3. Vortrag: Unsere „Werke“: Die Kollegien.
Setzt die Exerzitien fort, meine Freunde, so wie ihr sie begonnen habt, mit allem, was Gott euch schickt, denn genau das, was er schickt, nützt uns. Das Brot, das Gott dem hl. Paul, dem Einsiedler, in die Wüste schickte, nährte ihn. Der hl. Paul lebte in völliger Zurückgezogenheit, ohne irgendeine Verbindung mit der Welt, in einem Leben völliger Gottverbundenheit, ohne jede menschliche Zerstreuung. Das ist das wahre Bild der Exerzitien. Und Gott schickte ihm durch einen Raben seine Nahrung.
Er war der echte Einsiedler, der Eremit mit Auszeichnung, der große Patron der Einkehr und der Exerzitien. Was isst er zur Nahrung? Was ihm Gott schickt. Tun wir das gleiche während unserer Einkehrtage: Nähren wir uns mit dem, was Gott uns schickt, was er zulässt, dass uns begegne. Für die Seele ist diese Einstellung sehr wertvoll. Ihr könnt euch ihre heilsamen Wirkungen gar nicht vorstellen, wann die Seele entschlossen ist, sich ohne Vorbehalt dem Willen Gottes zu überlassen. Das ist heiliges Leben mit Auszeichnung, hier ist ein Irrtum nicht möglich. Was wir in der Heiligenlegende, in den Traktaten vom innerlichen Leben lesen können, ist sicher schön, gut und ausgezeichnet. Was aber für uns besser und praktischer ist, ist das, was ich euch da ans Herz lege. Empfangt darum mit Dank das Stück Brot eines jeden Tages. Wenn es notwendig ist, es zu teilen, wenn die Pflicht das erfordert, dann schickt Gott es zu teilen, wenn die Pflicht das erfordert, dann schickt Gott euch mit dem hl. Antonius ein doppelt so großes Brot und seine überfließenden Tröstungen dazu. „Habete fidem!“ (Anm.: „Habt Glauben!“), und dieser Glaube habe keine andere Grenze als Gottes Liebe zu uns. Setzt darum eure Exerzitien mit Mut und Hochherzigkeit fort! Sie sind beständige Anstrengung und Abtötung. Aber wieviel bringt euch das ein! …
Ich habe euch von der inneren Einstellungen gesprochen, die ihr zu den Exerzitien beibringen sollt und habe die Gelübde gestreift. In weitere persönliche Einzelheiten möchte ich mich nicht einlassen. Ich ziehe es vor, mich mit euch über die Mittel zu unterhalten, die Gott in unsere Hände legt. Ich möchte euch zeigen, dass eure Arbeit von allem, was ihr wünschen könnt, das Beste und Vorteilhafteste zur Heiligung eurer Seele ist. Zeigen, dass die Seelsorgewerke, zu denen Gott euch beruft, unsere Nahrung zu jeder Stunde sein sollen und können. Es sind Heiligungsmittel, die innerhalb von Grenzen wirken, die niemand übertreffen kann. Welches sind nun diese unsere Werke?
Zuerst unsere Kollegien.
