9. Vortrag: Erziehung der Jugend – Annales Salesiennes.
Heute Abend um 17:00 Uhr feiern wir die Zulassung zum Noviziat und zu den Gelübden. Ich empfehle euren Gebeten unsere jungen Patres, die daran teilnehmen. Bittet Gott, dass sie lernen, ein klösterliches Leben zu führen, damit sie bei uns alle Hilfen finden, die ihren Seelen nützlich und heilsam sind. Sie und wir werden zu diesen Zeremonien unsere ganze Frömmigkeit mitbringen. Bis dahin fahrt ihr mit den hl. Exerzitien fort in Sammlung und Gottvereinigung. Sammelt in die Scheuern eurer Seelen das göttliche Samenkorn, bewahrt es sorgsam, und an dem Tag, wo ihr es braucht, findet ihr es zum Wohl eurer Seele und der der anderen.
Ich messe den Exerzitien, die wir jetzt abschließen, eine große Bedeutung bei, meine lieben Freunde. Ich hatte zunächst gar nicht vor, ihnen eine solche Tragweite zu geben. Wenn ich es mir aber überlege, sehe ich ein, dass es absolut notwendig war, dass jeder daran teilnahm, und dass sie für die ganze Provinz stattfanden. Ihr habt begonnen, die anderen werden fortfahren. Denn die Patres, die nicht hier waren, und nicht daran teilgenommen haben, machen die nächsten am 16. September zu St. Quen mit, die ich ebenfalls selbst halten werde. Sie werden genau das gleiche zu hören bekommen wie ihr. Und keiner darf dabei fehlen. Ich glaube nicht, dass einer einen stichhaltigen Grund finden wird, sich davon zu dispensieren. Ihr seid ja dann hier, um diese Patres in unseren Kollegien zu vertreten. Jeder wird aus den Ferien zurücksein, sodass zu guter Letzt jeder aus meinem Mund erfahren hat, was ich zu sagen habe und was jeder im kommenden Jahr zu tun hat. Jeder wird es von Anfang an leichter in die Praxis überführen können, weil er es mit eigenen Ohren gehört hat.
Ich will mit der Erklärung der Beschlüsse des Generalkapitels fortfahren. Der Geist, der uns eigen ist, muss sich in allen Werken der Seelsorge manifestieren, die uns übertragen sind. Alle, mit denen wir zu tun haben und denen wir auf unserem Weg begegnen, sollen ihn schätzen lernen. Man schätzt aber nur, was wir ihnen vorführen. Sie verstehen nur das, was wir im Umgang mit ihnen unter Beweis stellen.
Der größte Teil unserer Seelsorge richtet sich zurzeit auf die Erziehung der Jugend. Unsere Kollegien nehmen den Hauptteil unseres Personalbestandes in Beschlag. Darum bildet die Erziehung auch den Hauptteil unserer Verpflichtungen. Darüber muss ich etwas äußerst Wichtiges sagen.
Wir müssen den Geist des hl. Franz v. Sales und seine Lehre bezüglich der Jugenderziehung verstehen. Wir sollten uns damit ganz durchdringen, denn nur unter dieser Bedingung werden wir Gutes wirken und Erfolg haben. Der Hauptpunkt dieser Lehre und dieses Geistes ist aber die Ehrfurcht vor der Seele des Kindes und des jungen Menschen. Wie aber solch einen Lausbuben hochachten, wenn er kaum hochgeachtet werden kann? … Die Alten haben bereits gesagt: „Maxima debetur puero reverentia.“ (Anm.: „Dem Knaben gebührt allergrößte Ehrfurcht.“). Wenn ihr nun dieses Kindes nicht respektiert, sondern mit Verachtung behandelt wie eine Null, dann is er verletzt. Er wird folglich seine Seele nicht höher schätzen, als ihr es tut. Er hat ja keine Idee von seiner moralischen Würde, vom Wert seiner Handlungen, weil ihr selbst dafür auch keinen Respekt zeigt. Und mit zehn Jahren schon hat er diese Meinung Respekt zeigt. Und mit zehn Jahren schon hat er diese Meinung von sich, im Alter also, wo wie Bischof Dupenloup sagt, der sittliche Mensch bereits fertig ist. Da seht ihr, was man allzu oft vergisst, meine Freunde. Man fährt den Jungen hart an, weil er sich anständig benimmt. Manchmal schlägt man ihn, obwohl die bürgerlichen und unsere klösterlichen Gesetze dies verbieten. Man ist ungeduldig und behandelt ihn wie ein wertloses Wesen, das keine Achtung verdient. Damit beleidigt ihr aber ein Geschöpf, das nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Ihr beleidigt seine Familie, die ihn euch zur Erziehung übergeben hat. Wie wollt ihr auf diese Weise eine so delikate Mission erfüllen?
