Exerzitienvorträge 1897 (August)

      

5. Vortrag: Das Gelübde der Keuschheit.

Jeder von uns fasse seine Vorsätze bezüglich der drei Punkte, die wir berührt haben: Die Liebe, die Armut und der Gehorsam. Jeder Ordensmann muss ja irgendetwas während dieser Einkehrtage dazugewinnen. Ausreden wären ja unstatthaft, wenn wir nicht auf der Strecke bleiben wollen. Darum prüfe sich jeder im Gewissen und wähle die Mittel, wie er die Liebe üben kann. Ich lade euch alle ein, das Gelübde der Liebe abzulegen für drei, sechs oder zwölf Monate. Jeder sehe nach, was er tun kann, um dieses Gelübde treu zu beobachten. Wenn die Zunge euch juckt und euch die Lust packt, ein Wörtchen gegen den Nächsten zu sagen, erinnern wir uns dann, dass wir gehalten sind, kurz abzuschneiden. Keiner von uns vergesse, sich in der Beichte aller Verstöße gegen unser Liebesgelübde anzuklagen. In kurzer Zeit werden wir ganz verwandelt sein, wenn wir uns hierin treu erweisen. Gewiss wird es keine in die Augen springende Bekehrung geben, dich die Selbstbeherrschung, die Anstrengung, und der gute Wille werden uns reichste Segnungen zuziehen. Jedermann wird es bemerken und darüber glücklich sein. Was die Dauer des Gelübde betrifft, so möge jeder seiner Eingebung folgen. Ich rate euch bloß, es nicht über ein Jahr hinaus zu geloben. Ersprießlicher ist, es öfter zu erneuern.

Erforschen wir unser Gewissen ferner über die hl. Armut. Sehen wir nach, was wir tun können, um den oder jenen Fehler zu vermeiden, um die oder jene schwache Stelle zu verstärken. O dass doch die Gute Mutter euch etwas vom Geist der Armut herab schicken würde! Fände sich doch auch bei uns die vollkommene Armut des Klosters von Troyes! Wie schön das wäre! Welche Würde, wenn die Dinge, die uns umgeben oder die wir gebrauchen, auf das unbedingt Notwendige beschränkt blieben! Haben wir doch Liebe zu unserem Erlöser und sagen wir ihm, wir wollten tun wie er getan hat. Ich beschwöre euch, diesen Weg zu gehen. Ich wünsche, dass die Armut der besondere Charakterzug der Oblaten wird. Beseitigen wir, zur Erbauung des Nächsten und zur Einübung in dieser Tugend, alle kleinen äußeren Zeichen von Überfluss, Uhrketten, Spazierstöckchen, etc.… Und seien wir auch arm an geistigen Dingen. Wir haben Geist, das ist unser Eigentum, etwas was wir in Händen haben, mit dem wir Geschäfte machen können. Doch die Güter der Seele, der Intelligenz, wollen wir Güter materieller Art behandelt werden: Wir müssen uns ihrer entäußern. „Beati pauperes spiritu.“ (Anm.: „Selig die Armen im Geiste.“). Machen wir uns frei von unserem eigenen Wollen, von unserem Urteil, unseren Ideen, unserem Selbstbewusstsein, unseren Fähigkeiten. Alles das lasst uns nicht nach unserer eigenen Initiative benutzen, sondern einzig in der Weise, die man uns angibt. Welch ein Reichtum liegt doch in solcher Armut!

Er ist so groß, dass selbst in Verzückung gerät: „Beati“, selig die Armen! Die äußere Armut in Nahrung, Kleidung und Mobiliar ist gut, ist aber nur der Anfang. Wir sollten auch die geistige Armut besitzen, sie sollte in noch höherem Maße unsere Tugend sein.

Machen wir uns diesen Geist zu Eigen, die äußere wie die innere Armut.
Wenn etwas sorgsam bewahrt, gespart, ein Groschen zurückbehalten werden kann, auf der Reisre oder in unserer Zelle, so verpassen wir diese Gelegenheit nicht. Wir sollten ein inneres Bedürfnis verspüren, arm zu sein. Alle großen Seelen, die ich gekannt habe, waren verliebt in die Armut. Sie ist so schön, diese Anspruchslosigkeit! Sie zeigt eine wirklich erhabene Seele an, erhaben über die Eindrücke der Natur und der Sinne, hoch über den Engheiten und Egoismen des erdverhafteten Lebens stehend. Suchen wir in unseren Gewohnheiten, was wir zum Opfer bringen könnten. Gebricht es uns noch an Mut, ein Holokaustum, ein Ganzopfer, darzubringen, so suchen wir das dringendste Opfer heraus, die zwei kleinen lieben Tauben der Armen, deren Opfer Gott von uns erwartet, oder auch ein fetteres Lamm… Ja suchen wir, geloben wir, nehmen wir das Messer zur Hand, töten wir entschlossenen Mutes unser Opfertier! Es soll hier zu Füßen Gottes verbluten.

