3. Vortrag: Das Gelübde der Armut.
Macht euch Mut, indem ihr bekennt, was euch Gott dieses Jahr über gegeben hat, und so das ganze Leben hindurch. Das ist eine recht schöne Geschichte, was Gott da in unserer Seele gewirkt hat vom ersten Tag unseres Lebens an bis zu dem heutigen. Warum nicht darauf zurückkommen und uns unsere guten Eltern, unsere Erziehung, unsere Erstkommunion, unsere Stunden des Glaubens und der hl. Kirche ins Gedächtnis zurückrufen? Und wofür das? Weil uns nichts so gut tut wie die Erinnerung an diese Dinge. Es vermehrt unseren Mut. Wir spüren, dass Gott nicht wie Fremde behandelt hat. Seine Vorsehung war ständig mit uns, und dafür danken wir Gott… Seht nur, wie oft in der Liturgie diese Gesinnung der Dankbarkeit und Erkenntlichkeit aufscheint. Wir vergessen sie vielleicht allzu sehr.
Immer wenn wir ein wenig Verdrießlichkeit erleben und Mühseliges uns begegnet, wollen wir es annehmen als aus der väterlichen Hand unseres Gottes und Erlösers hervorgehend! Auf diese Weise setzen wir unsere Exerzitien das ganze Jahr über fort und lassen uns keinen der Schätze an Verdiensten, die in unseren Händen liegen, entschlüpfen.
In unsrem gestrigen Vortrag habe ich meine Gedanken nicht zu Ende geführt. Ich sprach über die Schwierigkeiten, die die Oblatinnen mir in ihren Anfängen bereitet haben. Ich habe nicht hinzugefügt, dass seit einiger Zeit diese Schwierigkeiten vollkommen verschwunden sind. Und das kommt davon, dass sie sich angewöhnt haben, das (private) Gelübde der Nächstenliebe abzulegen. Ich glaube, es gibt im Moment keine aus ihnen, die dies Gelübde nicht abgelegt und es erneuert, die einen jeden Monat, die anderen jedes Vierteljahr, jedes halbe oder auch häufiger. Dieses Gelübde betrachten sie als das Fundament ihrer Verpflichtungen, davon gehen sie aus und das hält sie sie aufrecht, und so formen sie zurzeit eine absolut großmütige Kommunität. Es gibt bei ihnen nicht das Geringste mehr auszusetzen.
Dieses Gelübde sollten wir alle ablegen, meine Freunde. Es hätte ohne Zweifel einen viel stärkeren Einfluss auf unser ganzes Ordensleben, als jedes andere Gelübde.
Ich sprach auch von jenem guten Priester, der zu Gott betete: „Lass mich nicht so bald sterben, weil ich im Himmel die hl. Messe nicht mehr lesen könnte…“ Damit wollte ich euch zeigen, dass wir das Paradies auf Erden haben könnten, wenn wir unser Priester- und Ordensleben gut verstünden.
Noch ein Wort über meinen gestrigen Vortrag, da ich gerade dabei bin. Ich muss mich entschuldigen, dass ich mich falsch ausgedrückt habe. Ich sagte nämlich, ich könntet über mich reden, was ihr wollt, es wäre mir gleichgültig. Versteht wohl, was ich damit ausdrücken wollte. Mein Satz könnte nämlich auf verschiedenerlei Weise ausgelegt werden. Ich möchte nicht, dass ihr dächtet, euer Denken und Urteilen über mich seien mir gleichgültig und ich stünde hoch darüber. O nein, ich wollte lediglich folgendes sagen: Wenn man über mich Nachteiliges denkt oder sagt, dann beeindruckt und ärgert mich das wohl im Moment, ich vergesse es aber gleich danach wieder und denke nie mehr daran. Wird mein Gedächtnis nicht wieder durch irgendwelche Umstände aufgefrischt, so erinnere ich mich im Allgemeinen nie an meine früheren Eindrücke. Ich betrachte eure Urteile und Gefühle ganz gewiss nicht als etwas Wertloses. Im Gegenteil. Ich hege gegen jeden große Ehrfurcht und Liebe.