In meiner Tasche trage ich einen starken Brief von einer Familie, die sich beschwert, dass man in einem unserer Kollegien Kinder schlägt, und die erklärt, es sei unmöglich, Kinder Lehrern anzuvertrauen, die vor selbst keine Achtung haben noch ihre Kinder zu achten wissen, noch die Familien, die ihnen doch ihr Vertrauen bekunden. Meine Freunde, ich habe niemals gehört, dass ein Jesuit ein Kinde geschlagen hat, während mehrere von uns sich das herausgenommen haben. Bei den Christlichen Schulbrüdern legt man dem einen eine Buße auf, der ein Kind geschlagen hat. Nun, das wollen wir auch tun: Einem eine Buße auferlegen, der sich in Zukunft soweit vergessen sollte. Und zwar soll es eine demütigende Buße sein.
Wir sind hier ganz unter uns, ich darf also offen reden. Der Erzbischof von Athen schreibt mir, dass man dort Kinder geschlagen hat… Und dabei sind wir Söhne des hl. Franz von Sales! Jeder sei für alle Zukunft gewarnt, vom Postulanten bis zum ältesten Lehrer: Wer künftig einen Schüler schlägt, wird auf den Knien im Refektorium essen. Das soll eine Buße sein. Da ist nichts zu deuteln: Es ist ein Reflex von Ungeduld. Auch die großen Verbrechen geschehen fas immer aus einer Aufwallung der Ungeduld, der Leidenschaft heraus. Wer also ein Kind geschlagen hat, macht seine Kulp darüber und isst auf den Knien.
Ihr seht schon, zu welch beklagenswerten Wirkungen ein Vergessen dieser Art führen kann. Wenn der Erzbischof von Athen mir das schreibt, glaubt ihr nicht, dass er das auch anderen sagt? Dass es vielleicht bis zum Papst geht? Ja, soweit kann eine Ohrfeige gehen! Was wird man von den Oblaten denken und sagen? Dass es Schulmeister der niedrigsten Etage sind, die Kinder so brutal behandeln!
Tut darum eure Pflicht! Haltet den Unterricht und die Aufsichten, wie es vorgeschrieben ist und man euch zu tun geheißen hat. Haltet euch im religiösen Geist an die gegebenen Weisungen des Gehorsams, selbst in den kleinsten Einzelheiten. Macht eure „Gute Meinung“ gewissenhaft, dann gibt Gott euch dafür die Gnade. Was ich euch vorgestern auf die Berufe gesagt habe, wiederhole ich hier im Hinblick auf unsere Schüler. Ihr findet mich vielleicht etwas ungewöhnlich, und doch bleibe ich innerhalb der Wahrheit. Ihr seid für die Seelen eurer Schüler, der Schüler eurer Klasse, der Kinder eures Seelsorgewerkes verantwortlich. Vater und Mutter haben ihren Kindern gegenüber die gleiche Verantwortung! Auch ihr schuldet ihnen nicht nur Aufsicht, materielle und geistige Sorge. Nein, ihr seid auch Ordensleute. Darum müsst ihr euer Amt als Ordensleute ausüben. Ihr müsst für diese Kinder beten, müsst sie vor Gott tragen, ihre Seelen ohne Unterlass vor Augen haben und eure ganze Seele und euer ganzes Herz in diese Sorge legen. Oder gehe ich zu weit? Nein, meine Freunde, das ist das einzige Mittel, euren Schülern Gutes zu tun. Gebraucht ihr aber für dieses wichtige Werk der Erziehung nicht den Hebel der natürlichen Mittel, schöpft ihr nicht alles Nötige im Herzen Jesu, in der Besuchung des heiligsten Sakramentes, in eurer Betrachtung, hl. Messe, Breviergebet, was finden dann eure Schüler bei euch Besonderes? Latein, Mathematik und die