1. Vortrag: Exerzitien.
„Desiderio desideravi hoc pascha manducare vobiscum.“ (Anm.: „Mit Sehnsucht habe ich danach verlangt, dieses Paschamahl mit euch zu essen.“).
Meine lieben Freunde, auch ich habe mir sehr gewünscht, diese Exerzitien euch zu halten. Und ihr habt es ebenfalls gewünscht, habt sie mit aller Kraft herbeigerufen, weil wir von ihnen einen reellen Nutzen aller Kraft erhoffen. Denn jeder von uns büßt auf seiner Wanderschaft etwas von seinem ersten Eifer ein. Es ist notwendig, dass wir uns wieder in Gott hineinwerfen, um neue Kräfte zu schöpfen. Wenn aber die Zeit für jeden von uns gewisse Schäden und Erschlaffung für eine Gemeinschaft. Einmal ist es dieser Punkt der hl. Regel, ein andermal ein anderer Punkt. Der Punkt schweift ab von der Regel, man sieht nicht mehr so klar, das Verständnis schwindet, und die Folge von all dem: Nachlässigkeit, Untreue, Gnadenentzug!
Lasst uns deshalb diese Exerzitien in der Absicht beginnen, echte Ordensleute zu werden. Wir brauchen dafür keine außerordentlichen Anstrengungen zu unternehmen: Jeden Tag die Übungen, die dafür angegeben sind, erfüllen, unsere Regel ernst nehmen: Das ist das wirksame Mittel, unserer Berufung zu entsprechen und eifrige Ordensleute zu werden.
Meine Freunde, die Exerzitien, die in der Umgebung unseres Herrn stattfanden, folgten einer Losung: Unser Herr sagte z.B. bei einer dieser Einkehrtage: „Venite seorsum in desertum locum et requiescite pusillum.“ (Anm.: „Kommt etwas abseits an einen verlassenen Ort und ruht ein wenig aus.“). Das wollen wir heute auch tun: In die Einsamkeit gehen, um unsere Seele einen Kreis von Stille ziehen. Wir wollen diesen ersten Tag damit ausfüllen, uns der Gnaden zu erinnern, die Gott uns seit Beginn unseres Lebens erwiesen hat. Wem von all denen, die uns umgeben oder die wir kennen, wurde mit so viel Gunsterweisen zuvorgekommen als uns? Schaut euch um und betrachtet die Seelen, die zu euch kommen: Vergleicht die Gnaden, die sie empfangen haben mit denen, mit denen ihr überhäuft wurdet. Es lohnt sich nicht nur, darüber nachzudenken, sondern es ist auch ein vorzügliches Mittel, in uns die Gnade zu vermehren, sie zu kräftigen und wirksamer zu machen.
Beginnen wir heute einmal mit der Erinnerung an unsere Taufgnade, an die Gnade unserer christlichen Erziehung, die unsere Mutter uns angedeihen ließ. Denken wir an all die Pflege, mit der wir in unserer Familie und in den Erziehungsheimen, in denen wir großgeworden sind, umsorgt wurden. Denken wir an die erste hl. Kommunion, an unsere Berufung zum Ordensstand, die Gnaden der verschiedenen Weihen, die persönlichen inneren Gnaden, die Gott jedem einzelnen von uns zuteilwerden ließ, damit wir uns in den guten Sitten erhalten und weiterentwickeln. Schließen wir in unsere Betrachtung all die Gnaden ein, die Gott in unsere Hände gelegt hat, damit wir unseren Priesterberuf bewahren, damit wir uns wieder erheben, wenn wir gefallen sind, dann, wenn er zu uns sprach: Kehrt zurück zu eurem Gott, zu eurem Herrn. „Venite seorsum“, so sagt er jetzt auch zu uns, „kommt ein wenig beiseite damit sich niemand zwischen euch und mich dränge.“
Das soll aber keine trockene und nur verständliche Erinnerung sein, sondern euer Herz werde all dessen inne, eure Frömmigkeit möge dieses Erinnern blutvoll und lebendig gestalten, damit wirklich eure Seele mit Gott ins Gespräch kommt.