Über den Gehorsam habe ich weniger gesagt. Darüber könnt ihr in den einschlägigen Abhandlungen selber nachlesen, bei Rodriguez z.B., mit welch auffallenden und zahlreichen Wundern Gott zum klösterlichen Gehorsam ermuntert. Das habe ich 35 Jahre meines Lebens selbst erlebt, wahre Wunder, die der Gehorsam wirkte für unsere Ehrwürdige Mutter Maria Salesia.

Jeder sehe nach in seiner Seele, was beim Gehorsam schwerfällt. Ich sage nicht, man müsse das ganze Stück auf einmal hergeben. Tun wir es wenigstens Stück für Stück, entschlossen, aber doch gelassen. Sagen wir uns immer wieder, es ist eine Lächerlichkeit, das nicht zu halten, was man versprochen hat. Der Herr geht vorüber und ruft mich. Soll ich da nicht antworten? Doch, aus ganzem Herzen spreche ich: Ja, Herr! Und wenn ich dann aber doch stehen bleibe und ihm nicht folge?

Der Oblate des hl. Franz v. Sales gehorcht nicht „perinde ac cadaver.“ (Anm.: „Wie ein Kadaver.“)… Das riecht nicht gut, ein Leichnam, das ist tot! Unser Gehorsam soll aber lebendig und liebevoll sein. Das Blut unseres Erlösers durchpulst ihn.

Es ist gut, dass das Gehorchen ein bisschen wehtut, dass es uns etwas abverlangt… Wären wir aber ein „Kadaver“, würde man nichts verspüren. Tut es euch aber weh, dann beweist das, dass ihr lebt. Und wie ihr lebt! Es ist das Leben dessen, der gesagt hat: Damit ich deinen Willen tue, Vater.

Ein letztes Wort über die hl. Keuschheit.
Ihr wisst, wie wir diese Tugend verstehen: Sie hat einen positiven und einen negativen Teil. Letzterer bedeutet Verzicht auf die Gelüste des Fleisches, der Sinne, der Phantasie, wie man ihnen im gewöhnlichen Leben der Menschen begegnet. „Vos autem genus electum, regale sacerdotium.“ (Anm.: „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum.“). Ihr seid der auserwählte Teil, den Gott von Ewigkeit dazu bestimmt hat, das Lied zu singen, das kein anderer singen kann, und dem Lamm zu folgen, „quocumque ierit“. (Anm.: „Wohin es geht.“). Wir sind berufen, dieses Privileg mit Johannes, dem jungfräulichen Jünger zu teilen.

Die positive Keuschheit besteht darin, positive Akte der Tugend der Reinheit zu setzen. Welche Akte? Solche der Freundschaft und der Liebe zum Heiland. „Iam non dicam vos servos, vos autem dixi amicos.“ (Anm.: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde.“). Die positive Keuschheit tut für Jesus Dinge, die ihn zufriedenstellen und sein Herz erfreuen, mit aufmerksamen Herzen, mit gesammeltem und hingegebenem Geis während der Betrachtung, der Besuchung des Allerheiligsten und bei der bei der hl. Kommunion. Darin liegt das Geheimnis aller Heiligkeit und Reinheit beschlossen: Lasst uns anbeten den Herrn in seinem jungfräulichen Leib! In der Eucharistie ist er mit Leib und Seele zugegen, in einem Zustand, wo alles an ihm unmateriell und vergöttlicht ist. Welche ein Schatz der Liebe Gottes und der Menschen! Ihn sollten wir lieben, dazu sind wir verpflichtet.

