Exerzitienvorträge 1900

      

8. Vortrag: Predigt und Versuchung.

Liebe Freunde, die zu kurzen Exerzitien erlauben es mir nicht, alle notwendigen Themen zu behandeln, wie ich es gewünscht hätte. Sagen wir ein Wort über die Predigt, und nachher über einen sehr ernsten Gegenstand.

Hört gut zu, was die Predigt vorstellt: Wer? Was? Nur dann könnt ihr predigen.

Wer? Vor wem steht ihr, welches sind eure Zuhörer? Was? Worüber sollt ihr zu ihnen sprechen? Welche Wahrheiten wollen ihre Seelen unbedingt wissen und müssen wir ihnen sagen?

Wer? Habt ihr Kinder oder Schüler vor euch, dann drückt euch recht klar aus. Was würde es nützen, wenn sie euch nicht verstehen? Sprecht ihr zu Mädchen, Jungen, Bauern und Landleuten, Städtern und Kaufleuten, so sagt ihnen, was sie interessieren kann, was ihnen nützt, was sie brauchen. Und sagt es auf eine verständliche Weise, dass sie euch anhören, dass sie angerührt und überzeugt werden.

Was? Über das Beten sollt ihr ihnen sprechen. Erklärt den Kindern, dass sie beten müssen. Gebt ihnen Beweggründe nach ihrer Fassungskraft, die sie aufhorchen lassen und sie rühren, die sie verstehen und sich merken. Erklärt ihnen dann, wie sie beten sollen und packt ihre Willenskraft. Ihr verliert eure Zeit und stoßt eure Zuhörer ab, wenn ihr aus einem Predigtbuch abschreibt.

Werdet euch erst darüber klar, was ihr sagen wollt. Welches Publikum da vor euch sitzt. Welche Mittel euch zur Verfügung stehen, um jeden dahin zu bringen, wo ihr ihn haben wollt. Ihr müsst ja ganz verschiedene Dinge verlangen von jungen Burschen, jungen Mädchen, Bauern oder Kaufleuten aus der Stadt.

Lest nur den hl. Chrysostomos, wie er seine Zuhörer begeisterte. Zu den Damen von Konstantinopel sprach er, wie man zu Damen sprechen muss. Zu den Schiffern und Seeleuten redete er entsprechend ihren Bedürfnissen, so wie er Ordensleute gemäß ihren Bedürfnissen anredete. Das was er sagt, und die Art, wie er es sagt, wechseln beständig je nach den verschiedenen Kategorien der Zuhörerschaft.

Ich weiß sehr wohl, dass es leichter ist, einem Predigtbuch ein fertiges Thema zu entnehmen, das in zwei oder drei Punkte untergeteilt ist, und es unverändert vorzutragen. Dann aber wird euch niemand verstehen, anhören und sich dafür interessieren. Bischof Mermillod bedauerte unendlich, dass das erste vatikanische Konzil (1870/1871) nicht zu Ende geführt wurde, weil man sich da eine Reform der Predigttätigkeit vorgenommen hätte… (Anm.: „Diese Sache wurde erst in den Jahren 1962-1966 im zweiten vatikanischen Konzil durch die Einführung der Volkssprache in der Messe und anderen Dingen in dieser Frage geklärt…“). Mit Verlaub, man spreche halt zu den Menschen, die vor einem stehen und sage jedem, was ihm nottut.

Sollen wir deshalb in eine bedauerliche Derbheit des Stils verfallen? Auf keinen Fall, das Wort Gottes verdient immer eine hohe Ehrfurcht nach allen Regeln der Schicklichkeit. Sprecht darum korrekt, sogar in einem gepflegten Stil, wie es eurem Thema entspricht und Gottes würdig ist, würdig auch der Zuhörer unter eurer Kanzel. Immer wenn ihr euch auf diesen Standpunkt stellt und im Namen Gottes predigt, besteht keine Gefahr, dass ihr in einen derben und ungeziemenden Stil verfallt.