Verbringt auf diese Weise euer Tagewerk und merkt euch, was ich euch jetzt sage, damit ihr es auch die anderen so machen lasst in den Exerzitien, die ihr später einmal selbst halten müsst: Am zweiten Tag, also morgen, erforscht ihr euer Gewissen über begangene Fehler, heute aber widmet euch ganz dem Gedanken an die empfangenen Gnaden Gottes. Vergesst auch nicht die Gnade, dass ihr überhaupt zu diesen Exerzitien gekommen seid, dass ihr in Gott die Ruhe der Seele, des Gewissens und des Geistes schöpfen könnt, die bewirkt, dass ich nicht mehr nach eigener Ansicht, aus eigenem Wollen schafft, sondern nach dem Herrn allein.
Um Exerzitien gut zu machen, heißt es seine Vorkehrung treffen: Wahrt das Schweigen während dieser Tage. Hört, was der hl. Bernhard eines Tages zu seinen Mönchen sagt, die die Weinlese vornehmen: Ihr sammelt die Früchte des Weinbergs und legt sie in große Gefäße und Bottiche. Weisen letztere aber Löcher in unsere Seele und diese lässt dann die Gnaden ausrinnen, die Gott euch zugedacht hat.
Außerdem muss man, meine Freunde, sehr gewissenhaft sein in der Beobachtung der hl. Regel. Darum habe ich euch schon oft gesagt: Es sind die Exerzitien, die die geistige Einkehr bewirken. Die einzelnen Übungen der Exerzitien bringen uns, wenn sorgsam geübt, die entsprechenden Gnaden ein. Diese Übungen wirken ein bisschen wie Sakramentalien: Sie ziehen der Seele überfließenden Gnadensegen zu. Absolviert sie also nicht wie Maschinen mechanisch und unbewusst, sondern mit Promptheit und mit Herz, wie die Engel, die den Willen Gotte im Himmel ausführen: „Sicut angeli in coelo.“ (Anm.: „Wie die Engel im Himmel.“).
Handelt nicht wie Mannequins, sondern wie gute Ordensleute, großmütig. Es stehen euch sorgsam vorbereitete Hilfen und Erleuchtungen zur Verfügung, lasst sie nicht unbenutzt verstreichen.
„Sicut angeli in coelo“: Der hl. Thomas sagt, der Himmel sei gerade dies, so wie die Himmel sei gerade dies, so wie die Hölle die Unordnung ist: Gott will mich in diesem Augenblick gerade an diesem bestimmten Ort, in der Kapelle, beim Gebet, bei der hl. Messe, beim Breviergebet, im Speisesaal, in der Erholung. Indem wir gehorchen, tun wir seinen Willen. Wir sind also in Ordnung und das ist der Anfang des Himmels. Möge dies also unser fester Entschluss sein, den wir jetzt sofort fassen.
So viel für das Äußere. Was die Seele betrifft, heißt es jede Art von Sünde und freiwilligen Verstoß vermeiden. Jeder leichtfertige Gedanke gegen die Nächstenliebe, den Gehorsam, den Beruf, mit einem Wort alles, was unseren Herrn betrübt, muss unerbittlich verbannt bleiben. Mögen unsere Seelen ganz rein sein während dieser Exerzitientage. Bringt euren ganzen Willen mit und alle Treue, deren ihr fähig seid.
Nun sind wir also alle entschlossen, unsere Einkehrtage mit den Mitteln zu beginnen, die ich euch an die Hand gegeben habe. Aber bei allen Teilnehmern wird es Nuancen geben, und diese seelischen Abschattungen fallen stärker ins Gewicht als die äußeren Verschiedenheiten: Die einen haben Sympathie für Exerzitien, die anderen entbehren diese, empfinden vielmehr sogar Widerwillen, der bis zur Ungeduld und Nervosität geht. Wir sollen aber dennoch alle unsere Einkehr halten und unseren ganzen guten Willen mitbringen.
