Exerzitienvorträge 1896 (August)

      

4. Vortrag: Nochmal die Kollegien. Die anderen Werke.

Die Exerzitien dauern noch an, doch sie neigen ihrem Ende zu. Im Sommer, am Ende der heißen Jahreszeit erntet man, Ende des Herbstes ist Weinlese. Am Schluss einer fertigen Arbeit empfängt man seinen Lohn. Verdoppelt darum euren Mut und eure Energie. Es scheint, dass ich Mut mache… Nun, dann war er wirklich notwendig. Die Exerzitien haben ihre Bitterkeiten, Verdrießlichkeiten, ihr Abstoßendes und Mühseliges an sich. Wissen wir aber, dass dies alles kostbar ist, und im letzten der beste Teil, dann sagt man leichter zu ihnen ja, und nimmt das Niederdrückende, das uns begegnet, lieber an. Und so gelangt man leichter gesund und munter ans Ende der Schlacht.

Hätte ich im Lauf meine Seelsorgetätigkeit nicht derlei Dinge erlebt, könnt ich nicht darüber sprechen. Da ich aber selber gesehen, nicht nur bei einem Menschen, sondern bei zwei, drei, vier, ja zehn, da ich wiederholt festgestellt habe, dass Exerzitien umso nutzbringender sind, je mehr man geprüft und ausgetrocknet ist, kann ich nicht umhin anzunehmen, dass jedes Mal, wenn eine Seele durch solcherlei Heimsuchungen gehen muss, es für sie zum großen Vorteil ausschlägt. Sagt das all denen, die ihr selbst Exerzitien machen lasst!

Gewiss muss man bei Exerzitien sein Gewissen erforschen, in seine Angelegenheiten Ordnung bringen und entsprechende Entschlüsse fassen. Das lässt sich nicht umgehen. Man muss seine Schulden bezahlen und seine Handelsbücher mit Gott in Ordnung bringen. Alles Übrige kümmert uns nicht. Das überlässt man dem Willen Gottes, der göttlichen Zulassung. Muss man doch alles annehmen, was Gott uns schickt. So wird die Einkehr komplett und nichts fehlt an ihr. Die übrige Zeit des Jahres braucht ihr nur so fortzufahren und unendliche Schätze zu sammeln. Das ist die wichtigste Lehre des hl. Franz von Sales, und es ist zweifelsohne die klarste und verständlichste für alle Geister, und gleichzeitig die wirksamste.

Unsere „Werke“, meine lieben Freunde, beschränken sich nicht auf Kollegien. Unsere Kollegien sind sicher zuerst notwendig, wie wir gestern feststellten, um einen gewissen Teil der christlichen Gesellschaft anzusprechen. Denn außerhalb der Kollegien könnt ihr ja gewisse Familien in keiner Weise erreichen. Es ist euch unmöglich, in die Seelen einer ganzen Schicht von jungen Leuten den Samen des Glaubens zu werfen. Wo sollen sie aber die Wahrheit erfahren? Das ist doch ein schreckliches Gericht Gottes über eine ganze bürgerliche Gesellschaftsschicht, dass die große Mehrheit ihrer Kinder und der jungen Leute in den Scheidewegen zur Hölle eingefangen sind, wie der hl. Bernard irgendwo sagt. Es scheint, dies sind die Korridore und Straßen des ewigen Untergangs… Der Unterricht und die falsche Erziehung, die sie erfahren, führen doch zu nichts anderem. Das ist sicher noch nicht die Hölle selbst. Hat man das aber durchgemacht, fällt man unweigerlich in den Abgrund. Wer reicht diesen Unglücklichen die hilfreiche Hand? Was lässt sich für sie tun? In den Pfarreien hält man Volksmissionen ab, sie aber setzen nicht einmal den Fuß in die Kirche… Das einzige Mittel, sie zu erreichen, sind die Kollegien.

