Exerzitienvorträge 1889

      

3. Vortrag: Unsere Art, zu beichten.

Nach unseren Satzungen gehören zu den uns anvertrauten Pflichten an erster Stelle die Werke der Seelsorge und die Leitung der Seelen. Letztere teilen sich unter in der Seelenführung und die Beichte. Für die beiden letztgenannten gibt es allgemeine, durch die Theologie gegebene Regeln, Regeln der Klugheit und der Nächstenliebe, die für uns alle gelten. Es ist aber darüber hinaus notwendig, dass wir in diesem Punkt unsere besonderen Regeln haben.

Jeder mit Beichtvollmacht ausgestatte Priester darf aufgrund der bloßen Beichtvollmacht den Dienst des Bußsakramentes nicht auch schon in seinem Gewissensbereich ausüben. Mag der Bischof ihn approbiert haben, ist er ein Ignorant, kennt er nicht gut den Traktat des Bußsakramentes, die im Bereich der Diözese reservierten Fälle, die Sonderstatuten, die in einer bestimmten Diözese, in der er Dienst tut, die Ausübung des hl. Dienstes regeln, so kann er nicht beichthören. Das Wissen um all diese Dinge ist ihm unverzichtbar, andernfalls wird er als verwegen und anmaßend beurteilt und kann sich der schwerwiegendsten Verfehlungen schuldig machen. Um Beichte zu hören, genügt nicht das Sakrament der Priesterweihe. Man muss auch seine Theologie kennen, besonders die Moraltheologie. Darum sollen alle Beichtväter von Zeit zu Zeit die Traktate des Bußsakramentes, des Dekalogs, der menschlichen Akte, der Gesetze (Gebote), also die Hauptkapitel der Moral wieder durchsehen. Diese Dinge müssen ihnen präsent sein. Ich weiß, man macht manchmal einen traurigen Einwand: die Gläubigen seien dermaßen unwissend, ihr Glaube oft so schwach, dass die Erteilung des Bußsakramentes sich auf wenige Dinge beschränke. Dieser Einwand hat etwas Wahres an sich. Doch müssen wir Priester nicht umso mehr auf der Hut sein, je unwissender die Gläubigen werden? Wenn wir vom Beichtenden oft nicht die notwendigen Dispositionen erwarten können, müssen dann nicht gerade wir Abhilfe schaffen? Man hat gesagt, seit der Existenz der Protestanten und deren Nachfolger sogar die Grundlagen des Glaubens und der Religion angegriffen haben. Man täuscht sich: Wenn gewisse Geistliche behaupten, es sei wenig Wissen erfordert in den gegenwärtigen Zeiten, weil es überflüssig sei, so irren sie. Der Beichtvater muss umso mehr wissen, je weniger die Beichtkinder wissen und taugen.

Zum Beichthören ist darum absolut ausreichendes Wissen angebracht: die gründliche Kenntnis des Bußsakramentes sowie die hinreichende Kenntnis der hauptsächlichen Traktate der Moral: das Gesetz (Gebot), die menschliche Akte, vor allem das Gewissen. Zu unserer Zeit mussten wir im Seminar diesen Traktat in aller Gründlichkeit studieren. Man muss doch genau wissen, was ein sicheres oder zweifelhaftes Gewissen ist. Was kann das Gewissen ändern? Was ist die Entschuldigung der Unwissenheit wert? Kennen muss man die Verpflichtung des Gesetzes und wissen, ob es in Bezug auf die Person und Ort genügend verkündet ist. Wissen muss man, wie und wann reagieren betreffs der großen Frage des Probabilismus. Ich weiß nicht, ob man sieben oder achtmal jemand beichthören kann, ohne dass sich diese Frage stellt. Wenn ihr nicht wisst, was Probabilismus heißt, was leistet ihr da schon? Ihr könnt doch nicht lossprechen, ohne zu wissen, was ihr da tut und wo eure Vollmacht aufhört. Die Lossprechung ist nicht euer Eigentum. Werdet euch darum erst klar, wie weit das Gesetz für diesen oder jenen verpflichtend ist und lasst ihn nicht handeln außerhalb des Gesetzes, außerhalb seines Gewissens, das er sich zurechtzimmern konnte und das ihr bei ihm heranbilden solltet. Es bedarf folglich des theologischen Wissens. Sodann gilt es, dieses Wissen auf die Personen anzuwenden, die zu uns im Sakrament der Buße kommen. Hier heißt es vorgehen entsprechend dem Alter, Geschlecht und Beruf der Beichtenden. Unterscheiden muss man da nach dem jeweiligen Stand und den verschiedenen beruflichen Bedingungen. Man kann keinen Priester beichthören wie einen einfachen Laien, einen Ordensmann nicht wie einen einfachen Priester. Ein Arzt, Professor, Beamter darf nicht auf dieselbe Art und Weise behandelt werden. Wie wollt ihr die Sünden eines Beamten verstehen und über seine inneren Dispositionen urteilen, wenn ihr seine Standespflichten nicht kennt?

