3. Vortrag: Keuschheit – Gehorsam
Gestern sprachen wir vom Gelübde der Keuschheit und betonten, es habe zwei Seiten, die negative und die positive. Was zu tun ist, und was zu unterlassen ist, haben wir überlegt.
Für gewöhnlich beschäftigt man sich, wenn man der Keuschheit spricht, nur mit der negativen Seite. Alle Autoren, außer Franz v. Sales, fassen nur die negative Seite ins Auge. Doch, so führt unser seliger Vater aus, man darf sich nicht nur nicht schlechten Befriedigungen und irdischen Dingen und Lustbarkeiten hingeben. Unser Herz sollten wir positiv an Gott, an unsren Herrn und an seine hl. Menschheit hängen. Doch dürfen wir darüber nicht unser Herz vergessen, und es damit bewenden lassen. Wir geben uns viel mit Studien ab, mit Theologie, Philosophie, Philologie und Naturwissenschaften: Das alles bringt unseren Verstand auf Touren. Wenn wir uns bei all dem nur an unsere strikte und strenge Pflicht halten, geht das Herz leer aus. Darum vergessen die Theologen im Allgemeinen die positive Seite, den affektiven Aspekt des Gelübdes der Keuschheit. Das ist eine große Lücke und Ungenauigkeit. Der Mensch besteht aber bekanntlich nicht aus Holz, wie Hiob sagte: „Mein Fleisch ist nicht aus Erz, und meine Gebeine nicht aus Eisen.“
Wir verfolgen darum einen anderen Weg. Der Arbeit unseres Intellektes und unseres Willens fügen wir noch etwas anderes hinzu, die Liebe unseres Herzens, die Zuneigung, das Gefühl. Man setzt das Gefühl im Allgemeinen arg herab. Es scheint, das Gefühl sei mehr Sache von Frauen als von Männern. Schaut aber die Heiligen an: Was war denn bei Franz v. Sales vorherrschend? War es nicht die Liebe zu Gott? Der hl. Alfons war sicher ein großer Theologe. Ist er aber bedeutend aufgrund seiner Gelehrsamkeit, dann ist er es nicht weniger wegen seiner Frömmigkeit, wegen der liebevollen Anmutungen, die er dem heiligsten Sakrament und der seligen Jungfrau entgegenbrachte. Und was beherrschte den hl. Vinzenz v. Paul? Ist es nicht die zarte und gemütvolle Liebe ebenso gut wie seine Werke des Apostolates und der Barmherzigkeit? Schaut den hl. Paulus an, alle Apostel, den hl. Petrus, den hl. Johannes. Welch liebeentflammte Anmutungen zu unserem Herrn! Der Mensch besteht aus Leib und Seele, Geist und Herz. Alles muss Gott gehören. Im Übrigen, was schaut Gott mit Vorliebe an? „Deus autem intuetur cor.“ (Anm.: „Gott aber schaut das Herz.“). Er hat unseren Verstand geschaffen. Vorausgesetzt, er missbraucht seine Erleuchtungen nicht, die Gott ihm schenkt, die Gott ihm schenkt, so ist es doch nicht der Verstand, der Gottes Aufmerksamkeit erregt. „Deus autem intuetur cor.“ Auf das Herz achtet er vor allem! Es ist also gut, meine Freunde, wenn der Oblate des hl. Franz v. Sales diese göttliche Vorliebe beachtet, dass er sein Herz zubereite zu einem glühenden Herd der Gottesliebe. Dass er alles benutze, was ihm zu tun obliegt, alle Zufälligkeiten, die ihm begegnen, um seine Frömmigkeiten damit zu nähren und zu vermehren. In der Betrachtung, bei der hl. Messe, in den Versuchungen, Peinen, Schwierigkeiten, Schwächen und Gebrechen seiner Seele möge er sich zu Füßen des Erlösers hinwerfen und sich dort bei Jesus wärmen, statt, wie David es sagt, wie ein Sperling einsam auf seinem Dach bleiben. In jede seiner Handlungen, in jeden seiner Gedanken, soll er ein bisschen Gottesliebe legen.