tägliche Suppe? Dann lohnt die Mühe nicht, dass sie in ein christliches Kolleg kamen. Das fänden sie ebenso gut anderswo. Dann erfüllt ihr eure Pflichten gegenüber euren Schülern nicht. Betet für sie, sprecht mit unserem Herrn über sie, nur so werdet ihr gute Lehrer und gute Aufseher sein. Das ist eine große Methode, die allein in Frage kommt. Da habt ihr z.B. einen schwierigen Schüler, es fehlt ihm an den nötigen Talenten, er hat einen schlechten Charakter, beeinflusst durch sein schlechtes Beispiel die anderen Schüler. Er hat Gebrechen, hinkt geistigerweise, ist in seiner Seele bucklig, moralisch missgestaltet, und krank. Wir müssen ihn nehmen wie er ist, und versuchen, daraus etwas Gutes zu machen. Solch eine moralische Schwäche ist ebenso real wie eine körperliche. Er ist letztlich nicht daran schuld, wenn er so gebaut ist. Wollt ihr ihn deshalb schlechter behandeln oder rau anfassen? Wäre das vernunftgemäß und tätet ihr da eure Pflicht? Wenn ihr dagegen diese kleine Seele annehmt, diesen schwachen Geist mit eurer Sorge umgebt, für ihn betet, ihm helft und ihn stützt, könnt ihr daraus etwas gestalten. Könnt ihr in heilen von seiner Krankheit. Dann seid ihr in Wahrheit christliche Lehrer und Erzieher und Ordensleute. „Aber, Herr Pater, das ist so leicht gesagt. Sie sehen das aus der Ferne. Steht man aber solchen Elementen gegenüber, ist man leichter versucht, ungeduldig zu werden als zu beten. Hat man eher Lust, Faust und Fuß zu gebrauchen als sanfte Mittel.“ Ich sage ja nicht, dass dieses leicht ist. Ich appelliere nicht an eure Gefühle, nicht einmal an eure Vernunft, sondern an euren ganzen Ordensgeist, an eure ganze Großmut, an sämtliche Kräfte eurer Seelen und eures klösterlichen Gehorsams. Es bedarf dieses Allen, um zu tun, was ich von euch verlange.
Handelt so, meine Freunde, allen Seelen gegenüber, die euch anvertraut sind. Immer, wenn wir eine seelsorgerliche Pflicht haben, müssen wir für die betreffenden Seelen beten. Dann wird unsere Seelsorge die Seelen bereitfinden nach dem Maß unseres Gebetes. Helfen wir diesen Seelen mit unserem Beistand, mit unserer Liebe!
Wir als Ordensleute müssen das versuchen. Wäret ihr gewöhnliche Lehrer, ließe ich euch damit in Ruhe. Wäre ich Regens des Priesterseminars, würde ich zu euch nicht so auf diese Spitze treiben, wie ich es tue, da niemand verpflichtet ist, so weit zu gehen wie der Ordensmann, der sich mit Leib und Seele geweiht und hingeopfert hat. Nicht jeder hat im Übrigen die Einsicht, das zu verstehen. Gott verlangt darum dies auch nicht von allen. Aber von euch verlangt er es. Er verlangt es von seinen Ordensleuten, und ganz besonders von seinen Oblaten. Scheuen wir uns darum nicht, uns auf diesen Weg einzulassen. Er wird weder zu rau noch zu schwierig sein. Haben wir einmal unseren Fuß auf diesen Weg gesetzt und uns dieser Richtung zugewandt, ergibt sich alles andere: Die mühseligsten Dinge, die uns zunächst zu zermalmen scheinen, werden schließlich mächtige Hilfsmittel und kraftvolle Hilfen. Nur unter dieser Bedingung seid ihr wahre Aufseher und Lehrer im Geist des hl. Franz v. Sales. Versucht das von diesen Exerzitien an und urteilt danach!