Außer diesen allgemeinen Überlegungen der Theologie und Moral, außer diesem praktischen Wissen, eine Regel der Theologie auf einen besonderen Fall anzuwenden und die Schwere einer Sünde in einer bestimmten Situation richtig abzuschätzen, gibt es noch Überlegungen, die uns im Besonderen eignen. Die allgemeinen Regeln genügen nicht, wir sind ja Oblaten des hl. Franz v. Sales. Wie müssen wir also speziell beichthören?

Wir sollen beichthören und Seelen führen nach dem Geist des hl. Franz v. Sales. Wir müssen unseren Kodex, unser Firmenzeichen, unsere besondere Art haben. Sonst käme man ja nicht zu uns beichten, sondern ginge zu anderen. Würden wir es tun wie alle Pfarrer, wie alle anderen Ordensleute, so würde sich für uns die Mühe nicht lohnen beichtzuhören und überhaupt zu existieren. Darum noch einmal: die Kirche approbiert einen Orden nur unter der Bedingung, dass er seine besondere Art vorzugehen hat. Wie soll also ein Oblate des hl. Franz v. Sales beichthören?

Erste Regel: Im Beichtstuhl sollen wir die Seelen zu Gott führen und sie nicht für uns gewinnen wollen.

Sie zu Gott zu führen ist im Übrigen das sicherste und wirksamste Mittel, sie zur Tugend zu führen, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie damit auch für zu gewinnen. Von dieser Wahrheit können wir uns zutiefst überzeugen, dass die Seelen da sind, damit wir sie ganz mit Gott aussöhnen und aufs Innigste für ihn gewinnen. Zu diesem Zweck seid ihr Gottes Diener, und auf dieses Ziel hin müsst ihr eure ganze Aufmerksamkeit konzentrieren, indem ihr betet, euer Direktorium haltet, euer Herz zu Gott erhebt und euch, besonders am Altar, mit ihm vereinigt.

Gewiss gibt es da nicht wenige Unterscheidungen zu treffen, verschiedene Gemütsarten anzunehmen: Der Beichtvater muss das Vertrauen der Beichtenden, ihre Liebe zu gewinnen suchen, ihnen nicht fremd bleiben wollen, sonst gehen sie woanders hin. Man soll also durchaus etwas Herz daransetzen, seine männlichen und weiblichen Beichtkinder zu umsorgen. Man soll sie in Gott lieben, wie unser hl. Stifter irgendwo sagt. Wir wollen nie grob sein, sondern voll Mitleid und Erbarmen. Haben wir ihre Schwachheit vor Augen und zeigen wir uns barmherzig. Suchen wir in ihnen, was sich da an Gutem findet. Lebt da noch etwas Glaube, guter Wille, ein kleiner Funke, nehmen wir uns dieses Fünkleins an und entfachen wir die Gottesliebe in diesem Herzen. Man muss viel Liebe aufbringen zu seinen Beichtkindern und sie, wie ich schon sagte, für Gott und in Gott lieben. In sich etwas natürliche Liebe entdecken zu ihnen, ist nicht verboten. Was aber unter allen Umständen verpönt ist, ist die Leidenschaft. Das erregt und beunruhigt, vertreibt Ruhe und Ordnung. Solch eine Empfindung lässt nicht in Frieden und will den Genuss, die Befriedigung. Das fügt den Beichtkindern, besonders den jungen, den Kindern, ein unglaubliches Übel zu. Das ist der Untergang ihrer Seele. In kurzer Zeit sieht man sie zugrundegehen und verderben. Sie waren gekommen, das Leben am Kelch des Herrn zu suchen, und sie fanden Gift. Tragen wir die Seelen zu Gott hin, zu ihm allein!