Noch einmal, haltet nur die Handlungen, die Gedanken, und die Bestätigung des Verstandes für wichtig. „Deus caritas est.“ (Anm.: „Gott ist <die> Liebe.“) Er hat uns aber nach seinem Bild gemacht. Für alle hl. Priester, alle hl. Ordensleute war die dominierende Note ihres Lebens die Liebe zu Gott. Der Pfarrer von Ars, warum war er denn ein Heiliger? Weil er Gott so glühend liebte. Diesen Teil des christlichen Lebens und unserer Pflichten vergessen wir allzu sehr. Wir bilden unser Herz nicht genügend. Wir scheinen das Gefühl als eine Art zusätzlicher Übergebühr zu betrachten, die nicht zu unseren realen Pflichten gehört. Das aber ist gerade der positive Teil unseres Keuschheitsgelübdes. Er verpflichtet uns, unser Herz zu bilden, unsere Gefühle zu beleben und zu erwärmen, und Gott die Gemütswärme und die Glut unserer Liebe zu schenken.
Ich erinnere mich, dass ich im Seminar, als ich im ersten Jahr dort Professor war, den Besuch eines Priesters erhielt, der ein großes Original war.
Er hieß Herr Frere und war Belgier, stammte von einer sehr berühmten Familie ab. Mehrere seiner Verwandten hatten hohe Posten in der Regierung inne. Er erzählte uns, dass er eine ganz besondere Sendung von Gott erhalten habe. Er kommt in mein Zimmer und fragt mich unvermittelt: „Sind Sie katholisch?“ – „Aber gewiss.“ – „Beten Sie zum Hl. Geist?“ – „Aber ja doch!“ – „Sie beten vielleicht fünf- oder sechsmal am Tag ‚Veni, Sancte Spiritus‘ (Anm.: ‚Komm, Heiliger Geist‘)? Aber glauben Sie wirklich und praktisch an den Hl. Geist? Ich bin überzeugt, dass sehr viele Christen seltsam überrascht sein werden, wenn sie am Jüngsten Tag die heiligste Dreifaltigkeit sehen, den Vater, den Sohn und den Hl. Geist. Sie hatten bis dahin den Hl. Geist glatt vergessen. Sie hatten nichts für ihn getan…“ Und Herr Frere entwickelte sehr beredt diesen Gedanken, diese These, die er allen im Seminar predigte, dass man den Hl. Geist an seinem Platz lassen muss. Der Vater, das ist die Schöpfung. Der Sohn, das ist die Erlösung. Der Hl. Geist aber ist die Heiligung, das Leben der Gnade, Seele und Leben der Kirche und des christlichen Volkes. Man liebt Gott deshalb nicht, weil man die Liebe nicht hat, den Hl. Geist nicht verehrt. Denken wir also wie Herr Frere und verstehen wir, dass unser hl. Stifter sehr recht hatte, wenn er im Gelübde der Keuschheit zwei Teile unterschied um dem positiven Teil die größere Bedeutung beimaß.
Erinnern wir uns gut, dass unser Keuschheitsgelübde uns dazu verpflichtet, von allen Mitteln der Liebe, der heiligen Liebe zu profitieren und diese zu gebrauchen. Lieben wir doch, wenn wir die hl. Messe lesen, wenn wir beten, das Brevier rezitieren! Leben wir doch, wenn wir Opfer bringen, wenn wir uns der klösterlichen Observanz unterwerfen.
Wir hatten hier in Troyes vor einigen Jahren einen Bahnhofsvorstand, Herrn Chapelle, leider zu früh verstorben. In Sachen Intelligenz war er nicht irgendwer, hatte vielmehr große Qualitäten. Das wusste man und schätzte ihn. Dieser Herr Chapelle war aber auch sehr fromm, und wenn sich die Gelegenheit bot, scheute er sich nicht im Mindesten, mit seinem Bahnhofspersonal ganz offen die Frage anzuschneiden: „Sind Sie glücklich, mein Freund?“ – „Nicht besonders.“ – „Das kommt daher, dass Sie unseren Herrn Jesus nicht lieben. Versuchen Sie einmal, zu beten und ihm zu Willen zu sein, ihn zu lieben, dann finden Sie Glück, Liebe, und Herzenseinheit. Das ist nicht schwer, probieren Sie es nur!“
Und ein anderer eifriger Christ, Herr Harmel, der immer verspricht, euch zu besuchen zu wollen, aber nie die Zeit dazu findet, weiß seinen Leuten, seinen Arbeitern und Arbeiterinnen nichts anderes zu sagen als: Liebt doch den lieben Gott! Denkt immer an ihn! In dieser Empfehlung, die er immer wieder drängend vorträgt, schöpft er die Intensität seiner erstaunlichen Seelenstärke, dieses heilige Feuer, durch das er überall, wo er hinkommt, so viel Gutes wirkt.
