Ansprachen

      

17. Ansprache zur Aufnahme ins Noviziat, gehalten zu Foicy, am 26.09.1889.

Liebe Freunde, ihr seid da, um ins Noviziat aufgenommen zu werden. Was heißt das, Novize zu werden? Sicher hat man es euch bereits in den Vorträgen gesagt. Die Novizen sind die Letzten der Letzten. Ist das ein Ausdruck frommer und übertriebener Andacht?  Man sagt es zwar, denkt aber innerlich, man habe dennoch seine Werte und stehe keinem anderen nach. In diesem Sinne sollten wir es aber nicht auslegen. Ihr seid nämlich keine Novizen, wenn ihr euch nicht darauf vorbereitet, echte Ordensleute zu werden, und euch darum geringer achtet als eure Mitbrüder. Die Letzten unter denen, die mit euch an dem Werk schaffen, das gerade euch aus all euren Bekannten aufgetragen ist.

Ihr seid die Letzten eurer Mitbrüder: Das ist durchaus verständlich, da ihr zu einem Zeitpunkt ankommt, wo die anderen bereits in ihrer Laufbahn Fortschritte machen, nachdem sie sich schon seit langem in den Kämpfen des Ordenslebens bewährt haben.

Sie haben ihre erste Bewährung hinter sich, die ersten Siege errungen, denen ihr noch nachjagt. Ihr kommt hier an, vergesst das nicht, beladen mit Fehlern, Schwächen, Gebrechlichkeiten und Unfähigkeiten. Ihr könnt eure Fehler und Sünden nicht leugnen.

Dürft ihr da behaupten, eure Sünden seien weniger groß als die der anderen? Wer darf das schon sagen? Darüber urteilt nur Gott. Glaubt ihr, die ihr christlich erzogen seid und mit Hilfe des Glaubens und mit den Vorrechten der Lieblingskinder Gottes ausgestattet seid, eure kleinen Verstöße würde das Herz Gottes nicht mehr verletzen als die groben Fehler jener, die nicht eure christliche Erziehung genossen haben? Gott wird euch sicher strenger beurteilen als sie. Ihr kommt hierher mit euren Fehlern und Schwächen, auch mit euren Talenten und Vorzügen: die einen wie die anderen nicht sehr bedeutend. Denn letztere nützen im Kloster nicht viel, wenn sie nicht eine solide religiöse Grundlage haben. Viele Ordensleute, die nicht schlecht begabt waren, haben ihre weltlichen Talente hinter sich geworfen, weil sie glaubten, es sei besser, all das zurückzulassen, um die Grenzen des Ordensstandes und des Himmels überschreiten zu können.

Seid zutiefst davon überzeugt, meine lieben Freunde: Will man ein tüchtiger Ordensmann werden, muss man sich durch die tiefste Demut auszeichnen.

Was ist denn die Demut? So fragt der hl. Bernhard. Gering von sich denken, sich für nichts halten, alle anderen sich selbst vorziehen. Für Novizen ist es ein wesentlicher Entschluss, verglichen mit den Funktionen, die ihnen jetzt und später anvertraut werden, sich sehr gering zu achten. Um diese Funktionen gut zu erfüllen, muss der naturhafte Mensch verschwinden, muss Gott selbst durch seinen Entschluss die Dinge machen. Da, wo der Mensch nichts mehr bedeutet, kommt Gott, sagt die Gute Mutter. Bleibt vom Menschen noch etwas zurück, kann Gott nicht den ganzen Platz einnehmen. Meine Freunde, seid darum überzeugt, nur mit Hilfe dieses Mittels leisten wir gute Arbeit.

Ich erinnere mich, in der Kartause von Bosserville drei Brüder gesehen zu haben, drei Jünglinge aus einer ausgezeichneten Familie der Umgebung. Sie klopften eines Tages alle drei an der Pforte des Klosters, um Aufnahme zu bitten. Der Prior wollte sie auf die Probe stellen. Er ließ ihnen durch den Schalter ein Stück Brot reichen, wie man es bei Bettlern tut.

Die jungen Männer erröteten, baten aber hartnäckig, den Pater Prior sehen zu dürfen. „Wer seid ihr“, fragte dieser ziemlich rau, „und was wollt ihr?“ – „Herr Pater“, antworteten diese, „wir bitten Sie, uns unter ihre Brüder aufzunehmen.“ – „Wer seid ihr und was könnt ihr?“ – „Wir sind Söhne eines Hausbesitzers der Umgebung. Unser jüngster Bruder ist beim Vater geblieben, und wir wollen im Kloster alles tun, was Sie wünschen. – „Ihr habt vielleicht gemeint, eure Arbeit zu Hause beim Vater sei für euch zu grob, und seid deshalb aus Trägheit hierhergekommen?“ Die jungen Männer wurden immer verlegener: „Nein, Herr Pater, nicht die Trägheit führt uns hierher, sondern der Wunsch, ins Kloster zu gehen. Geben sie uns die gröbsten und niedrigsten Arbeiten, dann erfüllen Sie alle unsere Wünsche.“ – „Seid ihr denn überhaupt fähig, diese geziemend zu verrichten?“ – „Mit der Gnade Gottes hoffen wir es.“ – „Nun gut, eure Wünsche sollen in Erfüllung gehen.“ Und der Prior hielt Wort. Ich sah sie alle drei: Der eine besorgte die Wäsche des Hauses, und dies Geschäft liegt Männern gar nicht. Der zweite machte Käse, und die Luft, die ihn umgab, war weit entfernt, wohlduftend zu sein. Und der dritte versah ein Geschäft, das noch mehr stank. Ich sah sie alle drei in vollendeter Heiligkeit. Die strahlte von ihren Gesichtern und verlieh ihnen ein Aussehen, wie ich es sonst nirgendwo erlebte. Es war wunderbar und übertraf die natürlichen Kräfte.