Das Kolleg ist eine Verpflichtung eures Berufes. Diese Pflicht zur christlichen Erziehung steht an der Spitze unserer Satzungen. Die Päpste Pius IX. und Leo XIII. haben mir dasselbe ans Herz gelegt. Die Stimme der ganzen katholischen Kirche sagte mir ganz laut, wie notwendig es für diese Familien ist, ihre Kinder zu Christen zu machen. Das ist zwar eine harte Arbeit, die einen unglaublichen Einsatz erfordert. Man kann sich davon überhaupt nur eine Vorstellung machen, wenn man selber in dieser Tretmühle gestanden hat…

Ihr geht gern zu Wilden… Warum sollt ihr nicht auch dahin gehen? Die Seele des Kindes eines kleinen Kolonialwarenhändlers oder eines Schankwirtes ist ebenso viel wert wie die eines Hottentotten. Wir müssen für diese Menschenklasse dieselbe Liebe und Hingabe aufbringen. Zu ihnen sollten wir mit derselben Liebe gehen wie sie uns nach Afrika oder zu den Indianern Amerikas treibt. Verstehen wir gut, dass die Funktionen, die wir an ihnen vollziehen würden, und jene, die wir hier vollbringen, die gleichen sind. Stellen wir uns nicht auf diesen Standpunkt, dann tun wir die Arbeit von Narren. Wir wollen dann gegen den Strom schwimmen, gegen den Sturm blasen, sind Menschen mit krankem Urteil…

Ich denke da an die Worte, die mir Herr Chapelle einmal sagte: Er war Bahnhofsvorstand und kommunizierte allmorgendlich hier bei uns in der kleinen Kapelle. Bevor er Bahnhofsvorstand wurde, war er Lehrer und Internatsleiter. Er erzählte mir: „Jeden Abend ging ich kreuz und quer im Schlafsaal auf und ab, in dem die Schüler schliefen. Ich wachte sorgfältig über sie. Eines Abends sagte ich zu mir selbst: ‚O Gott, welch nützliche Arbeit ich hier für die Familien und die Menschheit leiste.‘ Wenn ich aber nichts anderes tue als das, dann ist das noch keine Sendung. Nun verrichte ich aber meine göttlichen Pflichten nicht mehr. Ich bin zwar Christ und habe den Glauben, aber die religiösen Pflichten vernachlässige ich seit langem, ich bete und beichte nicht mehr. Diese Kinder haben aber eine Seele, die Beziehung zu Gott haben soll. Meine Pflicht ist es, sie zu Gott zu führen. Wie soll ich sie aber dahin bringen, wo ich selbst noch nicht bin? Nach diesen Überlegungen“, fuhr Herr Chapelle fort, „ging ich zur hl. Beichte und ich habe Gott versprochen, mich in Zukunft nicht mehr bloß um den Verstand der Kinder zu sorgen, sondern auch um ihre Seele, und sie das Beten zu lehren und die Selbsterziehung. Und es gelang mir…“

Ihr seht schon, meine Freunde, unsere Sendung ist eine Vorzugsgnade, ganz und gar himmlisch. Wer soll sie denn ausführen wenn nicht wir? Wer soll denn Kollegien leiten? Das sind doch die Ordensleute, eifrige Priester, die vor der Anstrengung, dem Widerwillen, den Ängsten nicht zurückschrecken. Die der Versuchung widerstehen, alles hinzuwerfen, da sie nichts mehr zu können meinen… Wir aber, meine Freunde, wir bleiben.

Neben unseren Kollegien haben wir noch Jugendwerke, Werke für Jungen und Mädchen.

Diese Werke sind ebenfalls dringend notwendig, um den Glauben und das religiöse Leben im arbeitenden Volk zu erhalten. Ohne diese Werke wäre es unmöglich, in der Arbeiterklasse Christen zu erhalten. Der Abbé Nioré hielt voriges Jahr in unserem Jugendwerk eine „Liebespredigt“. Dabei führte er aus: „Ich wurde von den Christlichen Schulbrüdern erzogen. Dort lernte ich fast 400 Kinder meines Alters kennen. Gewiss verlor ich eine Anzahl davon aus den Augen, doch behielt ich die Mehrzahl von ihnen im Auge, die ich noch heute kenne. Nun, von diesen 400 Kindern hat nicht ein einziger durchgehalten, außer mir… Somit“, fuhr er fort, „das Jugendwerk ist das Werk mit Auszeichnung, ist das Werk der Werke. In gut situierten Familien kann man sich es leisten, ein gutes Kolleg auszusuchen, um dort ihre Kinder erziehen zu lassen. Wo finden aber unsere armen Arbeiter ein Haus, wo die Seelen ihrer Kinder in Sicherheit sich entfalten können? Nirgendwo. Vielleicht findet man für sie einen christlichen Unternehmer. Findet man aber einen solchen, dann besitzt er noch lange nicht den nötigen Einfluss auf seine Arbeiter. Sind sie nicht misstrauisch gegen ihn? Wer schützt den armen Jungen gegen die Glut der Leidenschaften, gegen die schlechten Beispiele und die schlechten Ratschläge? Einzig und allein unsere christlichen Jugendwerke. Es gibt in Troyes keine Christen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, außer jenen, die aus den Jugendwerken hervorgegangen sind.“