Wir haben ein Herz! Beachten wir das. Gott hat sich mit seiner Schöpfung nicht geirrt. Er hat in dieses Herz Schätze der Liebe und Zärtlichkeit gelegt, je nach der verschiedenen Berufung, zu der er die Menschen bestimmt. Diese Liebe muss aus dem Herzen aufsteigen, sich ausbreiten und mitteilen: Das ist das Gesetz jeder Liebe. Wir dürfen diesen Schatz nicht benutzen zur Befriedigung eines Wesens, das uns gleicht. Und doch ist diese Liebeskraft da. Allzu viele Philosophen und Theologen haben das verkannt. Sie wollen, dass der Ordensmann, Priester und Philosoph sich über jedes Gefühl erhebe. Das ist ein Irrtum und eine Dummheit. Wir haben das Bedürfnis, jemanden zu lieben… Was tun wir also mit dieser unbenutzten Liebeskraft? Wir richten sie auf uns selbst, wie es allzu oft geschieht. Das ist purer Egoismus.

Zur Kreatur sollen wir auch nicht damit gehen, unser Herz ist nicht geschaffen dafür. Gehen wir also höher hinauf, steigen wir bis zum Schöpfer selbst hinan, bis zum Erlöser unserer Seele. Er hat uns für sich geschaffen. Was wir ihm geben sollten, versuchen wir leider auf andere oder auf uns selbst zu beziehen. Ihr habt das Bedürfnis zu lieben, ich wiederhole es. Warum lassen wir denn diese Kraft unbenutzt brachliegen? Warum wollen wir nicht danach trachten, unseren Herrn zu lieben?

Aber das ist doch Gefühlsseligkeit? Nein, das ist Wahrheit, das Vernünftigkeit, das ist Evangelium. Lest beim hl. Johannes nach, hört den hl. Petrus ausrufen: „Domine, tu scis quia amo te.“ (Anm.: „Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“). Als er auf dem See Tiberias in Lebensgefahr schwebt, schreitet er über das Wasser… Was hält ihn über dem Wasser? Seine Liebe zu Jesus: „Iube me ad te venire super aquas.“ (Anm.: „Heiße mich zu dir über die Wasser gehen.“).

Versuchen wir es, meine Freunde. Es ist noch nicht in unsere Gewohnheiten eingegangen, in unser Lebenssystem, in unsere Sitten. Wir würden es leichter einem unserer weiblichen Beichtkinder anraten… Eine Frau liebt, egal wen selbst den lieben Gott… Jawohl, aber das Herz des Mannes ist weiter, großmütiger, stärker, und das auch in der Liebe. Übersehen wir das nicht.

Dieses Rezept, das ich euch nenne, um die Keuschheit zu üben, habt ihr vielleicht bis heute nicht gekannt. So machen wir uns daran bei der Betrachtung, beim Besuch des Allerheiligsten, beim hl. Messopfer, immer wenn wir uns in der Gegenwart unseres Herrn befinden. Was trennt ihn denn von uns in unseren Häusern? Ist er nicht jederzeit in unserer Mitte, zugegen bei unserem Beten, Arbeiten, Erholen und Ruhen? Sein Blick ruht auf uns, sein Herz neigt sich zu uns, überall sind wir in seiner Nähe und Gegenwart. Bei der hl. Messe sprechen wir nicht mit uns, sondern er sagt: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Wir sagen es mit ihm zusammen, es herrscht da eine vollkommene Einheit, Jesus und sein Priester sind nicht zwei. Immer, wenn ihr euch Gott nähert, sorgt dafür, dass euer Herz vergehe in Liebe, so wie jenes des hl. Prudentius, Bischof von Troyes, wenn er die hl. Messe feierte mit einer Albe bekleidet, die ihm die hl. Jungfrau Maura gewoben hatte.

Ich hatte in der Großen Kartause einen Jugendfreund, den P. Retournat. Er war Novizenmeister und gleichzeitig Beichtvater für Gäste. Eines Morgens betrete ich seine Zelle und sehe seinen Betschemel ganz tränennass. „Was haben Sie denn heute Morgen zu Gott gesagt“, frage ich ihn. – „Ein Gedanke hat mich dermaßen gerührt, dass ich in Tränen ausbrach, der Gedanke, für die kleinen Kinder zu beten, dass sie ihre Taufunschuld nicht verlieren…“ – „Aber warum da so weinen?“ – „Weil ich Gott in der Betrachtung sagte, ich liebe ihn so sehr. Und er schien mir zu antworten, er liebe mich ebenfalls. Und da muss ich sehen, wie er durch solche frühzeitigen Sünden beleidigt wird. Ich lasse meinem Herzen freien Lauf, und aus dem Herzen steigen die mir die Tränen in die Augen und ich vergieße sie aus Liebe und aus Sehnsucht…“ – Der P. Retournat war nicht irgendwer, er war während langer Jahre Beichtvater des Königs Albert gewesen.

