4. Vortrag: Das Gelübde des Gehorsams
Vergeuden wir nicht die Früchte der Exerzitien, im Gegenteil, wahren wir sie sorgsam! Vermehren wir sie diese letzten Tage noch, damit die Gnaden, die uns zugedacht sind, uns in ihrer Fülle zuteilwerden. Erweisen wir uns treu in allen Übungen, im Schweigen, in der Wachsamkeit über uns selbst. Nehmen wir ohne Abstriche die kleinen Prüfungen an, insbesondere die Einsamkeit des Geistes und der Phantasie. Wir machen Exerzitien, machen wir sie also gut. Überlegen wir nicht, wo wir nächsten Samstag, Montag, die nächste Woche sein werden. Derlei Gedanken vertreiben die Schutzengel, Gottes gute Geister. Zeigen wir uns großmütig. „Age quod agis.“ (Anm.: „Mach das gut, was du tust.“), wollet ihr nicht Dutzenderlei auf einmal machen. Seid siegreich in diesem Kampf eines jeden Augenblicks. Lasst in eurem Geist weder Sorgen noch weltliche Gedanken eindringen. Noah sah weder Regen noch Fluten, er sah nur die Arche, die ihn trug. Auch wir sind in der Arche. Öffnen wir nicht die Fenster, bis zu jenem Augenblick, wo der Hl. Geist den Olivenzweig bringt. Bis Jesus zu den Jüngern sagt: „Pax vobsi, ego sum, nolite timere.“ (Anm.: „Der Friede sei mit euch, ich bin es, fürchtet euch nicht.“). Seien wir mutig!
Gestern habe ich nicht meinen ganzen Gedanken über den römischen Kragen gesagt. Unsere Patres haben ihn im Generalkapitel angenommen, alle lieben ihn, ich auch. Wenn ich das Kollar aber in der Diözese Anstoß erregt, wenn zwei oder drei unserer Kandidaten oder Novizen sich damit auf eine weltliche und leichtsinnige Weise promenieren und auffallen und schlechtes Urteil den Oblaten zuziehen, dann heißt es achtgeben. Es wäre ärgerlich, wenn unsere Novizen nicht ihr Kollar trügen, sie haben ein Anrecht auf das Kleid des Institutes… Vielleicht gibt es aber eine Möglichkeit, beides miteinander zu kombinieren: Geht in Zukunft einer in dieser selbstgefälligen Weise durch die Stadt, einen schönen Spazierstock schwingend, ein goldenes oder silbernes Kettchen zur Schau tragend, die Haare allzu fein gepflegt, dann bekommt er das Beffchen verordnet, damit man ihn als Oblaten erkennt, bis sein Kopfschmuck und sein geckenhaftes Getue verschwunden ist… „Aber das sind doch nur Gedankenlosigkeiten…“ – „Nein, das ist im Gegenteil ernster als man meint.“ Ich rate vor allem P. Rollin, diese und vor allem mehr Kontrollen durchzuführen, und das nicht zugelinde. Die Oberen der anderen Häuser mögen im gleichen Sinne verfahren und auf diese Dinge achtgeben.
Reden wir heute über vom Gelübde des Gehorsams. Was ist es, wozu verpflichtet es, wem müssen wir gehorchen?
Gehorchen müssen wir den Satzungen, dem Direktorium, dem Gebräuchebuch. Wem noch? Dem Generaloberen, dem Hausoberen sowie jenen, die ein Amt, irgendeinen Posten in der Kongregation bekleiden.
Man hat sehr schöne Dinge über den Gehorsam gesagt. Doch alle diese schönen Überlegungen rühren uns manchmal kaum. Es ist einfach schwer, seinen Willen und sein Urteil ganz zum Opfer zu bringen. Ich verzichte darum auf den Versuch, euch darüber allerlei Schönes zu erzählen, was euch vielleicht doch kalt lässt. Ich sage euch nur das eine: Ihr seid Ordensleute, habt Versprechen und Gelübde abgelegt, seid infolgedessen gebunden und verpflichtet. Wozu dann feilschen? Wozu über dies und das diskutieren? Wozu heute ein Teilchen eurer Freiheit hingeben, ein andermal ein anders Stück bedeutenderen Ausmaßes opfern? Damit schwächt ihr nur mehr und mehr die Säule der Heiligkeit, der Wahrheit und Gerechtigkeit, auf der eure Seele ruht.
