Exerzitienvorträge 1889

      

7. Vortrag: Das Gebet für die Wohltäter: Seelenführung.

Der Gottesdienst, den wir soeben für Frau Trousset und alle anderen Wohltäter gehalten haben, erinnert uns daran, dass wir nicht gleichgültig sein dürfen gegen jene, die uns Gutes erwiesen haben, und dass wir für sie beten sollen. In allen Orden ist es Sitte, dass man das Totenoffizium hält, und dass man jeden Tag beim Memento der Toten für die Wohltäter betet. Früher war diese Gewohnheit der alten Klöster rührend. Der Wohltäter mochte 600, 700 Jahre tot sein, man betete immer noch für ihn, opferte für ihn das hl. Messopfer auf und sang das Totenoffizium. Diese täglichen Übungen und Gebete können wir nicht durchführen. Doch darf die Kongregation das Gebet für die Wohltäter nicht vergessen, und es wird gut sein, wenn wir alljährlich, wie bisher schon, einen Totengottesdienst für alle verstorbenen Wohltäter halten. Das soll in jedem Haus geschehen, sollte man zu diesem Gottesdienst die Eltern und Familienangehörigen der Wohltäter einladen.

Im Heimsuchungskloster von gab es eine recht gute Schwester. Sie war 94 oder 95 Jahre alt, die Schwester von Treffort. „Wollt ihr Undank ernten, pflegte sie zu sagen, dann braucht ihr nur Ordensfrauen etwas schenken.“ Das sollte man uns nicht nachsagen können, meine Freunde. Bezeugt darum für Geschenke Dankbarkeit, vor allem vor Gott, vor allem gegenüber den armen Seelen. Das ist eine Pflicht und gleichzeitig ein Zeichen großer Klugheit. Der hl. Bernard, die Undankbarkeit trockne aus und lasse versiegen die Quelle der Gnaden. Undankbarkeit stoppt das Almosen, die Wohltat. Seien wir darum allzeit erkenntlich, dann lässt uns Gott immer finden, was wir brauchen. Alles, was wir haben, wurde uns einmal gegeben. In Troyes waren unsere Hauptwohltäter Frau Trousset, Frl. Daigniez, Frl. von Malzine. In Macon die frühere Oberin der Heimsuchung, die uns viel Geld geschenkt hat. In St. Quen war es Herr Legentil. Ich kann sie nicht alle aufzählen. Unsere Kollegien, die Kapellen unserer Kollegien sind nicht von allein auf dem Feld gewachsen. Es wird gut sein, wenn an dem Tag, wo wir die Totenliturgie in unseren verschiedenen Häusern begehen, Patres und Brüder auf die Meinung der Wohltäter kommunizieren. Und es ist ebenso gut, wenn an dem Tag, wo wir hier dieses Totenamt halten, alle Priester die hl. Messe in dieser Meinung aufopfern.

Wieviel wurde allein hier im Kolleg St. Bernhard seit seiner Gründung ausgegeben? Das sind bestimmt 800.000 Francs, und wenn der Ökonom alle bezahlten Rechnungen nebeneinander schriebe, ich glaube, es wären noch mehr. Wie kam all das herein? Und in Macon, St. Quen und Morangis war es das Gleiche. Woher kam das alles? Von der Nächstenliebe, von einigen guten Seelen, die auf diese oder jene Weise, die einen mehr, die anderen weniger, gespendet haben. Das zweite Heimsuchungskloster von Paris hat viel gegeben, ebenso Metz und Reims und viele andere. Wir haben große Schulden diesen Wohltätern gegenüber. Beten wir darum für sie und seien wir dankbar. Noch einmal: in allen alten Orden stand das Gebet für die Toten in hohen Ehren. Ein Freund des hl. Bernard, S. Malachie, bat den Herrn, an dem Tag sterben zu dürfen, an welchem in Clairvaux für die toten Wohltäter gebetet werde. Dieser Tag nahte. Er war nicht krank. Er kam nach Clairvaux, und 14 Tage später starb er, während man im Chor die Totenmesse sang.

