20. Ansprache zur Gelübdeablegung der P. Rabis und Guillaume
-gehalten zu St. Bernhard am 15.11.1889-
Meine Kinder, wenn ihr euch Gott jetzt naht, um euch seinem Dienst auf eine speziellere Art und Weise zu weihen, dann bereitet eure Seele auf Prüfungen vor. Auf härtere Heimsuchungen, als wenn ihr in der Welt verbliebet, Prüfungen im Inneren wie im Äußeren.
Ihr werdet mir sagen: Herr Pater, das ist nicht sehr einladend, was Sie uns da sagen! Und ich antworte euch mit jenem Wort des hl. Paulus, das er über den Herrn gesagt hat: „Um der vor ihm liegenden Freude willen unterzog er sich dem Kreuzestod.“ Er hat das Kreuz ins Auge gefasst, und sich so das Glück zum Ziel gesetzt, Freude und Jubel. Es ist in der Tat so: Wenn wir für Gott arbeiten, spüren wir vielleicht mitunter eine große und übermäßige Ermüdung. Doch der zu uns gesagt hat: „Kommt zu mir, ich will euch erquicken! Nehmt mein Joch auf euch, denn mein Joch ist süß und meine Bürde leicht“, der ist auf dem Höhepunkt der Ermüdung mit uns, meine Freunde, um euch zu stützen, um euch eine unbesiegbare Kraft zu verleihen, die echte Siege erringt.
Auch ihr werdet zweifellos außer euren Arbeiten, Prüfungen und Heimsuchungen zu ertragen haben, Versuchungen, die von draußen kommen. In der Stunde, in der wir leben, schleicht der Teufel wie ein brüllender Löwe um jene, die unseren Herrn lieben und zu ihm beten. Er wird unerhörte Anstrengungen machen, um euer Fortschreiten zu erschweren, um eure Werke zu bekämpfen. Zu diesem Zweck setzt er Mengen von Menschen ein, entfesselt alle jene, die Übel wollen und bedient sich sogar solcher, die Gutes wollen. Macht euch darum auf Widersprüche und Kämpfe gefasst. Der Erfolg ist euch immer garantiert. Ebenso wie der Heiland Sieger blieb, winkt auch euch inmitten der äußeren Kämpfe der Sieg. Der Versucherteufel wird euch dann unter einer anderen Form nahen, wird euch Mutlosigkeit schicken, Unruhe und gedrückte Stimmung. Ihr müsst Kämpfe ausfechten gegen euch selbst. Versagen, Ekel, die schlechten Gewohnheiten möchten eure Kräfte verzetteln. Erinnert euch dann, dass ihr die Kraft des Himmels in Händen habt, dass dieser Kampf euch eine Krone einbringen wird und ihr nimmermehr allein seid in dem Streit. Wenn ihr treu erfunden werdet im Direktorium und seine Übungen niemals aufgebt, wird unser Herr immer mit euch sein. Mittels des Paktes, den ihr heute mit ihm abschließt wird der Herr euch nie im Stich lassen. Wenn ihr euch vorbehaltlos seiner Führung übergebt, wird er euch niemals verlassen. Erschreckt darum nicht im Kampf, in der Gefahr, in der Versuchung. Tretet mutig ein in die Laufbahn (oder: in den Steinbruch) des Ordenslebens. Wie gut und schön sie doch ist, die ehrliche Seele, die wahrhaft Gott, sein Heil und seine Liebe sucht! Wie glücklich sie ist! Sie kennt keine Gewissensbisse, keine Reueschmerzen, keine Bitterkeit! Liebe Freunde, ich weiß nicht, was ihr für Gott geleistet habt. Was ich heute aber wohl weiß, ist, dass Gott euch liebt und euch Tausende und Abertausende anderen vorzieht, um euch den Weg dieser Berufung gehen zu lassen. Euch habe ich Freunde genannt, die anderen werden geleitet, unterrichtet. Es ist etwas anderes bei euch: Ihr seid meine Freunde, und werdet an meinem Herzen ruhen. Zu anderen sage ich Worte. Zu euch, den Freunden meiner Wahl, mit denen ich zusammenleben will, gebe ich Einsicht in alles, was mein Vater mir anvertraut hat, sein unaussprechliches Wort, das Geheimnis seiner Liebe. Worin besteht dieses „Geheimnis“?
