Exerzitienvorträge 1900

      

2. Vortrag: Die Beichte.

Meine Freunde, wir wollen ja gute Exerzitien machen. Darum müssen wir uns ihnen ohne Vorbehalt hingeben. Man macht Exerzitien, damit man ein gutes geistliches Leben führt. Will man das aber, dann muss man auch die entsprechenden Heilmittel gebrauchen, muss die Wunden heilen und vernarben lassen, die Gleichgültigkeit überwinden, die „sündhaften Launen“, wie der hl. Stifter sagt. Machen wir uns darum mit Mut und Entschlossenheit an die Arbeit, vielleicht habe ich euch jetzt dicke Wahrheiten aufzutischen.

Ich will zuerst sagen, was ich von meiner Zuhörerschaft denke. Ich glaube mich nicht im Urteil über die Kongregation zu täuschen. Wir sind zu 60 bis 80 Oblaten hier versammelt… Würde der General der Jesuiten oder der Dominikaner zu mir sagen: „Wollen Sie, dass wir tauschen? Pater Brisson, wir haben Gelehrte, Theologen, Heilige. Sie wählen aus meinem Haufen aus, und ich nehme die Ihrigen hier.“ – „Nur langsam“, würde ich ihm antworten, „ich danke Ihnen. Ich ziehe die vor, die ich habe. Sie kenne ich und vertraue ihnen.“ – „Ja, Pater, dann haben Sie also lauter ausgezeichnete und vollkommene Ordensleute? Religiose, die vollkommen alle Pflichten verstehen und nie dagegen verstoßen. Ordensleute, die ihre Kongregation über alles hochachten, die eine vorbildliche Nächstenliebe gegen ihre Mitbrüder üben?“ – „Nein, das nicht, ich hoffe wohl eines Tages, dahin zu gelangen, gestehe aber, dass wir zurzeit noch nicht soweit sind.“ – „Warum ziehen Sie dann Ihre Ordensleute allen anderen vor?“ – „Ich habe zwei Beweggründe: einen äußeren und einen inneren.“

Der äußere ist der: Mir wurden Versprechungen gegeben, die sich zum Teil schon verwirklicht haben, z.B. von der Guten Mutter. Diese Versprechen machen mich zuversichtlich, dass unsere Genossenschaft eine gute Zukunft haben wird.

Und das innere Motiv: Dass jeder unserer Patres gut ist. In keinem von ihnen sehe ich maßlosen Stolz oder heftige Leidenschaften, weder bösen Willen noch schlechten Charakter. Ich bin sicher, dass man in jeder anderen Gemeinschaft von 60 oder 80 Ordensleuten mehr findet, die schwierig und unmöglich sind.

Jawohl, meine Freunde, an dem Tag, wo wir treue Beobachter unserer Satzungen und unseres Direktoriums sind, können wir unter den Besten der Ordensleute, die auf der Welt sind, Platz nehmen. Kein anderer Orden ist besser ausgestattet als wir, den Bedürfnissen der Welt zu entsprechen.

Die letzte Zeit bekam ich mehrere Besuche. Ich kann hier ihre Namen nicht nennen, das wäre vielleicht nicht passend. Ich sah den Assistenten einer Kongregation von Missionaren. Er drückte mir den Wunsch aus, eines Tages die Vereinigung der beiden Institute zu erleben. Der Geist des hl. Franz von Sales, die Lehre der Guten Mutter hatten ihm es angetan. Wir sind gute Kinder, meinte er, aber wir bräuchten gerade diesen Geist. Da wir dasselbe Ziel verfolgen, warum sollten wir nicht Hand in Hand vorangehen? Ferner kam der Obere eines bedeutenden Erziehungshauses aus der Umgebung und bat um unsere Satzungen. Bevor er in sein Kolleg zurückkehrte, machte er geistliche Exerzitien in Soyhieres. „Hätte ich doch die Mittel zur Verfügung, die Sie haben, würden meine Mitarbeiter einer Vereinigung angehören wie die Ihrige, mit Ihrem Geist und Ihrer Regel, wieviel Gutes könnte ich dann schaffen!“

Alle Tage höre ich ähnliche Zeugnisse. Eben habe ich einen Brief der Heimsuchung von Orleans geöffnet, in dem man mich beschwört, Oblatinnen dorthin zu schicken, damit man dort eine Oblatengründung vorbereiten kann. Alle verlangen nach Oblaten.