Ws die Dankbarkeit gegenüber den Familien der Wohltäter angeht, empfehle ich euch das größte Wohlwollen und die größte Nächstenliebe in euren Beziehungen zu den Familien der Wohltäter wie auch der Kinder, die ihr erzieht. Soeben reinigte ich nach dem Rasieren meinen Rasierapparat mit den Blättern eines kleinen Büchleins, das vor 40 oder 50 Jahren erschienen ist. Es enthält die Lebensbeschreibung einer Anzahl von Jesuitenschülern, die in ihrem Kolleg eines erbaulichen Todes gestorben sind. Ich las darin, während ich mein Gesicht trocknete und sah einen Brief, den ein Jesuit an die Mutter eines kleinen verstorbenen Schülers geschrieben hatte. Er beschrieb darin die Einzelheiten seines Todes, und ich staunte über die Zartheit der Gefühle, mit denen er die arme Mutter tröstete. Madame, sagte er ihr, Ihr teurer kleiner Engel war erst seit wenigen Wochen krank. Wir waren sehr beunruhigt, doch sagte der Arzt nichts, woraus wir auf seinen nahen Tod schließen können. Die Furcht, ihn zu verlieren sowie der Wunsch, ihn für Sie zu erhalten, bewog mich, dass ich den teuren Kleinen vor vier oder fünf Tagen in meine Arme nahm und ihn während des eucharistischen Segens zu den Stufen des Altares trug, damit man ihm die Monstranz auf den Kopf setze. Und da vor dem lieben Gott fragte ich ihn, ob er geheilt werden wolle. Er gab mir zur Antwort, er wolle den lieben Gott nicht um diese Gnade bitten. Nein, sagte er, was ich will, ist allein der Wille Gottes. Ich trug den kleinen Kranken in sein Bett zurück… Der Jesuit fuhr fort, einige Details zu geben: ein paar Augenblicke vor seinem Tod fragte ich ihm, ob er ins Paradies gehen wolle und ob er die Hölle fürchte. – Oh, die Hölle! – Aber schließlich, wenn man schwere Sünden begangen hat. – Ich vertraue ganz auf die Barmherzigkeit Gottes. – Und er drückte mich in seine Arme… Nein, nein, ich will in den Himmel! Und erweckte seinen Reueakt aus ganzer Seele. Der liebe Kleine hatte keinen Todeskampf, er stieß sieben oder acht Seufzer aus und verschied. Man konnte meinen, er schlummere. Welch schöner Tod, sagte der Pater zum Schluss! Wie gern würde ich ihm folgen! … Hier habt ihr Worte, meine Freunde, wie man sie zu einer Mutter sagt. Man muss selbst ein wenig Mutter sein, um so sprechen zu können. Man muss sich wirklich an die Stelle der Mutter gestellt haben. Ich hab euch das in seiner ganzen Länge berichtet, um euch zu zeigen, wie notwendig es ist, in eure Beziehungen zu den Eltern ein bisschen Herz hineinzulegen, ein bisschen echter Liebe zu ihren Kindern. Unterhaltet darum zu den Familien gute Harmonie und bestes Einvernehmen, den Geist der Einheit, der nichts anderes ist als Liebe. Ich sage nicht, man solle Gefühle zeigen, die man nicht hat, sagen, was man nicht fühlt, was nicht der Wahrheit entspricht. Ist es aber wahr, dann soll man es klug und weise bezeugen. Dankbarkeit also gegen die Wohltäter, und Einvernehmen und hl. Liebe zu den Familien unserer Schüler!

