Hochgesang des Moses rezitieren. Mose lebte ja nicht weit entfernt von diesen Zeiten, in denen der Pakt zwischen Gott und den Menschen geschlossen worden ist. Er erinnert sich und preist ihn: „Lasst uns dem Herrn singen!“
Heute Abend, meine Freunde, möchte ich euch sagen, dass auch wir genau so handeln müssen. Wir sollten alles gründen und aufbauen auf dem Worte Gottes, auf seinen Verheißungen, denn es ist unser einziges, unerschütterliches und unangreifbares Fundament.
Aus welchem Grund benötigte die Heimsuchung denn nie eine Reform? Warum sind die Kartäuser heute noch so eifrig wie am ersten Tag ihrer Gründung? Weil sie mit keinem Finger an ihrer Regel gerührt haben, die ihnen ihr erster Gründer, der hl. Bruno von Köln, gegeben hat. Skrupulöse Treue ist die wesentliche Garantie für die Beständigkeit ihres Ordens, für die Unversehrtheit ihres Ordensgeistes. Der Orden der Heimsuchung Mariä blieb erhalten, weil er seinen Satzungen, dem ihm von seinem hl. Stifter gegebenen Wort die Treue hielt. Ich sage euch diese Wahrheiten mit solchem Nachdruck, weil ihr ganz am Anfang steht. Unser kleines Institut ist erst einige Jahre alt (Anm.: „17 Jahre alt!“). An euch ist es, den ersten Gedanken, die erste Idee, der unserer Gründung vorschwebte, aufrecht zu erhalten, zu stärken, und durchzusetzen. An euch ist es, die Unversehrtheit des hl. Testamentes zu stützen und zu bewahren, keinen einzigen Artikel herausreißen zu lassen, kein Wort und kein Jota daran ändern zu lassen.
Die Existenz einer Kongregation hängt wesentlich davon ab. Mögen die Anfänge wie immer beschaffen sein, die Bedingungen aussehen wie sie wollen, die Sache selbst muss, so wie sie ist, aufrecht erhalten werden. Wenn man die Türangel verlagert, die Grundlage verändert, wird das ganze Werk zerfallen und kann nicht mehr bestehen. Ihr müsst also handeln wie das Volk Israel in der Wüste: Es scharte sich ehrfürchtig um die Wolkensäule, die ihm vorausging. Es folgte ihr Schritt für Schritt, passte sich all ihren Bewegungen an, allen Zeichen, die sie machte, voranzugehen oder stillzuhalten. Jeder von uns muss seinen ganzen guten Willen beibringen, um den ersten Stein und das Fundament des ganzen Gebäudes zu sichern.
Als man die Pyramiden Ägyptens baute, machte der erste Stein, den man da legte, nur einen Stein aus, der zweite und dritte bedeutete in sich betrachtet auch noch keine enorme Masse. Als man aber Stein auf Stein, Schicht auf Schicht legte, entstanden die unsterblichen Monumente.
Die Kathedrale von Troyes brauchte 200 Jahre, um ihre heutige Gestalt zu erreichen. Sie wäre eine der vollständigsten und wunderbarsten Baudenkmäler geworden, wenn man nicht den ursprünglichen Plan in manchen Einzelheiten abgeändert hätte. Alles, was dem Bauplan entsprechend gestaltet wurde, ist großartig geworden. Ihr könnt euch selber davon überzeugen. Alles Übrige aber verdirbt und verschandelt das Gebäude. So möge auch jeder von uns zur Schönheit und Festigkeit des Baues unseres Ordens beitragen, indem er sich treu an den ursprünglichen Plan hält. Jeder trage seinen Stein bei und lege ihn an den durch den Plan vorgesehenen Platz. Niemals, ich sage es noch einmal, hatte ein Werk Bestand, wenn man den ursprünglichen Gedanken abgeändert hat. Konzentrieren wir darum mit vereinten Kräften all unsere Anstrengungen auf die kleinen Steine, die ein jeder von uns zum Bau des Gebäudes beizubringen hat.
Hat man dieses Gebäude etwa auf abenteuerliche Weise in Angriff genommen? War es etwa nur die Wirkung eines Zufalls, der Phantasie, eines Bedürfnisses oder eines Einfalls, etwas Besonderes und Neues zu schaffen? Ihr wisst es, meine Freunde, dass ich nicht glaube, irgendein Institut der Welt habe mit sicheren himmlischen Garantien begonnen als das unsere. Geht nur die Kirchengeschichte durch, dann werdet ihr euch davon überzeugen.