Ich weiß recht wohl, dass diese Vielzahl von Empfehlungen und Sorgen ermüdet, langweilt, belästigt. Das ist wahr. Aber auch hier gilt das gleiche wie für das Direktorium. Da heißt es auch, am Anfang sei es schwer, seine Seele diesem ständigen Zwang zu unterwerfen, sie jeder Übung, jeder vorgeschriebenen Intention und jedem Gedanken anzupassen. Nach einiger Zeit aber, wenn die Seele genügend geschmeidig geworden ist, würden sich diese vielfältigen Übungen in eine einzige Seelenhaltung verwandeln und man würde ständig auf den Willen Gotte ausgerichtet sein als einzigem Mittel der Gottvereinigung. Aber mit der Vielfalt hieß es beginnen, und bei jeder Einzelübung die aktuelle Vereinigung seines Willens mit dem des lieben Gottes suchen. Das hat ja auch seine Gültigkeit für die Predigt. Man muss anfangs auch jede Predigt aufs Wort ausarbeiten und auswendig lernen. Erst später, wenn man genügend geformt und geübt worden ist, kann man sich von all diesen Einzelübungen dispensieren. Das schließt nicht aus, dass man sich weiterhin gründlich auf jede Predigt vorbereiten muss. Aber der Redefluss wird immer leichter, die Gedanken kommen am richtigen Platz und richten sich unmittelbar an den Zuhörer, und man predigt auf nützlichere Weise als durch das geschriebene und auswendig gelernte Wort. Das gilt auch für das innere Leben ebenso wie für die Sorge um die Seelen. Indem wir uns jeder gegebenen Einzelweisung unterwerfen, was am Anfang vielgestaltig aussehen mag, gelangen wir bald zur Einheit und zur beständigen Vereinigung mit Gott. Und dann wird das Wort unseres Herrn wahr: „Mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht.“ Nichts trägt sich leichter als das Joch unseres Herrn. Statt uns niederzudrücken, stützt und leitet es.
Bringen wir dem Kind also große Ehrfurcht entgegen, behandeln wir es mit großer Zartheit, denn es selbst hat, ohne dass wir es ahnen, eine große Herzenszartheit. Erscheint das Kind bockig, begabt, gefühlskalt, täuschen wir uns nicht. Die Eindrücke, die es empfängt, graben sich oft viel tiefer ein als beim intelligenten Kind. Eine unbedeutende Sache, die es ergriffen hat, kann seine Seelenrichtung für sein ganzes Leben festlegen. So hat man herrliche Berufungen bei Jungen und unter Umständen sehen können, die dafür ganz und gar nicht geeignet schienen.
Papst Sixtus V. hütete als Kind die Schweine. Da sieht er eines Tages einen Mönch vorbeigehen und betrachtet ihn neugierig. Der Mönch interessiert sich für dieses Kind, findet an ihm ein kluges Aussehen und richtet einige wohlwollende und liebenswürdige Worte an es. Eine Bindung bildet sich heraus, und der kleine Schweinehirt tritt ins Kloster ein und wird Papst. Hätte der Mönch den Jungen hart angefahren und ihn schlecht behandelt, dann hätte Sixtus V. lange seine Schweine gehütet und wäre nie Papst geworden. Die Frage der rechten Erziehung ist also eine außerordentlich heikle Frage. In einem Seelsorgewerk braucht man nicht so sehr achtzugeben. Ist man aber mit der Gesamterziehung eines Jungen betraut, um aus ihm einen Mann und Christen zu machen, hat man also die volle Verantwortung darüber, dann ändert das die Sachlage. In einem großen Jugendheim der Pfarrei genügt ein einziger geistlicher Leiter (Directeur). Seht aber nur, wie viel Aufseher und Lehrer in einem Kolleg sind! Hier geht es nämlich um etwas Delikateres und Umfassenderes. So müsst ihr die Sache sehen, damit wir in Wahrheit das Werk des hl. Franz v. Sales vollbringen.