Unser Gelübde der Keuschheit sollte uns ebenso drängen, auf diesem Weg der Hingabe unseres Herzens und des Gefühlslebens und einer innigen Liebe zu Gott und unserem voranzuschreiten. Und das ist der positive Teil des Gelübdes. Lernen wir Gott da zu finden, wo er ist, in unserer Betrachtung, in der hl. Kommunion, in der Besuchung des heiligsten Sakramentes, in den schwierigen und mühseligen Augenblicken, wenn wir das Kreuz schwer auf unseren Schultern lasten fühlen, wenn Bitterkeit unsere Seele erfüllt. Dann besteht die wahre Liebe in dem Bekenntnis: Ich will den Willen Gottes tun, ich hefte mich an diesen Willen und liebe ihn.
Welche Apostel standen dem Herzen Jesu am nächsten? Petrus, Johannes, Jakobus. Seht, was er zu Petrus: „Petrus liebst du mich?“ Petrus war der lebendige und glühende Glaube, der aber noch Liebe werden musste. Und dreimal stellt ihm Christus diese Frage, damit aus seinem Herzen jener Liebesschrei hervorsteige: Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Johannes war der Liebesjünger Jesu, und Jakobus teilte mit Johannes dieselbe Gesinnung der Liebe. Diese drei Apostel führt er mit sich fort, hält sie bei sich zurück, in seiner Intimität zu Kafarnaum, auf dem Tabor wie in der Grotte des Ölberges. Mit ihnen ist er am häufigsten zusammen, weil er sie mehr liebt.
Bete zu unserer Guten Mutter um die Gnade, unseren Herrn zu lieben, so wie sie ihn selbst liebte. Ihre Seele war ganz entflammt und verzehrt von Gottesliebe. In ihren Kommunionen, Prüfungen und Leiden, in den Versuchungen ließ sie ihrer Herzensliebe zum Herrn freien Lauf. Das machte sie so groß in den Augen Gottes, ihre Liebe. Und das, meine Freunde, ist auch die Vollkommenheit unseres Keuschheitsgelübdes. Darauf muss unser Streben abzielen.
Lasst mich noch ein Wort über den Gehorsam sagen.
Darüber haben wir noch manches zu lernen, meine Freunde. Und doch lässt sich so leicht verstehen, was es beinhaltet.
Seht eine Armee. Das ist die absoluteste Schule des Gehorsams auf allen Gebieten: Bis zu den Stiefeln, die Ausrüstung, die Knöpfe an der Uniform. Der Soldat kann sich in nichts der gegebenen Weisung entziehen, selbst nicht in den unbedeutendsten Dingen. Jeden Augenblick muss man einen Appell über sich ergehen lassen, die detailliertesten Forderungen mit dem passivsten und dem absolutesten Gehorsam über sich ergehen lassen. Warum sollten wir nicht oft dieses Vorbild vor Augen halten? Ein guter Soldat gewöhnt sich schnell an den Gehorsam. Er ist ihm nicht allzu unangenehm, sondern entscheidet sich schnell für ihn und hat ihn gern. Man erlebt es nicht selten, dass gute Unteroffiziere ihren Beruf lieb gewinnen, dass sie sich ganz an diese Lebensart gewöhnen, die ihnen zur zweiten Natur wird. Wir sind, was den Gehorsam angeht, noch nicht ganz so weit und gewöhnen uns nur mühsam an diese „Dienstvorschrift“. Man gehorcht und man nicht, man sagt ja zu dem, was gefällt, und man verwirft, was missfällt. So handelt ein guter Soldat nicht, meine Freunde. Und das ist das große Losungswort des Ordenslebens: Wir sind Soldaten. Die militärische Lebensordnung ist ganz die unsere, denn auch wir sollten einen ungeschmälerten Gehorsam beibringen, und ich füge hinzu: einen liebenden. Darin liegt das wahre Glück begründet, die echte Zufriedenheit der Seele. Hier finden wir die Schutzwehr unseres Lebens, da sind wir ganz zu Hause. Meine Freunde, das geht uns noch bedeutend ab.