Dass wir doch auch etwas von diesem Geheimnis (einer starken Herzens- und Gemütsliebe) verspürten, meine Freunde! Wie gut das wäre!

Ein kurzes Wort über die negative Seite des Keuschheitsgelübdes.
Erschrecken wir bei den verschiedenen Begegnungen mit Menschen nicht über die Schwierigkeiten in der Übung des Gelübdes. Manchmal sind es mühselige und schmerzliche Kämpfe, die wir zu bestehen haben und nicht in eklatanten Siegen enden. Wer wird uns befreien von diesem Leib des Todes? So möchten wir mit dem hl. Paulus ausrufen. Und wir bitten den Herrn, es uns zu ermöglichen, dass unser Fleisch sich unseren gehorsamen Sitten unterwerfe. „Ter Dominum rogavi, ut discederet a me. Sufficit tibi gratia mea, nam virtus in infirmitate perficitur.“ (Anm.: „Dreimal bat ich den Herrn, er möge von mir ablassen. Er aber antwortete mir: ‚Meine Gnade genügt dir, denn die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung.‘“). Auch uns gibt Gott zur Antwort: „Ich habe deine inständigen Bitten, deine Notschreie wohl vernommen… Aber nein, ich gebe dir keine äußere Hilfe und nehme die Versuchung nicht von dir. Ich bewahre sie dir, du sollst sie schwer und mühsam empfinden, ebenso aufreizend wie in der Vergangenheit. Es genügt dir meine Gnade, und diese Gnade verspreche ich dir.“

Dürfen wir beten, von der Versuchung befreit zu werden? Das dürfen wir sicher, der hl. Paulus rät aber davon ab. Wir können zwar darum bitten, von dieser Last befreit zu werden, es scheint aber, dass es besser ist, in seiner Seelennot den Blick auf den Herrn zu richten und zu ihm zu rufen: „Domine adiuva nos, perimus.“ (Anm.: „Herr, hilf uns, wir gehen zugrunde.“). Und dann hören wir ihn antworten: „Meine Gnade genügt dir.“

Vergessen wir nicht: In dieser Art Versuchungen schöpfen wir starke Hilfsquellen und große Kraft zum Dienst Gottes. Gerade die am meisten versuchten und verfolgten Seelen waren auch die großmütigsten und eifrigsten im Dienste Gottes. Ja, ich bin versucht zu behaupten, dass die Versuchung häufig ein Zeichen göttlicher Liebe ist. Ihr werdet das feststellen, wenn ihr lange Zeit im Dienste der Seelen, in der Seelenführung gestanden habt. Dann werdet ihr das gleiche sagen wie ich. In der Versuchung sollten wir immer wiederholen: „Herr, ich weiß, du gibst mir hiermit nur einen Beweis deiner Liebe… Das Maß der Versuchungen, die sich auf mich niederschlagen, ist auch das Maß deiner Liebe zu mir.“ So ungefähr sagte auch der große hl. Ignatius von Antiochia, als er zum Martertod schritt, von zwei Soldaten bewacht, die bösartig waren wie zwei Leoparden. „Ihre Bosheit“, schrieb er, „ist mein Unterricht, meine Lektion, Zeugnis des Willens und damit der Liebe Gottes: ‚Quorum malitia mea est doctrina.‘ (Anm.: ‚Ihre Bosheit ist für mich eine Lehre.‘). So weit willst du mich führen, mein Gott, das ist dein Wille, ich erkenne ihn, ich will ihn lieben…“ Nutzen auch wir dieses Mittel der Versuchungen, meine Freunde!