Irgendetwas von diesen Anfängen erschüttern zu wollen, wäre eine Ruchlosigkeit. Der Wille Gottes ist zu offenkundig. Hat nicht unser Herr selbst gesprochen? Hat er nicht selbst angezeigt, was zu tun ist? War darüber überhaupt ein Irrtum möglich? Nein, denn der Hl. Vater selbst hat unsere Gründung voll und ganz gutgeheißen und bestätigt, hat sie durch seine allerhöchste und päpstliche Autorität bekräftigt.
Ich könnte euch bezüglich dieses Beweises und vieler anderer sehr positiver und gesicherter Bezeugungen dasselbe sagen, was Mose dem Volk Israel beim Auszug aus Ägypten gesagt hat: Er rief ihnen alle Verheißungen Gottes, die er Abraham, Isaak und Jakob gemacht hatte, ins Gedächtnis zurück. Ich könnte euch all die Warnungen der Propheten, das Magnifikat der allerseligsten Jungfrau und alle Predigten des hl. Paulus anführen.
Man zeigt heute noch das kleine Zimmer, wo sich die Juden um den hl. Paulus versammelten, wo der Apostel nicht vergaß, ihnen die ganze Überlieferung zu wiederholen und ihnen die Folgerung aller Ereignisse vor Augen führen, die sich in der Person Jesu Christi erfüllt haben.
Bringt auch ihr allen Glauben, allen Eifer und alle Frömmigkeit bei, um den begonnenen Bau unserer Kongregation weiterzuführen und zu festigen, damit er zu dem Punkt gelangt, wo Gott ihn im gegenwärtigen Augenblick haben will. Haben wir doch die Gewissheit, dass er später weiter wachsen wird.
So wie Mose beim Auszug aus Ägypten das Volk warnte, wenn es nicht auf dem Weg voranschreite, den er, der alle Verheißungen Gottes und die Zukunft der Welt in Händen hielt, ihm zeigen werde, so frage auch ich mich, ob ich nicht ein bisschen auch so verfahren könnte. Ihr seid im Gewissen und in heiligem Ernst verpflichtet, eurer Versprechungen und derer Gottes eingedenk zu sein. Von diesem Punkt heißt es ausgehen, um das Werk gut zu vollbringen, was der Gehorsam euch in der Genossenschaft zu tun auftragen wird.
Das vorausgesetzt, begreift ihr es als die Ersten, die am Anfang unseres Werkes stehen und den Marsch eröffnen. Mit eurem ganzen Willen und Herzen müsst ihr zu diesen Anfängen und den ersten Prinzipien stehen: Ihr müsst auch die anderen darauf verpflichten, müsst die Zukunft grundlegen und den Erfolg unseres Werkes durch große Treue, Liebe und Einheit untereinander, durch eure ungeteilte Hingabe an Regeln, Satzungen und Direktorium im Gehorsam sicherstellen.
Die Steine zum Bau unserer Kongregation sammeln sich nicht von selbst, wir müssen sie selber im Steinbruch holen, sie behauen und herbeifahren. Diese Arbeit wird uns vielleicht viel abverlangen, die Sonne unbarmherzig niederbrechen, die Prüfungen niederdrücken. Die Wasser der Trübsale werden hoch ansteigen und die Arbeit eurer Hände erschweren. Aber das alles geht vorüber und verschwindet, während das Wort und die Verheißungen Gottes bleiben.
Wenn ihr heute Abend eure Hand auf die hl. Evangelien legt, dann versprecht bitte Gott zu tun, was die Satzungen sagen! Ihr seid arm, keusch und gehorsam, aber glaubt nicht, das genüge. Ihr gelobt doch, „nach den Satzungen der Oblaten des hl. Franz v. Sales“. Was ihr zu unternehmen habt, sind ja keine persönlichen Dinge, ihr schafft vielmehr am gemeinsamen Werk! Armut, Keuschheit und Gehorsam können nicht genügen, vielmehr nennen euch die Satzungen die Art und Weise, wie ihr diese drei Gelübde gegenüber der Gemeinschaft halten sollt, wie sie mit Inhalt zu erfüllen sind. Es ist ja nicht notwendig, ins Kloster zu gehen, um Gelübde abzulegen. Nur dann, wenn ihr eure Gelübde gemäß unserer Satzung versteht und haltet, schafft ihr mit am gemeinsamen Werken und am Wachstum des Gebäudes.
Wenn ihr gleich eure Gelübde erneuert, dann erneuer auch euren Entschluss, am übernatürlichen und geistlichen Bau mitzuwirken, dem ihr angehört!