Was ist ein Kolleg? Jedermann weiß, und alle können es euch sagen, dass es eine Einrichtung ist, in der junge Menschen aufgenommen und für ihre Zukunft vorbereitet werden, vor allem zunächst für ihre Abschlussprüfungen. Für ihre sittliche Entwicklung sind wir auch verantwortlich. Und jedermann weiß, dass man nur um den Preis von Mühe und Selbstüberwindung zum Erfolg, den man sich vorgenommen hat, gelangt. Oft scheint das geistige Resultat vollkommen abzugehen. Die meisten von euch sind für den Einsatz in unseren Kollegien bestimmt. Auf diesem Weg müssen wir also trachten, heilig zu werden. Ich gehe noch weiter: Auf diesem Weg allein können wir heilig werden, da Gott uns gerade diese Beschäftigung und diese Pflicht auferlegt. Was brauchen wir nun, um uns in den Kollegien zu heiligen? Das Gebet, die Abtötung, das Leiden… Nun, letzere beiden fehlen uns nicht in unseren Kollegien. Von all unseren Seelsorgeeinsätzen ist unsere Arbeit in Schule und Internat die mühseligste und die entmutigendste. Es ist leichter, ja sogar viel leichter, in die Mission zu gehen, sein Wort und sein Herz den Seelen zu widmen, die um uns versammelt sind. Es ist viel leichter, sich um die zu kümmern, die bei uns beichten und unsere Seelenführung suchen. Desgleichen ist es viel leichter, nach Amerika oder Afrika zu ziehen. Natürlich haben auch unsere anderen Seelsorgewerke, die Jugendwerke, ihre Schwierigkeiten. Doch sind diese nicht zu vergleichen mit jenen in unseren Kollegien, besonders zur gegenwärtigen Zeit, wo wir zusätzlich zu kämpfen haben gegen mangelnden Glauben der Eltern und der Kinder, sowie gegen eine Freimaurer-Regierung, und alle erdenklichen Böswilligkeiten.
Und im Inneren sind die Kollegien auch nicht leicht zu leiten: Der böse Wille bei den Kindern, die schlechten Eindrücke, die sie mitbringen, die falschen und gottlosen Grundsätze, die überall vorherrschen, machen gewissenhaften Erziehern unerhört und ungeheuer zu schaffen. Fügt dazu noch die ständige körperliche Anstrengung Tag und Nacht, die von vorneherein dieser Arbeit jeden Reiz nimmt. Gewiss haben wir Freude am Unterricht, lieben Geschichte, Literatur, Mathematik… D.h. hin und wieder fällt auch eine kleine Süßigkeit auf unsere Zunge, das ist aber auch alles…
Die Kollegien sind infolgedessen von all unseren Werken jene, die am meisten geeignet sind, uns zu heiligen, weil wir hier viel weniger als anderswo Tröstungen und Ermunterungen erleben. Für das Gemüt fällt hier fast nichts ab und für den Geist nicht viel. Auch nichts, um unseren Eifer zu befriedigen, um uns in unseren wenigen freien Minuten einen Genuss zu bereiten.
Darum ist es äußerst wichtig, dass wir uns dieser übermächtigen Pflichten und Lasten zu bedienen verstehen, um gerade darin die Heiligung unserer Seelen zu bewerkstelligen. Denn hier finden wir viel verdienstlichere Opfer als die Mönche der strengsten Orden haben, streng wegen ihrer Fasten- und Bußübungen. Die Arbeit nämlich, die wir zu erledigen haben, wird bewältigt durch unseren Verstand und die Kräfte unseres Körpers, durch unsere Seele und unsere Gesundheit, durch unser ganzes Wesen also. Der Beweis dafür: Seht im Evangelium nach: Die schwerste Arbeit sieht es in der Sorge, dem Schutz und der Erziehung der Kinder. Seht dieses Kind, das vom Dämon gequält wurde. Die Jünger gestehen: „Herr, wir haben deinen Auftrag erfüllt, haben wir die Dörfer durcheilt, Dämonen ausgetrieben. Aber einen konnten wir nicht vertreiben…“ Wo hatte der sich aufgehalten? Im Leib eines Kindes von 14 bis 15 Jahren. Und Jesus: Die Art von Dämon könnt ihr mit der gewöhnlichen Kraft, die ich euch übergab, nicht austreiben, sondern nur durch Gebet und Fasten. „Hoc genus in nullo potest exire nisi in oratione et ieunio.“ (Anm.: „Diese Art kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden.“). Der Teufel verlässt ein Kind also nur kraft eurer Gebete und Fasten. Warum das? Weil der Dämon gerade in diesem Alter die Seelen in seine Macht nimmt, weiß er doch zu gut, wenn er sich der Kinder bemächtigt, hat er alle Chancen, sie für immer zu besitzen.
