16. Ansprache vom 21.11.1888.
Unser Herr hat gesagt: Ohne mich könnt ihr nichts tun. Wir müssen folglich das Mittel finden, ohne ihn nichts in Angriff zu nehmen, immer mit ihm zu sein. „Der Herr sei mit euch“, sagt der Priester oft bei der hl. Messe und vor den Orationen, in denen er sich unmittelbar an Gott wendet.
Welches Mittel können wir anwenden, um immer in Gemeinschaft mit Gott zu sein, da ohne seine Mitarbeit doch alles nutzlos ist? Der hl. Thomas lehrt, dass für dieses „Der Herr (sei) mit Euch“ vier Punkte zu beachten sind, und dass der Herr zuerst durch den Glauben mit uns ist.
1. Durch den Glauben vereinigt sich unsere Intelligenz mit der Intelligenz Gottes. Wir wirken, handeln und reden dann nur auf Grund der Einheit unseres Verstandes mit dem göttlichen. Das ist der Glaube: Durch den Glauben wohnen wir in Gott, schaffen wir in Gott. Diesen Glauben muss der Oblate des hl. Franz v. Sales ohne Grenzen und Schranken besitzen. „Habt den Glauben Gottes“, versteht dieses Wort wohl. Es heißt nicht bloß an Gott zu glauben, sondern alles zu glauben, was Gott glaubt.
Euer Glaube muss also ganz tief verankert und begründet und aktiv sein. Vermehrt euren Glauben, indem ihr immer wieder Glaubensakte setzt. Beseelt eure Gebete mit Gesinnungen des Glaubens. Bittet Gott, indem ihr fest überzeugt seid, es zu erhalten. „Amen, ich sage euch: Wenn ihr zu diesem Berg sagt: ‚Wirf dich ins Meer‘, so er wird es tun.“ Mehrt also unablässig in euch diesen Glaubensgeist, der einfach und herzlich sein soll, und von der Allmacht Gottes überzeugt ist. Dieser sanfte, aber vertrauensvolle Glaube schwört auf Gott und seine Allmacht und seine Liebe. Gewiss wollen wir uns hüten vor der Leichtgläubigkeit, die alles glaubt, alle Geschichten, die man ihr auftischt, für wahr hält. Haben wir vielmehr jenen Glauben, der all das glaubt, was Gott glaubt und will. Bittet heute den Herrn darum und praktiziert ihn alle Tage eures Lebens. Das lehrt auch der hl. Franz v. Sales. Würden wir nicht immer so kritisch urteilen, sondern alle Worte des Evangeliums wörtlich nehmen, so würde unser Glauben kein Zaudern kennen. Er wäre einfach, unkompliziert und unerschütterlich. Glaubt also an das Evangelium, glaubt an alle Dinge des Ordenslebens, der Guten Mutter. Liebt all das. Glaubt daran mit eurem Herzen, wie gut geartete Kinder auf die Güte, Macht und Stärke ihres Vaters vertrauen. Wenn ihr diesen Glauben habt, wohnt Gott in euch.
2. Gott wohnt zweitens in euch auf Grund der Eintracht, der brüderlichen Liebe. Was sagt unser Herr? „In Wahrheit sage ich euch, wo zwei oder drei über irgendetwas einig sind, sich verständigen, bin ich mitten unter ihnen.“ Übereinkunft und Übereinstimmung ist noch nicht Liebe, sondern fast eine materielle Verständnisbereitschaft. Also jedes Mal, wo ihr euch über irgendetwas verständigt, bin ich mit von der Partie. Ein großes Mittel also, dass wir Gott in unsere Mitte herabziehen, ist, auf seinen Eigenwillen zu verzichten. Damit gewinnen wir gleichsam eine Macht, die gleichsam die Regeln des Verstandes, die Macht der bloßen Vernunft überschreitet.
Dann betreibt unser Herr selbst unsere Angelegenheiten. Er kommt in unsere Mitte, und das, obwohl es sich da nicht einmal um ausgesprochen übernatürliche Dinge, um das Heil der Seelen und die größere Ehre Gottes handelt. Tut das und seid dann überzeugt, dass Gott in eurer Mitte weilt: Der Herr sei mit Euch!
Der hl. Thomas von Aquin lehrt, die Macht des Ordensstandes liege gerade darin, dass jeder Ordensmann im guten Einvernehmen mit seinen Mitbrüdern leben muss, sich ihrem Willen angleichen sich seiner eigenen Ansichten entäußern und den vielleicht weniger vollkommenen eigenen Einsichten seiner Mitbrüder anpassen muss. Das ist in Wahrheit eine äußerst ungewöhnliche und seltsame Verheißung unseres Herrn. Wird diese äußere Eintracht aber zu einer wahren Liebe, dann wird die Einheit mit Gott auch umso kompletter und unauflöslicher.