Nichts kann euch treffender die einzuschlagende Straße lehren als das Wort Gottes. Unser menschliches Wort und unser eigenes Denken können irren. Die guten Wünsche, die mich innerlich treiben, können mich vom rechten Weg abdrängen: „Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit.“ Um welches Wort Gottes handelt es sich da, welches ist das Testament Gottes für unser kleines Institut und für jeden von uns? Das sind eben die Satzungen, die die hl. Kirche uns von Seiten Gottes gegeben hat. Das allein ist wahr und sicher. Hört sie, und dann hört ihr die Wahrheit. Sie vermitteln euch das wahre Licht. Denn euer Denken ist nicht wahr, wenn es nicht dem Wort Gottes konform geht. „In Ihm schauen wir das Licht.“
Begreift gut, dass wir streng verpflichtet sind, in den Grenzen, die die hl. Regel bestimmt, die Beobachtung der guten Ordensdisziplin sicherzustellen. Das sollt ihr gleich Gott geloben. Macht es gut und aus ganzem Herzen!
Gott lässt sich an Großmut von uns nicht übertreffen, vertraut euch ihm darum ohne Vorbehalt an: „Ich übergebe mich Dir, mein Gott, ich übergebe Dir meinen Leib, meine Seele, meinen Willen und mein ganzes Sein. Ich gehöre Dir auf Grund meiner drei Gelübde, sowie durch meinen Orden und meine Ordensgemeinde. Ich bin somit Dein ohne jede Einschränkung.“ Möge Gott diese guten Entschlüsse eurer Seele segnen und euch die Gnade schenken, ihn zu lieben. Macht selber die Erfahrung, was dabei rauskommt, wenn ihr ihm nichts verweigert. Wie glücklich ist jeder, auf den Gott in seiner unendlichen Liebe seinen Blick geworfen hat, der an seinem Werk mitarbeitet, der in den Fußstapfen des Herrn voranschreitet. Sieht man solch einen Ordensmann dahin schreiten, so fühlt man, dass er ein beständiger Nachahmer Jesu hier auf Erden ist. Auch die Gläubigen spüren das, und selbst wer keinen Glauben hat, kann ihm seinen kann ihm seine Bewunderung nicht versagen. Sie alle danken dem Herrn, der Wohltaten spendend über diese Erde ging und heute noch Menschen nach seinem Bild aussendet. Die vollständige und ungeteilte Hingabe unser selbst erschließt darum allein den Sinn unseres Institutes, unserer Gründung und des göttlichen Testamentes über uns.
Wenn man die Hl. Schrift studiert, um es noch einmal zu sagen, muss man dies als Grundsatz aufstellen, sich auf diesen Standpunkt zu stellen, dann folgt eins aus dem anderen und alles bildet eine zusammenhängende Kette. Die entferntesten Ereignisse, zunächst unvereinbar scheinende Umstände schließen sich zusammen und gegen auf diesen Ausgangspunkt zurück.
Beten wir darum den hl. Willen Gottes bei der Gründung der Oblaten des hl. Franz v. Sales an. Übergeben wir ihm unser Wollen und Fühlen. Sagen wir Ja zu all unseren Pflichten. Man tut nur das gut, was man liebt, dann wird all euer Tun, wenn es Gott angenehm und dem Nächsten zum Nutzen ausschlägt, euch einen ewigen Lohn verdienen.
Wir wollen alle heute Abend unsere Gelübde erneuern, wie wir es bei der ersten Gelübdeablegung taten. Unser Herr wird uns als seine geliebten Kinder annehmen. Und in diesen Tagen der Angst und der Schmerzen trösten wir vielleicht irgendwie das Herz unserer Mutter, der hl. Kirche. Wir sind ihre jüngsten Kinder. Seien wir durch unsere Hingabe und unsere Liebe ihre Lieblingskinder, die Benjamine ihres Herzens. Dann wird Gott in den schweren und bösen Augenblicken unseres Lebens mit uns sein. Möge die hl. Jungfrau, unsere Mutter, uns bei der Erneuerung unserer Gelübde beistehen, möge sie sie entgegennehmen. Bewahre du meine Gelöbnisse, gute Mutter, du kannst mir geben, was ich brauche, um mich zu verteidigen. Du wirst mich stützen auf dem Weg dieses Lebens und bei der Ankunft am Himmelstor wirst du mir die Krone reichen, die jenen vorbehalten ist, die treu gekämpft haben.