Was uns zunächst fehlt, ist, dass wir nicht begreifen, dass wir überhaupt gehorchen müssen. Ob der Soldat versteht, oder nicht versteht, ist unwichtig. Er weiß, dass die Arrestzelle ihn erwartet, wenn er den Gehorsam verweigert, und so gehorcht er ohne Zögern. Wir haben keine Arrestzelle und keine Strafe zu gewärtigen, und darum scheint es, ein Verstoß gegen den Gehorsam sei nichts, weil es keine sofortige äußere Sanktion nach sich zieht. Diese Frage habe ich mir schon mehr als einmal gestellt: Ob es nottäte, eine strengere Lebensart, eine geschlossenere Organisation zu haben und in der Formung unseres Nachwuchses strenger zu sein. Das würde die Disziplin stärken und unser Gemeinschaftsleben gleichartiger und geschlossener machen. Meine Freunde, würde aber jedermann sein Direktorium als echter Ordensmann halten, würde er sich mit diesem Geist durchtränken, dann wären gewisse äußere Strengheiten nicht nötig. Ich appelliere an euer Gefühl (Urteil, Gesinnung), um in dieser Frage zu entscheiden. Doch ich bitte euch, nehmen wir den Geist des Direktoriums, den Geist des Gehorsams an. Ich sehe, dass wir nach dieser Seite lahmen. Man ist Seminarist, man ist ein bisschen Landpfarrer oder Stadtseelsorger, ein bisschen auch Weltmensch. O, ich begehe ja keine groben Fehler. Nichts Außergewöhnliches geschieht. Aber das Band des Gehorsams, das Gesetz, die Regel, die versteht man nicht, man lässt sich nicht einzwängen, man entwindet sich, und ist kein Ordensmann mehr.
Meine Freunde, jeder möge eine ernste Betrachtung halten über das Gelübde des Gehorsams. Ich wiederhole: Es ist unser 13. Gebot Gottes. Es verpflichtet nicht immer unter schwerer Sünde. Aber jedes Mal, wenn wir dagegen in beträchtlichem Maße fehlen, ist es eine schwere Sünde, wie alle Theologen lehren. „Ich sündige aber nicht mehr.“ Ja, aber der gewohnheitsmäßige Zustand der lässlichen Sünde in kleinen Dingen verführt zu schweren Verstößen gegen den Gehorsam. Wir sind nach dieser Seite hin nicht hinreichend religiös. Halten wir also Betrachtungen darüber. Erbitten wir von Gott die Gnade, unseren Gehorsam gut zu verstehen. In jedem religiösen Orden wird das Gehorsamsgelübde als das erste und am meisten verpflichtende betrachtet. Seht nur, was man den Jesuiten sagte: „Perinde ac cadaver.“ (Anm.: „Gleichwie ein Leichnam.“). Das ist ihr Ideal, das letzte Wort ihres Gehorsams. Franz v. Sales will gewiss nicht, dass wir Kadaver seien. Er wünscht uns im Gegenteil voller Leben, dass unser Herz schlage und dass wir ihm zu Willen sind mit jedem gewollten und geliebten Gehorsam, der die Seele weitet, weil er sie in ihrer Gänze in Beschlag nimmt, um sie mit dem göttlichen Willen zu vereinigen, und zwar in der ganzen Ausdehnung unserer Fähigkeit und unserer Willenskraft.
Dass der Gehorsam nicht leicht fällt, versteht sich von selbst. Hier bringen wir ja unsere Freiheit zum Opfer, jene Freiheit, die selbst respektieren wollte. Der Mensch wird gerade durch das Gehorsamsgelübde mehr berührt als durch jedes andere Gelübde, jede andere Fessel. Der Gehorsam rührt an das Wesen, den Kern unseres Seins, an unsere Personenrechte. Aber hilft und denn Gott nicht auch, für ihn ein derartiges Opfer zu bringen?