Wer soll aber solche Jugendwerke aufziehen und damit Erfolg haben? Sicher existiert dafür eine besondere Kongregation, die Brüder des hl. Vinzenz v. Paul, die in vortrefflicher Weise die Liebe üben auf diesem Gebiet. Diese Gründung hat die Gute Mutter geliebt und gesegnet. Ich kannte persönlich die Gründer davon. Sie kamen zur Guten Mutter, die damals in Paris Oberin war. Sie begannen vor nicht fünfzig Jahren damit… „Sed quid hi inter tantos.“ (Anm.: „Aber was ist das bei so vielen?“). Was ist schon eine seeleneifrige Kongregation, die doch zwangsläufig beschränkt bleibt in ihren Mitteln? Was bedeutet schon der Eifer einiger Kapläne, die sich der Sache widmen, mitunter ein bisschen gegen den Widerstand ihrer Pfarrer? … Die Pfarrer sind nämlich häufig dagegen, dass man Jugendwerke in ihrer Pfarrei gründe. Warum das? Im Grunde wissen sie selbst nicht so recht. Sie tun gleichwohl alles, um sie zu ruinieren. Wer soll also Jugendwerke gründen? Ihr seht, uns ist da ein weites Betätigungsfeld geöffnet.

Die Seele eines Lehrlings, eines Arbeiters hat schließlich den gleichen Wert wie die eines Hottentotten… Die Jugendheime für Mädchen sind vielleicht noch notwendiger, weil ein junges Mädchen nie gut bleibt inmitten einer Werkstatt, einer sitten- oder gottlosen Gesellschaft, das ist unmöglich. Das ist ja auch dem jungen Mann nicht möglich, obwohl das Mädchen noch schwankender ist. Ihre Intelligenz ist weniger entwickelt, sie handelt mehr nach Gefühl, und legt sich nicht immer Rechenschaft ab über ihr Tun und ihr Lassen, über ihr Reden und Denken. Sie folgt dem allgemeinen Trend, und dieser ist reichlich schlecht. Ich könnte zur Stütze sehr viele Beispiele zitieren. Vor nicht langer Zeit bat mich ein Mädchen um einen Rat: „Herr Pater Brisson, es langweilt mich, so zu sein, wie ich bin. Ich möchte auch so sein wie die anderen…Wäre es denn so schlecht, wenn ich gewisse Vorschläge, die man mir macht, annähme?“ „Aber, aber, mein Kind, wer hat Ihnen denn solche Ideen in den Kopf gesetzt?“ „Die anderen… Sie tun es doch alle! Ist das nicht viel interessanter als das Leben, das ich führe, indem ich brav bleibe… Man hat seine kleine Unterkunft, hat seine Kleider, kann sich zeigen und sich sehen lassen… Hier aber lebe ich in dürftigen Verhältnissen, habe nicht die nötigen Mittel, mir ein Kleid zu kaufen…“