Das also heißt Demut, nicht wahr: „Liebe es, unbekannt zu sein und für nichts geachtet zu werden.“ Wie ist dies Wort doch köstlich, rief der hl. Bernhard aus. Der Novize, der dieses Wort verstanden hat, sieht die Pforte des Himmels geöffnet vor sich. Und Bernhard fährt fort: Ja, die Pforten des Himmels stehen ihm schon hier unten offen, und er vernimmt die Harmonien der Engel. Seid darum demütig gegen alle. Der Ordensmann, der so viele Gnaden von Gott erhält, darf sich selbst niemals irgendjemandem vorziehen. Der Mensch, dem er sich vorzöge, wäre vielleicht zehnmal, hundertmal vollkommener in den Augen Gottes als er. Der hl. Pachomius hat achtzig Jahre in der Wüste verbracht, in die er sich schon mit fünfzehn Jahren zurückgezogen hatte. In seinem Gebet kommt ihm der Gedanke der Eigenliebe: Er hatte gut gearbeitet, viel gelitten. Das klösterliche Leben brachte ihm viel Härten und Schwierigkeiten: „Ich möchte gern wissen, welchen Anteil am Paradies mir meine Verdienste und Leiden einbringen werden.“ Und der Geist Gottes sagte zum Heiligen: „Nimm deinen Stab und geh nach Alexandrien!“

Er macht sich auf den Weg und trifft dort ein, als eine innere Stimme ihm sagt,  er möge eine abgelegene Gasse entlang gehen. Er kommt zu einer Tür. Da findest du zwei Personen, die den gleichen Lohn wie du verdient haben. Er klopft, und eine junge Frau öffnet ihm. „Sind Sie die Herrin des Hauses?“ – „Nein, meine Schwester wohnt mit mir.“ – „Was macht ihr? Was seid ihr?“ – „Wir sind zwei junge Frauen, Gattinnen zweier Offiziere, die am Hof des Kaisers Dienst tun, und uns hier allein zurückgelassen haben.“

Der Heilige beginnt nachzudenken. Das alles kommt ihm komisch vor. – „Macht ihr lange Betrachtungen?“ – „Wir haben nicht immer die Zeit dazu, aber wir opfern all unsere Handlungen Gott auf.“ – „Fastet ihr?“ – „Wir beschränken uns auf das kirchlich vorgeschriebene Fasten.“ – „Welche Gelübde habt ihr abgelegt?“ – „Keins, nur einige Tage vor unserer Hochzeit haben wir Gott versprochen, niemals ein Wort gegen unseren Mit-Menschen zu sagen.“ – „Und sonst tut ihr nichts Besonderes?“ – „Nein.“ Der hl. Pachomius nahm seinen Stab wieder und kehrte in die Wüste zurück. Er hatte genug gesehen…

Der Ordensmann steht also an Rang unter allen Menschen, mit denen er zusammenlebt. Er stellt sich niemals über die anderen, denen er begegnet. Wenn sie Böses tun und Böses denken, ist das immer ihre Schuld? Wären wir an ihrem Platz gestanden, was hätten wir wohl gesündigt? Werdet ihr zu behaupten wagen: Ich bin besser als sie? Dann würde euch Gott alle Gnaden vor Augen halten, die er euch zuteilte. Darum lege ich euch vor allem ans Herz, dass ihr euch nicht als das Urbild des Guten betrachtet, euch nie zum Richter aufwerft und nicht alles nach eurem Maß messen wollt. Seid bescheiden! Hättet ihr nicht mehr Gnaden empfangen als die anderen, wärt ihr dann nicht ebenso zugrunde gegangen wie die anderen? Gott ist es, der die Berufung und die Gnade, ihr zu folgen schenkt. Ohne Zweifel ist unsere derzeitige Gesellschaft krank, und die Familien werden gezüchtigt, weil sie keine Priester und Ordensleute mehr zur Verfügung stellen. Wie viele missachten ihre Berufung! Ein junger Mann, der seine Berufung verfehlt, wird leicht ein schlechter Mensch. Eine unendlich kostbare Gnade hat euch Gott damit erwiesen, dass er euch den Beruf schenkte und bewahrt. Bewahrt ihn in einem wohlverschlossenen Gefäß und haltet es gut verschlossen, sagt der hl. Bernhard: Lasst seinen Duft nicht entweichen. Diesen Wohlgeruch sollt ihr vielmehr mit Furcht und Zittern, mit allen erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen herumtragen, damit er sich nur nicht verliert. Vergleicht euch nie mit anderen Ordensleuten oder Weltpriestern. Tut das nicht, Gott würde euch strafen.