Heute Morgen möchte ich euch etwas sagen über die Seelenführung. Seelen leitet man durch die Beichte, darüber hab ich schon ausführlich gesprochen. Man leitet sie ferner durch schriftliche und mündliche Mitteilung. Es gab ein Jahrhundert, es war das vergangene, da stand die Seelenführung noch in Blüte. Jede bessere Dame hatte einen Ordensmann als Seelenführer. Fenelon und Bousset selbst schreiben im letzten Jahrhundert Briefe der Seelenführung. Die Briefe Bousset´s an mehrere Damen und Ordensfrauen, seine Unterhaltungen mit den Schwestern von Meaux sind berühmt geblieben und sind ganze Traktate der Seelenführung. Viele Kongregationen beschäftigen mit Seelenführung Männer und Frauen. Das ist heute sicher nicht so in Mode wie früher. Die Welt ist nicht mehr so christlich, sie lässt der Kirche nicht mehr so viel Spielraum. Dem Priester bleiben nur noch wenige Betätigungsmöglichkeiten. Seelenführung bei Männern ist unbedeutend geworden, und die der Frauen führt nicht weit. Dennoch bleibt auf diesem Feld viel Gutes zu tun. Wie sollen wir Seelenführung betreiben?

Mit den Männern bietet es keine Schwierigkeiten. Man spricht ihnen zu Herzen, ermahnt sie zur Pflichterfüllung, stellt die Verbindung zu Gott her. Einige Worte genügen. Immer, wenn wir bei unseren Beichtkindern etwas Vertrauen zu uns antreffen, hüten wir uns, diese Flamme auszulöschen und sie von uns zu entfernen. „Löscht den Geist nicht aus“, denn es wirklich der Hl. Geist, der da weht. Liebt die jungen Leute, die zu euch kommen und euch ihr Vertrauen schenken. Liebt ihre Seele, interessiert euch für ihre Person, sucht sie dem lieben Gott zu übergeben. Ihr erweist ihnen eine immense Wohltat. Vergesst nicht, ihr bereitet so ihre Zukunft und ihre Ewigkeit. Die Hälfte oder drei Viertel der Menschen, die wertvoll sind, verdanken das einer Freundschaft, die ungeheuchelt und auf Gott bezogen war, einem guten Priester, einer guten Ordensperson, die sie liebte, stützte, ermutigte, die sich um sie kümmerte. Handelt so, meine Freunde, und tut es, weil ihr Gott liebt, unterstützt diese Jungen- oder Kinderseele, die euch vertraut und mit eurer Hilfe stark bleibt. Der Priester und Ordensmann darf sich nicht auf den Beichtstuhl beschränken. Die Beichte ist das Sakrament, doch das Sakrament muss vorbereitet und fruchtbar gemacht werden.