So ist die Lage, die ihre Auswirkungen auf die Menschheit haben wird und vor allem auf die Erziehung (der kommenden Geschlechter). Denn schließlich wird das Mädchen ja einmal Mutter sein, sie erzieht das Kind, den Menschen der Zukunft, und wirft in seine Seele den göttlichen Strahl, der nie ganz daraus verschwinden wird. Die Mutter pflanzt in die Seele des Kindes das Gute, das Heilige, den Duft. Sie gräbt darein die ersten Eindrücke, die oft unauslöschlich haften. Die Mutter senkt ins Kinderherz den Glauben an Gott, den Glauben an die Liebe seiner Eltern, den Glauben an das, was es lieben und fürchten muss, an sein künftiges Tun. Wer soll aber zur gegenwärtigen Stunde all das ins Herz des jungen Mädchens pflanzen? Wer setzt es in den Stand, so zu denken, es überhaupt zu hören? Nichts und niemand. Sie geht nicht mehr zur hl. Messe, wenn sie nicht mehr ins Jugendheim geht. Was bedeutet für sie schon der Glaube? Jene ausgenommen, die ins Jugendheim kommen, wissen die jungen Mädchen aus der Arbeiterklasse nichts mehr von dem. Wissen nicht, was Gott ist, können kein Kreuzzeichen mehr machen. Dafür verstehen sie umso besser, über die Priester und die Frommen zu spotten. Sie wissen kein Wort über die Schöpfung, die Erlösung, die Sakramente, und was immer es auch sei. Und dieses Mädchen soll in zwei oder drei Jahren Mutter sein, hat keinen Religionsunterricht gehabt, hat keinen Glauben, kein Herz. Wo hätte sie auch schon ein Herz finden können? Wer hat ihr je ein bisschen Liebe erwiesen? Niemand… Ihr Vater liebte es vielleicht ein bisschen, wenn er nicht stockbetrunken war. Ihre Mutter liebte sie kaum. Ihre Brüder und Schwestern sind Egoisten, die sich über sie lustig machen. Echte und gütige Zuneigung kennt sie gar nicht, weil sie ihr nie begegnet ist.

Dafür hat sie mehr als einmal auf ihrem Weg Versuche zur Verführung erfahren. Man schaut sie mit etwas Wohlwollen lediglich von dieser Seite her an. Und das soll eine christliche Seele sein, die durch das Blut Christi erlöst wurde. Sie steht am Rand des Abgrundes, in den man sie stoßen will, und findet nicht die geringste Stütze, die kleinste Hilfe. Wer führt diese Seele auf den rechten Weg, wenn ein Pfarrjugendheim sich ihr nicht öffnet? Was soll denn sonst aus ihr werden? Was wird das für eine Familie werden, die sie einmal gründen soll?

Glücklicherweise habt ihr dieses junge Mädchen nun in euer Jugendheim aufgenommen… Vielleicht hatte sie nicht einmal die Taufe empfangen, auch nicht die Erstkommunion, hat nie von Gott sprechen können… Jetzt ist sie den treuen Händen von Schwestern anvertraut, man erhellt allmählich ihren Verstand, ermuntert sie durch gute Worte und gute Ratschläge. So lasst uns in Wahrheit Tropfen für Tropfen das Leben in diese Seele, in dieses Herz gießen! Unter diesem heiligen Einfluss seht ihr dann allmählich in ihr alles Gute keimen und blühen. Ihr kauft zurück und baut aufgrund auf, und mit Geduld und Beharrlichkeit gelangt ihr ans Ziel, das ihr euch gesteckt habt…

Eine Eliteseele kann daraus werden: Mehr als einmal sah ich solche Mädchen Ordensfrauen werden. Zum mindesten aber wird sie eine gute Familienmutter abgeben, die ihre Kinder zu Gott führt und sie lehrt, Gott zu sehen und anzuhören. Sie prägt ihnen tief den Glauben ins Herz. Und sollten später widrige Umstände und der Zeitgeist diesen Strahl des Glaubens abschwächen, werden sie, einmal groß geworden, ihren Glauben wiederfinden. Er wird wenigstens im Augenblick des Todes wieder aufflammen, wie das Feuer im Brunnen, von dem das Buch der Makkabäer spricht. Ja, das göttliche Feuer wird in diesen Seelen von neuem emporlodern.

Gebt euch darum mit ganzem Herzen diesem Werk der Jugendheime hin. Ihr seht ja, sie sind das einzige Mittel, den Glauben in den Herzen der jungen Arbeiterinnen oder des jungen Burschen zu bewahren.