Heute Abend wollen wir über die Gelübde der Armut sprechen.
Als ich das erste Mal das Kloster der Heimsuchung zu Troyes betrat, war ich tief beeindruckt von ungewöhnlicher Armut des Gemeindesaals und aller Orte, die ich sah. Aber das sind eben Frauen, mag man denken. Nun, dann besucht einmal die Missionare des hl. Franz v. Sales zu Annecy. Ich habe dort die Zellen und verschiedene Säle gesehen: Sie haben sich das Gebot der Armut wirklich zu Herzen genommen. Alles ist sehr sauber und geziemend und sehr arm. Die Möbel und Gebrauchsgegenstände bieten einen strengen Anblick, der gleichwohl nicht unangenehm wirkt. Das gleiche gilt von ihrem Refektorium und Sprechzimmer. Die Besucher werden davon tief beeindruckt und gerührt. Das ist klösterlich, so gar nicht weltlich, das ist würdig und passend. Es gibt viele Übergänge vom Palast eines Fürsten bis zur Unterkunft eines armen Schusters. Jeder sollte das beobachten, was seinem Rang entspricht! Ein einfacher Handwerker kann in seiner einfachen Wohnung würdiger wohnen und von den Menschen höher geachtet werden als ein Prinz in seiner Luxusvilla. Möge unser klösterliches Mobiliar geprägt sein von dem besonderen Charakter der Schicklichkeit, d.h. der Armut.
Das Geheimnis unserer Armut müssen wir in Nazareth suchen. Hier müssen wir uns inspirieren lassen, denn das ist nicht naturgegeben. In der Welt zieht man die Bequemlichkeit jeder Einschränkung vor. Man hat ein schönes Appartement lieber als eine enge Zelle, umgibt sich mit einer Fülle von angenehmen Gegenständen statt sich ans strikt Notwendige zu halten. Gehen wir doch nach Nazareth und betrachten wir dieses Innere, dann verstehen wir, was vollständige Armut, Arbeit, auch Entblößung und manchmal Not heißt… Die tägliche Nahrung übertraf an Qualität nicht die des ärmsten Arbeiters. Das sollte man gut verstehen.
Wir wollen unsere hl. Regel in diesem Punkt zu verwirklichen trachten, und zu diesem Zweck die Schriften des hl. Franz von Sales zur Hand nehmen. Suchen, was er über die Armut der Zellen, die Gebrauchsgegenstände, auch die Kleider gesagt hat. O, was die Kleidung betrifft, so sind wir in Ordnung und mehr als das! Das ist bereits durchgeführt und ein klein bisschen sogar zu weit geführt.
Wir wollen die Armut auf jeden Fall nach dem Geist der hl. Regel beobachten. Müssen wir die Menge unserer Nahrung vermindern? Nein, wir sollen nur nach Appetit essen. Geht es um die Qualität unserer Nahrung? Auch nicht, wenn die Notwendigkeit der Gesundheit es erfordert, und man es wirklich braucht, darf man sich sogar etwas Besonderes geben lassen.
All das ist in Ordnung, und das tun wir ohne Skrupel. Ist die Gesundheit aber gut, obwohl man sich nicht sehr stark fühlt, diese Bemerkung fügt man nämlich immer dazu, genügt dann die gegebene Nahrung nicht? Da sollte man es sich nicht angewöhnen, Ausnahmen zu machen von dem, was der ganzen Gemeinde gereicht wird. Das tue man nur, wenn man ernste Beweggründe dazu hat. Seien wir immer mäßig und abgetötet bei jeder Mahlzeit.