Haltet auch eure Vorträge in diesem Sinn. Bereitet sie vor, sammelt Stoff, führt Hefte für eure Lektüre und macht euch Notizen. Fügt euren Notizen den Band, die Seite bei. Ihr habt z.B. diese Einzelheit, dieses Vorkommnis, diese Überlegung gefunden, was euch bei eurer Beweisführung als Stütze dienen, bei euren Predigten einen Dienst leisten kann. So wisst ihr jederzeit etwas zu sagen. Das erfordert natürlich Arbeit. Ein Prediger wird man nicht an einem Tag, und eine gute Lektion ist der Preis eines ganzen Lebens. Wenn wir diese Methode anwenden, vermeiden wir den großen Missstand des Predigtamtes. Wir haben alle unsere Vorratskammer, unsere „Gemäldegalerie“. Daraus schöpfen wir, was wir sagen wollen, holen unsere Lebensmittel… Wenn aber nichts darin ist, drehen wir uns immer im selben Kreis und langweilen bald unsere Zuhörer, indem wir ihnen ständig dieselbe Speise anbieten. All unsere Bemühungen, Arbeiten und Studien sollten nur dazu dienen, unablässig unsere Hilfsquellen zu erneuern.

Ich empfehle euch dringend das Evangelium und die ganze Hl. Schrift als Quelle für eure Ansprachen und Predigten sowie für die Katechismusstunden. Nehmt mit Vorliebe eure Beispiele aus der Heilsgeschichte. Nährt eure Rede mit dem göttlichen Wort: Es liegt eine spezielle Gnade und Wirksamkeit darin, sie anzuführen und sich daraus zu bedienen. Seht den hl. Bernard an: Seine Predigten sind dermaßen mit der Hl. Schrift gespickt, dass es bislang, ja sogar häufig, die Worte des Bibeltextes sind, die das Gewebe seiner Rede bilden. Ich sage nicht, es sei leicht, genauso zu verfahren wie er. Aber ihr könnt euch überzeugen, welche Wirkung das seinem Worte verleiht.

Eine Jugenderinnerung: Als ich in das Kleine Seminar zu Troyes kam, lernte ich dort in der Sexta einen Mitschüler kennen, der aus Arcis-sur-Aube stammte. Er sprach mir vom Pfarrer von Arcis, der im Ruf stand, ein guter Prediger zu sein, und fügte hinzu: Ich höre den Pfarrer gern predigen. Seine Predigten gleichen in keiner Weise den Predigten anderer. Die Worte, die er sagt, die Geschichten, die er erzählt, überrauschen mich und fesseln mich ganz anders als die Predigten der anderen. Ich weiß nicht, woher er das alles nimmt. Einige Zeit darauf sagte mir derselbe Mitschüler ganz freudig: Jetzt weiß ich, warum unser Pfarrer so gut predigt: In der Bibel schöpft er, was er predigt. Das finde ich seine schönen Geschichten wieder und all das, was mir an seinen Predigten so sehr gefiel… Der natürliche Instinkt dieses Kindes hatte ihn also nicht getäuscht: Der Pfarrer war so beredt, weil er mit der Bibel predigte.

Gebrauchen auch wir gern die Hl. Schrift. Sammelt alles sorgfältig, was euch geeignet erscheint, diese oder jene Wahrheit zu entwickeln, und Eindruck machen auf die Seelen, die ihr ermahnen wollt. Sammelt alle Tatsachen, die aus der Bibel angeführt werden können, um die Lehre zu stützen, die ihr vortragen wollt, mit denen ihr in schwierigen Lagen trösten und ermuntern könnt. Hier schöpft ihr an der Quelle. War es nicht Bossuet, der gesagt hat, mit der Bibel und einer Konkordanz derselben könne man die Kirche mit ungeahntem Lichterglanz erleuchten?

Möchten doch die Oblaten so mithilfe ihrer Notizen einfach und fromm und übernatürlich sprechen! … Statt mit viel Aufwand und Geräusch zu predigen, möge sie nur sprechen (plaudern), dann werden sie auch Erfolg haben.