Hier ist eine Bemerkung fällig: Zweifellos ruht der unschuldige Johannes an der geheiligten Brust des Herrn. Im Himmel werden die jungfräulichen Seelen dem Lamm folgen und ewig ein Lied singen, das nur sie singen können. Gewiss gibt es für solche Seelen eine Glückseligkeit, der sonst niemand teilhaft wird. Schon auf Erden haben diese ganz reinen Seelen viele Vorrechte: „Beati mundo corde quoniam ipsi Deum videbunt.“ (Anm.: „Selig, die reinen Herzens sind, sie werden Gott schauen.“). „Sie schauen Gott schon hier unten“, sagte die Gute Mutter, „sie schauen ihn in den Unterpfänden seiner Liebe, in den Bekundungen seines Willens, in allem, was Gott gefällt und was er zulässt. Es ist das Privileg der reinen Seelen, Gott zu schauen. Besonders im priesterlichen Leben welch eine Stütze, welche Leichtigkeit, welches Glück!“

Aber ich mache auch eine seltsame wahre Beobachtung: Warum hat Christus so viele Zeugnisse seiner Liebe, warum hat er so viele Geheimnisse seiner Liebe gerade den Heiligen offenbart, die zuerst große Sünder waren? Seht den hl. Augustinus an, den man darstellt mit einem brennenden Herzen in der Hand. Scheint es nicht, dass das Feuer der Begierlichkeit in seinem Inneren in das Feuer der göttlichen Liebe verwandelt wurde? Welcher Seele hat Jesus mehr Beweise seiner Liebe gegeben als ihm? Und Magdalena, aus der sieben Teufel ausgetrieben worden sind? Wie konnte Jesus, die Reinheit und Heiligkeit in Person, ihr die Gnade solch unvergleichlicher Liebe geben? „Remittuntur ei pecdata multa, quoniam dilexit multum.“ (Anm.: „Ihr wurden viele Sünden nachgelassen, weil sie viel geliebt hat.“). Vor allem also nur keine Mutlosigkeit und Verzweiflung! Wenn die Gnade in solchen Sünderherzen fällt, erweckt sie in ihnen großmütige Gesinnungen: Das Maß meiner Untreuen soll auch das Maß meines Großmutes werden! Ein Maß entspricht dem anderen. Welche Umwandlung, welch ein Gnadengeheimnis! Die Menschen haben das nie verstehen können. Weder die Vernunft noch die Philosophie können dieses Problem erhellen. Es bleibt das unaussprechliche Geheimnis des Herzens Jesu. Warum hast Du Magdalena so geliebt? Warum den hl. Augustinus? Hatte der Pharisäer Simon nicht recht mit der Bemerkung: Er weiß nicht, dass die Frau, die ihn da berührt, eine Frau schlechten Lebenswandels ist!

Begreifen wir darum diese Reinigung der Seele, die uns zu Freunden Gottes macht. Wenn sie in das Herz eines Menschen hinabsteigen kann, der aus tiefer Schuld sich Gott erschließt, entspricht Gottes Liebe den begangenen Sünden. Solchen Seelen müssen wir helfen, ihre Wohnung auszubessern für die Liebe Gottes. Der Grad ihrer Sünden zeigt auch den Grad der Liebe an, die Gott für diese Sünderseele hegt.

Meine Freunde, denken wir über diese Wahrheiten nach. Das ist unser Lehrgut, das der hl. Franz v. Sales und der Guten Mutter Maria Salesia. Das ist die einfache und wahrhaftige Anwendung der evangelischen Worten und Taten. Das sind keine phantastischen Hirngespinste, nicht das Resultat menschlicher Erwägungen und Urteile. Es sind die Worte des Erlösers selber, ganz einfach, ganz herrlich, ganz göttlich. Vergesst das nicht in eurer eigenen Seelenführung wie in der der anderen. Stellt euch auf diesen Standpunkt. Werdet euch klar über das Temperament, die Umstände, die Versuchungen und Gefahren. Und richtet euch nach den Bedürfnissen der Seelen, nach ihren Sehnsüchten, soweit sie in Ordnung sind. Preisen wir Gott und danken wir ihm für die Gnaden, die er uns erteilt hat, indem er uns zu seinem Dienst berief und unter seine Fahne rief. Versprechen wir ihm ehrlich die volle Erfüllung unserer Exerzitienvorsätze.

Drei unserer Patres werden gleich nach der Aussetzung des Allerheiligsten ihre ewigen Gelübde ablegen. Wir lassen sie nicht allein ihre Gelübde erneuern. Wir vereinigen uns mit ihrem Glück, diese große Tat nach einer guten und hl. Einkehr vornehmen zu können.

Ich wünsche euch alle Segnungen und alle nötigen Hilfen, dass ihr würdig und heilig alle Pflichten unserer Berufung erfüllt!