Exerzitienvorträge 1888

      

8. Vortrag: Geistesarbeit und Erziehung

Heute Morgen unterhalten wir uns über die Handarbeit, über die Gnade, die aus der Arbeit kommt, wenn sie mit guten Gedanken, mit der Absicht, Gott zu ehren und seine Schöpfung entsprechend seinen Plänen zu gebrauchen, verrichtet wird. Heute Abend möchte ich mehr von anderen Arbeiten, von der Geistesarbeit, dem Studium sprechen, kurz gesagt: von unseren Pflichten als Lehrer und Jugenderzieher.

Zweifellos wurde die Arbeit am Anfang dem Menschen nur zur Kurzweil gegeben. Seitdem aber wurde sie zu einer Mühsal, zu einer Züchtigung. Zu gleicher Zeit wurde sie, wie uns Bischof D’Hulst vor zwei Jahren so geistreich ausführte, zu einem Mittel der Erlösung von zwei Strafen des schuldbar gewordenen Menschen: Du sollst dein Brot im Schweiße deines Angesichts essen. Du hast aus Sinnlichkeit gesündigt, und was für dein materielles Leben nötig ist, das kostet dich jetzt den Schweiß deiner Stirn und die Anstrengungen deines Leibes. Der Mensch hat aber nicht nur aus Sinnlichkeit gefehlt, sondern auch aus Stolz. Und die Strafe, die gegen ihn wegen seiner Sinnlichkeit ausgesprochen wurde, erfolgte noch viel mehr wegen seines Hochmuts. Das Wissen, das er mit seinem Stolz und seiner Auflehnung erringen wollte, wird ihm jetzt nur mit Hilfe vieler Arbeiten, Ängste und mühsamer Anstrengungen zuteil. Die Gute Mutter, die nicht Theologie betreiben wollte und dennoch oft eine sehr tiefe Theologie vortrug, sagte, die Erbsünde habe dem Verstand mehr geschadet als dem Willen. Er sei viel unwissender als schuldhaft. Wir müssen darum eine starke Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes setzen, weil der Intellekt nachhaltiger betroffen wurde als der Wille und das Herz. Somit besteht unsere ganze Arbeit darin, unseren Verstand auf das Niveau zurückzuversetzen, das er nach dem Plan des Schöpfers innehaben sollte. Diese Art Arbeit ist sicher mühseliger als die materielle. Sie verlangt mehr Anstrengung und Pein als nötig ist, um zu den normalen Bedingungen des materiellen Lebens zurückzufinden. Jedes Mal, wenn der Mensch dieser Wunde der Unwissenheit abhelfen will, dieser Strafe seines hochmütigen Denkvermögens, muss er größere Mühe aufwenden als wenn er einfach materielle Arbeit leistet.

Das ist unsere Lage: die Intelligenz zu der Höhe emporzuheben, von der sie die Erbsünde gestoßen hat. Diese Mühewaltung aber obliegt uns in besonderem Ausmaß, da wir mit der Unterrichtung der Jugend betraut sind. Nun, meine Freunde, kostet uns diese Arbeit mehr Mühe und Strapazen, dann bringt sie uns auch mehr Verdienste ein. Gott wird reichlichere Gnade zur Verfügung stellen, um den Mut derer zu stärken, die sie in Angriff nehmen. Diese Tätigkeit wird aber auch eine durchschlagendere Wirkungen und einen stärkeren und furchtbareren Effekt zeitigen müssen. Und das geschieht in der Tat. Materielle Arbeit hindert zwar nicht Unmäßigkeit und Sinnlichkeit, hilft lediglich ihren Auswüchsen ab. Geistesarbeit dagegen heil die Unwissenheit. Hier wird die Seele empor geläutert zu dem Vollkommenheitsgrad, wo sie hingehört nach den Plänen Gottes, indem die Wunde der Unschuld geheilt wird. Was der geistigen Arbeit an Schwerem und Mühsamem anheftet, bringt somit ein glückliches Resultat für die Seele hervor: Früchte der Ehre und des Ansehens.

Daraus folgt, dass wir, was die Anordnung und Organisation der Studienpläne betrifft sowie die Methoden, wie wir unser selbst erworbenes Wissen anderen weitergeben, mit großer Ehrfurcht die Empfehlungen behandeln sollen, die uns gegeben werden. Hier heißt es sich bewusst sein, dass wir Ordensleute sind und dass hierin für uns der Gehorsam besteht.

