Exerzitienvorträge 1889

      

4. Vortrag: Die Armut.

Fassen wir wieder festen Mut, die Übungen der hl. Exerzitien treu fortzusetzen, das Schweigen, die Pünktlichkeit und die innere Sammlung unverändert zu wahren, und verlieren wir auf keinen Fall den Mut, welches auch immer unser Seelenzustand sein mag. Die Frucht dieser Tage ist, wie ich schon gesagt habe, eng verknüpft mit der Beharrlichkeit und Genauigkeit in den einzelnen Übungen.
Die Exerzitien sind das Kreuz unseres Herrn, an das er geheftet ist und von dem er nicht herabsteigen will. An Händen und Füßen ist er daran genagelt, sein Haupt mit Dornen gekrönt. Alles erduldet er, um das Lösegeld der Welt damit zu entrichten. Tun wir desgleichen, seien wir feinfühlig in der Pflichterfüllung und übergeben wir sie Gott mit größtmöglicher Genauigkeit. Was dem Ordensmann die feste Grundlage verleiht, ist die Pünktlichkeit. Hier schöpft er eine unvergleichliche Kraft. Die Treue und Pünktlichkeit eint und verbindet den Ordensmann mit Gott und teilt ihm etwas von der unbegrenzten Stärke und allmächtigen Energie Gottes mit. Bleibt treu der Gnade Gottes auch im Sturm. Seid überzeugt, man muss die Gnaden der Einkehrtage nicht anderswo suchen, sondern man findet in sich selbst alles, um im Frieden zu verharren. Heute Abend möchte ich euch etwas über die Armut sagen.

Ihr kennt die Grenzen der Beobachtung dieses Gelübdes der Armut. Das Gelübde bewirkt, dass der Ordensmann erstorben ist der Welt, und dass die Güter der Erde ihn gleichgültig und kalt lassen. Er verzichtet auf den Genuss aller Dinge. Das bloße Besitzrecht seiner Güter kann er behalten, weil das in Wahrheit nichts als ein (theoretischer) Rechtstitel ist. Aber er kann seine Güter weder gebrauchen noch verwalten. Die diesbezüglichen Regeln der Kirche sind eindeutig. Ihr braucht nur aufmerksam unsere Konstitutionen durchzulesen, um die Gebote und Verbote klar zu erkennen.

Beachtet gut, was unser Herr in den acht Seligkeiten sagt. Er sagt nicht: selig die Armen, sondern: die Armen im Geist, die Losgeschälten. Er spricht also von denen, die nicht an den Gütern der Welt hängen, die nicht ihren Genuss darin suchen, die sie nur im Notfall gebrauchen, weil ihr Herz von ihnen losgeschält ist. Das bedeutet: „arm im Geist“. Der französische Sinn dieses Ausdrucks ist etwas verschieden (vermutlich: arm an Geist). Was also in unserem Armutsgelübde den Ausschlag gibt, ist nicht die strenge Armutsübung. Man erlaubt uns den Gebrauch der gewöhnlichen Kleider, der allgemeinen Speisen. In anderen Orden wird die Praxis der Armut bedeutend strenger gehandhabt in Bezug auf die Kleider, das Essen und das Schlafen. So unterscheidet sich euer Gelübde in diesem Punkt rigoroser sein. Ein Kapuziner schüttet sich einen hinter die Binde – wie das Volk sagt – sooft sich die Gelegenheit sich bietet, und das steht nicht im Gegensatz zu seinem Gelübde, weil er nichts zurückweisen darf, was man ihm gibt. Ein Ordensmann strenger Observanz kann sich gewisse Dinge erlauben, in den Grenzen des Erlaubten natürlich. Es ist ihm nicht verboten, das ein bisschen zu lieben, was er lieb hat. Unsere Losschälung, weniger rigoros im Sinne der Intensität, muss dafür vollständiger und bedingungsloser sein. Wir dürfen nicht die kleinste Sache für uns behalten, nicht die geringste Anhänglichkeit. Wir betrachten keine Medaille, kein Bild, keinen Frömmigkeitsgegenstand als uns eigen, ohne bereit zu sein, auf einen Wink darauf zu verzichten, ohne ausdrückliche Erlaubnis. Unsere Satzungen untersagen es, uns irgendetwas auszuleihen oder zu verleihen, das kleinste Geschenk ohne Erlaubnis zu machen oder zu empfangen. Ihr, unsere Praxis der Armut ist etwas sehr Anspruchsvolles und Mühseliges. Wir sollen rein gar nichts zu unserem Gebrauch ohne Erlaubnis haben oder etwas anrühren, was einem anderen gehört.