Alle Schwierigkeiten und Widerstände kommen darum hauptsächlich davon her, vom Einfluss des Teufels. Ihr steht da Kinder gegenüber, die junge Rebellen, Faulenzer mit schlechtem Geist und Herzen sind, die ich weiß nicht was an Abstoßendem an sich haben, was euch anwidert und niederdrückt… Das bringt in euch eine Wirkung hervor, gegen die ihr nicht aufzukommen vermeint. „Nisi in oratione et ieuinio.“ (Anm.: „Nur durch Gebet und Fasten.“): Das ist das einzige, aber auch allmächtige Mittel.
Wir leisten demnach eine äußerst mühsame und harte Arbeit. In den alten Orden, bei den Jesuiten und Dominikanern tat man nur junge Ordensleute in die Kollegien. Nach einigen Jahren zog man sie wieder zurück. Der Beweis war schlüssig. Denn man verwendete sie dann in der Predigttätigkeit, im Beichtstuhl und der Seelenführung. Das war wie ein zweites Noviziat für sie, die Arbeit in ihren Kollegien, um ihre Fähigkeiten besser kennenzulernen.
Ihr seht schon, meine Freunde, Gott gibt euch hier ein sicheres Mittel an die Hand zu eurer vollständigen Heiligung. Der Teil, der uns da zufällt, ist sicher der mühsamste und undankbarste, deshalb auch der verdienstlichste.
Dabei ist dieses Werk der Kollegien unbedingt notwendig. Gewisse religiöse Genossenschaften geben angesichts der gegenwärtigen Schwierigkeiten, der Verfolgungsdekrete, des bösen Geistes, der überall herrscht, die Erziehungs- und Schuleinrichtungen auf. Meine Absicht ist ebenso wenig wie die eure, die Kollegien aufzugeben. Gewiss haben wir auch andere Werke, Arbeiter- und andere Apostolatswerke. Das ist gut so! Fahren wir fort, um uns diesen Werken hinzugeben. Doch was bleibt den Kollegien, um den anderen Teil der Gesellschaft zu erreichen, den jenseits der Arbeiterklasse? Warum haben wir unsere Kollegien aufgemacht? Unser einziges Ziel war es, den Glauben und die guten Sitten bei den Kindern und den jungen Leuten, die man uns anvertraut, zu erhalten und zu entfalten.
Das ist der einzige Zweck für die Existenz unserer Kollegien. Außer diesem haben wir keine anderen. Natürlich schließt dieser Gesichtspunkt, den ich hier „absolut“ und „einzig“ nenne, andere zweitrangige Gesichtspunkte nicht aus. Weit entfernt. Sie sind ganz im Gegenteil ein sicheres Mittel, in den Studien Erfolg zu haben.
Jedes Mal, wenn wir Urteil abgeben sollen über ein Problem betreffend Schüler, Kollege, etc. betrachteten wir es gleich unter diesem Hauptmotiv: Es geht um die Seele, die es zu retten gilt. Jesus müssen wir bekannt und beliebt machen.
Beachten wir das und handeln wir dem entsprechend. Unsere Kollegien sind mit Sicherheit nur auf diesem Grund errichtet.
Der erste Artikel unserer Satzungen sagt uns sehr klar, dass wir damit beauftragt sind, uns persönlich zu heiligen und an der Heiligung des Nächsten durch eine christliche Erziehung der Jugend mitzuwirken. Ist dieses Werk in sich nicht eines der ausgezeichnetsten, das es gibt? Das behauptet der hl. Chrysostomos vor dem Volk von Konstantinopel, indem er Priester und Gläubige lobte, die sich der Erziehung der Jugend widmeten. „Was gibt es Größeres auf der Welt“, sagte er, „als Seelen zu formen, als die Sitten der jungen Leute zu entwickeln? Wer die Kunst beherrscht, Gewissen und Charakter der Jugend zum Guten zu bilden, hat mehr Genie als alle anderen Bildhauer, so große Künstler sie auch seien. Dergleichen, wer im Menschen das Bild und die Darstellung Gottes herauszuarbeiten und ihm eine Ähnlichkeit mit Gott zu vermitteln versteht.“
Ohne Zweifel hat eine Kollegserziehung einen enormen Einfluss auf das gesamte spätere Leben. Zur gegenwärtigen Stunde aber, wo die Familien allzu oft die christliche Erziehung des Kindes vergessen, fällt die Aufgabe ohne Einschränkung den christlichen Lehrern zu. Das ist dermaßen wahr, dass das, was wir sagen und tun, für die meisten der Schüler die man uns übergibt, völlig neu ist.