Um das gut zu machen, muss man ein ganzer Ordensmann sein, tiefreligiös und rein. Weichliche Zärtlichkeit und Zuneigung sind hier fehl am Platz, sie würden auf der Stelle etwas Übles und Dämonisches auf unsere Beziehungen werfen. Seid in diesem Punkt unbeugsam. Seid großmütig, geht energisch gegen euch selbst vor, damit euch nichts Derartiges zustößt. Wohin würde das führen, wenn man seiner Natur die Zügel schießen ließe? Wohin käme ein junger Professe, der sich vom Eifer packen ließe, unvorsichtige Seelenführung zu betreiben, mit einem zärtlichen Herzen, einem unsicheren Urteil, und einer schwächlichen Seele? Er würde hässliche Dinge begehen, die seinen Ordensberuf und die Existenz der ganzen Kongregation in Gefahr brächten. Vergesst nie, dass wir von Menschen umgeben sind, die nur auf eine Gelegenheit aus sind, uns zu verleumden und Ordensleute und Priester auszumerzen. Sehr nur, was man mit Citeaux gemacht hat! Und dabei geschah dort nicht der tausendste Teil von dem, was jeden Tag im erstbesten Lyzeum und nächstbeste Pensionat geschieht. Wir gehen auf glühenden Kohlen und sind umgeben von Fanatikern, die um jeden Preis das Feuer ans Pulver legen möchten. Welche Vorsicht heißt es walten lassen, welche Reinheit des Herzens und welche Heiligkeit tut da not! Was kann man andererseits mit dieser Reinheit und Heiligkeit Gutes wirken! Einer meiner Freunde ist unlängst gestorben. Er wohnte in Romilly und war Seminarist unter dem Oberen M. Fournerot, den jedermann für einen Heiligen hielt. Ich war nicht sehr brav, erzählte er mir, und eines Tages sagte ich: Ich tauge nicht viel. Ginge ich einmal den Superior aufsuchen, würde ich sicher besser. Ich bat ihn um eine Unterredung.
Wir gingen schweigend einmal durch den Garten, ohne dass ich ein Wort gefunden hätte. Nach dem Rundgang schaute M. Fourgerot zum Himmel auf. Heute ist ziemlich schön trotz der Jahreszeit, sagte er. Dann richtete er auf mich einen durchdringenden Blick und fuhr fort: Nun, mein Freund, wenn du willst, wird es auch in deiner Seele schön, trotz des Nebels. Wenn du willst… Ich war bekehrt, sagte mein Freund, dieses Wort und dieser Blick hatten mich umgedreht und mit die Seele vollkommen verwandelt.
Trachtet also danach, um inmitten der Leute, die euch umgeben, gute Seelsorge zu betreiben, dass auch ihr ein bisschen heilig werdet, wenigstens ein kleiner Heiliger, wenn schon nicht ein großer. Bleibt immer mit Gott vereinigt, dann seid ihr mächtig, dann habt ihr die Macht von Heiligen. Mit diesem Glauben und dieser Kraft Gottes werdet ihr bei den jungen Leuten Gewaltiges leisten. Lest nur nach, welchen Einfluss auf Ozanam das Wort eines Menschen ausübte, den er liebte und achtete. Welche Wirkung hatte auf Ozanam derselbe Mann, als er ihn eines Tages seinen Rosenkranz beten sah.

Eine unserer strengen Verpflichtungen – man verstehe mich gut – eine der Wesensmerkmale des Apostolates bei den Seelen ist es, nicht zu „individualisieren“, d.h. seine Sorgen nicht einzuschränken, sondern sie auf alle auszudehnen, für die wir da sind, ob wir sie natürlicherweise lieben oder nicht. Alle haben den gleichen Anspruch, alle sollen also den gleichen Anteil erhalten. Wenn ihr euch da zu überwinden versteht bei der Seelenführung und euch lieber denen widmet, die euch weniger sympathisch sind, wirkt ihr unerhört viel. Das Kind, das spürt, man kommt zu ihm nicht aus natürlicher Sympathie, sondern aus übernatürlicher Liebe und Zuneigung, begreift, dass wir vor allem für seine Seele das Beste wollen. Es öffnet seine Seele und überlässt sie euch in vollem Vertrauen, und ihr macht aus ihm, was ihr wollt. Geht ihr aber zu einem, zu dem ihr euch natürlicherweise hingezogen fühlt, und ihr beschränkt euch auf dieses Motiv, wird eure Seele jede Spannkraft, jede Energie verlieren, und ihr macht aus diesem Jungen einen Nichtsnutz. Eure Zuneigung ist ja rein menschlich, egoistisch, da hat Gott keinen Platz. Das Kind spürt sehr bald, dass ihr es nicht in seinem Interesse, sondern in eurem eigenen liebt.