Jetzt wisst ihr, was ich von euch denke, meine Freunde. Wenn ich also Dinge sage, die ein wenig hart klingen, dann will ich euch damit keine Pein bereiten, sondern nur die Richtung und Bewegung aufzeigen, der die Kommunität der Oblaten folgen sollte, damit ihr all eure Intelligenz und euer ganzes Herz auf die Ausbildung eures Ordensgeistes aufwendet, damit ihr das Ziel erreicht, und den Zweck verwirklicht, für den wir existieren. Nicht darf uns da der Stützpunkt, der Schwerpunkt fehlen. Wir dürfen keine Irrsterne, keine „sidera errantia“ sein. Keiner darf sich isolieren und sich auf seine persönliche Art zu sehen und zu fühlen versteifen. An dem Tag, wo wir alle denselben Mittelpunkt haben und verstehen, dasselbe Leben zu führen, denselben Gedanken und Geist verwirklichen, sind wir stark. Jeder von uns muss so ein gesundes Urteil und einen so klösterlichen Geist haben, dass er sich sagt: „Ich will ein guter Oblate sein, und das und das muss ich tun, um ein echter Oblate zu werden.“

Wenn alle harmonisch zusammensingen, ist der Klang gut und in Ordnung und hört sich so schön an. Und genau das wollen wir während dieser Exerzitien zu verwirklichen beginnen. Und um es noch einmal zu sagen: Ich möchte keine andere Zuhörerschaft haben, keine anderen Patres, keine andere Ordensleute. Bei anderen Religiosen würde ich mich nicht so wohl fühlen wie bei euch. Ich würde, dessen bin ich gewiss, gegen die meisten von ihnen eine Art Widerwillen empfinden, weil ihr Geist, ihr Wille, ihre Seelenhaltung der euren an Wert nicht gleichkäme. Seien wir darum gute Ordensleute, gute Oblaten.

Welches Mittel wollen wir zuerst ergreifen? Meine Freunde, legt zuerst eine gute Beichte ab. „Aber, aber, wir beichten doch gut!“. Ich behaupte auch nicht, dass ihr schlecht beichtet, sondern lediglich, dass ihr noch besser beichten könntet, und ich will es euch beweisen: Ihr klagt euch nur über die Fehler an, die ihr gegen die Gebote Gottes begeht. Dabei gibt es aber vielleicht sehr reale Fehler, sehr ernste Fehler, die ihr auch begeht und worüber ihr euch nicht genügend anklagt: z.B. gegen den Gehorsam, gegen die Armut, gegen die hl. Keuschheit sogar. Wird das aber zur Gewohnheit, setzt ihr euch dann nicht der Gefahr aus, euch eines Tages in einer sehr schuldhaften und gefahrvollen Situation zu befinden? Lest es nur nach in den theologischen Traktaten.

Seid ihr denn nicht Ordensleute? Habt ihr keine Gelübde abgelegt? Was sind denn Gelübde und Ordensleben in euren Augen? … Und da glaubt ihr, es genüge, eine Beichte abzulegen über die Gebote Gottes und der Kirche, wie es Weltmenschen tun? … Ich wünsche, dass man in den Exerzitien, wenn es notwendig ist, seinen Katechismus und seine Theologie wieder lerne.

Ihr kennt und haltet die Gebote Gottes und der Kirche, aber ihr habt euch doch darüber hinaus durch drei Gelübde und die Gebote des Ordenslebens gebunden, die jede Ordensseele mit gleicher Strenge verpflichten wie die Zehn Gebote des Gehorsams, der Armut und der Keuschheit keine schweren Sünden? Lest nur nach bei allen Gottesgelehrten, sie werden es euch sagen. Sie werden euch aufklären, dass ein Verstoß gegen die Tugend der Keuschheit viel schwerer wiegt, wenn er von einem Ordensmann, einem Gottgeweihten begangen wird. Beichtet ihr somit nicht auch die Sünden gegen eure drei Gelübde, dann beichtet ihr nicht gut genug.