Unsere Methode ist gut. Mit dem Geist des hl. Franz v. Sales gelangen wir zu einem ausgezeichneten Resultat. Wir bilden ganzheitliche Menschen heran, ausgeglichen und sicher im Urteil. Sie verhalten sich den Grundsätzen der Vernunft und des Glaubens gemäß. Phantasie, Schwärmerei, und Übertriebenheit haben kein Glück bei ihnen. Auf geradem Weg gehen sie auf ihr Ziel los, ohne Abenteuer zu riskieren. Sie wählen die sichere Piste. Das ist einfach und klar. Anderswo kann man vielleicht etwas Glänzenderes hervorbringen, etwas, was eine Gesellschaft oder Leistungen aufwändiger Art prägt… Auch wir könnten natürlich zu unseren Schülern mehr von ihrer sozialen Rolle sprechen, und das mit großen Worten und zündenden Ideen. Wir könnten ihre Zukunft, die sie zu gewärtigen haben, in einem glänzenden Licht ausmalen. Die Zukunft, der sie sich bald, vielleicht morgen schon gegenübersehen. Was ist die Folge davon? Enttäuschung, Widerwille vor der Pflicht, die allzu nüchtern aussieht, und oft der tiefe Fall am Schluss. Mit unserem Erziehungssystem haben wir dergleichen haben wir Klippen nicht zu fürchten… Ja, meine Freunde, was wir tun, schätze ich sehr hoch ein. Ich behaupte nicht, wir leisteten mehr als die anderen. Ich sage lediglich, was wir tun, ist auch sehr gut. Vergleiche aufzustellen ist hier verpönt.
Wir sollten darum unsere Kollegien lieben und uns ihnen weiter hingeben, wie wir es bislang getan haben, um allen Forderungen gerecht zu werden. Wir bitten Gott um den nötigen Mut, den er uns nicht versagen wird. Wir täten ja auch diese Arbeit nicht, wenn wir es nicht für täten.
Aber soll denn von all unseren Mühen nichts übrig bleiben? Stellt ihr denn bei unseren jährlichen Zusammenkünften mit den früheren Schülern nicht fest, dass unsere Saat nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen ist? Wenn wir das Milieu berücksichtigen, in das sie geraten, sobald sie unser Haus verlassen, finden wir diese jungen Menschen, wenn sie zurückkommen, unserer Achtung und Liebe würdig. Was haben sie geleistet, um sich durchzusetzen und siegreich zu kämpfen gegen die Ideen und Beispiele ihrer Umgebung. Das alles verdient unser Lob und unsere Bewunderung.
Worin besteht eigentlich die Erziehung der Kinder und des jungen Menschen? Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, was – kurz gefasst – an Faktoren zur Erziehung gehört? Zunächst unsere Sorgen, mit denen wir sie umgeben. So dann die guten Ratschläge, die wir ihnen erteilen. Und zu guter Letzt unsere guten Beispiele. Immer habe ich gestaunt über die entscheidende Rolle, die dem Beispiel in der Erziehung zukommt.