Unsere Missionen.
Gott zeigt deutlich genug, dass ihm unsere Missionen teuer sind. Der Beweis, den ich in Händen habe, sind die Früchte, die unsere Patres und Schwestern in Ecuador und am Kap der Guten Hoffnung durch ihren Einsatz und ihren Heroismus hervorbringen. Sie sind durch sämtliche Heimsuchungen gegangen: Hunger, Durst, Gefahren jeder Art, vollständige Entblößung. Die Schwestern von Zicalpa haben seit zwei Jahren nichts empfangen… Was essen sie? Was die christliche Nächstenliebe ihnen schenkt. Wovon leben denn unsere Patres am Kap? Von Körnen, die sie am Boden auf einem Stein zerreiben. Und hat man Feuer, so kocht man diese ab, um einen Brei zu erhalten. Was schreibt mir P. David? „Herr Pater, wir gehen durch schreckliche Prüfungen hindurch, doch haben wir Vertrauen in die Vorsehung und keiner von uns möchte eine Änderung…“  P. Simon schreibt: „Wir sterben vor Hunger, spüren aber, dass Gott uns hilft und uns nicht verlässt.“ Diese Gesinnung unserer Missionare ist für uns ein starker Beweis, dass Gott unsere Missionen segnet.

In Griechenland ist es das gleiche. Wir befinden uns dort in einer wahrhaft schrecklichen Lage. Griechenland hat uns jede Art von Unannehmlichkeiten eingebracht, Verdruss, Hass, Vorurteile. Man klopfte selbst an die Tür des Vatikans. Es ist ein unvorstellbarer Kampf. Und Gott lässt zu, dass wir unbeschädigt durch all diese Heimsuchungen gehen und dort etwas Solides aufbauen. Wir können diesen Menschen verständlich machen, was der Katholizismus ist und dass er nicht so abscheulich ist dass man nicht auch Gutes den jungen Leuten erweisen könnte, die man uns dort schickt.

Wir bringen sie allmählich in die Nähe der Wahrheit. Ganz von Ferne arbeiten wir so für die Einheit und Einheitlichkeit des Glaubens und der Religion. Viele dieser Menschen fühlen ein Verlangen und den geheimnisvollen Ruf nach Wahrheit. Nicht der orthodoxe Klerus vermag ihnen auf diesem Gebiet Hilfe und Rat zu bringen. Die jungen Mädchen von Naxos, Pensionärinnen der Ursulinen, sagen zu unserem Pater: „Warum wollen Sie uns nicht zur Beichte empfangen! O, was sind die Katholiken doch glücklich! Nichts würde uns Orthodoxe so trösten wie eine gute Beichte… Wir spüren, wie uns in unserer Religion viele Dinge fehlen…“ Das, so meine Freunde, wäre eine weite Pforte um zur Einheit der Christen zu kommen, die der Hl. Vater so herbeisehnt.

In England laufen die Dinge nicht so blendend. Doch tut P. Isenring Gutes, sein Wort wird verstanden, und geschätzt von Vielen. Man beginnt, den hl. Franz v. Sales gern zu haben, er entspricht so ganz ihren Bedürfnissen. Eine Londoner Dame sagte vor kurzem zum Hl. Vater: Die Lehre der Oblaten entspricht so ganz meinem Vaterland. Sie erfüllen die von der Häresie ausgedorrten Seelen wieder mit Geist und Leben. Und der Hl. Vater war derselben Meinung. Liebe Freunde, mit dem hl. Stifter haben wir alles, was wir brauchen.

Die Predigt.
Wie ich es euch schon hundertmal geraten habe, beschwöre ich euch auch jetzt: Predigt für die Leute, die da vor euch sitzen. Anfangs ist es absolut notwendig, Predigtbücher einzuschreiben, es zu machen wie Bourdaloue, d.h. eure Predigten niederzuschreiben und dann auswendig zu lernen. Hütet euch aber, Bourdaloue sklavisch nachzuahmen, seine Tonfall und seine rednerischen Formen zu kopieren. Dazu bräuchten wir Menschen, die schon 150 Jahre tot sind. Habt ihr eure Arbeit gewissenhaft vorgenommen, lest sie aufmerksam durch und legt euch darüber Rechenschaft ab, ob eure Zuhörer damit etwas anfangen können. Der Gedanke kam mir oft und ich werde ihn auch ausführen: Den Novizen und den jungen Patres eine Predigt von Bourdaloue in die Hand zu geben und sie aufzufordern, ihn für verschiedene Zuhörerklassen zu interpretieren, die vor einem sitzen können…