Bischof Mermillod sagte einmal: „Mit dem hl. Franz v. Sales kann man vollkommene Menschen erziehen. Nur müsste man sich damit befassen. Betrachtet nur die Heimsuchungsklöster: Die Zöglinge sind dort nicht sehr zahlreich, dafür erzieht man sie aber auch in der Tat und Wahrheit“, fügte er hinzu. „Bewundernswerte Frauen gehen daraus hervor. Oh, ich möchte dasselbe bei unseren jungen Burschen erleben! Freilich ist hier nicht so leicht derselbe Erfolg zu erreichen: Der „Rohstoff“ ist hier nicht ebenso leicht zu behandeln. Dafür würde das erreichte Gute aber länger vorhalten, und die Wirkungen für die menschliche Gesellschaft wären tiefgehender. Das ist der Grund, warum ich so gern sähe, wenn Oblaten Kollegien gründeten!“
Meine Freunde, wenn wir dasselbe tun wie alle anderen, dann ist das nichts. Was aber andere nie so gut wie wir machen würden, das ist genau das: Die Seelen unserer Schüler über alles hochschätzen und sie vor allem bei Gott mit unserer eifrigen Sorge umgeben!
In den Empfehlungen des Generalkapitels findet sich auch ein Wort bezüglich der Annales Salesiennes. Ich appelliere diesbezüglich an all unsere Patres. Denn die Annales sind das Organ (Werkzeug, Stimme, Zeitschrift) des Instituts. Es ist ein bescheidenes Blatt, gewiss: Wir lassen uns darin in kein Streitgespräch ein und treiben keine Politik, beschäftigen uns auch nicht mit Literatur. Die Annales sind einfache Mitteilungsblätter, bestimmt für uns und für jene, die sich für unsere Seelsorgewerke interessieren. Sie erzählen, was bei uns geschieht, und was sich darauf irgendwie beziehen kann. Sie sind also ganz bescheiden und einfache Stimme der Kongregation. Ich wünsche dringend, dass sich unsere Zeitschrift ausbreite, denn sie macht unsere Werke bekannt und interessiert die Fremden dafür. Mehrere Berufe wurden bereits dadurch geweckt und es ist zu hoffen, dass ihre Zahl zunimmt. Auch mehrere materielle Schenkungen wurden durch die Annales angeregt zum Unterhalt unserer Werke. Darum sollte ein jeder von uns an ihr interessiert sein. Hier haben wir die Möglichkeit, unseren Gemeinschaftsgeist zu beweisen.
Man hat die Annalen mitunter etwas leichtsinnig abgeurteilt. Man hat Geist und Witz und bedient sich ihrer, um gewisse Seiten zu kritisieren. Gewisse Artikel greift man in einem boshaften Ton an. Doch kann das gelegentlich Unheil anrichten. Man hüte sich darum davor. Was ist die innere Triebfeder derer, die alles kritisieren, die auf alles etwas zu sagen wissen? Die folgende: Schaut mich an und zollt mir eure Bewunderung, denn ich, und ich allein, bin Spitzenklasse. Ich allein habe Geist, habe Urteil, bin zu etwas fähig, und alles, was man außerhalb meiner Ideen und meines Urteils unternommen hat, taugt absolut nichts. Wenn ein Fremder so über unser Tun urteilt, mag es hingehen, es kümmert uns nicht. Ernst dagegen ist es, meine Freunde, wenn ein Ordensmann sich so an der Achtung seiner Mitbrüder und seiner Genossenschaft vergeht. Wenn seine Worte jene entmutigen können, denen der Obere eine Sendung anvertraut hat. Das Übel, das er anrichtet, kann enorm sein. Seien wir darum religiöser, großmütiger und auch besser erzogen.
Wenn uns etwas in den Annalen nicht gefällt, uns schwach erscheint oder schlecht ausgedrückt, ist es durchaus erlaubt, sein eigenes Urteil und seine eigene Einschätzung zu haben. Sagt es P. Mayerhoffen, er wird euch dafür dankbar sein. Sagt ihr es dem P.P., wird er euch zunächst die Tür weisen. Er wird behaupten, dass ihr davon nichts versteht. Doch zu guter Letzt wird er anerkennen, dass ihr recht habt…
Sagt darum nichts Nachteiliges über die Annalen zueinander noch zu Außenstehenden. Tut mehr: Arbeitet mit bei der Herausgabe. Angenommen, ihr gehört zu einem Kolleg, einem Seelsorgewerk, oder ihr arbeitet in der Seelsorge: Ihr wisst einen interessanten Vorfall, der erbauen könnte. Haltet ihn fest für unsere Annalen. Macht es wie unsere Missionare, die mir treu schreiben, und zwar fesselnde Dinge. Das ist das Schönste in den Annalen. Dabei nehmen die Missionen doch nur einen kleinen Raum im Institut und in den Werken ein. Wir haben mehr Kollegien als Missionshäuser dort. Die Seelen, die wir in unseren Kollegien haben oder in den Werken der Seelsorge (Jugendheime, etc.), sind denen in unseren Missionen an Zahl weit überlegen.