Lamartine schrieb in seinen letzten Lebensjahren seine Erinnerungen nieder: „Warum bin ich Dichter geworden?“ fragte er sich. Was mich zum Dichter gemacht hat, war Pater Martin. Ihm verdanke ich die Entfaltung meines dichterischen Talents. Und er erzählt, dass dieser P. Martin einer seiner Kolleglehrer war, ein Bauer aus der Piccardie, düster und kalt. Jeden Morgen las er die hl. Messe, und Lamartine diente ihm dabei. Während des Gottesdienstes war dieser mitunter so leidend, dass er kaum Worte aussprechen konnte. Der Junge braucht Bewegung und frische Luft. P. Martin war damit beauftragt, ihn beim Spaziergang zu begleiten. Beide gingen nun schweigend am Rand der Wälder entlang in der offenen Landschaft, ohne ein Wort zu sagen. Lamartine betrachtete diesen verschwiegenen und abgetöteten Mann, er kam ihm wie ein Heiligen vor. Er empfand solch eine Hochachtung für ihn, dass seine einfache Gegenwart, seine Haltung, seine Geste auf ihn einen tiefen Eindruck machte und ihn zum Guten und zur Tugend anspornte. Am Abend, so erzählt er, ging er in die Kapelle, wo er des Morgens bei der Messe gedient hatte und trat hinter eine Säule. Hier fühlte er seine Seele ganz eingetaucht in Gott. Er erlebte wahre Offenbarung und erkannte das Schöne und das Gute (Anm.: „Im französischen auch: den Schönen und den Guten.“). Er empfand Stimmungen, die seine Seele so hoch erhoben, dass sie in den Vorhof der Poesie entrückt werden konnte. Und die Tore davon öffneten sich ihm eben infolge des Anblicks des P. Martin und infolge des Eindrucks, den dieser auf seine Kinderseele machte.
Der Bürgermeister von Romilly, Herr Lenfant, seit einigen Jahren tot, war ein sehr guter Christ. Er erzählte mir, dass er seine Treue zum Glauben dem Oberen des Kleinen Seminars (Subregens), Abbé Fournerot verdanke, und dem Eindruck, den dessen Frömmigkeit auf ihn machte. Eines Tages machte ihm dieser Vorgesetzte ein kleines Zeichen. Geh mit mir im Seminargarten spazieren. Er sagte kein einziges Wort zu ihm, nur am Schluss meinte er: „Heute ist es recht warm.“ Der Junge war dermaßen gerührt, dass er neben diesem heiligmäßigen Mann hergehen durfte, dass er zu sich selber sagte: „Wie schön ist es doch, ein Heiliger zu sein! Ich will wenigstens immer ein guter Christ sein.“
In uns, meine Freunde, in jedem von uns gibt es eine Quelle von Gnaden. Wir sind von Gott zur Erziehung der Jugend berufen. Darum muss Gott in jeden von uns alles Notwendige legen, um diese Aufgabe zu erfüllen, alles, was wir den jungen Seelen weitergeben sollen und was ihnen auf eine Weise, die Gott allein kennt, unglaublich wirksam mitgeteilt wird. Wir sind in unseren Kollegien keine bezahlten Lehrer, keine staatlich honorierten Professoren. Wir sind auch keine großen Gelehrten. Und doch können wir große Heilige sein, indem wir das tun, was ich euch gesagt habe. Euer Einfluss auf die Kinder wird allmächtig und unglaublich groß sein.
Nun, während der Exerzitien geht das alles gut. Aber während des ganzen Schuljahres regnet es an Arbeiten und Bitterkeiten, Mühen und Kämpfen, dass es überläuft und uns über den Kopf fließt. Wir sind wie vernichtet. Glaubt mir da, meine Freunde: Bleiben wir allezeit fest! Hebt alle Dornen auf dem Weg auf. Je mehr es sind, umso mehr werdet ihr dem Erlöser ähnlich. Seht eure Arbeit unter diesem Gesichtspunkt. Dazu bedarf es großer Treue gegenüber der Gnade. Wärt ihr keine Oblaten, so würde ich zu euch niemals in dieser Weise sprechen.