Es gibt nämlich ganz verschiedene Zuhörergruppen: Kinder, Schüler, Arbeiter, junge Mädchen, Österreicher, fromme Seelen, Weltmenschen, das gewöhnliche Pfarrpublikum in der Stadt oder auf dem flachen Land, Schwaben, Ordensfrauen, etc. Angenommen, ihr wollt über die Beichte predigen: Da müsst ihr schon auf sechs oder sieben verschiedenen Weisen die Gedanken der Predigt von Bourdaloue über die Beichte auslegen, die ihr euch angeeignet habt, damit die Lehre dieses großen Kanzelredners von Notre Dame zu Paris jedem klar wird, dass jeder versteht und etwas behält.

Es geht also nicht darum, einen Allerweltschlüssel zu liefern, mit mehr oder weniger Zungenfertigkeit eine Folge von unverständlichen Worten auf seine Zuhörer loszulassen, Worte, die in die Bänke fallen, die ebenso wenig wie die darauf sitzenden Leute Ohren haben, um sie anzuhören. „Cymbalum tinniens.“ (Anm.: „Eine klingende Schelle.“). Das ist verlorene Zeit, für sich und die anderen.

Glaubt ihr, es sei eine leichte Methode, die nicht viel Arbeit und Mühe kostet? Eines Sonntags war ich in Genf. Bischof Mermillod sollte in der Pfarrkirche „Zu unserer lieben Frau“ predigen. Die Zuhörerschaft setzte sich zusammen aus guten Pfarrkindern, keine Vornehmen also, sondern aus Arbeiterinnen und Arbeitern, kleinen Kaufleuten, Hausbediensteten, Menschen von bescheidener Stellung. Die „Großkopferten“ und Vornehmen gehen in die Spätmesse. Bischof Mermillod sagte mir: „Heute will ich für meine Arbeiterinnen und Arbeiter predigen.“ Er steigt auf die Kanzel und hält eine Homilie über das Sonntagsevangelium. Ich war über die Einfachheit seiner Worte, die Klarheit seiner Ausführungen und den väterlich-vertrauten Ton seiner Ansprache sehr überrascht. Er schloss mit einer leidenschaftlichen Ermahnung. Alle tranken geradezu seine Worte in sich hinein. „Herr Bischof“, sagte ich zu ihm, „das letzte Mal, als ich Sie hörte, war es in der Kirche Ste. Clothilde zu Paris. Sie sprachen über die Kirche. Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen sage, Ihre heutige Ansprache hat mich noch tiefer beeindruckt… Meine Ansprache an die Arbeiter von Unserer Lieben Frau von Genf hat mir auch mehr Arbeit gemacht und war schwerer als die damalige Predigt…“

Auf diesen Weg müssen wir eingehen, liebe Freunde, und uns stets bewusst bleiben, dass wir mit Franz v. Sales alles haben, um allen das Rechte sagen zu können.

Beichte und Seelenführung.
Später erhaltet ihr, meine Freunde, entsprechende Ratschläge und Regeln über die Seelenführung und Beichtstuhl. An diese müssen wir uns dann halten und zu den Lehren unseres hl. Kirchenlehrers stehen, die sich beziehen auf: die Hilfen, die wir unseren Beichtkindern geben. Die Fragen, die wir ihnen in der Beichte stellen. Unsere Bemühungen, sie zu einer echten Reue und einem guten Vorsatz zu führen. Machen wir uns das ganz zu Eigen, was das Direktorium über die Art und Weise, das Sakrament der Buße gut zu verwalten angibt. Legen wir danach unsere persönliche Methode fest an Hand der salesianischen Dokumente, die ganz erfüllt sind von Weisheit, Klugheit und göttlichem Licht…

Seht nur, wie bei den Jesuiten eine komplette Übereinstimmung besteht bezüglich der Methode der Seelenführung und der Beichte! In den gewöhnlichen Dingen des Lebens sind sie nicht immer derselben Meinung, sagen nicht immer das gleiche. Jeder hängt an seinen theologischen Überlegungen. Mitunter gibt es auch Diskussionen. Doch bezüglich der Beichte und der Seelenführung gibt es keinerlei Abweichungen. Alle gleichen sich, alle sind in demselben Gusseisen gegossen. Wird in einem Jesuitenkolleg ein Beichtvater ausgewechselt, und P. Philipp geht, so folgt ihm P. Jakob. Dieser übernimmt alle seine Beichtkinder, nichts ändert sich an Methode und Leitung. Ja, P. Philipp hat beim Abschied sogar seinen Treuen eingeschärft, sich an P. Jakob zu wenden und an niemand sonst, vor allem nicht außerhalb der Gesellschaft Jesu.