Das erste Mittel, Abhilfe zu schaffen, bei diesem Zustand der Nachlässigkeit, der für das Ordensleben so bedauerlich ist, sehen wir in einer guten, ja sehr guten Exerzitienbeichte. Ihr müsst mit einer gleich großen Reue sämtliche  Fehler bekennen, ob gegen die Zehn Gebote oder gegen die hl. Gelübde begangen. Auch der Wunsch, sie nicht mehr zu begehen, der gute Vorsatz, also muss ebenso ernst sein. Tätet ihr das, wäret ihr zweifellos bessere Ordensleute, als ihr es seid, weil der Absolutionsgedanke bei der Verzeihung aller Sünden in Wirklichkeit stärker wirken könnte… Gebt darum gut darauf acht: Diese Sünden, die der Seele nicht so zu schaden scheinen, fügen ihr ebenso viel Nachteil zu wie die andere. Sie bringen unser Heil ebenso in Gefahr. Läset ihr die Jahresbücher der alten Orden, den hl. Bernhard, was er in Clairvaux über die nachlässigen Mönche sagte, die ihre Regel nicht beobachten, dann fändet ihr darin die gleiche Lehre, die ich euch da vortrage. Läset ihr im hl. Thomas nach, würdet ihr feststellen, dass er den treuen Ordensmann in die ersten Ränge des Himmels versetzt…

Wir sind Ordensleute, müssen darum auch auf diese Verfehlungen achten, uns gründlich darüber erforschen und all diese Fehler im Einzelnen beichten. Einzelne von euch sind Beichtväter von Heimsuchungsschwestern. Seht nur, wie gut sie beichten und macht es wie sie! „Aber das sind ja nur Frauen…“ Ich wünschte sehr, wir hätten etwas wie sie in diesem Punkt. Ich wünschte, wir hätten ebenso viel Mut und Tatkraft! Wir verstehen nicht immer, tapfer zu kämpfen und zu siegen. Schließen wir also alle Verstöße gegen unsere Gelübde in unsere Beichten ein, Verstöße, ich wiederhole es, die schwerwiegend werden und unserer Seele den Tod bringen können.

Und derlei Verstöße haben leider Gottes mehr als einem schon den Tod gebracht. Kehren diese aber vom Tod zum Leben zurück? Gebet acht, sonst führe ich euch Fakten an.

Ihr sollte euch auch der Fehler gegen eure Gelübde, eure Satzungen, euer Direktorium anklagen. Das Direktorium, ihr wisst es, habt es gelesen in euren Satzungen, gehört zu eurem Pflichtenkreis. Ihr sollt eure hauptsächlichen Verstöße gegen es beichten, auch wenn euch dies unbedeutend scheint. Denn mit dem gutbeobachteten Direktorium werdet ihr wahre und heilige Ordensleute. Ohne das Direktorium seid ihr dagegen namenlose Wesen. Wo wird euer Platz dann sein? Nicht bei den Ordensleuten, da ihr das klösterliche Leben vernachlässigt habt, nein, auch nicht beim Weltklerus, da ihr aus diesem Kreis ausgeschieden seid. Wie soll man euch dann nennen, fragt die Geheime Offenbarung. Wo für euch einen Namen finden? Welche Erscheinungsform habt ihr dann eigentlich? Was seid ihr? Bekennt also treu eure Verstöße gegen das Direktorium!

Meine Freunde, wir müssen es lernen, gut zu beichten. Morgen soll eure Beichte stattfinden. Ich sagte heute Morgen schon: Es ist notwendig, dass man in jeder Kommunität gute Beichtväter aussucht, die dem klösterlichen Leben einen lebhaften Impuls geben können. Sie haben eine überaus wichtige Aufgabe, da sie in ihrer Hand sozusagen das Geschick und die Zukunft derer halten, die sich an sie wenden. In Zukunft soll man, ich wiederhole, für jedes Haus die Beichtväter namentlich bestimmen, wie ich gesagt habe. Dazu gehören der Obere, der Assistent und in den größeren Häusern noch ein dritter. Und diese Beichtväter sollen, wenn irgend möglich, unter uns Oblaten ausgewählt werden.

Man geht zu einem fremden Beichtvater, wie ich heute Morgen ausführte, und eines Tages kommt man zu mir: „Es gefällt mir nicht in der Genossenschaft… Ein heiligmäßiger Priester hat mir geraten, die Oblaten zu verlassen…“ Jawohl, er hat es dir geraten und schließlich und endlich hatte er damit recht: Er hat eingesehen, dass du nicht das hast, was für einen Oblaten nötig ist, im Herzen wie im Hirn, da du nach rechts und links laufen musst und die Gnadenwohltat des Oblatenberufes nicht verstanden hast… Sein Rat war also gut, zweifle nicht daran. Ja, mögen alle, die derlei Ratschläge brauchen, schnell in die Stadt laufen, um sie dort zu suchen. Sie bekommen nur, was sie verdienen, und empfangen den Ratschlag, zu dem sie fähig sind.