„Aber, Herr Pater, wir können an dem, was Sie da uns sagen, nicht anbeißen. Wir sehen auch nicht ab, wie wir da je anbeißen sollten. Sie sagen, Sie würden das nie zu Leuten predigen, die keine Oblaten sind. Sie haben vollkommen recht. Was Sie da sagen, ist nicht durchführbar und nicht praktisch. Das sind Ideen, schön und heroisch, doch der erste Windstoß fegt alles fort…“
Nein, meine Freunde, ihr könnt alles, was ich da vortrage, ausführen. Und ihr tut es mithilfe des Direktoriums. Macht eure gute Meinung vor jeder Handlung. Richtet auf Gott und den Heiland eure Liebeskräfte und euren Willen, wenn ihr eure Pflichtarbeit verrichtet. Dann könnt ihr leicht ausführen, was ich da anrate. Warum solltet ihr in euren Betrachtungen und Beichten nicht unter diesem Gesichtswinkel Gedanken des Direktoriums und der Aufopferung eurer Handlungen prüfen? Warum sollt ihr nicht die Verfehlungen zählen, die ihr dabei begeht? Warum sollt ihr sie nicht nachher beichten, damit sie das nächste Mal weniger werden? Seid ganz durchdrungen von dem, was ich da gesagt. Aber das ist doch viel zu schwer! Im Grund, meine Freunde, ist das gar nicht so schwer wie es zunächst erscheint. Mit ein bisschen Treue kommt ihr dahin. Aber die ganze Zeit über fühle ich mich so eingeschränkt und gezwungen. Nie habe ich die innere Freiheit. Meine Freunde, oft sagte mir die Gute Mutter: Lasst nur einmal den lieben Gott bei euch eintreten und die Arbeit beginnen, dann werdet ihr sehen, dass alles gut gehen wird, wie wohl ihr euch fühlen werdet, viel wohler als wäre er nicht da. Tun wir das also!
Erwecken wir bei unserer Kollegienarbeit in jedem Augenblick, fünfzigmal am Tag die Gute Meinung. Ein Schüler hat schlechten Willen oder ist dumm oder brutal. Er verletzt euer Zartgefühl, regt euch auf. Nun, dann erweckt wieder eure Gute Meinung, und euer Schüler erhält die Nachwirkung eures Tuns zu verspüren und er wird sich dabei wohler fühlen, glaubt es mir! Ihr seid überlastet durch Unterricht und Aufsichten, es klappt nicht wie es sollte… Ihr seid angewidert, übermüdet, überreizt… Was tun? Machen wir unsere Gute Meinung, nehmen wir die Mühe und Abtötung ohne Einschränkung an, die die hl. Liebe für uns in diese Handlung gelegt hat.
Dann, meine Freunde, sind wir echte Jugenderzieher, dann üben wir einen Einfluss zum Guten bei unseren Schülern aus, von dem sie nie frei kommen. Sie werden uns ihre Liebe bewahren, uns hochachten und sich freuen uns wiederzusehen! Ja, unser Wiedersehen wird sie glückselig machen.
Die Lehre des hl. Franz v. Sales kommt uns also zu Hilfe, und das in den kleinsten Details. Sie öffnet uns eine Tür, um leichter Zutritt zu den Seelen zu erlangen und in ihnen zu wirken. Sie erhellt all unsere Unternehmungen und leitet uns zum Ziel, das zu erreichen wir uns vornehmen. Sie führt uns selbst auf dem Weg, der zu diesem Ziel führt.
Setzt eure Exerzitien fort mit eurer so in Gott gesehenen täglichen Arbeiten. Fasst den Entschluss, häufig die Guten Meinung zu erwecken… Ich sage zwar oft dieselbe Sache, will aber damit nur ausdrücken, wie lebhaft ich wünsche, dass wir alle uns auf diesen Weg einlassen, alles mit Hilfe Gottes tun, was uns zu tun obliegt, ihn für alles und für jeden Augenblick um seine Hilfe bitten. Gott behindert nicht, schränkt die Freiheit nicht ein, unterdrückt nicht die freie Initiative, sondern entfaltet und erweitert sie im Licht und in der Wahrheit. Und das, meine Freunde, ist doch der Weg der vollkommenen Heiligkeit.