Eben sprach ich von den allgemeinen Wirkungen des Gehorsams. Ich stehe nicht an, die Wirkungen auf die Arbeiten und Resultate des Unterrichts anzuwenden. Gott verlangt von uns niemals schwierige und mühsame Dinge, ohne dass er nicht auch zuließe, dass wir damit auch zu reicheren, glücklicheren und kompletteren Erfolgen gelangten. Angesichts dieser Mühen des Lehrens, mitunter so trocken und entmutigend, wollen wir uns gern auf diesen sicheren Weg des Gehorsams einlassen. Das wird den Erfolg herbeiführen, und euch wird dadurch eine sichere Selbstheiligung zuteil, indem ihr obendrein die anderen heiligt.

Zuerst heiligt ihr euch selbst damit. Alle großen Heiligen haben enorm viel gearbeitet. Warum ist denn der hl. Franz v. Sales so jung mit 57 Jahren (Anm.: gemeint sind wohl mit 55 Jahren) an Erschöpfung gestorben? Weil er sein ganzes Leben von mühseligen Unternehmungen ausgefüllt war. Er hatte Gott gelobt, nie eine Minute zu verlieren. Darum konzentrierte er unablässig seine Aufmerksamkeit, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Auch der hl. Alfons von Ligouri hatte das Gelübde gemacht, keinen Augenblick zu vertrödeln. Er erledigte ein ungeheures Pensum. Zum Wohl der Seele produzierte er eine überreiche und substantielle Nahrung. In unseren Tagen verwandte Bischof de Segur jeden Moment zur Arbeit, und Gott weiß, mit welcher Glut er sich ausgab, indem er sich von der Arbeit in Gebet und Betrachtung ausruhte. Er hat Ungeheures geleistet und der Kirche einen unschätzbaren Schatz erworben. Wenn in den Jugendwerken und den christlichen Familien der Empfang der Sakramente, besonders der hl. Kommunion, wieder Eingang fand in einer Weise, die mehr Früchte zeitigt, verdanken wir es nicht ihm? Man spricht davon, ihn heilig zu sprechen. Würde diese Gunst eines Tage der Kirche von Paris gewährt, dann bildeten das schönste Kleinod seiner Krone als Bekenner die Seiten, die geschrieben, die kleinen Schriften, die so viel Gutes gestiftet haben.

Meine Freunde, studiert darum Mut und Energie. Bereitet eure Unterrichtsstunden nach den angegebenen Methoden vor! Der Gehorsam möge seine volle Wirkung ausüben: Er verleiht eine unvergleichliche Kraft  und Wirksamkeit allem, was ihr tut. Es ist nicht so sehr das Talent des Lehrers, das den Erfolg sichert, sondern seine Gelehrigkeit und Frömmigkeit. Neben uns gibt es Lehrer mit zehnmal, zwanzigmal mehr Fähigkeiten und Hilfsmitteln. Wir beginnen ganz klein, bald aber marschieren wir, ja lassen die anderen hinter uns zurück.
Ihnen geht eben die Gnade des Gehorsams ab, während uns, wenn wir gute Ordensleute sind, das Wehen des Gottesgeistes beleben und führen wird. Während der Exerzitien wollen wir den Entschluss fassen, ganz treu uns im Gehorsam zu bewähren, treu zu allem, was empfohlen wird, treu zu den gegebenen Programmen und Methoden. Das sei unsere Basis und unser Zentrum. Haben wir den Glauben des römischen Hauptmannes: „Herr, ich sage zu meinem Knecht: ‚Komm!‘ und er kommt. ‚Tu das!‘ und er tut es.“ Tun wir unsere Amtspflichten, nicht weil sie liebenswürdig sind, sondern weil sie vom Willen Gottes gewollt sind. Lieben wir sie mit einer selbstlosen Liebe, denn nur diese Liebe bringt diese Wirkung hervor. So bringt ihr die anderen zum Arbeiten. Geben wir den anderen weiter, was wir selber besitzen: Aus dem Inneren heraus zur „Form“ der Herde werden. Was teilt ihr ihnen denn vom Euren mit? Was wird sie formen? Nicht das, was ihr sagt, sondern das, was ihr tut. Der Gehorsam eurer Schüler ist euch sicher, wenn ihr selber gehorcht. Ihr flößt ihnen Gottesliebe ein, weil euer eigenes Herz davon voll ist. Ihr seid also die Modelle, nach denen sich die Kinder, die euch anvertraut sind, bilden werden.