Was ich hier von den jungen Leuten sage, gilt noch mehr von den Mädchen und Frauen. Jedes Mal, wenn ihr etwas von dieser Leidenschaft in eure Seele einschleichen fühlt, seid auf der Hut! Lasst äußerlich nichts davon merken und schneidet innerlich kurz ab! Lasst nichts in eurem Herzen zurück, was diesem Eindruck Raum geben könnte. Diese Verhaltensweise tut besonders den jungen Beichtvätern not, die noch keine Erfahrung haben.

Muss man also ganz und gar gleichgültig (unempfindlich, unbeteiligt) sich verhalten gegenüber seinen Beichtkindern? Nein, noch einmal sei es gesagt: liebt sie in Gott, in der hl. Kommunion, bei der hl. Messe (an sie denkend), nehmt religiöse Übungen vor für sie, indem ihr von Zeit zu Zeit für sie betet, wenn es notwendig ist, indem ihr betet und euch abtötet. Diese Art von Zuneigung ist erlaubt. Jede andere ist gefährlich und schlecht. Hütet euch, liebe Freunde, vor allem, was nach Leidenschaft aussieht, habt wirkliche Scheu davor. Ihr würdet die Seele töten, die zu euch in echtem Vertrauen kommt, ihr würdet ihr einen verhängnisvollen Stoß versetzen. Hiob sagt es in seinem Buch: alle Arten von Stürmen würden toben und den Sturz des ganzen Gebäudes bewirken, das bereits aufgerichtet ist.

Das vorausgesetzt ist es selbstverständlich, dass man außerhalb des Bußgerichts alle Regeln der Klugheit, Bescheidenheit und guten Unterhaltung beachten muss. Ich beschwöre euch wiederum bei der Liebe Gottes: Seid äußerst reserviert Frauen und Mädchen gegenüber. Ein Oblate sollte sich immer bei einer Frau etwas Gewalt antun (wörtlich: geniert sein).  Er muss sich überwachen. Er verhalte sich so, dass seine Gegenwart zur Erbauung diene. Ihr werdet es selbst erfahren, wenn ihr mehr Lebenskenntnis habt: Immer wenn ihr euch vor einer Frau oder einem Mädchen gehen lasst, erregt ihr Anstoß oder wenigstens erbaut ihr nicht, und damit tut ihr ihnen Übles. Dieses Gesetz stellt der hl. Stifter für uns auf, und wir wollen uns danach richten. Ihr lasst euch gehen. Die Frau, das Mädchen spürt, dass da was nicht in Ordnung ist, dass ihr nicht auf der Höhe eurer Berufung seid. Instinktiv urteilt sie so. Immer möchten sie in euch den Priester, den Ordensmann sehen. Ihr büßt ihre Achtung und ihr Vertrauen ein.

Zweite Regel: Wie sollen wir unsere Beichtkinder leiten im Verhältnis zu ihren Vorgesetzten, ihren Gleichgestellten, ihren Eltern, Ehepartnern und übrigen Familienmitgliedern?

Der Beichtvater, sagt der hl. Alfons von Ligouri, muss immer die Partei des Gesetzes und der Autorität ergreifen. Kinder muss er anhalten, Vater und Mutter Untertan zu sein, die Frau, ihrem Mann sich unterzuordnen, jedermann, dem zu gehorchen, dem es zusteht. Allen aber, in vollkommener Einigkeit zu leben. Das ist übrigens eine Frage der Gerechtigkeit. Achtung gebührt dem, dem sie von Rechts wegen zukommt. Niemals darf der Beichtvater dem Kind Recht geben gegen seine Eltern, seine älteren Brüder und Schwestern, der Frau gegen ihren Gatten. Von dem Fall abgesehen, wo es um eine Sünde geht, um eine offenkundige Verletzung des Gebotes Gottes, müssen wir immer die Autorität verteidigen. Selbst in dem Fall einer offenkundigen Sünde heißt es den Sünder möglichst entschuldigen, Verständnis dafür zu wecken, dass aus Unwissenheit gesündigt wurde. Begreiflich machen, dass man durch Gebet und Güte das Übel schließlich abstellen wird. Diese Verhaltensweise sei für euch, meine Freunde, eine heilige Verpflichtung. Ein Oblate möge im Beichtstuhl immer so vorgehen.