Der Geist unseres Instituts will also die Losschälung von allem: nichts soll einen Platz in unserem Platz in unserem Herzen einnehmen. Das ist wahrhaft das „Selig die Armen im Geiste“, glückselig jene, deren Herz losgeschält ist. Das war die Armut unseres Herrn. Äußerlich gesehen, gleicht sein Leben dem aller anderen, was die Armut betrifft. Der Sinn unserer Armutsübung muss es darum sein, zu tun, wie unser Herr tat und uns nicht an die Dinge dieser Welt zu hängen. Hängen wir aber nicht an ihnen, dann suchen wir auch nicht, sie uns zu verschaffen. Ein Oblate soll niemals seine Befriedigung suchen, seine Lust befriedigen, seinem Geschmack schmeicheln wollen. Er braucht zu allem die Genehmigung. Dazu ist er im Gewissen verpflichtet, und er soll gar nicht erbitten, was er nicht unbedingt braucht. Denn folgt er seiner Neigung und nicht der Notwendigkeit seines Amtes, verstößt er gegen sein Gelübde.

Ich glaube nicht, dass wir – dank der Gnade Gottes –, uns diesbezüglich viel vorzuwerfen haben. Hüten wir uns also, unseren Neigungen und Wünschen zu folgen. Suchen wir auch nicht, z.B. seltsame Bücher zu erwerben oder sonstiges, was wir nicht unbedingt brauchen. Dieser Gegenstand dient unserer Befriedigung, ist also nicht notwendig, wir verzichten darauf. Es ist eine delikate Frage, sich in gewissen Fällen nicht zu täuschen. Geben wir darum acht. Worin wir aber mehr Gefahren ausgesetzt sind und häufiger fehlen, ist mangelnde Ehrfurcht dem gegenüber, was uns nicht gehört, was nicht unserem Gebrauch dient, sondern der Kommunität, was Gott gehört. Für die Güter der Gemeinschaft lassen wir es an Sorgfalt fehlen und glauben, wir könnten darüber frei verfügen. Nein, der Lehrer kann nicht frei über seine Bücher, Hefte und Federn verfügen. Er kann nicht aus dem Vollen wirtschaften: die Regierung zahlt ja, da ist nichts zu fürchten… Das ist nicht die Art eines Ordensmannes. Sind wir echte Ordensleute, dann geben wir sehr acht, in den Belangen unseres Amtes nur das absolut Notwendige zu verlangen. Wir sollen darin sehr feinfühlig sein, nicht zu großzügig vorzugehen, jedes Ding sorgsam zu behandeln, nichts zu vergeuden, nichts in unserem Gebrauch zu verderben oder zu beschädigen. Das alles, meine Freunde, gehört zur absoluten Erfüllung unseres Armutsgelübdes. Wenn wir hierin nachlassen, dürfen wir uns nicht wundern, dass wir in unserem Herzen Trockenheit verspüren. Haltet euer Herz darum frei von jeder Anhänglichkeit, schont eure Hefte, schont die Bücher und alle Gebrauchsgegenstände. Auch auf Reisen heißt es in den Ausgaben arm bleiben. Seid bereit, nicht mehr auszugeben als es Arme tun, und kauft nicht, was nicht notwendig ist.

Die Armut unseres Herrn ist sicher die vollkommenste. Seine Nahrung war einfach, seine Kleidung bescheiden. Sie beschränkte sich aufs Wesentliche. Er hatte nur das strikt Notwendige. So hielt er es dreiunddreißig Jahre lang, das zog er vor, das liebte er. Macht es ebenso. Liebt die Bescheidenheit und Klugheit in der Armut, eine ganz innere Armut, die sich selbst nichts schenkt und sich selbst in nichts sucht. Wir nehmen einfach das an, was man uns gibt. Und wenn uns etwas abgeht und wir leiden, erinnern wir uns, dass wir das Kreuz unseres Herrn tragen. Wir suchen keine Befriedigung in was immer, wir suchen nicht uns, sondern Gott.