Es ist also sehr gut, wenn wir uns mit ganzem Herzen ans Gehorchen machen. Wo es möglich ist, in jedem Haus, wo sich dies machen lässt, muss man den Gehorsam zu einer festgesetzten Stunde erteilen. Wenn möglich, nach dem Mittagessen und nach dem Abendessen, wie dies in allen Orden geschieht. In diesem Augenblick bittet man um Erlaubnisse. Dies soll in allen Häusern zur festen Gewohnheit werden. Lässt es sich zu den Mahlzeiten nicht durchführen, möge man einen anderen Zeitpunkt festlegen, und zwar regelmäßig zweimal täglich. In die Stadt sollte man nie ohne Erlaubnis gehen. Bei dieser Gehorsamserteilung hole man sich die Erlaubnis, wenn man von einer gewissen Zeit der Arbeit oder von einer Frömmigkeitsübung dispensiert sein muss, oder wenn man einen notwendigen Gegenstand braucht. Tut es gewissenhaft, damit wir uns an die Abhängigkeit gewöhnen. Und darüber hinaus sei jeder fest entschlossen, sein Gehorsamsgelübde ohne Einschränkung und Abstriche zu erfüllen. Halten wir uns an gegebene Weisungen der Oberen. Letztere wären sehr glücklich, wenn sie uns nichts zu befehlen hätten. Befehlen ist nämlich gar nicht so angenehm. Tun sie es doch, dann aus Pflichtgefühl und Amtsnotwendigkeit. Erleichtern wir ihnen ihre Aufgabe.
Wir kommen auf dieses Thema noch einmal zurück.
Was uns veranlassen muss, die Frage unserer Gelübde sehr ernst zu studieren, ist unser ewiges Heil. Nehmen wir es darum zu Herzen. Der Ordensberuf versetzt nämlich in eine ganz eigene Situation. Ihr geht ins Kloster, seid Postulant oder Novize und legt Gelübde ab: Glaubt ihr, euch so aus der Affäre ziehen zu können? Euer Heil zu wirken? Wenn ihr dem Anruf Gottes euer Ohr verschließt, könnt ihr da gerettet werden? Gott bewahre mich davor, euch zu verdammen. Doch sage ich euch, dass euer Heil dann schwierig zu wirken sein wird und dass ihr euch nur „per aquam et ignem“ (Anm.: „durch Wasser und Feuer.“) retten werdet. Und Gott wird euch sogar große Barmherzigkeit bezeugen, wenn ihr dazu verurteilt seid, ein Leben der Leiden und Schande zu führen, wenn ihr mit Demütigungen und Bitterkeiten gesättigt werdet. Das ist der einzige Weg, auf dem ihr zum Himmel gelangt. Ihr könnt aber auch fallen. Und wenn der Tag, an dem ihr fallt, genau der ist, wo kommt euch zu holen, wohin kommt ihr dann? „Deus non irridetur.“ (Anm.: „Gott lässt seiner nicht spotten.“) Nicht verletzt so sehr das Herz Gottes als wenn man seiner Berufung nicht folgt. Das ist fast Sünde wider den Hl. Geist. Gewiss ist diese Sünde nicht unverzeihlich. Sie wird nur erlassen um den Preis vermehrter Prüfungen und verstärkter Sühne. Was die hl. Kirche tief betrübt, ist, wenn sie die Gleichgültigkeit ansehen muss, die die Seelen ihrer Berufung entgegenbringen, den Mangel an Mitwirkung, gegenüber den Lockungen der Gnade Gottes. Das verwundet das Herz unseres Herrn am meisten. Schaut den Jüngling des Evangeliums: Ist er gerettet worden? Das weiß niemand. Wie ging nicht es denn von dannen? „Tristis.“ (Anm.: „Traurig.“) Er hat nicht auf unseren Herrn gehört, daher der traurige Fortgang. Das ist das letzte Wort des Evangeliums über ihn. Sein ganzes Leben ist durch dieses eine Wort abgestempelt. Da habt ihr das Leben einer Seele, die dem Anruf Gottes mit Untreue geantwortet hat. Glücklich, wenn sie sühnen darf und nicht in Verzweiflung und Verwerfung versinkt.
Ich erhalte in diesem Augenblick in diesem Augenblick einen Brief von P. de la Charie, der mir mitteilt, dass Schwester Marie-Donat im Sterben liegt. Er kommt gerade aus der Heimsuchung, wo er ihr die Krankensalbung gespendet hat. Er erteilte ihr den vollkommenen Sterbeablass. Er hatte ihr erzählt, dass wir uns gerade in Exerzitien befinden und dass er mir schreiben wird, um sie den Gebeten der Kommunität zu empfehlen. Sie schien darüber sehr glücklich und hat unsere Patres um ein Memento gebeten beim lieben Gott in Erinnerung daran, was sie für die Oblaten jederzeit gewesen sei und immer sein werde.