Die Gute Mutter pflegte zu sagen, wir müssten entschlossene Menschen sein: Das habe ich versprochen, das will ich auch halten. So sagt zu euch und handelt, dann ist die Sache gewonnen. Welche anderen Überlegungen wollt ihr denn machen, um euer Versagen rechtfertigen zu können? Wollt ihr das Glück finden, den Frieden, die Freude?
Den Frieden: Ihr werdet nichts mehr zu kämpfen haben, sobald ihr zum Gehorsam entschlossen seid. Das Glück: Ihr werdet das Glück eures ganzes Lebens und jeden –Augenblicks finden, den ihr im Gehorsam verbracht habt, denn jeder Augenblick bringt euch das seelische, übernatürliche Glück ein…
Gehorchen fällt schwer? Wären wir Männer der Betrachtung, so fänden wir Stoff genug, unser Leben lang den Gehorsam unseres Herrn zu betrachten, da sein Leben nichts anderes war als Gehorchen. „Et erat subditus illis.“ (Anm.: „Und er war ihnen Untertan.“). Würden wir unseren Herrn lieben, der als Kind wie als Erwachsener einem Mann gehorchte, der nur einfacher Arbeiter war. Einer einfachen Frau gehorchte… Fänden wir dann auch den Gehorsam schwierig? Wir fänden ihn göttlich. Wenn ihr gehorcht, hebt ihr euch irgendwie auf das Niveau des Gottmenschen empor… Andere Mittel als diese beiden möchte ich nicht nennen. Betrachtet nur die Gnaden, die euch der Gehorsam verschafft!
Seid entschlossene Männer, zeigt euch als Charaktere: Ihr wisst, was ihr tut! Davon müssen wir ausgehen. Ist es hart und erniedrigend zu gehorchen? Eine alte Anekdote, die ich immer wieder erzähle: Als ich in das kleine Seminar eintrat, war dort ein gewisser Priester T. als Studienpräfekt, anspruchsvoll und schwierig. Ich weiß nicht, was ich getan habe, ich habe mich umgeschaut. Da stürzt dieser Mann wütend vom Podest und schreit mich an: „Zur Strafe schreibst du hundert Zeilen aus dem und dem Buch ab…“ – „Da sitze ich schön drin“, denke ich mir. Was tun? Ihm sagen, ich sei unschuldig? Er glaubt es mir doch nicht, also tue ich es auch nicht. „Da bin ich ja in eine schöne Schule geraten“, dachte ich mir. Ich begann still zu beten, ich sehe noch meinen Platz im großen Studiersaal. „Ja, mein Gott, da sitze ich schön in der Patsche. Ich werde mich diesem widerlichen Menschen beugen müssen. Aber ich gehorche nicht ihm, sondern dir, mein Gott. Und dir will ich immer gehorchen. Alles, was von mir verlangt wird, solange ich hier bleiben muss, will ich aus deiner Hand annehmen.“ Und dieses Wort habe ich Gott gehalten und ich befand mich gut dabei. Meine Beharrlichkeit im Beruf verdanke ich sicher dem Gebet. Ich brauchte mir nicht das geringste Wort gegen meine Lehrer vorzuwerfen. Nie habe ich die Nahrung oder sonst etwas kritisiert. Ich folgte meinem kleinen Weg mit meinem kleinen inneren Stolz und habe mich nie einem bloßen Menschen unterworfen, sondern allein Gott. Wenn wir diesem Gedanken in uns Raum geben würden, würde er uns vielleicht weiterhelfen im Gehorsam.
Das sei also unser großer Vorsatz, immer entschlossene Männer zu sein und festzustehen im Gehorsam. Gibt man uns einen Auftrag, wollen wir keinen Einwand machen. Es ist freilich nicht verboten, seine Gründe mit aller salesianischen Einfachheit vorzutragen, und mit der ganzen inneren Bereitschaft, trotzdem zu gehorchen. Ist der Befehl einmal formell gegeben, muss der Gehorsam unwiderruflich erfolgen.