Haltet darum alle erbaulichen Züge fest, die euch begegnen. Wenn wir das lieben, was wir tun, meine Freunde, wenn uns das Gedeihen unserer Werke und unserer Häuser am Herzen liegt, finden wir immer etwas zu schreiben. Das liegt in unserer Natur. Seht das griechische Volk: Es war ein kleines Völkchen, das nichts darstellte. Es nahm auf dieser Erde denselben Raum ein wie bei uns eine französische Provinz oder ein Regierungsbezirk. Die Reize des Landes, die Schönheit seiner Landstriche sind mäßig. Sie hatten einige bedeutende Männer, doch solche gibt es überall. Aber ihre Literatur hat sich dieser Dinge bemächtigt, und hat Wunderbares daraus gemacht. Und warum das? Weil sie ihr Vaterland liebten, weil sie davon mit der ganzen Glut ihres Herzens sprachen. Und sie logen nicht, sie sagten die Wahrheit damit, sie sprachen wie sie fühlten, und immer, wenn man lebhaft empfindet, wenn man von dem spricht, was man liebt, wird man beredt. Darum wurden sie großes Volk. „Pectus es quod disertos facit.“ (Anm.: „Das Herz ist es, das beredt macht.“). Das Herz macht Redner, macht überhaupt Menschen und Dinge. Liebt, was ihr tut, dann wisst ihr viel zu sagen, und ihr sagt es gut und fesselnd.
Es wird ein sehr gutes Zeichen sein, wenn unsere Patres etwas für die Annalen zu schreiben, und es ist ein ebenso gutes Zeichen, wenn man sein Möglichstes tut, um Abonnenten zu gewinnen. Denn damit trägt man seinen Teil dazu bei, dass die Annalen einen Aufschwung erleben. Sie sind ganz auf uns angewiesen. Sie decken zurzeit die Unkosten, was nicht immer der Fall war, und es wäre bestimmt nicht schlecht, wenn sie etwas mehr abwürfen als die Unkosten. Das wäre sehr zu wünschen. Ja, man kann sogar sagen, sie decken nicht einmal die Unkosten in dem Sinn, dass der künstlerische Teil, der Kupferdruck, und die Holzschnitte von einem hervorragenden Künstler stammen, Herrn Dargent, der einen Teil seiner Bemühungen und seines schönen Talentes gratis der Illustration der Annalen widmet. Er tut es aus Dankbarkeit für eine große Gnade, die ihm die Gute Mutter erbeten hat. Wollte man im Detail alles aufzählen, was an Arbeit, Geduld, und Talent er investiert hat, um die Bilder der Annalen zu schaffen, die für gewöhnlich von einem bedeutenden Künstler stammen, dessen Namen in den Ecken mehrerer Bilder steht, dann begreift man, dass die ernste Mitarbeit eines Künstlers keine kleine und verachtenswerte Sache ist. Man muss diesem Herrn danken und ihn ermutigen, der sich uns so liebenswürdig zur Verfügung stellt. Er entstammt einer Künstlerfamilie. Seinen Vater kannte ich hier in Troyes, Herr Jan Dargent ist ein berühmter Maler und ein christlicher Künstler. Machen wir ihm darum Mut durch unsere Mitarbeit bei diesem Werk, dem er sein Talent, seine Zeit und selbst sein Brot opfert, die Künstler sind nie sonderlich reich.