3. Die dritte Art und Weise, in Einheit mit dem Herrn zu sein, ist der Gehorsam. Der ganze, bedingungslose Gehorsam bewirkt nämlich, dass wir mit unserem Herrn in Lebensgemeinschaft wohnen. Sagt er doch: Nicht die, die zu mir schreien „Herr, Herr“ gehen in das Himmelreich ein, sondern jene, die den Willen meines Vaters tun… Wenn ihr meine Gebote befolgt, bin ich mit euch. Das heißt: Der Gehorsam und ich bilden nur eins, wie ich eins bin mit meinem Vater. Im Ordensstand aber ist der Gehorsam die immerwährende Triebfeder. Der Weltpriester hat diese Hilfsquellen nicht zur Verfügung. Gewiss gehorcht er den großen Geboten der hl. Kirche und gehört zu jener gewaltigen Armee, wo jedermann zu den gegebenen Zeiten gewissenhaft mit marschiert. Der Gehorsam erreicht ihn mehr allgemein, der klösterliche Gehorsam den Willen bis ins Einzelne hinein erreicht. Der hl. Thomas lehrt, der Ordensmann habe das Monopol des Gehorsams. Er kann ungeheure und unglaubliche Früchte davon ernten. Der Gehorsame spricht von Siegen, nicht nur über sich selbst, sondern auch über das Herz Gottes. Gott wohnt in ihm, er geht und arbeitet also in seiner Gesellschaft.
4. Der hl. Thomas fügt noch eine vierte Bedingung hinzu, dass Gott in uns eingeht: Durch das Gebet, die Betrachtung. Er führt dabei den Text der Geheimen Offenbarung an: „Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe. Wenn einer meine Stimme hört, und mir öffnet, bei dem will ich einkehren und mit ihm Gastmahl halten und er mit mir.“ Ich habe angeklopft und ihr habt mir geöffnet, ich habe mit euch gespeist und wart eins mit euch. Des Morgens bei der Betrachtung und des Abends bei der Besuchung des Allerheiligsten soll unsere Seele ganz herzliche Zwiesprache mit Gott halten. Das Herz muss die Initiative ergreifen, Gott annehmen und sich Ihm übergeben. Die Betrachtung, wie die Gute Mutter sie lehrt, ist nichts anderes als eine Unterhaltung der Seele mit Gott über unsere Angelegenheiten. Der Oblate gewöhnt es sich an, sich jeden Tag in seinem Schaffen nicht zu isolieren, nicht allein seinen Weg zu suchen und seine Last zu tragen. Er bringt jederzeit Gott mit ein, die Hälfte von allem zu tragen. Die so gehaltene Betrachtung macht uns zu echten Ordensleuten und Oblaten. Was verleiht uns denn unsere Form, unsere Gesinnung, unsere Art zu urteilen, unser Ich? Die Übergabe unseres ganzen Seins an Gott und die vollständige Vereinigung Gottes mit uns. Und dieser göttliche Austausch geschieht gerade in der Betrachtung. Die so gehandhabte und vor allem von den Ordensleuten praktizierte Betrachtung, sagt der hl. Thomas, bewirkt wunderbare Dinge. Sie befreit unser Herz in allem, was die göttliche Gegenwart mindert kraft der uns einwohnenden Gnade des Hl. Geistes. Dann befinden wir uns im Strom des wahren Lebens. Wir leben nicht mehr uns, und infolge des inneren Gebetes dringt das wahre Leben tief in uns ein.
Diese Betrachtung darf sich nicht auf das Morgen- und Abendopfer beschränken. Sie darf keine Unterbrechung kennen. Die Unterhaltung unserer Seele mit Gott muss immer währen! Man muss immer beten, und darf nie nachlassen. Wie ist dieses Wort zu verstehen? Können wir nicht denn ständig Gebetsformeln benutzen? Das gewiss nicht. Beten wir vielmehr mittels aller Handlungen, die wir für Gott tun. Durch die Akte des Glaubens, des Gehorsams, der brüderlichen Liebe, des Verzichtes, besonders durch jenen Zustand der Vereinigung, des inneren Lebens mit Gott, der Mitwirkung mit der Gnade, die nur die Verwirklichung unseres Gelöbnisses der Subdiakonatsweihe, des Lebens mit Gott, des „der Herr sei mit Euch“ ist. Gehen wir auf diesem Weg voran, und in dem Augenblick, wo wir unsere Ordensgelübde Gott erneuern, die fern von uns weilen, geben wir uns doch alle ganz Gott hin! Die Last unserer Patres in den Missionen ist schwerer zu tragen als die unsere, ihre Tagewerke sind mühsamer, ihr Brot ungesicherter. Sie sind Versuchungen und Kämpfen unterworfen, die von Seiten des Teufels und seiner Helfershelfer viel heftiger toben als die unseren. Der Dämon der Wüste ist schrecklich. Der Satan, der in unbewohnten Gegenden haust, sucht, jener habhaft zu werden, die vorbeikommen. Hat sich der Teufel nun eines Wanderers bemächtigen können, dann übt er eine grausame Herrschaft über ihn aus. Das will die Hl. Schrift aussagen. Unsere Patres stehen allein. Helfen wir ihnen, rufen wir sie durch die hl. Liebe in unsere Mitte, lassen wir sie teilnehmen an unserer Überfülle, an unserem Frieden, unserer Ruhe, den Gunsterweisen, mit denen Gott uns so überreich bedenkt, damit unsere Einheit vollkommen werde, und unsere ganze Gemeinschaft die Kraft finde, das zu verwirklichen, wozu wir ins Leben gerufen wurden, was wir in unseren Gelübden versprechen, und wir so den Willen Gottes und die Wünsche der hl. Kirche erfüllen. Möge Gott mit uns sein. Er ist mit uns, wie er es mit den ersten Einsiedlern und den ersten Mönchen war. Der hl. Antonius der Einsiedler rief in der Versuchung aus: „Herr, wo bist Du?“ – „Antonius, ich bin bei Dir“, antwortete unser Herr, „besonders in der Versuchung.“ Herr, wir glauben, dass du mit uns bist und wir wollen alles tun, was in unseren Kräften steht, damit du immer bei uns bleibst. Amen.