Lasst mich ein Wort anführen, das ich schon oft zitiert habe und das mir Freude macht. Es ist eine Überlegung des Kardinal Perraud, des Bischofs von Autun, das mir Professor Chevalier berichtete. Herr Chevalier hielt die Fastenpredigten von Autun und war Gast des Bischofs. Der Kardinal fragte den Prediger, der früher Lehrer in St. Bernard war, über unsere Art vorzugehen und zu predigen. Zum Schluss sagte der Kardinal: „Ja, ich verstehe, Pater Brisson und die Oblaten predigen nicht (= halten keine Kanzelreden), sondern sie sprechen…“ Meine Freunde, das sollte man immer von uns sagen können: sie sprechen.

Unsere Patres, die das Predigtapostolat ausüben, können bestätigen, dass man auf diese Weise den Seelen viel Gutes tut.

Auch unser hl. Stifter hatte diese Methode. Zu Beginn seiner Tätigkeit fand sein Vater, der ein bisschen was von Literatur verstand, sein Predigen zu einfach, es zeige zu wenig Wissen. „Zu meiner Zeit“, meinte er, „hielten es die Prediger anders: Sie führten in einer einzigen Predigt mehr Latein und Griechisch ins Fels als Du in zehn…“ Der Propst aber sagte ja und fuhr fort so zu sprechen, dass er verstanden wurde. Er sprach ganz einfach.

Und wir wollen die treuen Nachahmer unseres Heiligen sein. Heute Abend möchte ich euch aber nicht nur über das Predigtamt sprechen, sondern noch einen sehr wichtigen Gegenstand behandeln: „Et ne nos inducas in tentationem.“ (Anm.: „Und führe uns nicht in Versuchung.“). Die Oblaten des hl. Franz v. Sales sollen unseren Herrn nachahmen, ihr Leben soll die Fortsetzung seines Lebens sein. Und zufällig sind die Versuchungen, die unser Herr zu bestehen hatte, dieselben, die auch den Oblaten vorbehalten sind.

Unser Herr wurde zunächst in die Wüste geführt, um dort versucht zu werden. Die erste Versuchung: „Dic ut lapides isti panes fiant.“ (Anm.: „Sag, dass diese Steine zu Brot werden.“). Das ist die Versuchung zum Vergnügen im Angesicht der strengen Pflicht, zur Sinnenlust, zur Weichlichkeit der Affekte. Was ist da zu sagen? Was zu tun? „Non in solo pane vivit homo“ (Anm.; „Der Mensch lebt nicht allein vom Brot.“), von der Befriedigung. Er lebt nicht zu seinem Vergnügen, sondern vom Wort des Vaters, der im Himmel ist, lebt von seinem Vertrauen auf Gott. Das sollen wir sagen und tun inmitten der Versuchung.

Die Versuchung der Sinnlichkeit hat wie jede Versuchung ihren Platz in der Ordnung der Vorsehung. Ist sie ein Zeichen des Fluches? Ist die versuchte Seele von Gott verlassen? Bestimmt nicht. Wenn die Versuchung gespürt und ertragen wird, wie es sich gehört, wird sie zu einem kostbaren Mittel der Heiligung. Und die am meisten versuchte und geprüfte Seele wird von Gott nicht nur nicht verstoßen, sondern er ruft sie sogar an seinen Thron. Er will, dass sie ganz nahe an seinen Thron herankomme, so wie es von den Engeln gesagt wird, sie stünden vor dem Throne Gottes. Wohin wird Gott sie aber ausschicken? Zur Eroberung von Seelen. Denn göttliche Kraft, Tugend und Energie sind auf sie herabgekommen aufgrund der Versuchung. Gott hat sie ausgewählt als Träger seiner Allmacht. Wen die am meisten versuchten Seelen sich in der Versuchung treu bewähren, werden sie die eifrigsten im Dienste Gottes. Welcher Apostel hat die meisten Bekehrungen erwirkt? Der, dessen Wort den stärksten Widerhall erntete und zugleich am meisten Kraft und Leben ausstrahlte. Und das war der, der vom Engel des Satans ins Gesicht geschlagen wurde. Wer also versucht wird, möge nur nicht den Mut verlieren, sondern möge sich im Gegenteil seiner Versuchung bedienen als eines Stützpunktes, als eines Hebels, um die Welt aus den Angeln zu heben. Von ihm kann man Akte hohen Mutes verlangen, Akte der Stärke, die man von einem Nichtgeprüften und Nichtversuchten vergeblich erwartet. Fahrt darum fort, in der Versuchung unseren Herrn nachzuahmen.

