6. Vortrag: Der Gehorsam
Der hl. Paulus sagt in einem seiner Briefe den Gläubigen, er werde ihnen ein großes Geheimnis verkünden. Und man erkennt im folgenden Text, dass er meint, wir alle würden sterben wir alle gerichtet werden. Das Wort Geheimnis versteht sich hier also nicht im gewöhnlich gebrauchten Sinn, sondern Paulus will hier sagen: Ich will euch von etwas reden, was ihr gut versteht, was völlig bekannt und gebräuchlich ist. Und doch habe ich euch darüber Offenbarungen mitzuteilen, die ihr nicht einmal ahnt.
Wenn ich euch heute Abend vom Gehorsam rede, habe ich euch ebenfalls ein großes Geheimnis zu verkünden. Der Gehorsam ist nämlich nicht, was er beim ersten Anblick zu sein scheint. Er ist nicht die einfache Unterwerfung, ein Akt der Abhängigkeit unseres Wollens. Er ist etwas ganz anderes. Man hat gesagt, er sei ein „klösterlicher Glaube“, ganz ähnlich dem theologischen Glauben. Nun ist aber der theologische Glauben eine Tugend, kraft welcher wir an Gott und an alles glauben, was er seiner Kirche getroffen hat. Infolge dessen will er, dass wir nicht bloß unseren Verstand unterwerfen, sondern auch unseren Willen. Die Definition unseres Gehorsams ist aber die gleiche. So wie man kein Christ ohne Glauben sein kann, ebenso wenig kann man Ordensmann ohne Gehorsam sein. Die Wirkungen des christlichen Glaubens entstehen in gleicher Weise aus dem klösterlichem Gehorsam, nur mit noch wunderbareren und hervorragenderen Eigenschaften. Mit unserer Intelligenz unterwerfen wir uns den Glaubensdingen ganz und ungeteilt, unterwerfen die Unabhängigkeit unseres Urteils, unserer Leidenschaften und unserer ganzen Art zu sehen. So müssen wir aber auch den Gehorsam sehen, denn er hat dieselben Wurzeln, dieselben Prinzipien und dieselben Konsequenzen. Auf diesen Gehorsam hat unser hl. Stifter die Heimsuchung gegründet. Sehr viele Beichtväter der Heimsuchung brauchen sehr lange, das zu verstehen. Sie begreifen von der Heimsuchung nichts, weil sie dieses Prinzip nicht ahnen. Franz v. Sales stellt als Grundsatz auf, dass die Quelle der Gnaden in den Seelen, die alleinige und vollständige Quelle, der Gehorsam ist. Gelten denn die Sakramente nicht für die Heimsuchungsschwestern? Natürlich doch. Die Gnade der Sakramente, der Beichte, der Kommunion, wird jeder Seele der Heimsuchung im Besonderen zuteil, je nach ihren Dispositionen. Doch die Sondergnade des Ordenslebens, der Heimsuchung, wird ihr nur aufgrund des Gehorsams zuteil. Auch ich verstand das sehr lange nicht. Und es gibt Beichtväter, die es nie begreifen. Da lernt man junge Beichtväter kennen, die selber die Heimsuchungsschwestern leiten wollen. Das ist ein Irrtum. Die Gnade des Ordens, des Institutes, liegt im Gehorsam und nicht in den Sakramenten.
Dieses Geheimnis ist vollkommen wahr, wenn auch wenig verstanden. Es findet täglich seine Anwendung. Es begründet erst den echten Sinn des Instituts. Was das Leben einer dortigen Schwester ausfüllt, kann sich sehr wohl anderswo auch finden. Woher kommt es dann, dass man anderwärts nicht denselben Geist vorfindet? Woher kann es, dass man während 40Jahren im Kloster von Troyes Tugenden feststellen konnte, die man in allen anderen Klöstern vergeblich gesucht hätte? Welchen Umstand ist dieses Privileg an Heiligkeit zuzuschreiben, das jede dortige Ordensfrau besaß? Einzig und allein dem Gehorsam. Die hl. Kommunion und die hl. Beichte sind für die Heimsuchungsschwestern nicht spezifischer als für die weltlichen Frauen. Merkt ihr, worauf ich hinauswill? Ohne jeden Zweifel muss es für uns wie eine Glaubenssatz gelten, dass die Gnade des Ordenslebens sich durch den Gehorsam mitteilt. So wie die kirchliche Gewalt, Quelle aller Gnaden des äußeren Leitung der Kirche, wie die Jurisdiktion und infolgedessen die ganze Heilsökonomie des christlichen Volkes in unserem Hl. Vater, dem Papst, wohnt und von dort herabsteigt, wenn man so sagen darf, auf die Hirten und Gläubigen, so findet sich auch im Gehorsam der ganze Saft, die ganze Energie und Kraft des Ordenslebens enthalten. Das ist nicht ganz leicht zu verstehen und, vor allem, zu tun. Das meist Gebieterische und Unabweisliche in uns ist unsere Persönlichkeit. Unsere dringendsten Wünsche und wirkmächtigsten Forderungen kommen von unserem Ich in uns. Der Gehorsam ist aber gerade die Vernichtung und Zerstörung (Aushöhlung, Entleerung) dieses (selbstmächtigen) Ichs. Wenn unser Herr beim Anblick der Kanaanäerin ausruft: „Frau, wie groß ist dein Glaube. Dir geschehe, wie du gewollt.