Jenen, die es nicht wissen, kann ich versichern: Die Annalen werden gern gelesen und sind geschätzt. Alle, die sie in Händen haben, legen mir ein lobendes Zeugnis ab. Man kann ihren Rahmen noch etwas erweitern, sie moderner und aktueller gestalten. Auf das Gebiet der Politik werden wir uns freilich nicht begeben, doch das der religiösen Literatur wäre noch ein weites Feld. Wir könnten Berichte über interessante Werke in unser Programm aufnehmen, desgleichen Bücher und Tatsachen, die auf dem Gebiet der Geschichte und der Literatur beachtenswert sind. P. Bony, der in dieser Hinsicht sehr geschickt ist, wird uns seine Mitarbeit leihen. Er hat ein gutes Urteil und schreibt einen ausgezeichneten Stil. Wir wollen Gott bitten, dass er seine Gesundheit festige, damit er von Zeit zu Zeit einen spannenden Artikel schreiben kann, der sicherlich hoch eingeschätzt wird.
Die Annalen werden nicht nur in Frankreich gelesen, sondern auch in der Schweiz, in Italien, und in Spanien, im Deutschen Reich (Anm.: „Deutschland durch Deutsches Reich ersetzt, 1894 gab es Deutschland in diesem Begriff noch nicht!“) und im Vatikan, fast überall. Der Erzbischof von Perugia studiert sie mit Aufmerksamkeit. Sie bestärken ihn in den Wunsch, in seiner Diözese Oblatinnen und Oblaten zu haben. Dieser Erzbischof ist geistreich. Er sagte zu seiner Nichte, die begeistert ist über die Berichte über das, was alles in unseren Jugendheimen an Gutem geschieht: „Das ist echte Poesie!“ Er will damit sagen, dass die Resultate die Schranken des Gewöhnlichen überschreiten.
Bringen auch wir allem, was sich in unseren Werken tut, Interesse entgegen. Wir hatten in der letzten Woche Exerzitien mit den jungen Arbeiterinnen unserer Werke. Am Sonntag hatten wir vierhundert Kommunionen. Das stellt was dar, meine Freunde. Das sind keine x-beliebigen Kommunionen, die aus Leichtsinn oder Zurschaustellung geschehen. Sie waren das Resultat eines sehr klaren und lebendigen Glaubens, eines Mutes und einer Energie, die den Durchschnitt weit überschreiten. Und Energie müssen diese jungen Mädchen wahrlich aufbringen, um sich inmitten der allgemeinen Verderbnis in den Werkstätten und Läden und für manche sogar in ihren eigenen Familien durchzusetzen. Sie hören gern das Wort des Paters, der das Werk leitet, sie tun, was er ihnen zu tun rät, und das fällt ihnen leicht, weil sie großmütig.
Dieses Jugendwerk hier in Troyes gedeiht ebenfalls gut. Die jungen Leute begreifen, dass die Lehre des hl. Franz v. Sales gut ist und geben Zeugnis von ihrem guten Willen in den Exerzitien, die P. Courtois soeben gehalten hat und die gute Früchte gezeitigt haben.