In dem, was wir vor Gott sind, was wir aus uns selbst sind.
Das wird uns Gott verraten: Die Kenntnis unserer Seele sowie die Kenntnis der Seelen, mit denen wir zu tun haben. Dass wir Gott an den ihm stehenden Platz rücken hier unten, ihn sehen, wie er ist, ihn so sehen bei der Betrachtung, in unseren Gebeten, im Beichtstuhl, bei unseren Frömmigkeitsübungen, in den Handlungen der Seelsorge. Meine Freunde, hier geht es nicht um ein billiges Versprechen: Es geht uns um das Versprechen, dass wir dasselbe erhalten, was der hl. Franz v. Sales, was die Gute Mutter erhalten hat. Er lässt euch teilnehmen an dieser Erbschaft, ihr tretet in die direkte Teilhabe und Besitz mit ihnen ein. Seht ihr, das ist der Anteil, der euch heute zuteilwird: Ihr habt euch mir hingegeben und ich will euch mit meinen eigenen Händen stützen und in all eurem Tun und Lassen bis zur ewigen Glückseligkeit führen. An all diesen Dingen, ich wiederhole es, ist es ein Zweifel nicht möglich, diese Lehre und diese Gnaden sind euch sicher. Was unserem hl. Stifter und der Guten Mutter für euch übergeben wurde, wird jetzt euer Anteil. Habt nicht auch ihr da allen Grund auszurufen: Wie herrlich ist mein Anteil, wie wohl bemessen mein Erbe! „Mein Los fiel auf einen herrlichen Grund.“ Das Feld, das mir anvertraut ist, dehnt sich weit, es ist mit Blumen und Früchten überdeckt.
Herr, ich danke dir, ich habe nichts vorzuweisen, was eine solche Gunst rechtfertigt. Im Gegenteil, vielleicht habe ich alles getan, um dich von mir zu entfernen. Du gabst mir einen Wink, hast mich gerufen, und das göttliche Wort ist an mein Ohr geklungen. Du hast mir deine Hand entgegengestreckt und hast mich gegen dein Herz gedrückt. Dich habe ich Freund genannt.
Meine Freunde, diese Lehre ist wahr. Ihr gebührt Glauben. Daran müssen wir festhalten wie man an den Himmel und an die Hölle glaubt, so wie ihr an das Kind Jesus glaubt, an seine Geburt in der Krippe, seinen Tod am Kreuz und seine Himmelfahrt.
Glaubt an diese Gnaden, an diese Geheimnisse der Liebe Jesu Christi, glaubt an eure göttliche Sendung, die so sicher und wohlbegründet ist. Und dieser Glaube muss euch im Augenblick der Prüfung Stütze sein!
Ich habe geglaubt, hat der Apostel bekannt, und der Dulder Hiob fügt hinzu: „Diese Hoffnung ruht in meinem Herzen.“ Möge dieser Glaube und dieses Vertrauen Kern und Stern eures Lebens sein. Bewahrt sie treu und gebt sie an eurem letzten Lebenstag Gott unversehrt zurück, der euch als Gegengeschenk die kostbare Perle geben wird, die den Siegern vorbehalten ist: „Dem Sieger werde ich den weißen Stein geben.“ Dann werden euch die Augen aufgehen und ihr werdet auf dieser Perle den Namen lesen, den euch seine Liebe zugedacht hat. Dieser wird euer Glück in alle Ewigkeit begründen. Amen.