Bei den Männern und früheren Schülern, die zu euch kommen zum Beichten, haltet euch im Allgemeinen in euren Weisungen und guten Ratschlägen an die großen Linien. Führen wir sie vor allem zu Gott, und gleichen wir nicht den alten Triumphatoren, indem wir sie vor unseren eigenen Wagen spannen. Verzichten wir darauf, ihnen unsere eigenen Ideen aufzudrängen und sie in der Kirche abzusondern. Der Papst hat mir gesagt: „Gehen Sie nach Frankreich!“ Wir werden diese Mission erfüllen, die uns anvertraut wurde, wenn wir die Seelen mit Gott verbinden und nicht mit uns und unserer Denkweise. Tun wir das Gute um des Guten Willen, nicht unseretwegen, um einige Belohnungen für unsere Mühen zu ergattern. Arbeiten und mühen wir uns einzig für unseren Herrn. Gehen wir großmütig und gerade voran, ohne Engstirnigkeit und Berechnung eigenen Vorteils. Jedermann sucht natürlicherweise etwas zu gelten, an sich zu ziehen. Machen wir uns frei von dieser Verkehrtheit, dann tun wir viel Gutes. Das kann uns Opfer kosten. Kostet es etwas, dann aber nur der Eigenliebe. Es bedeutet Verzicht, mit ansehen zu müssen, wie ein anderer „Hand an die Küche legt“. Man  möchte selber kochen, salzen und pfeffern nach seinem Belieben. Das ist aber ganz und gar nicht der Geist des hl. Franz v. Sales. Seht, wie man in der Heimsuchung die Kinder erzieht: Sie gehen in ihre Heimatpfarrei und beichten ganz einfach bei ihrem Pfarrer oder bei ihrem Kaplan. Es gibt da keine Klüngelwirtschaft, sondern allein den Wunsch, Gott zu gehören, und ihm zu dienen. Tun wir dasselbe, im Blick allein auf Gott.

Was wir sagen von den Männern, gilt auch für die Frauen. Seelenführung bei Frauen ist ein sehr schwieriger Seelsorgedienst. Das erfordert ein starkes Fingerspitzengefühl. Oft ist das, was man tut, umsonst. Einige Male, aber sehr selten, begegnete ich guten Christinnen, die treu den Weisungen ihrer Seelenführer folgten: „Ich tu das nicht, mein Seelenführer hat es mir verboten.“ Man findet sicher noch welche, die so reden und handeln, die ehrlich und aufrichtig gehorchen und eine klare Verhaltenslinie verfolgen. Doch davon abgesehen, wie viel lernt man kennen, die nicht gerade und aufrichtig dahin gehen. Hört ihre Redensarten: „Ich habe kein Vertrauen zu dem und dem Pater, zu dem und dem Pfarrer. Mein Vertrauen hat keine Grenzen… Er ist der Vater meiner Seele, er ist für mich alles.“
Der gute Pater, zu dem man so spricht, glaubt es und ist überzeugt, dass er eine bedingungslose Leitung dieser Seele und dieses Herzens ausübt. Nächstes Jahr findet ihr dieses würdige Beichtkind wieder, mitunter schon acht oder 14 Tage später. Sie verrät euch eine neue Entdeckung und einen neuen Schwarm: „Ich bin dem und dem Pater begegnet. Anfangs hatte ich etwas Mühe mich an ihn zu gewöhnen. Aber, wie das, was er mir gesagt hat, mir doch zu Herzen gegangen ist! Sein Wort wirkte in der Tat wie der Blitz so hell, nie hat ein Seelenführer oder ein sonst jemand zu mir so eindringlich gesprochen... Der frühere Seelenführer, der immer noch meint, er sei der einzige und bevorzugte ‚Herzpater‘, schreibt weiterhin Briefe an seine Philothea. Er erschöpft sich in Predigten und Beteuerungen.“ Die gute Jüngerin empfängt das. Sie lacht natürlich nicht darüber, obwohl derlei jetzt nichts mehr bei ihr ankommt. Aber der Pater ist ja so gut! … Der hl. Franz von Sales sagte, Briefe der Seelenführung an Frauen müsse man „mit der Spitze des Federmessers schreiben.“ Er wollte nicht einmal, dass man einen Bleistift dafür hernehme.