In Paris leitet P. de la Charie ein großes „Werk“, das von fünfhundert bis sechshundert Kindern und jungen Leuten besucht wird. Am Sonntag finden sich dreihundert ein und am Donnerstag ebenso viele Schüler. Der ehrwürdige Gründer dieses Jugendheimes, Herr Legentil, sagte mir: „Herr Pater, ich danke Ihnen, denn niemand konnte mir diesen Dienst leisten als Sie. Die letzten Patres, die wir hatten, waren ausgezeichnet, aber es war unmöglich, mit ihnen zu einem Erfolg zu kommen, weil sie mit dem Direktor nicht auskamen. Ich brauche Patres wie die ihren…“ Der Direktor ist nämlich ein tüchtiger und heiligmäßiger Laie von großem Verdienst und einer bedingungslosen Einsatzfreudigkeit, aber manchmal etwas originell. Notfalls predigt er und hört auch die Beichte. Zeuge davon ist der arme P. Delaage. Letzterer steigt eines Tages auf die Kanzel, um zu predigen. Gerade, als er beginnen will, sagte der Direktor: „Meine Kinder, der Pater will jetzt zu euch sprechen, und zwar über dies und das…“ Und er hält während einer halben Stunde die Predigt des Paters. Nach einer halben Stunde zieht er seine Uhr und sagt: „Die Zeit ist vorbei“, und der Pater steigt ganz bescheiden von der Kanzel herab. So ungefähr wie P. Delaage macht es jetzt P. de la Charie, sein Nachfolger. Als ich ihn dahin sandte, sagte ich zu ihm: „Lassen Sie ihn machen, ohne sich zu ärgern. Man wird sich in Ihre Rechte eindrängen, in Ihren Seelsorgebereich. Sagen Sie nichts, und geben Sie sich dennoch der Sache ganz hin.“ Der gute Direktor hat zwar nicht gewagt, soweit zu gehen mit dem Vorgänger, dennoch fährt er fort, sich um vielerlei zu kümmern und in viele Einzelheiten einzugehen, die zum Gebiet des Priesters gehören. P. de la Charie aber schließt die Augen und arbeitet, so viel er kann. Der Direktor schätzt ihn herzlich, die jungen Leute lieben ihn und hören auf sein Wort. Der Erfolg rührt aber davon her, dass der Pater ein guter Oblate ist, der seine Gute Meinung macht, und aus der Hand alles annimmt, was ihm begegnet, und weil er ferner sein ganzes Herz und seinen ganzen Willen für den Erfolg seines Werkes einsetzt. Das ist der Geist unseres hl. Stifters, und darum gedeiht St. Charles so gut, es ist eines der berühmtesten Jugendwerke von Paris.
Oder schaut unsere Missionare an: Wie großen Erfolg sie haben trotz aller Schwierigkeiten und Heimsuchungen und Widersprüche, wenn sie bloß von diesem Geist beseelt sind! Vom Kap erhalten wir gute Nachrichten, es ist bewundernswert, welch guten Einfluss unsere Patres ausüben. Warum aber nicht überall der gleiche Erfolg? Warum üben wir in unseren Kollegien nicht denselben guten Einfluss aus wie die Patres in ihren Jugendwerken? Gebt euch die Antwort selbst!
Ich komme zum Schluss: Lasst uns für unsere Schüler, wie immer sie beschaffen sind, diese Hochachtung des Glaubens hegen, die in der Seele des Kindes den Funken und das Flämmchen des Gottesreiches sieht, und das in der armseligsten Seele und im abscheulichsten Charakter. P. Larvordaire sagte: „Wenn der Priester auf die Patene ein kleines Teilchen der hl. Hostie fallen ließ, kniet nieder, betet es an und nimmt es mit Ehrfurcht auf, damit es nicht entweiht wird.“ Wo immer ihr ein kleines Teilchen der Gottheit in einer Seele entdeckt wird, kniet euch auch nieder und betet es an und nehmt es mit Ehrfurcht auf, damit es nicht besudelt und verdorben wird!
Was die Annalen betrifft, so liebt sie, wie man die Belange der eigenen Familie liebt, wie man seine Freunde und Wohltäter liebt! Leiht eure Mitarbeit bei der Abfassung dieser Zeitschrift nach dem Maße eurer Talente. Schickt uns eure kleinen Beiträge zu. Gewiss kann man nicht alles annehmen und drucken. Sicher ist eine gewisse Auswahl nötig, die eure Eigenliebe vielleicht verletzen kann. „Man hat meinen Artikel nicht wörtlich inseriert, ergo schicke ich nichts mehr.“ Aber, meine Freunde, wir sind Ordensleute, und wenn man nicht alles gedruckt hat, dann hatte man eben einen guten Grund, den wir nicht kennen, den wir aber in Bescheidenheit und Herzlichkeit gelten lassen wollen. Hüten wir uns, die Annalen zu bekämpfen und verschaffen wir unserer Zeitschrift Abonnenten. Krieg-Führen gegen das, was in unserer Nähe steht, ist das Laster nicht weniger und sehr verbreitet bei uns. Wir sind nicht schlecht, aber mitunter versucht, etwas herabzusetzen und über einander herzufallen. Seien wir treue Diener unseres Herrn und ahmen wir die Gute Mutter Maria Salesia nach, dann ist der Herr mit uns, und unser Tun wird bleibende Frucht hervorbringen.