Denken wir immer an die Armut des Arbeiters von Nazareth. Heute noch zeigt man im Hl. Haus von Loretto einen Teil der Gebrauchsgegenstände, die Maria und Josef und dem Hl. Kind beim Hl. Kind beim Essen gedient haben. Welch ärmliche Mahlzeiten mussten sich doch in den armseligen Essnäpfen befunden haben! Konnte sich der, der die Vögel nährt, nicht die erlesensten Gerichte leisten? Das vermied er peinlichst, und damit ist er unser Vorbild, an das wir uns halten wollen.
Würden wir gegen uns selbst strenger sein, kämen wir ebenfalls dahin. Viele Bedürfnisse, die sich in uns zu Wort melden, würden zum Schweigen kommen. Um welch gutes Beispiel gäben wir den anderen! Warum habe ich denn selber eine Gemeinschaftsküche für alle unsere Häuser von Troyes bauen lassen? Ausgerechnet wegen der Erfahrungen, die ich auf diesem Gebiet machen konnte: Um die Ausnahmemacherei zu unterbinden. Die Oblatinnen sind zweimal so stark wie wir, und doch macht keine von ihnen bei ihren Mahlzeiten eine Ausnahme. Oder seht nach in den Klöstern der Heimsuchung oder des Karmels, ob es da Ausnahmen gibt. Seien wir doch Männer, tapfer und großmütig! Gewiss soll man mit seiner Gesundheit nicht Raubbau treiben und keine Unklugheiten begehen. Man soll sich aber auch abtöten. Das Kreuzzeichen, das wir zu Beginn des Mahles machen, und das Tischgebet, all das hilft uns und stellt uns den Beistand der göttlichen Gnade sicher.
Wenn es je Unglücksfälle gab… (das ist eine delikate Frage, ich möchte hier wirklich keinen anklagen…), wenn es in mehreren Häusern Katastrophen und Ärgernisse gab, dann liegt die Ursache in einem Mangel an Abtötung, in der Sünde gegen die Armut beim Essen. Hätten diese Ordensleute die Nüchternheit und die hl. Regel beobachtet, sich gebührend überwunden, wäre das Übel nicht geschehen. Wieso das? Weil die klösterliche Vollkommenheit und die Beobachtung der Regel die Seele bewahrt und ihr Kraft und Mut verleiht. Im umgekehrten Fall überlässt man sich der Leidenschaft, die Sinnlichkeit trägt den Sieg davon, der Teufel hat Zutritt, der ohne Unterlass um uns seine Kreise zieht.
Lasst uns also treu unsere kleinen Übungen im Speisesaal vornehmen. Wir stehen nicht vom Tisch auf, ohne uns irgendwie abgetötet zu haben. Die hl. Regel macht uns dies zur unumgänglichen Pflicht. Wir schütten immer etwas Wasser in unseren Wein. Das tut ihr natürlich nicht, wenn man uns zufällig einen außergewöhnlichen Wein anbietet, weil es gegen die Gastgeber unhöflich wäre. Doch in der gewöhnlichen Praxis soll dies unsere Gewohnheit sein, da die Regel es so vorschreibt.
Bezüglich unserer Kleidung lasst mich mehrere Bemerkungen machen. Wir haben alle den römischen Kragen übernommen, das ist gut so. Doch macht man mich darauf aufmerksam, dass unter unseren weltlichen Mitarbeitern, unseren Novizen und selbst jungen Patres dieses Kollar zur Schau stellt mit einer Ungeniertheit, die gar nicht kirchlich ist. Man nenn mir einen kleinen Oblaten, der einen Spazierstock, ein Stöckchen in der Hand schwingt, leichtsinnige Allüren an sich hat und überall seinen kleinen weißen Kragen zeigt. Nun, in der Diözese Troyes trägt man keinen römischen Kragen, und in ganz Frankreich gibt es kaum eine Diözese, wo man ihn trägt. Man fällt damit auf: Das ist ein Oblate… Und bei der allgemeinen Missgunst und dem Weltgeist, der den Ordensleuten nicht immer gewogen ist, beim Klerus, der uns nicht gerade viel Zärtlichkeit und Wohlwollen entgegenbringt, heißt es aber achtgeben, nicht unangenehm aufzufallen und Ärgernis zu erregen.