Man behauptet mitunter, die Oblaten hätten keine festen Regeln, seien nicht wie andere Ordensleute gut organisiert, aufgebaut und reglementiert… Man wisse nicht, was das für Ordensleute sind… Sie lassen es leicht an der nötigen Klosterzucht fehlen, um einer Kleinigkeit willen… Sie haben kein ernstes Noviziat… Sie haben überhaupt nichts…! Meine Freunde, ich bin nicht beleidigt über so manche Dummheiten, die gewisse Leute ohne Unterlass wiederholen. Sobald wir aber einen Novizen, einen Ordensmann haben, der verstanden hat, was ich da eben ausgeführt habe, wird man sagen, die Oblaten sind formvollendete Ordensleute. Denn das werden dann Heilige sein, nicht mehr und nicht weniger. Wir haben es nämlich gar nicht nötig, reglementiert zu werden, auf einen Pfiff, auf eine Parole hin zu gehorchen. Uns braucht keine Melodie eingetrichtert zu werden wie einem Vogel. Versteht wohl, dass unser ganzes Oblatenleben hier auf dem Spiel steht. Dafür brauchen wir aber nach der Gnade Gottes einen starken Willen und Tatkraft. Wir müssen entschlossene Männer sein, wie die Gute Mutter zu sagen pflegte. Auf diesem Weg muss man sich freudigen Herzens einlassen, um nie mehr davon abzugehen. „Tenui, nec dimittam.“ (Anm.: „Festhalten müssen wir und nie mehr loslassen…“). Die Hand heißt es fest am Pflug zu lassen und nicht mehr stehen bleiben, um rückwärts zu schauen. Dazu bedarf es freilich mehr Energie als der eines schwächlichen Weibes, oder eines Schwächlings. Vielmehr tut hier ein großmütiges und tüchtiges Herz, Ausgeglichenheit und Vollständigkeit im Urteil und im Herzen not. Damit schreitet man voran. Gewiss sind das deswegen noch keine Praktiken eines großen Genies.
Lest und studiert Bossuet in seiner ganzen Doktrin… Werdet euch klar über Bossuet und ihr werdet sehen, ob dieses große Genie andere Mittel gebrauchte als die, die ich euch genannt habe: Ununterbrochen seine Zuflucht zu Gott nehmen… Ihr werdet feststellen, ob er nicht darauf sein ganzes Vertrauen gesetzt hat. Hier schöpfte er seine Tatkraft, sine Eingebung, sein Wissen, sein Genie. Bossuet war ein Mann des Hofes, ein großer Redner. Auf dieser Grundlage hat er sein ganzes Lebenswerk aufgebaut: Immer wieder zu Gott seine Zuflucht nehmen. Das war sein Ausgangspunkt, Basis und Fundament seines geistigen und übernatürlichen Gebäudes. Damit erhielt er sich heilig inmitten des Königshofes. Er wurde Apostel und berühmter Seelenführer, wurde der größte Kanzelredner Frankreichs. Und Franz v. Sales, hatte er etwa andere Weisen vorzugeben, andere Mittel, in allem was er tat, was er sagte, was er praktizierte, was er lehrte? Darin gründete seine Seele und sein ganzes Denken!
Tut desgleichen, meine Freunde, lasst euch auf diesen Weg ein, wo ihr die Entfaltung eurer Intelligenz und eures Willens, eurer Stärke und eures Herzens finden werdet. Das wird eure Handlungen zu ungemein vernünftigen Akten machen, wahrhaft christliche Akte, Taten von Aposteln und Ordensleuten. Das ist etwas Himmlisches, ein Strahl aus dem Herzen Gottes, der ins Menschenherz fällt. Wenn ihr in dieser Richtung voranschreitet, geht ihr den königlichen Weg, wie Franz v. Sales ihn nennt, den Weg, wo nichts wertlos ist, nichts unpassend und ungeeignet, wo alles auf der Höhe der Dienste steht, die Gott und die Kirche erwarten.