Vertraut euch keiner Frau an, meine Freunde, vertraut euch überhaupt niemand an, keiner Person und keiner Sache, nur Gott allein. Denn die Person, die ihr führt, versichert euch, ihr Vertrauen zu euch sei absolut, sie habe nur zu euch Vertrauen und sonst niemand. Gut so, lasst sie reden, wenn ihr das gut tut, so zu denken und zu reden. Sie ist euch sehr zugetan, das ist recht so. „Sie sind nicht allzu hart zu tadeln.“ Lasst sie also reden und glaubt nur wirklich dem, was wirklich ist. Aber warum denn überhaupt Seelenführung bei Frauen? Es muss sein, es ist ein sehr wichtiger Teil der Seelsorge, den man nicht ablehnen kann und soll. Doch muss man ihn mit großer Weisheit, Liebe und einem allerhöchsten Respekt vornehmen. Ihr habt vor euch ja eine nach dem Bild Gottes geschaffene Seele, die neben Fehlern wirkliche Tugenden aufweist. Wer also dazu berufen ist, Frauen zu führen, soll ein ganzer Ordensmann sein und sich bei ihnen als Ordensmann aufführen. Das ist die große Verhaltensregel. Es gibt keine andere. Lasst euch nicht hereinlegen. Tut alles aus Liebe zu Gott und führt eure Beichtkinder immer zur vollkommensten Tugend. Nur dann erreicht ihr etwas.  Bedenkt, dass ihr nicht nur der Seelenführung von Frauen und Mädchen betraut seid. Ihr könnt auch gerufen werden, Ordensfrauen und Lehrerinnen zu führen, also solche, die selber wieder andere leiten.

Seid hart, liebe Freunde, gegen Ordensfrauen, die junge Mädchen leiten und in dieser Leitung einer ganz natürlichen Zuneigung folgen. Seid unbarmherzig, ich sage nicht: ungerecht. Ich habe niemals im Leben solche Zuneigung etwas Gutes hervorbringen sehen. Immer ist der sichere und unfehlbare Untergang des jungen Mädchens die Folge. Darauf heißt es gut Acht geben. Bei der Behandlung dieses Übels heißt es immer umsichtig sein, taktvoll gegenüber der Schwester. Sagt die Dinge nicht brutal und unüberlegt. Ihr könntet das Feuer ans Haus legen. Geht umsichtig vor. Sorgt dafür, dass die Schwester oder die Leiterin sich dieser Zuneigung nicht ausliefere, solange es noch Zeit ist, weil es viel leichter ist, das Übel zu meiden als es gutzumachen. Löst den Knoten, wenn er verwirrt ist. Sind es aber fünfzehn ineinander verwirrte Knäuel, was dann tun? Betet vor allem und bittet den Herrn, er möge selbst das rechte Heilmittel anwenden.

Ich habe euch hier noch eine ernste, eine sehr ernste Sache mitzuteilen. Bezüglich der Seelenführung besitzen wir Schriften der Guten Mutter. Diese Schriften der Guten Mutter können auf die verschiedenste Art und Weise ausgelegt, erklärt und angewandt werden. Der Erstbeste findet ihr darin alles, was er will. Der zweite und dritte entdecken wieder etwas anderes. Den Sinn der Schriften der Guten Mutter muss man einzig und allein suchen im Sinn der Hl. Schrift, dessen, was unser Herr und gelehrt und die Kirche zu glauben vorstellt. Auf diese Weise sind diese Schriften vollkommen. In Rom sagte man mir, es gäbe nichts Besseres als das. Will man aber die Schriften der Guten Mutter über die Seelenführung in einer anderen Gedankenordnung sehen, will man darin theologische und mystische Lehren suchen, dann ist das gut und man kann das. Aber dafür bedarf es immenser Vorsicht. Man darf sich nicht in mehr oder weniger gewagte Auslegungen stürzen. Die Gute Mutter dachte und sprach in erster Linie so wie das Evangelium, wie unser Herr und die hl. Kirche sprechen. Nehmt die Schriften der Guten Mutter im Sinn des mystischen Lebens, dann seid ihr auf der Hut vor vielen Dingen: vor der Phantasie, vor Vorurteilen, vor Interpretationen, die allzu leicht irrig werden können. Es ist nicht leicht, gut zu erklären, was ich da plausibel machen möchte. Ich wollte es eigentlich schriftlich tun, doch derlei Dinge schreibt man besser nicht…