Das ist das erste und letzte Wort in Bezug auf den dem Oberen geschuldeten Gehorsam: Ich sehe in dem Gesagten den Willen Gottes, ja Gott selbst. Gott im Vorgesetzten sehen ist nicht immer leicht: „Candor lucis aeternae.“ (Anm.: „Glanz und Klarheit ewigen Lichts.“), im Materiellen wie im Geistig-Moralischen. Man muss sich auf den übernatürlichen Standpunkt stellen: Ich tue es für Gott, ich tue den Willen Gottes, gleich ob auf diese Weise oder auf eine andere. Überflüssig, länger dabei zu verweilen. Wir unterwerfen uns der hl. Regel, unseren hl. Schriften sowie den Vorgesetzten, das ist der ganze Gehorsam. Wir wollen uns auch darin treu erweisen. Wisst ihr, was daraus resultiert? Hört den hl. Paulus: „Pro quo (Evangelio) legatione fungar in catena.“ (Anm.: „Das Evangelium, für das ich als Gesandter in Fesseln liege…“): In meinen Ketten, unterworfen einer Abhängigkeit schwer wie eine Kette, erfülle ich die Sendung, die Gott mir anvertraut hat. O, tun wir das ebenfalls, dienen in Fesseln des Gehorsams, der Abhängigkeit. Nur um diesen Preis sind wir wahre Diener Gottes. Nichts bringt den Seelen und uns größeren Nutzen ein. Nichts verdient mehr Bewunderung als was wir tun in den Ketten des Gehorsams, in „catena“. Zu guter Letzt findet man diese Kette süß, es folgt keine Bitterkeit hinterher. Das ist wie der Wind, der übers Meer hinstreicht und auf die brennendheißen Äcker Frische und Fruchtbarkeit trägt. Liebt die Kette des Gehorsams, küsst sie zehnmal, zwanzigmal am Tag. Möge Gott euch das Verständnis dafür erschließen, um wie Großes, Heiliges und Starkes es da geht.
Warum empfängt die Hl. Kirche von den religiösen Orden einen so mächtigen Impuls? Warum bilden sie das Herz der Kirche, ihr Bestes und Teuerstes? Weil diese Orden durch die Fessel des Gehorsams, in „catena“, gebunden sind. Die Kirche verbindet mit einem Band der Liebe, der Gottesliebe, alles, was mit Gott und seinem göttlichen Wollen zusammenhängt. Der Religiose, der schon beim Aufstehen am Morgen sich nicht ungebunden fühlt, sondern mit Gott verbunden, der den ganzen Tag hindurch diese Liebesfessel trägt, bei der Betrachtung, bei der hl. Messe, in der Klasse, bei der Studiersaalaufsicht, und das Gewicht dieser Kette auch in seinem Amt spürt, der allein ist glücklich. Er kann mit dem hl. Paulus ausrufen: „Propter spem Israel hac catena circumdatus sum.“ (Anm.: „Wegen der Hoffnung Israels bin ich mit dieser Kette gefesselt.“). Wie teuer ist sie mir, wie ich sie liebe! Ja, man hat eben die Dinge gern, die man freiwillig sich zur Pflicht gemacht hat.
So war es in der Heimsuchung zu Troyes zurzeit der Guten Mutter der Fall. Die Pflicht des Gehorsams war allen Schwestern teuer, vor allem den Besten unter ihnen. Man gewinnt dann alles lieb, was Opfer kostet: Der Gehorsam, die Armut, die Abtötung. Man findet liebenswert, was es in der hl. Regel an Schwierigem gibt. Das wurde in der Heimsuchung so offenkundig sichtbar, das strahlte aus, dieses Glück, diese Seligkeit, dieses ganz Übernatürliche und Übermenschliche. Sie hatten sich dort an all das gewöhnt, es wurde ihnen leicht, und es machte sie so glücklich.
Ich bitte euch, meine Freunde, machen wir die Probe aufs Exempel. Ihr habt allerlei Verpflichtungen, seid davon ganz eingehüllt und überladen. Jedes Mal, wenn ihr eine Pein spürt, wenn sich eure Wünsche nicht erfüllen, nehmt all euere Kräfte zusammen und bemüht euch, zu lieben, was die Vorsehung euch schickt. Lieben wir aber das, was Gott uns schickt, dann stellen wir das dar, was alle von uns erwarten, wie man sich uns vorstellt. Täglich empfange ich Briefe, die diesen Gedanken ausdrücken: Wie schön und großartig ist es doch, Oblate zu sein! … Was erwartet man den schon von uns? P. Perrot von Unserer Lieben Frau von Einsiedeln sagte mir schon vor 25 Jahren, die Oblaten seien berufen, in der Kirche Gottes einen der ersten Plätze einzunehmen, wenn sie treu sind. Da brauche man nichts hinzuzufügen, und auch nichts abändern. Sie müssen nur den Geist ihrer Regel und Gründung intakt halten, dann würden sie Elitesoldaten in der Armee Jesu Christi. Sie werden großmütig sein und zur Eroberung der Seelen ausziehen.
P. Rollin hat in der Konferenz, die er euch hielt, den Gedanken Roms ausgedrückt. Ich wiederhole: Die Briefe, die ich erhalte, bestätigen den gleichen Gedanken.