Die Kleidung: Oft beklagt man sich darüber, verlangt gern eine neue Soutane und trägt nicht viel Sorge um sie. Und gerade jene, die der Gemeinschaft am meisten Unkosten verursachen, sind die Anspruchsvollsten, sind jene, die sich am meisten beklagen. Wir sollten aber unbedingt zurückhaltend sein und dafür sorgen, dass wir unsere Kleider so lange wie möglich erhalten, wie es eben ein Armer tut, der weiß, dass er sich keine neuen Kleider leisten kann.
Bei der Beerdigung des Kardinals von Paris waren auch die Herren von St. Sulpice zugegen (Oratorianer). Unter diesen sah ich vier oder fünf ehrwürdige Priester, die arme und abgetragene Talare trugen, ein oder zwei davon sahen geradezu erbärmlich aus. Ich hätte es lieber gesehen, wenn diese zwei sauberer gewesen wären… Bei mir selbst aber dachte ich mir, dass diese beiden eine kräftige Lektion über Einfachheit und Armut erteilten. Es war für den jungen Klerus ein schönes Beispiel… Unsere Kleidung sei einfach und arm, aber reinlich und gut gepflegt. Die ersten Kirchenväter, z.B. der hl. Hieronymus, legten großes Gewicht darauf, dass der Priester viel Sorgfalt verwende auf die Sauberkeit und die Armut.
Eine andere Frage, über die zu sprechen mir angezeigt erscheint, betrifft die Geschenke, die man bei der und der Gelegenheit empfängt. Es ist formell verboten, ohne Erlaubnis Geschenke zu empfangen. Ich weiß, dass mehrere unserer jungen Patres dies dennoch tun. Man lässt sich von den Schülern Geschenke geben, und beeinflusst sie geschickt und indirekt dazu. Man begeht dadurch den Fehler, sie ohne Erlaubnis anzunehmen, sie sich anzueignen, und behalten. All das ist aber nicht statthaft. Die Regel spricht klar und will beachtet sein, dass niemand ohne Erlaubnis, was es auch sei, in Empfang nehme und als sein Eigen betrachte. Ob es von eurer Mutter, von euren Eltern kommt, von einem Beichtkind oder von euren Schülern, ist unwichtig. Will man uns absolut etwas schenken, dann bitten wir um Erlaubnis!
Man möchte euch etwas schenken, man fragt eure Freunde oder euren Oberen oder euch selbst, was ihr gern hättet. Ihr bekommt die Erlaubnis dafür. Ihr fragt euch nun, was ihr wünschen sollt. Warum nicht um etwas Geld bitten für unser Priesterwerk, für unser Werk für Ordensberufe? Die einfachen Gläubigen geben gern, warum sollten wir es nicht auch tun? Tut es doch und zwar aus innerer Überzeugung! Unser Priesterwerk ist absolut notwendig! Unsere Kollegien können sich allein nicht mehr durchbringen, unsere Jugendwerke stecken auch ihre Hand aus und leben von den Gaben der Liebe… Würden wir unsere Genossenschaft lieben, die Übung unseres Armutsgelübdes uns ein Herzensanliegen sein, dann würden wir in Gold und Silber all die läppischen Dinge verwandeln, die man sich uns einfallen lässt, zu schenken.