Ein Beispiel: Ihr nehmt ihre Schriften zur Hand und wollt eine Seele mit ihrer Hilfe zur Vollkommenheit führen. Ihr klammert euch an diese übernatürlichen Dinge, an jene besondere Gabe Gottes, deren man, nach ihrer Auffassung, mitunter teilhaftig wird in dem, was sie den „Weg“ (la voie) nennt. Lasst euch auf diese Straße nur mit äußerster Vorsicht ein. Nehmt als Führer die „Lebensbeschreibung der Guten Mutter“. Ich sage es vor Gott:  Ich glaube nicht, man könne bei der Guten Mutter übernatürliche Wege außer dem zulassen, was ich in ihrem Leben geschrieben habe. Ich habe viel gebetet, habe vor Gott über die Worte betrachtet, die die Gute Mutter während vierzig Jahren mir gesagt hat. Außer dem, was ich da geschrieben habe, glaube ich nicht, dass es für unsere Genossenschaft klug ist, sich auf ein anderes Gebiet zu begeben, es sei denn, es handle sich um etwas ganz Besonderes und ganz Sicheres. Da kommt jemand z.B. und sagt zu euch: Ich habe die Schriften der Guten Mutter gelesen und sehe folgenden Sinn darin… Hört zu, was er euch sagt: Wenn alles, was man da sagt, voll mit der kirchlichen Lehre übereinstimmt. Wenn die Person große Demut beweist und große Liebe – das sind Lieblingsworte der Guten Mutter – dann ist es klug, dann hört zu und, indem ihr die Vorsichtsmaßnahmen der Klugheit ergreift, da ihr am Rand eines Abgrunds steht, helft dieser Seele, auf diesem Weg voranzugehen. Dann ist es die Frucht einer ganz besonderen Gnade des lieben Gottes.

Seit die Gute Mutter ihr gesprochenes Wort niedergeschrieben hat, haben viele Seelen versucht, sich auf ihre übernatürlichen Wege zu begeben. Wie viele von ihnen hatten Erfolg? Wenig, sehr wenig. Es gibt welche, die sich in Hirngespinste einlassen, die sich abmühen, ohne dadurch mehr Entschlossenheit zum Guten zu ernten: Das kann also nicht von Gott kommen. Andere missbrauchen die Worte der Guten Mutter und legen ihr Dinge in den Mund, an die sie nie gedacht hat. Darum noch einmal: Ich wollte all das niederschreiben. Ich tue es vielleicht später, wenn ich kann. Doch bis dahin war es notwendig, dass ich euch davon in Kenntnis setze.

Jedes Mal, wenn ihr bei jemandem solch übernatürlichen Wegen begegnet, haltet euer Urteil zurück, nehmt euch in Acht, und wartet, bis die Praxis der Tugenden und die Zeit euch sichere Beweise liefern. Die Gute Mutter, richtig verstanden, ist eine wertvolle Hilfe für fromme Seelen. Wer sich auf diesen Weg eingelassen hat, bleibe darin, und gehe mit Eifer voran: Es ist der wahre Weg, es ist das Evangelium, es ist unser Herr, so wie er war. Es sind seine Dolmetscher im schönsten Sinn des Wortes. Es ist Er, man kennt Ihn. Jedermann kann diesen Weg betreten und darauf in aller Ruhe vorwärtsschreiten, denn es ist eine innere und vollkommen sichere Lehre, die Rom in ihrer Gänze bejaht. Man hat im „Leben der Guten Mutter“ nicht einen Buchstaben gefunden, der abzuändern wäre. So hat man mir versichert. „Doch es ist nicht Ihre Sache“, hat man hinzugefügt, „sondern des Arztes aus Lyon, sich über die Realität eines Wunders auszusprechen.“ Da habt ihr die sichere, solide und praktische Art, die Gute Mutter zu interpretieren, nämlich an das halten, was ich in ihrem „Leben“ geschrieben habe.