Die Mitglieder anderer Orden haben mehr Tugenden und Fähigkeiten als ihr. Das Thema geht euch nichts an. Setzt euch immer an den letzten Platz. Und in Bezug auf den Weltklerus gilt das gleiche. Man hat eine überraschende Feststellung gemacht: Nach der französischen Revolution haben die Ordensleute im Allgemeinen nicht dasselbe gute Beispiel gegeben wie Pfarrer.

Und viele, die in einer Ordensgemeinde ziemlich gute Ordensleute gewesen sind, gaben eine ziemlich traurige Figur als Pfarrer inmitten der Welt ab.

Ihr seht schon, meine Freunde, welch große Furcht des Herrn euch erfüllen muss. Ihr wandelt auf glühenden Kohlen. Gott kann euch seine Gnade entziehen, und tut er das, dann steht ihr tief unter allen anderen Geschöpfen. Fasst darum heute noch den Vorsatz, vollkommen demütig und klein zu sein. Es ist etwas so Schönes um die Demut. Eines Tages besprach man sich darüber vor dem hl. Bernhard. Es waren Prinzen und Gutsherren. Bernhard aber schwieg. „Warum sagen Sie, das Licht der Kirche, nichts dazu?“ „Ich bin kein Licht der Kirche“, antwortete er bescheiden. „Wenn ich spreche, dann nur im Rahmen des Lichtes, das mir in diesem Augenblick gerade gegeben wird und aus dessen Kreis ich mich nie zu entfernen hoffe. Wenn ich aber nichts sage, dann habe ich eben keinen Namen und keinen Platz mehr und bin nichts, absolut nichts.“

Heute wollen wir euch in die Kongregation der Oblaten des hl. Franz v. Sales aufnehmen. Der Novize gehört bereits zur Genossenschaft, in die er aufgenommen wird. Als wesentliche Voraussetzung seiner Zulassung muss er vom festen Willen beseelt sein, vollkommen demütig zu sein. Wir sind gering an Zahl, klein und unbedeutend an Tugend. Ohne einen besonderen Beistand Gottes vermögen wir nichts. Wir befinden uns unter den Letzten und Geringsten im Haus des Familienvaters. Wir bekennen offen, dass wir unsere Füße in die Fußstapfen des Erlösers setzen, d.h. dass wir nicht den kleinsten Schritt außerhalb des Gehorsams vollziehen. Die ganze Frucht unseres Mühens und unserer Werke verdanken wir unsrer Kleinheit. Wo Gott alles in allem ist, was bleibt da schon an Verdienst für den Arbeiter? Vergessen wir das nicht, wenn wir am Weinberg des Herrn schaffen. Diese Kleinheit und die niedere Stellung erstrecken sich bei uns bis zur Annahme der Missionen und Ämter, die andere zurückweisen. Das weiß man in Rom.

Unsere Patres sind in Afrika in einem sehr armen Land und einer sehr heiklen Lage. Sie wollten die Ernte einbringen, als die Heuschrecken alles wegfraßen. Im Sommer haben sie es sehr heiß dort, im Winter ist es kalt, und zum Heizen fehlt ihnen das Holz. Es fehlt an allem. So steht es dort, lest nur ihre Briefe. Und doch gibt Gott ihnen so überfließende Tröstungen, dass sie ihre armen Hottentotten niemals verlassen würden.

In Ecuador ist die Lage ein bisschen besser, äußerlich gesehen. Aber auch dort welche Mühseligkeiten, welche Heimsuchungen! Der Hl. Vater schickt uns nach Griechenland. Auch dort erwarten uns Kämpfe und Prüfungen, Schisma und Islam haben dorthin große Unordnungen und hitzige Kriege gebracht.

Unsere Lage ist somit überall sehr mühselig und bescheiden. So sagte auch der Bischof vom Kap: Nur die Oblaten können dahin gehen, diese Erde bearbeiten und diesen enterbten und armen Völkern den Weg der Erde und des Himmels zeigen. Liebt darum eure bescheidene Berufung. Befleißigt euch, die Kleinsten von allen zu sein, dann wird eure Berufung euch Glück bringen. Unser Herr ist nicht auf die Erde gekommen, um in den Palästen zu wohnen. Er kam nicht, um Befehle zu erteilen. Er hat gehorcht, hat sein ganzes Leben in Mühsal, Demütigungen und Zurückweisungen zugebracht. Das ist auch unser Anteil, meine Freunde, und das möchte ich euch unablässig ins Bewusstsein rufen. Seid demütig, seid heilig. Auf diese Weise liebt man Gott, so erweist man einige Dienste hier auf Erden und erhält einen Platz im Himmel.