Von mehreren Seiten macht man mich auf einen Missstand aufmerksam, und zwar sind es Personen, die uns Achtung und Zuneigung entgegenbringen: Es bestehe eine Neigung bei mehreren unserer jungen Patres, ihr eigenes kleines Mobiliar zu haben, ausgesucht, gepflegt und geschmückt. Ihr Zimmer gleiche eher einer weltlichen Kapelle…
Man hat sich seine kleinen Gewohnheiten zugelegt, man gefällt sich in seinem kleinen Daheim, kostet genießerisch all die niedlichen Gegenstände, die ja nichts anderes sind als empfangene Geschenke, ruht sich darin aus und hält sich doch für einen Ordensmann… hält sich für einen Oblaten… Ich nannte es eben eine Art Kapelle. Sehr nur, wie in den großen Häusern der Welt die Zimmer geordnet sind: Da gibt es einen Salon, ein Esszimmer, ein Herrenzimmer, ein Damenzimmer, mit Luxusgegenständen und kindischen Lappalien angefüllt? Nein, die Einrichtung ist vielmehr solide, kräftig und einfach, am liebsten aus Eichenholz, Stühle und Sessel ungepolstert, wie es halt Männer lieben. Selbst in der Welt gibt man also einem Mann kein Putzzimmer wie einer Schlossherrin. Und ausgerechnet ein Ordensmann möchte sich so einrichten! Pfui, das ist beschämend für einen Religiosen!
Um da abzuhelfen heißt es die hl. Regel zur Hand nehmen und sich an ihren Geist uneingeschränkt zu halten. Heißt es wie in der Heimsuchung und bei den Missionaren des hl. Franz v. Sales, sich mit den Möbeln der Kongregation begnügen. Wenn wir alle dieselben Tische, Stühle, Schränke, dieselben kleinen Büchergestelle für unsere Bücher haben, dann fühlen wir besser, dass wir Kinder derselben Familie sind, in der es keine Ausnahmen gibt.
Prüfen wir das in diesen Exerzitien im Einzelnen und bauen wir die hl. Armut und die treue Beobachtung der hl. Regel in uns auf in Bezug auf Nahrung, Kleidung und Mobiliar.
Wir wollen also arm werden und diese Tugend verstehen und hoch achten. Welcher Mensch hat wohl den stärksten Einfluss auf die Welt ausgeübt? Ist es nicht der hl. Franz von Assisi? Er allein hat mehr Kinder bekommen als alle Ordensgründer. Woher diese Fruchtbarkeit? Er hat es selbst gesagt: „Ich heirate die Armut und aus dieser Verbindung wird eine so zahlreiche Familie hervorgehen wie die Nachkommenschaft Adams, Isaaks und Jakobs. Meine Söhne und Töchter werden die Erde bevölkern.“ Hat er Recht behalten? Gehen wir die Geschichte durch: Ja, seine Minderen Brüder, die ganz Kleinen, die Letzten der Kirche bedecken die Erde. Sind sie wegen ihrer Kleinheit zu verachten? Hat er nicht zur gegenwärtigen Stunde, er der Bettler von Assisi, hat er nicht seit 600 Jahren Tausende und Abertausende von Seelen unter seinem Einfluss gehalten? Und der Grund dafür? Weil er arm war.
Die Armut des hl. Franz v. Sales ist nicht dieselbe wir die des Armen von Assisi. Der Bischof von Genf wohnte in einem bischöflichen Palast, er ist noch heute in Annecy zu sehen. Die Möbel stehen noch darin und sagen uns sehr beredt, dass kein Luxus in diesem Palais herrschte. Es herrschte vielmehr äußerste Armut. Als die hl. Chantal ihm eine zweite Soutane schenken wollte, wehrte er ab, die erste sei noch nicht aufgebraucht und er arbeite sie innerhalb eines Jahres auch nicht auf… Unser hl. Stifter war also ebenso arm wie der Heilige von Assisi. Er trug zwar äußerlich keine geflickten Kleider und ging nicht barfuß, aber seine Armut war eine ganz geistige, innere: „Beati pauperes spiritu, quoniam ipsorum est regnum coelorum.“ (Anm.: „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.“). Was bedeutet dieses Wort?
Die Erklärer sagen, es bedeute Losschälung des Herzens von den Gütern der Welt. Ich schätze die Schriftausleger sehr… Es scheint mir aber, dass man diesen Worten noch einen anderen Sinn geben kann.