Welch große und erhabene Sendung, meine Freunde! „Reinigt euch, die ihr die Gefäße des Herrn tragt.“ Überwacht euch genau, die ihr die Gefäße des Herrn tragt. Ihr müsst diese Gefäße des Herrn in aller Ehre, in Hochachtung und Aufmerksamkeit halten. Nichts von euch, nicht den geringsten Hauch darf den Kelch trüben, den ihr als Treuhänder erhaltet, der Leib und Blut des Herrn birgt, damit nichts das beflecke, was Gott selbst geheiligt hat. Die in den Seelen hervorgebrachten Früchte seien ganze Früchte, in Ehren, Reinheit und heiliger Keuschheit hervorgebracht. Hegt in diesem Punkt eine, fast möchte ich sagen, skrupulöse Furcht, eine grenzenlose Furcht. Ihr wisst gar nicht, und könnt auch gar nicht wissen, was das Verhältnis „Lehrer-Schüler“ alles an Folgen haben kann. Viele Schüler können einen heiligen Lehrer gehabt haben, ohne dass deshalb viele davon profitiert hätten. Niemals aber, denkt daran, niemals gibt es ein Kind, dem ein Lehrer etwas Unreines eingeflüstert hat, so unbedeutend es scheinen mag, ohne dass dies nicht einen tödlichen Effekt hervorriefe. Das ist wie das Gift der Schlange, der Natter, des Basilisken. Es dringt in die Venen des Kindes ein und bewirkt eine Betäubung und Starre. Es verursacht einen langsamen und unvermeidlichen Tod, der sein Werk der Zerstörung und Fäulnis bis zum Grab vollbringen wird. Meine Freunde, ich spreche von diesen Dingen, damit euch Furcht ergreife, wie vor dem Anblick einer Schlange. Ich wiederhole, nichts wirkt zersetzender, nichts ist mehr imstande, von Grund auf das Werk Gottes zu zerstören als diese Kleinigkeit… dieser Blick, diese Zuneigung, dieser Gedanke. Da ihr also so heilige Dinge zu behandeln habt, haltet die Befleckung eigener Erbärmlichkeiten davon fern: „Ich will meine Hände in Unschuld waschen.“ Beginnt damit, eure eigenen Hände zu reinigen. Der Priester säubert vor der göttlichen Aktion, wo er Leib und Blut unseres Herrn konsekriert, seine Hände und beteuert, er wolle in Unschuld und Reinheit leben. Reinigt euch, die ihr die Gefäße des Herrn tragt, haltet Herz und Seele keusch.

Die geistige Arbeit, die ihr leistet, bringt, ich wiederhole es, viel Mühen und Strapazen mit sich, größere als der Handwerker hat, der sein Brot mühsam genug verdienen muss. Er leidet am Körper, gewiss, aber sein Herz ist unbehelligt und sein Geist gelöst. Er verdient sein Brot in der Freiheit seiner Gedanken. Die Erdscholle, an die ihr angeklebt seid, wenn ihr auch Geistesarbeit vollbringt, lässt euren Geist nicht den freien, leichten Aufschwung. Sie drückt ihn nieder und hält ihn in Fesseln. Ihr bleibt an den Pflug gekettet, den ihr mühselig hinter euch herzieht und mit dem ihr die Furche grabt, eine Furche, allzu oft angefüllt mit Bitternissen. Nicht jedes Unterrichten ist angenehm. Es ist voller Disteln und Dornen und schlechtem Willen und Unfähigkeiten. Eine untätige Masse gilt es hochzuheben, die nicht nach vorne oder hinten will. Wie zermürbend, verglichen mit dem Handwerker, der Eisen oder Holz bearbeitet! Darum nochmal: Seid achtsam in der Erfüllung eurer Aufgabe und tut sie mit Feingefühl: die Materie, die wir bearbeiten, ist so zerbrechlich! Der geringste widrige Wind würde die Pflanze, die ihr pflegt, austrocknen. Möge Gott mit seinem Licht, möge das Wort Gottes euch lenken und inspirieren. Möge er in euch wohnen und in Treue erhalten: In beständiger Treue zu euren Christen- wie Ordenspflichten. Gehorcht, meine Freunde, und eines Tages werdet ihr den Engeln Gottes eure Werke zeigen, und diese werden großartig und fruchtbar sein. Amen.