Wenn ihr gut eure Regel haltet und euch dem Joch des Gehorsams beugt, tragt ihr eine Kette, gewiss. Dann seid ihr aber auch wahre Diener Gottes und Gott wirkt Wunder durch euch. Ihr seid dann vollkommene Ordensleute, heilige Ordensleute. Geben wir und darum ganz und mit ungeteiltem Herzen der Sache hin, seien wir wirklich gehorsam und wahrhaftig arm. In jedem von euch sollte sich eine deutlich sichtbare Veränderung vollziehen, desgleichen in der ganzen Kommunität. Ich behaupte ja nicht, dass wir einer totalen Umstellung bedürfen, einer wahren Bekehrung… Das nicht, wir sind immerhin gut. Ich möchte keine Vergleiche mit wem auch immer anstellen. Dennoch behaupte ich, in keiner anderen religiösen Gemeinschaft findet man einen besseren und vortrefflicheren Kern, so viel Einfachheit, Herz und Hingabe wie bei uns… Ich schließe noch mehr ein: Selbst was Gehorsam und Schlichtheit des Urteils anlangt, obwohl ihr es nicht immer zeigt. Sogar die Liebe, obzwar wir allzu gern dagegen verstoßen. Und gerade das macht unsere Stärke und Vitalität aus. Wir haben also alles, was wir brauchen. Wir tun viel. Warum dann nicht auch das, was uns noch abgeht? Lasst uns doch die fehlenden Bausteine auf unser Gebäude legen! Und jetzt ans Werk!
Was fehlt uns denn noch? Lehrgut? Wollt ihr denn etwas anderes haben? Habt ihr einen einzigen Zweifel diesbezüglich? Bringt unsere Art und Weise zu Gott zu gehen, die geringste Unsicherheit mit sich? Lässt unsere Beziehung und Vereinigung mit dem Heiland den kleinsten Wunsch offen? Ist unser Evangelium nicht das unseres Herrn, wie es niedergeschrieben ist und den Evangelisten geoffenbart wurde? Gleicht das Innere unserer Zellen nicht dem Häuschen von Nazareth? Unterscheiden sich unsere Predigten von denen unseres Herrn, desgleichen unser Arbeiten?
Was kann uns also noch trennen von der ungeteilten Liebe des Erlösers? Ein einziger Umstand brächte dieses fertig: Unsere Untreue, diese Kette nicht tragen zu wollen, die uns an Gott bindet. O dieses unaussprechliche Band! Geben wir uns doch aus ganzem Herzen hin, dann werden wir wirkliche Männer und Ordensleute. Der Heiland findet dann in uns ein Abbild seiner selbst, wir sind die Freunde seines Herzens, sind jene, denen er alles sagt, denen er alle Geheimnisse, seine ganzen Gedanken anvertraut. Unsere Theologie ist gut und scharf gezeichnet. Ich sage das noch einmal: Wir haben alles, was uns nottut. Es fehlt lediglich der Abschluss, die Krone des Gebäudes. Mögen ihm diese Exerzitien das göttliche Siegel der Liebe noch aufprägen, der Gottes- und Nächstenliebe, jener Liebe, der Jesus seine Segnungen versprochen hat.
Die Gute Mutter hat mir gesagt: „Ich verlasse euch nicht, ich bleibe allezeit mit euch, damit ihr wahrhaft würdig eurer Berufung befunden werdet…“ Ich bedaure, dass ich euch nicht alles sagen kann, was sie mit über diesen Punkt anvertraut hat.
P. Rollin wird uns noch ein Wörtchen sagen, hoffe ich. Auch P. Pernin wird uns einiges erzählen von dem, was er auf seinen Predigtreisen erlebt und bemerkt hat und was euch eine genaue Vorstellung von dem geben kann, was ein Oblate des hl. Franz v. Sales sein soll.
Ich schließe, indem ich euch beschwöre bei der Liebe, die unser Herr uns erwies. Bei der Gnade, die er uns zudachte, indem er (uns) die Gute Mutter schenkte: Wachsen wir alle während dieser Exerzitientage zu einem Herz und einer Seele zusammen. Während dieser gesegneten Tage hat er uns an sich gezogen und uns das Licht geschenkt, jenes Licht, zu dem seine Gnade uns berief „a constitutione mundi“ (Anm.: „Seit Anbeginn der Welt.“). Denkt nach über diese Dinge. Möge die Gnade in eure Seele herabsteigen, dass sie fest entschlossen sind, wahre und ganze Oblaten zu werden. Dass sie euch die Kraft verleihe, gehorsam der Lehre und Geist unseres hl. Stifters zu folgen. Amen.