“ Wenn der römische Hauptmann, der den Herrn bat, in sein Haus zu kommen, das Wort hört: „Wahrlich, einen solchen Glauben hab ich in Israel nicht gefunden…“ Wie groß ist dann das Verdienst des Glaubens! Ihr wisst, unser Herr hat nie einen Menschen noch eine Tugend gelobt… Hier aber sagt er: „ Frau, groß ist dein Glaube!“ Er bewundert demnach den Glauben dieser Frau. Ebenso bewundert er den religiösen, klösterlichen Gehorsam. Auch zur gehorsamen Seele sagt er: „Dir geschehe, wie du willst.“ Er legt seine Vollmacht in die Hände des Gehorsams. Ihm unterwirft er seinen göttlichen Willen. Der Gehorsam wird von Siegen sprechen. Möge der Gehorsam für euch darum kein Mysterium sein, etwas Vages und Unbestimmtes. Der Gehorsam muss freilich prompt sein, das ist gut. Er soll herzlich sein, ausdauern, sagt die Konstitution. Ja, auch das ist gut. Aber er muss seine Wurzeln noch tiefer in der Lehre verwurzeln, da er einen noch tieferen Sinn hat, den es gut zu erfassen gilt. Wir müssen uns klar werden, dass der Kanal der Gnade, das Mittel zum Erfolg, das einzige Medium der Heiligung, die ganze klösterliche Wirksamkeit einzig und absolut im Gehorsam liegt, Worin soll sie denn sonst ihren Grund haben? Etwa in unserer Tugend? In unseren Talenten? Bestimmt nicht. Sie beruht einzig und allein im Gehorsam. Nur heißt es den Gehorsam so begreifen und so lehren. Lehrt gewiss die religiösen Gemeinschaften den Gehorsam entsprechen ihrer Regeln. Sicher haben andere Orden keinen so radikalen und umfassenden Gehorsam. Es sind eben eher fromme als klösterliche Kongregationen. Und im Übrigen kann das Gelübde des Gehorsams durchaus zusammenbestehen mit Milderungen, vorausgesetzt sie entstellen nicht das Gelübde. Immerhin schwächen diese Milderungen aber stark die Gnade des Gehorsams. Bei uns hingegen muss der Gehorsam seinen vollen Charakter bekleiden. Möge er für uns alles bedeuten, möchten wir durch ihn arbeiten, beten und leben.
Welcher Gehorsam soll aber der unsere sein? Wer gibt ihn uns? Woher kommt er zu uns? Wir gehorchen den Satzungen, dem Direktorium. Etwas später, sobald es fertig gestellt ist, gehorchen wir auch dem Gebräuchebuch, das uns über die Art und Weise aufklärt, wie wir reden, handeln und uns geben sollen. Darin liegt für uns der Gehorsam. Sodann gibt es noch ein anderes Gesicht des Gehorsams, ein vollkommeneres, das ist der Gehorsam gegenüber Menschen. Erster kostet uns zweifellos viel, wir müssen uns abtöten, den Willen, die Neigungen, die Tendenzen der Natur brechen. Sicher aber kostet uns weniger, uns dem Buchstaben unserer Ordensschriften zu beugen, als Personen zu gehorchen. Letzteres ist darum viel vollkommener und unendlich verdienstlicher als der dem Gesetz geleistete Gehorsam, vorausgesetzt, dass wir nicht von Natur aus jemand gern über uns haben, dem wir uns unterwerfen. Besonders demütigend und hart ist es für uns, wenn jemand über uns haben, der nicht mehr Verdienste hat als wir, ja vielleicht viel weniger taugt als wir, der uns in allem gleich ist. Hierin liegt die Vollkommenheit des klösterlichen Gehorsams. Unser Herr bietet uns nichts, um diesen Gehorsam zu erleichtern. Er zitiert keinen Text des mosaischen Gesetzes, sondern sagt einfach: Tut das, lasst das zu. Wenn man seinem Wort glaubt, ruft er aus: Dein Glaube ist groß. Er duldet keine Diskussion. Er will, dass man dem Wort eines Menschen Glauben entgegenbringt, eines Menschen, der geht und isst wie die übrigen Menschen. Über den die anderen übel reden, der als Sohn eines Handwerkers von niederer Herkunft gilt, der auch nicht studiert hat. Gehorcht so, dann habt ihr einen vollkommenen Gehorsam und habt das sicherste und kürzeste Mittel entdeckt, zum wahren und klösterlichen Leben zu gelangen. Die ganze Kraft und Macht des Ordenslebens liegt hierin beschlossen.