Prüfen wir während der Exerzitien, ob wir etwas gebrauchen und über etwas verfügen ohne Erlaubnis: in unserer Nahrung oder Kleidung. Ob wir unseren Geschmack befriedigen, ob wir in Büchern oder sonstigem uns unnötige Dinge verschaffen. Nur so wird unser Gelübde wirklich erfüllt und es zieht die Segnungen Gottes auf uns herab. Diese werden uns nie fehlen, und damit das Verdienst und der Nutzen.

Vergangenes Jahr hat das Generalkapitel viele Fragen bezüglich des Armutsgelübdes ventiliert. Diese Fragen können jederzeit im Geist der hl. Regel und mit Erlaubnis der Oberen gelöst werden. Vergesst aber nicht: Auch wenn die Erlaubnis des Oberen uns vom Gelübde und von seiner strengen Verpflichtung dispensiert, so enthebt sie uns nicht der Praxis der Tugend der Armut, und die Dispens des Oberen verschafft uns nicht das Resultat des erfüllten Gelübdes. Wir wollen das Joch nicht tragen, gehen damit aber auch der Früchte des Gelübdes verlustig. Wir sind von der Verpflichtung befreit. Das ist aber kein Vorteil, weil nur die reale Armut, frei von jeder Anhänglichkeit, die Belohnung erfährt. Lohn brauchen wir aber, darum sollten wir trachten, nichts von allem, was uns das Armutsgelübde einbringt, zu verlieren.

Jeder prüfe sich deshalb und sehe, was ihn fesselt, an was er haftet, welches sein Idol ist, ähnlich dem kleinen Götzenbild, das Rachel im Grunde ihres Sackes verborgen hatte. Rachel wollte Gott treu bleiben, war deshalb Jakob nachgefolgt und hatte wegen ihres Gatten ihr Vaterland verlassen. Sie hatte alles hergegeben, außer einem goldenen Götzenbild, an dem sie hing und das sie ihrem Vater entwendet hatte. Dieses wurde zur Quelle vieler Heimsuchungen. Sehen wir nach, ob wir nicht auch so ein kleines Idol im Grund unseres Herzens verborgen halten.

Die Erfahrung zeigt, dass jede Kommunität, die arm lebt, der klösterlichen Observanz treu bleibt und in Regeltreue und Wohlergehen dahinlebt. Andernfalls ist es ein Haufen loser Steine, der in Trümmer sinkt. Eine Kommunität, die die Armut praktiziert, kann nicht zugrunde gehen. „Betrachtet die Lilien des Feldes.“ Sie arbeiten nicht und sind doch herrlicher gekleidet als Salomo in all seiner Pracht. Die Sperlinge säen und ernten nicht und werden doch vom himmlischen Vater genährt. „All das wird euch dazugegeben werden.“ An diese Wahrheit müssen wir glauben, sie sollten wir bei uns in besonderem Maße praktizieren. Es sollte ja wenigstens einen (Orden) geben, der das Evangelium verwirklicht, unserem Herrn nachfolgt in der Verkündigung, am Kreuz und bis zum Grab. Ich hielt mich länger bei diesem Gelübde auf, als ich vorhatte, ich will die Keuschheit auf den morgigen Tag verschieben. Ich wiederhole: Jeder Gemeinschaft, die die Armut übt, wird nie etwas abgehen, und sie macht nie Bankrott. Sie hat ihr tägliches Brot versichert. Gott wird eher Wunder wirken als sie fallen zu lassen. Der hl. Kajetan hat eine Kongregation gegründet auf einer bedingungslosen Armut. Er besaß kein Einkommen und keine Hilfsquellen, auch keine Unterkunft. Seinen Ordensleuten empfahl er die Übungen der absolutesten Armut, und die Annalen der Genossenschaft versichern, dass den Ordensleuten nie das Notwendige fehlte. Gott liebt die Armut. Er umgibt sie mit größeren Sorgen als jede andere Tugend.

Eines Tages fragt Bruder Leo den hl. Franz v. Assisi, wie er es anstellte, dass er so heilig sei. „Vater“, sagte er zu ihm, „wie sehr Sie doch unserem Herrn Jesus Christus gleichen! Wie könnten Sie dahin gelangen? Durch welche Betrachtungen und welche Abtötungen haben Sie diese göttliche Ähnlichkeit erreicht?“ „Ich habe nur eins gesucht“, antwortete der Heilige, „ich wollte auf den Spuren des Erlösers gehen und fand dabei seine Armut, die mir die Hand reichte und sagte: ‚Folge mir!‘ Ich bin ihr gefolgt und habe das Licht Gottes gefunden.“