Die zweite Versuchung: „Mitte te deorsum.“ (Anm.: „Stürze dich hinab.“), die Versuchung, sich hinab zu werfen oder vielmehr neben seine Berufung sich fallen zu lassen. Das war schon die Versuchung von mehr als einem Oblaten, sich neben den Gehorsam, neben der Regel, das Direktorium, den Geist, den man uns vermitteln will, zu werfen. „Mitte te deorsum.“ (Anm.: „Stürze dich hinab.“). „Lass alle diese niederdrückenden Fesseln fallen“, sagt der Dämon, „befreie Dich von allen Zwängen.“ Zu einigen sagte er sogar: „Lass das klösterliche Leben fahren!“ – „Aber da setze ich mich ja Gefahren aus?“ – „Keineswegs“, antwortet er. Steht denn nicht geschrieben: „Quoniam angelis mandavit de te, ne forte offendas ad lapidem pedem tuum.“ (Anm.: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dich zu beschützen, damit dein Fuß nicht an einen stößt.“): Fürchte dich nicht, du findest Engel, die dich auffangen. – Nun, meine Freunde, das geschieht nicht. Wenn du deiner Berufung untreu wirst, sind keine Engel da, um dich aufzufangen, nicht die des Himmels und nicht einmal die der Erde. Die Bischöfe stehen nämlich nicht zur Verfügung, wie du vielleicht annimmst, dass sie immer bereit sind, dich aufzunehmen. Ich stelle fest, dass die Bischöfe nämlich mehr und mehr Unlust zeigen, die Pforten ihrer Diözesen den ihrer Berufung unter gewordenen Ordensleuten zu öffnen. Das scheint ein fester Entschluss der Bischöfe zu sein, nur noch mit Müh und Not jemand aufzunehmen. Und in manchen Diözesen nimmt man grundsätzlich niemanden mehr auf. Unsere Bischöfe zeigen sich wenig begeistert, die Überreste und Wracks der Kongregationen zu sammeln. Ich stehe nicht an, auf diese Feststellung Gewicht zu legen, die ich selbst schon öfters Gelegenheit hatte zu machen… Finder sich einer von euch also unter der Fuchtel der Versuchung, so möge er gut überlegen und in aller Kenntnis der Sachlage entscheiden. „Non tentabis Dominum.“ (Anm.: „Du sollst den Herrn nicht versuchen.“). Nein, meine Freunde, versucht Gott nicht durch allerlei Berechnungen und mehr oder weniger unsichere Voraussagen. Hört nicht auf die lügnerischen Ratschläge, die der böse Geist euch gibt. Seid auf der Hut! … Welch eine Situation für einen Ordensmann, der sein Priestertum hinter sich herschleppt, wenn kein Bischof ihn aufnehmen will! … Das sind keine Märchen, die euch da auftische. Ich weiß, was ich sage, ihr seid gewarnt. Und selbst wenn die Engel dieser Erde (Bischöfe) euch aufnehmen wollen, bleiben dann die Engel des Himmels euch treu? Denkt ernstlich an die Verpflichtungen, die ihr für ein ganzes Leben im Angesicht der hl. Kirche eingegangen seid, sind keine leeren Formeln, die man nur so dahin spricht. Seien wir keine auf dem Wasser hinschwimmende Stöcke, keine Schilfrohre, die sich jedem Winde beugen! „Quod existis videre? Arundinem vento agitatam.“ (Anm.: „Was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Ein Schilfrohr, das vom Wind hin und her geweht wird?“). Ich sage euch dies mit umso größerem Recht und Autorität, weil der spezielle Charakter der Lehre des hl. Franz v. Sales, die stabilitas, die Festigkeit, Beständigkeit, ist. Während der Französischen Revolution wurden sämtliche Klöster in Frankreich aufgelöst. Man sagte zu den Ordensleuten: Ihr seid frei. Einige nahmen das Weltleben wieder auf und betrachteten sich wirklich von ihren Gelübden entbunden. Es gab eine gewisse Anzahl solcher in allen Orden und in fast allen Klöstern. In der Heimsuchung gab es aber niemand. Sobald es möglich war, nahmen sie ihr klösterliches Gemeinschaftsleben wieder auf. War dies aber nicht möglich, so blieben sie in der Welt Ordensfrauen. In Troyes spricht man allerdings von einer Klosterfrau, die in den Laienstand zurückkehrte: Man versichert aber glaubhaft, sie sei geisteskrank gewesen.