Es will mir scheinen, dieses Thema ist diesen Abend hinreichend besprochen worden: Das Wort unseres Herrn, die Lehre des hl. Franz v. Sales, die Erfahrung der hl. Ordensleute vermitteln diesbezüglich eine absolute Gewissheit. Wie aber zu diesem Gehorsam gelangen? Mit Hilfe welchen Mittels erreicht ihr das allerhöchste Ziel, zu dem ihr unterwegs seid?
Der Apostel sagt: Durch das Leiden. „Aus dem, was er litt, lernte er den Gehorsam.“ Jesus lernte also durch das Leiden gehorchen. Wollen wir die Fähigkeit gewinnen, zu gehorchen? Leiden wir ebenfalls! Welches Leiden hat aber stärkere Wirkung als dass wir den erteilten Gehorsam annehmen, wie groß auch der Widerwille dagegen sein mag. Das Leid gebiert die Gnade, und diese ermöglicht die Tugend des Gehorsams. Fürchtet also nicht den Gehorsam, der etwas kostet. Empfindet ihr fast unüberwindlichen Widerstand innerlich, denkt an das Manna in der Wüste, leicht und geschmacklos verglichen mit den Zwiebeln und den Fleischspeisen Ägyptens. Die Israeliten sehnten sich nach den Kochtöpfen der Gefangenschaft zurück. Und dabei fiel jetzt ein köstliches Manna vom Himmel.
Alles ist auch hier präsent: die Gegenwart, die Zukunft des Ordenslebens, es heißt sich entscheiden. Entschlossenheit gegenüber dem Gehorsam: Ich will mich kopfüber hineinwerfen, mich darin verlieren und vernichten und nicht mehr wiederfinden. Wem müssen wir gehorchen? Den Generaloberen der Genossenschaft, das ist selbstverständlich. Den einzelnen Oberen. Das ist schwieriger. Allen, die mit irgendeiner Autorität über uns ausgestattet sind in unseren Ämtern und Pflichten… Der Gehorsam, dem Kleinsten unserer Vorgesetzten erwiesen, ist Gott angenehmer als der höheren und verdienteren Oberen erwiesene. Hier sprudelt eine so sichere Gnadenquelle, dass ihr eine ähnliche anderswo vergeblich suchen werdet. Vor einiger Zeit erzählte man mir folgenden Vorfall: Ein Ordensmann erfährt, sein Vater liege im Sterben, und er lasse ihm ausrichten: Bei Dir möchte ich beichten und aus Deiner Hand die Sterbesakramente empfangen. Kommst Du nicht, verzichte ich ganz darauf. Er bittet also seinen Oberen um Erlaubnis heimzufahren. Doch dieser antwortet: Fahren Sie nicht! Man versteht den Schmerz des gehorsamen Ordensmannes. Am folgenden Tag erhält er einen langen Brief, in dem man ihm mitteilt, sein Vater habe mit einem bewundernswerten Glauben gebeichtet und die Sterbesakramente empfangen, mit erbaulicher Frömmigkeit und Salbung.
Was hat unser Herr gesagt? Habt einen Glauben, groß wie ein Senfkorn. Ein kleines Korn… Mein Herr, was ist schon ein Senfkorn? Aber es wird wachsen und ein mächtiger Baum werden, dass die Vögel des Himmels darin ihr Nest bauen und eine große Zahl von Lebewesen dort Unterkunft und Nahrung holen. Das ist der Gehorsam. Mag er sich auf noch so unbedeutende Akte erstrecken, er ist das Senfkorn. Damit sei er für euch etwas Wichtiges, und das ist er tatsächlich. Wir wollen uns gut merken, dass der Gehorsam der Kanal der Gnaden des geistlichen Lebens ist, und nicht die Sakramente. Er ist eine viel ergiebigere Quelle als diese, ich täusche mich nicht. Gewiss lässt der Gehorsam nicht die Sünden nach und reicht nicht Leib und Blut unseres Herrn. Er erwirkt uns aber die Vollmacht, die Sünde zu bezähmen und Apostel zu werden. Er vermittelt uns das Wort des Herrn, das in uns reden und handeln wird.
Bittet den Herrn Jesus, den großen Meister des Gehorsams, ihr möchtet diese Tugend wohl verstehen, die er 30 Jahre praktiziert hat. Denn als Jüngling wie als Mann gehorchte er, und wem? Einem armen Zimmermann, einer einfachen Frau, die er achtete und ehrte, die aber weit unter ihm stand. Welch schönes Beispiel nachzuahmen. Amen.