Ein Beichtvater, der anders handeln würde – ich möchte nicht urteilen noch Namen nennen – ein Beichtvater, der einer Nonne recht gäbe gegen ihre Oberin z.B., würde abscheulich handeln – lasst mich diese harten Worte gebrauchen. Noch einmal: Wenn der Obere, die Oberin etwas gegen das Gebot Gottes anordnen würde, etwas Unrechtes, braucht man es nicht zu billigen, sondern man darf sagen: „Welch ein Unglück!“ Umgebt solch einen Menschen, der aus Unachtsamkeit oder Unwissenheit so gehandelt hat, in Zukunft noch mehr mit Achtung und Zuneigung als vorher. Wahrt vor allem den Frieden immer und überall. Im anderem Fall würdet ihr abscheulich handeln, da ihr die Ordnung auf den Kopf stellen würdet. In solchen Fällen, meine Freunde, geht es darum, den Frieden in den Herzen und den Willen wiederherzustellen. Man muss erfinderisch sein und auch die Beichtenden sich den Kopf zerbrechen lassen, dass aus dem vorgefallenen Fehler ein reales Gute entstehe. Das ist unsere Sendung. Die Gute Mutter hat gesagt, es sei unsere Sendung, bis auf den Grund der Erlösung vorzudringen und sich die letzten Verdienste des Erlösers zunutze zu machen. Mithilfe des Vorfalles sollte ein Gut hervorgebracht werden, das ohne ihn nicht zustande gekommen wäre. „O glückselige Schuld!“ Das gelte als allgemeine Regel, von der wir keine Ausnahme machen sollten. Handelt man anders, so hat in drei Viertel der Fälle Satan seine Hand im Spiel. Er versucht, die Untergebenen gegen ihre Vorgesetzten aufzuhetzen und Unordnung zu säen. Dann kann er sein Reich aufrichten, dann ist er der große Obere und der souveräne Meister. Bewahrt dieses Dokument gut, es ist eins der schwerwiegendsten, wie unser hl. Stifter sagen würde.

Ich fasse zusammen: Um gut beichtzuhören, muss man hinreichend seine Theologie beherrschen, ferner eine absolut notwendige Kenntnis der Moral und des Bußsakramentes besitzen, vor allem jene Traktate, die ich genannt habe. Außerdem muss man im Bild sein über die verschiedenen Personen, die sich an uns wenden, um zu wissen, inwieweit sie ihre Standespflichten vernachlässigen und so schuldbar werden. Machen wir uns das große Prinzip zu Eigen, dass der Beichtende von Gott getrennt zu uns kommt und wir ihn mit ihm wieder aussöhnen und die Gottesliebe wieder in seinem Herze ausbreiten sollen. Zwei verschiedene Arten von Liebe können nicht dasselbe Herz einnehmen, niemand kann zwei Herren dienen. Gott entthronen wollen ist ein Sakrileg, sich dem Herzen des Beichtkindes aufzwingen wollen anstelle Gottes, auf Kosten Gottes, ist Wahnsinn und Verbrechen. Nicht weniger unheilvoll für den Beichtenden ist es, ihm den Rücken zu stärken gegen seine Oberen, sich der Schwierigkeiten zwischen Oberen und Untergebenen oder sogar zwischen Gleichgestellten zu bedienen, um selbst den Platz und das Ansehen einzunehmen, die anderen gebühren. Der Oblatenbeichtvater wird so vorgehen, dass er die Schwierigkeit zum Verschwinden bringt und sie zum größtmöglichen Nutzen der Seelen wendet. Er macht es sich auch zur Aufgabe, wenn ein wirklicher Fehler geschehen ist, ihn zu entschuldigen, aufzuklären und ihn zum Besten des Beichtenden zu nutzen.

Ich bitte euch, meine Freunde, ja ich verpflichte euch, allezeit so beim Bußsakrament vorzugehen. Andere mögen anders handeln. Ihre Art wäre für uns nicht gut, ja ich verwerfe sie ausdrücklich.

Möge das, was ich da gesagt habe, euer Gesetzbuch sein, die Verhaltensweise, von der ihr euch nie entfernt.