Zu denen, die die Exerzitien unerträglich und widerlich finden, sage ich: „Beati estis…“ (Anm.: „Selig seid ihr…“). Wenn ihr wüsstet, welch eine Süßigkeit sich unter dieser Bitterkeit verbirgt. Wieviel Kostbarkeit und Köstlichkeit unter der rauen Rinde steckt! Wüsstet ihr davon zu profitieren und euch in einer tiefen Demut zuhalten und zu Gott zu sprechen: „O Gott, ich bin nichts und vermag nichts. Ich will, wenn es sein muss, unter dieser Beklemmung und diesem Bleigewicht, talentum plumbi, ausharren, das meinen Willen zermalmt, weil ich es verdient habe: ‚De profundis clamavi ad te Domine, Domine, exaudi vocem meam.‘ (Anm.: ‚Aus der Tiefe rufe ich zu Dir, Herr. Herr höre auf meine Stimme…‘)…“ Tut das, meine Freunde. Ich kenne sehr viele Seelen, heilige Seelen, die euch auf diesem mühsamen Pfad Gesellschaft leisten. Hört vor allen anderen die Stimme des Erlösers auf dem Ölberg und geht mit ihm voran in der Schwierigkeit, in der Heimsuchung und Versuchung! Es steht außer Zweifel, dass Exerzitien eine Gelegenheit von Versuchungen jeder Art sind: Versuchungen der Mutlosigkeit, gegen die hl. Reinheit vielleicht, gegen den Gehorsam, gegen unsere Berufung: „Fili, accedens ad servitutem Dei, praepara animam tuam ad tentationem.“ (Anm.: „Mein Sohn, wenn Du Dich zum Dienst Gottes begibst, bereite Deine Seele zur Versuchung.“). Fürchtet euch nicht vor der Versuchung, besonders nicht vor der Versuchung der Exerzitien. Denn unser Herr ist da mit euch, hilft euch und erleuchtet euch. Die Einkehr wird für viele, oder wenigstens für mehrere, zu einem Mittel der Bekehrung: Ihr werdet besser die Größe eurer Berufung erfassen und werdet alles nötige erhalten, die Versuchung zu besiegen.
Und Exerzitien haben in sich etwas Beruhigendes: Geht zum Herrn und ruht ein bisschen aus: „Requiescite pusillum.“ Sagt zu ihm wie Petrus und Johannes: „Domine, bonum est hic esse. Faciamus tria tabernacula.“ (Anm.: „Herr, hier ist gut sein, lasst uns drei Zelte bauen.“)… Heute wollet euch nicht kümmern um eure Sünden und Fehler, und morgen bereiten wir die Beichte vor und wenden uns an die zur Verfügung gestellten Beichtväter.
Diesbezüglich herrschte bei uns lange Zeit ein schwerer Irrtum: Man beichtete sich gegenseitig seine Sünden, ein bisschen aufs Geratewohl. Der Beichtvater hat aber ein bedeutungsvolles Amt, er soll den Pönitenten unterstützen, ihm mitunter delikate und schwierige Ratschläge erteilen. Der erstbeste ist dazu aber nicht befähigt. In Zukunft soll in unseren Häusern der Obere und sein Assistent und, ist die Kommunität zahlreich, noch ein dritter Pater allein die Beichten entgegennehmen. (Anm.: „In der Frage des Beichtvaters gewährt heute das allgemeine Kirchenrecht [von 1917/1983] vollkommene Freiheit, d.R.“). Braucht jemand einen anderen Beichtvater, wird der Obere im Gewissen überlegen, wem er diese Sorge anvertraut. Vermeidet so viel wie möglich, draußen zu beichten. Mehr als einmal kam ein verschrobener Geist (…) zu mir und sagte: „Ich suchte einen alten und erfahrenen Priester auf, der ein gelehrter Theologe ist. Der sagte mir, ich täte gut daran, wenn ich die Kongregation verlasse…“ Diese guten Priester mögen noch so gelehrte Theologen sein, sie haben nicht die Standesgnade, um euch zu leiten. Sie können sich täuschen, und tun es nicht selten…
Ich fasse zusammen: Verbringt euer Tagewerk mit Gott. Geht im Geist den Weg noch einmal durch, auf dem Gott euch bis zu diesem Tag geführt hat. Betrachtet die Mittel, die Gott angewandt hat, um euch an sich zu ziehen. Haltet ein bei den Stationen, wo Gott zu euch gesprochen hat, wo er wie zu den Aposteln gesagt hat: „Vos autem dixi amicos.“ (Anm.: „Ich nenne euch Freunde.“).