Legt also eine gute Beichte ab, meine Freunde, und ihr werdet euren Beruf liebgewinnen. Ihr werdet von euren Sünden und Fehlern freikommen, werdet das Glück, den Frieden und die Sättigung erfahren, die ihr im Kloster gesucht habt. Ich spreche hier nicht auf „Gut Glück“, sondern habe es erlebt und erfahren. Was gibt es Glücklicheres als einen Oblaten, der sein Direktorium hält? Gott ist ja mit ihm. Gewiss hat er Peinen und Mühseligkeiten, dergleichen fehlen ja nie. Und ihr werdet deren umso mehr haben, je mehr ihr Gott gehören wollt. Der Teufel wird euch umso hartnäckiger prüfen, und auch die Welt wird euch umso mehr im Stich lassen und tadeln. Aber welches Glück, zu wissen, dass Gott mit uns ist. Da braucht man die Geschöpfe nicht, hat man doch mehr als alle Kreaturen. Gott arbeitet mit uns zusammen und führt uns Seelen zu, die wir führen sollen und auf die er uns einen heiligen und wirksamen Einfluss verleiht. Darum richte ich an alle Beichtväter den dringenden Appell, ihrem Amt größte Sorgfalt angedeihen zu lassen. Klagt der Pönitent sich aber nicht an, möge man ihn ruhig ausfragen nach seinen Gelübden, den Satzungen und dem Direktorium.

Heute sprach ich über die Art, wie wir beichten sollen. Morgen will ich darüber reden, wie wir anderen beichthören sollen. Gewöhnen wir es uns erst aber selbst an, gründlich zu beichten: Warum erfüllt ihr nicht gut eure Regel? Geschieht es aus Verachtung, aus Überheblichkeit? Sagt das in der Beichte. Warum seid ihr untreu? Aus Mangel an Willensanstrengung und Energie? Gesteht es. Aus Menschenfurcht oder weil ihr dem Reiz der Verführung erliegt? … Der hl. Stifter wird euch sagen: „Ihr seid doch meine Söhne, lest also alles durch, was ich darüber geschrieben habe… Gab ich euch jemals das Beispiel der anderen als Beweggrund für euer Handeln, als Grundlage eurer Tugenden? Was ich immer und überall verlangt haben, ist, dass ihr den Willen Gottes erfüllt, der zum Ausdruck kommt in euren Satzungen und eurem Direktorium…“ Der Wille Gottes ist das einzige, was ihr immer erfüllen sollt. Ob euer Nebenmann ihn tut oder nicht tut, hat keine Bedeutung. Das geht euch nichts an. Ihr habt nichts bei eurem Nachbarn zu entlehnen. Hört einzig auf das, was ich euch vortrage.

Der frühere Sekretär von Bischof Mermillod, der Benediktiner P. Clemens, sagte mir eines Tages, der hl. Franz v. Sales will den Menschen völlig frei und unabhängig jeder Beeinflussung. Nur einen einzigen Einfluss darf er hereinlassen, den der göttlichen Majestät und Güte. Nichts ist darum freier und unabhängiger als der Oblate, nichts aber auch persönlicher als er. Seid also, was ihr sein sollt, und seid es nicht aufgrund eines Nachahmungstriebes! Seid es nicht, weil ihr dieser oder jener weltlichen Sicht gehorcht, sondern weil ihr Gott gehorcht. Duldet keine Ausflucht, meine Freunde: Hier stehen zwei Gesetzestafeln zu eurer Auswahl: Die Gebote des christlichen Lebens auf der einen, die des klösterlichen Lebens auf der anderen. Um euch herum wird das Gesetz Gottes mit Füßen getreten. Beide Tafeln liegen zerbrochen auf der Erde… Das Volk ist ungläubig geworden, allzu viele Ordensleute vielleicht haben die Treue gebrochen… Hebt, meine Freunde, achtsam die zwei Tafeln auf, presst sie an euer Herz und erfüllt sie mit Liebe.

Vergessen wir in diesen Exerzitien nicht die Gute Mutter Maria de Sales. Jene, die sie mit Glauben und Vertrauen anrufen, werden verstehen, was sie gesagt hat und ich euch überliefere. Diese Lehre wird von den Theologen gelobt, gebilligt und als gut erklärt, und die hl. Kirche selbst tut dasselbe. Wir leisten gute Arbeit, wenn wir auf diesem Weg voranschreiten. Amen.