Die Beständigkeit ist das bedingungslose Erkennungszeichen der Kinder des hl. Franz v. Sales. Wohnt diese „Stabilitas“ nicht in euch, ich wende mich hier an die Novizen und die jungen Professen, dann seid ihr nicht berufen, Glieder seiner Familie zu werden. Überlegt also, solange es Zeit ist. Der Teufel lügt. Die Engel sind nicht da, euch aufzufangen. Vergeudet nicht eure Berufung! Stürzt euch nicht hinab, außerhalb des Geistes, der euch leiten soll, außerhalb der Luft, die wir atmen sollen. Außerhalb all dessen, was bei uns Heimatrecht hat. Ihr wisst nicht, wohin ihr fallt! „Non tentabis Dominum.“ (Anm.: „Du sollst den Herrn nicht versuchen.“). Und noch eine letzte Versuchung, die am wenigsten häufige, am wenigsten gefährliche, weil sie allzu plump auftritt: Der Teufel trägt den Herrn auf einen hohen Berg und zeigt ihm von da aus seine Macht, seine Reichtümer, seine Reiche: All das will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Diese Versuchung des Haschens nach Amt und Würden hat sich bei uns noch nicht gezeigt, soviel ich weiß. Ich bin ihr aber manchmal in der Heimsuchung begegnet, diesem Wunsch, sich hervorzutun, zu herrschen, zu befehlen, Großartiges zu leisten… Eines schönen Tages steht man plötzlich vor solch einem Gedanken. Ist das eine Sünde? Nein, wenn man sich nicht darin sonnt. Versuchung ist nicht Sünde. Sünde liegt erst in dem, was der Teufel sagt: Wenn du niederfällst und mich anbetest. Tritt die Regel, den Gehorsam, deine Gelübde mit Füßen! Setz dich über dein Gewissen hinweg, beuge das Knie vor mir, verlass den Pfad der Pflicht. „Haec omnia tibi dabo.“ (Anm.: „Dann will ich dir das geben.“). Und dahin führen unfehlbar all jene Mittel, die darauf abzielen, uns unabhängig vom Gehorsam, unabhängig von den Oberen zu machen. Der Teufel zwingt dich da in die Knie. Er ist ja der Vater des Stolzes, der Liebhaber der Unabhängigkeit, der Anhänger von Vergnügungen, der Einflüsterer von schlechten Ratschlägen. Sein Atem trübt alles Reine und Gute.

Ich fand es immer sonderbar, dass solch eine Versuchung zu herrschen, zu befehlen, in den Kopf von Kindern des hl. Franz v. Sales Eingang finden könne. Im Allgemeinen waren jene Heimsuchungsschwestern, die ich auf diesem Weg sah, armselige und geistig ein bisschen verwirrte Töchter. Es war ein regelrechter Spleen bei ihnen, Ratsschwestern und Oberinnen zu sein, Gründungen von Klöstern vornehmen zu wollen, etc. Meine Freunde, Derartiges sehe ich bei uns nicht. Aber wir sind noch jung und haben noch nicht viel Erfahrung mit unseren Kräften gemacht. Es ist darum möglich, dass eine derartige Versuchung eines Tages auch bei uns aufscheine, und darum ist es gut, sich dagegen zu wappnen.