Meine Freunde, wenn wir das Direktorium als Richtschnur nehmen und den Weisungen des hl. Franz v. Sales folgen, werden wir eine vollkommene Seelenführung besitzen, die ganz und gar den theologischen Prinzipien entspricht. Sie wird die Seelen nach oben führen und Wunder vollbringen. Die Seelen kommen so Gott näher und vereinigen sich mit ihm mehr und mehr in einer ununterbrochenen, wenn auch unmerklichen Bewegung. Wir führen sie zu Gottes- und Nächstenliebe, ohne sie zu brüskieren oder zu vergewaltigen. So wird die Seele von einer göttlichen Liebe getragen, ohne es zu merken, ohne Unruhe und Sorge. Gott ist mit ihr, wenn sie ihm treu ist. Gott handelt und erringt sozusagen Verdienste für sie.

Wir sind da nicht in der Lage von Weltpriestern oder Diakonen, die das Priesterseminar verlassen und ihre Seelsorge antreten. Der Unterricht, den ihr empfangt, ist eine Lehre, der bedingungslos gefolgt werden kann. Leicht fällt es da, Übereinstimmung und Gleichförmigkeit zu erzielen, wenn man die Wahrheit besitzt und mit beiden Füßen auf demselben Boden in innerer Ausgeglichenheit dahingehen kann.

Möge jeder unserer jungen Beichtväter sich von den älteren einweisen lassen, wie sie beichthören, Zuspruch geben, ermuntern und fragen sollen… Macht euch ganz tief die Methode zu Eigen, die uns umgeben ist. Dann wirken wir umso sicherer das Gute als der, der uns einmal nachfolgt, in gleicher Weise zu verfahren wie wir.

Das, meine Freunde, ist eine kurze Übersicht über unsere verschiedenen Werke: „Neque tepidi, neque segnes, sed alacres.“ (Anm.: „Nicht lau noch träge, sondern lebhaft und munter.“). Sollten wir vor solchen Verpflichtungen gleichgültig bleiben können? Nein, wir nehmen uns die Dinge vielmehr zu Herzen: „alacres.“ Das ist unser Lebensinhalt sowie unser Glück. Es ist so schön, meine Freunde, wenn ein Lehrer seinen Klassenunterricht, ein Prediger seine Predigten, ein Beichtvater seine Seelenführung, ein einfacher Aufseher seine Aufsicht mit-lebt und ihr alle Sorge seines Herzens zukommen lässt. Ja, das ist wirklich schön, das ist das echte und glückliche Leben!

Ist andererseits das Herz weit weg von der Arbeit, träumt man von anderem, so wird all das nur noch zu einer unangenehmen Pflicht, einem schweren, widerlichen Joch. Solche Arbeiter sind nicht mehr „alacres“, aktiv und munter. Bringt darum euer Herz ein in die Arbeit, tut sie gern. Sagt doch auch die Schrift: „Hilarem datorem Deus diligit.“ (Anm.: „Einen fröhlichen Geber hat Gott gern.“). Bringt also Gott mit zur Arbeit, und er fügt die Fröhlichkeit hinzu, die Freude. Die Gute Mutter Maria Salesia, der hl. Stifter und die hl. Franziska von Chantal schauen auf uns. Mögen sie am Schluss dieser hl. Exerzitien uns alle segnen und alles Nötige geben, dass wir ihre echten Söhne werden. Oh, glückselige Familie! „Quam pulchra generatio cum claritate.“ (Anm.: „Welch schönes, herrliches Geschlecht!“). Welch Herrlichkeit umgibt sie bereits, welcher Ruhm wird sich mehr und mehr an ihr Gedächtnis heften!