Ihre Worte auf einem anderen Gebiet, in einer erhabeneren Region auslegen, ist sehr delikat und sehr schwierig. Gebt nicht sofort eure Zustimmung, lehnt aber auch nicht von vorneherein die Vorschläge, die man euch macht, die Eröffnungen in diesem Sinne ab, der ja der richtige sein kann. „Löscht den Geist nicht aus.“ Ihr könnt einen Baum erst nach seinen Früchten beurteilen, wenn seine Kerne nicht den gewöhnlichen Kernen gleichen.

Nach all dem können wir von den Schriften der Guten Mutter dasselbe sagen, was der hl. Hieronymus vom Kirchenlehrer Hilarius sagte: Durchstreift seine Werke mit beschwingten und sicheren Schritten, weil er ein allzeit sicherer Führer ist. Er geht immer auf dem rechten Weg… Mit der Guten Mutter ist man sicher, sich nie vom rechten Weg zu entfernen, ihre Lehre von der Kirche zu entfernen, ihre Lehre von der Kirche ist der überlieferte Glaube. Lebt dieses Leben und lasst es auch die anderen leben. Es ist die wahre und sichere Lehre.

Nehmt in der Seelenführung ganz und gar ihren Geist an, ihre Frömmigkeitsübungen, ihr Urteil über die Kirche, den Papst, den Klerus, die Priester. Für die Neuausgabe ihres „Lebens“ hatten wir noch nicht genug Vorarbeit geleistet. Ich fürchtete, die Lehre der Guten Mutter, vor aller Welt ausgebreitet, würde einigen komisch vorkommen, und darum habe ich nicht alles gesagt. Ich habe aber noch eine große Zahl ihrer Worte gesammelt über das Priestertum, die Sendung des Priesters, über das Wirken unseres Herrn im Priester, über seine Beziehungen zur hl. Dreifaltigkeit. All diese Dinge sind so wahr und frappierend, dass sie vielen Priestern außerordentlich nützen und ihren Eifer entflammen können. Ich will auch über die Oblaten etwas hinzufügen und ausführlicher auf ihre Entstehung eingehen. Diese zwei hinzugefügten Kapitel werde ich dann ebenfalls nach Rom schicken. Auch einige irrige Daten und leichte Unexaktheiten werde ich in der Neuausgabe verbessern. Im Übrigen ändere ich aber nichts an ihrer Lebensbeschreibung.

Bemüht euch, diese Dinge, diese Art zu sehen, zu handeln, darüber zu sprechen und zu unterrichten, lieb zu gewinnen. Das ist dermaßen katholisch und so wahr! Als ich mit P. Deshairs im Vatikan war, sagten wir zueinander: Merkwürdig! Wie doch alles von der Guten Mutter gut ist, wie doch alles bei uns so schön ist! … Ich ging zu Kardinal Chigi, als im selben Augenblick Bischof de Segur herauskam. Als er mich erkannte, rief er mir zu: „O, das ist Pater Brisson! Er kommt mit der Guten Mutter Maria Salesia, und mit ihr besitzt man alles, den Schlüssel, die Schlüssel zu allen Türen.“ Und der Kardinal fügte hinzu: „Ganz gewiss, wir sind alle mit Ihnen, und ich mehr als jeder andere. Eure Gute Mutter ist die Tochter des hl. Franz v. Sales, der von meinem Großonkel heiliggesprochen worden ist. Sie müssen mir ein Direktorium geben, ich habe darüber schon so viel sagen gehört!“

Unsere Unterredung (d.h. dieser Exerzitienvortrag) war sehr lang. Wir haben unsere Zeit aber nicht verloren, denn wir haben Fragen von größter Wichtigkeit behandelt. Wenn ihr beichthört wie alle anderen, ist es kein größeres Übel. Aber Seelen führen dürft ihr nicht wie alle anderen! Man kommt zu euch, wie man zu Franz v. Sales ginge. Will man ein Schmuckstück kaufen, geht man auch zum Juwelier und nicht zu einem anderen. So müsst auch ihr genau das geben, was man von euch erwartet.