Meine Freunde, was wird da von unserem Herrn berichtet? Er hat den Teufel nur dadurch besiegt und vertrieben, dass er Worte der Hl. Schrift anführte. Und das sollten wir auch bei allen Versuchungen tun, ob solche der Sinnlichkeit, des Stolzes, der Eigenliebe oder des Ehrgeizes. Bedienen wir uns immer der Worte unseres Herrn, um kurz abzuschneiden. Empfehlen wir uns demütig der seligen Jungfrau, der Guten Mutter, dann finden wir am Ende unseres Gebetes alle nötige Hilfe.

Das Thema des heutigen Abends ist sehr ernst. Möge jeder nachsehen, von welcher Art Versuchung seine Seele bedrängt wird. Er bete und erbitte von Gott die Gnade zu kämpfen. Er fasse gute Vorsätze. Und ist die Versuchung hartnäckig, dann mache mit Gott ein Zeichen aus, das am Höhepunkt der Versuchung ausruft: Mein Gott, ich stimme nicht zu! Mein Gott, ich bin immer und ewig dein! Der Kampf und die Versuchung hören erst mit unserem Leben auf: „Militia est vita hominis super terram et sicut dies mercenarii dies eius.“ (Anm.: „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf Erden und seine Tage wie die eines Tagelöhners.“). Wir müssen das Brot unserer eigenen Arbeit essen. Alles, was wir an Gutem vollbringen, kostet uns das Opfer. Immer müssen wir gegen unseren Eigenwillen angehen, müssen über unser Herz hinwegschreiten. Werden wir nicht müde im Kampf: „Bonum certamen certavi, cursum consummavi, fidem servavi. In reliquio reposita est mihi corona iustitiae quam reddet Dominus his qui diligunt adventum.“ (Anm.: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt. Im Übrigen ist mir die Krone der Gerechtigkeit zurückgelegt, die der Herr denen aufbewahrt, die seine Ankunft lieben.“).

Meine Freunde, wir haben die Maschine in Augenschein genommen, die ganze Maschine mit allen ihren Einzelteilen… O ich weiß wohl, es ist nicht ganz eine richtige Maschine, vielmehr eine die versteht und will… eine gute Maschine also. Eine gute Maschine taugt aber mehr als ein schlechtes Werkzeug… Sie fabriziert viel besser. Wir müssen sie deshalb in gutem Zustand erhalten, unsere Maschine, nach allen Regeln zusammengefügt und aufgestellt. Jede Maschine, jede Ausstrahlung entspreche genau den Regeln. Begreifen wir das, meine Freunde, und nochmal, ja zehn- und zwanzigmal sei es gesagt: Wie leisten Größeres und sind intelligenter, wenn wir so vorgehen, als wenn wir Dinge vollbringen, die unserem eigenen Hirn entspringen.

Das also müsst ihr den Ordensmännern und Ordensfrauen ans Herz legen: Die hl. Regel, die Pflicht, der Gehorsam, das Direktorium, d.h., ein Leben der Pflicht in Gemeinschaft mit Gott und für Gott! Habt ihr mit Männern zu tun, dann lehrt sie das! Lehrt das auch in den Jugendwerken junger Burschen, ja lehrt es selbst gebildete Männer. Sie werden euch verstehen, werden euch zuhören, und ihre Geschäfte werden dadurch nur umso erfolgreicher werden. Der frühere Bahnhofsvorstand von Troyes, Herr Chapelle, hielt sein Direktorium, was ihn nicht hinderte, zu gleicher Zeit ein guter Vorstand zu sein. Und so lange er mit der Zugbeförderung zwischen Paris und Troyes beauftragt war, ist niemals ein Zugunglück vorgekommen, während mehr als zwanzig Jahren. Er machte seine gute Meinung, opferte Gott tausend kleine Opfer auf, immer im Sinne seines Berufes. Sein Beichtvater ermunterte ihn dazu, und mit seinen Pflichten als Bahnhofsvorstand hat er sich einen schönen Platz im Himmel erobert.