„Pauperes spiritu“ kann auch heißen: Selig, die ihr Wollen und Urteilen hinopfern, die innerlich ganz arm und entblößt sind, die selbst Willen und Verstand abstreifen, um nichts mehr zu besitzen, nicht einmal das. Und diese Armut vereinigt sie aufs Innigste mit dem Erlöser. Sie teilen nicht nur Nahrung und Kleidung mit ihm, sondern verbinden auch ihr Wollen und Denken mit dem Seinigen und behalten nichts mehr für sich. Wie schön das ist, meine Freunde! Und das ist keine Einbildung. Ich habe es selbst erlebt bei der Guten Mutter und ihrer Umgebung. Da habe ich dieses „Beati pauperes spiritu“ begriffen. Denn das ist die wahre und komplette Armut, mit der wir uns vermählen und ständig zusammenleben müssen, damit sie nicht nur unsere Begleiterin, sondern unsere zweite Natur werde.
Was ich von der äußeren Armut gesagt habe, die wir wahren und hochhalten sollen, das soll einmal unser Gebräuchebuch regeln. Unsere Armut schließe aber auch die geistige Entblößung ein, wie ich sie oben ausführte. Diese wollen wir uns sehr angelegen sein lassen. Die Gute Mutter sagte gern: „Wenn ihr wüsstet, was es heißt, alles zu verlassen, alles hingeben, nichts mehr zurückzubehalten! Das aber wird uns nur dank einer großen Gnade Gottes zuteil…“ Gehen wir also mutig in dieser Richtung voran. Wann werden wir wirklich vollständig arm sein? Ich weiß es nicht. Der Herr zeigte sich schon sehr gütig, dass er uns auf diesem Weg entgegenkommt. Seht die Jünger von Emmaus, wie sie von traurigen Dingen reden, die ihr Herz erkälten. Da begegnen sie dem Herrn, er öffnet seinen Mund und da fühlen sie, wie ihr Herz entbrennt. Sie erreichen die Herberge und wollen ihren Begleiter nicht weiterziehen lassen. Beim Brechen des Brotes erkennen sie ihn endlich. Bittet ihn herzlich um diese geistliche Armut. Versucht, sie einzuüben. Seid nicht eitel und vernarrt in eure persönlichen Ideen, voll von euch selbst. „Beati pauperes spiritu“ (Anm.: „Selig die Armen im Geiste.“). Wir sind recht klein und armselig. Ihr werdet aber reich, wenn ihr die Gaben nutzt, die Gott euch bei der hl. Messe, bei der hl. Kommunion schenkt. Wenn ihr euren Willen der hl. Regel unterordnet. Wenn ihr nur einige Anstrengungen in dieser Richtung unternehmt, wird Gott darauf sehen, und euch zu Hilfe kommen.
Unser hl. Stifter und die Gute Mutter haben für sich und für uns nicht den schlechtesten Teil der Armut erwählt, denn diesen Teil hat auch der Herr praktiziert und darum soll er auch der unsrige werden. Wenn wir diesem Teil treu anhangen zusammen mit den Lehren unserer Guten Mutter und der Lehre des hl. Franz v. Sales, dann werden wir wahrhaft losgeschält. Dann sind wir so weit gegangen wie Christus selbst. Schließen wir uns ihm also großmütig an, da sein Herz uns dazu ruft.
Von allem, was ich euch da gesagt habe, wollen wir das eine behalten, dass wir arm sein sollen. Geben wir uns ohne Vorbehalt der inneren wie der äußeren Armut hin. Wir wollen nachdenken und sehen, was unser Herr von uns erwartet. Möge das Hl. Haus von Nazareth unsere Heimstatt werden, mögen die Kleider Jesu auch die unseren sein, ebenso wie die Seele und die Gesinnung Jesu unser Vorbild sein soll. Dahin ruft uns der Herr. Mit Hilfe welcher Mittel gelangen wir dahin? An erster Stelle mit Hilfe der hl. Armut.