4. Vortrag: Das Gelübde der Keuschheit
Heute Morgen sprach ich über die Ordensgelübde und bestand auf der Notwendigkeit, echte Ordensleute zu sein, und das nicht nur in uns, in unserem Herzen, sondern auch in unserem Äußeren, in unserer ganzen Person. Man muss bei unserem Anblick sagen können: das ist ein Ordensmann. Darauf heißt es wohl achten. Das heißt nicht, Sonderlichkeiten an sich zu haben, auch drolliger Manieren bedarf es dazu nicht. Aber immer sollen wir Ehrfurcht und Vertrauen mit uns tragen. Man muss sagen können: das ist ein Mann Gottes. Wo immer wir sind, mit wem immer wir zusammenkommen, wir bleiben Ordensleute. Heute Abend möchte ich Einiges über das Gelübde der Keuschheit sagen.
Es besteht im Versprechen Gott gegenüber, uns der sinnlichen Befriedigungen, vor allem im sechsten und neunten Gebot, zu enthalten. Das Keuschheitsgelübde in seinem weitesten Sinn verbietet alle sinnlichen Genüsse, oder besser, alle Sinnlichkeit, d.h. wir sollten immer bemüht sein, jeden Fehler zu vermeiden, wenn wir uns kleiden, niederlegen, setzen und Schuhwerk anziehen. Also jene Bequemlichkeiten meiden, die sich in der Kleidung, Haltung und Gaumenlust finden können. Mit einem Wort, alles, was die Sinnlichkeit angeht, hat Bezug zu diesem Gelübde.
Darauf gebt wohl acht: Aller Sinnenkult entnervt, vernichtet die Blume und die Zartheit der Seele. Das empfinden die Männer und noch mehr die Frauen im Laienstand sehr. Seid also vor ihnen keusch, gerade auch in diesem äußeren Sinn: haltet euch gerade, steckt die Hände nicht in die Tasche, nehmt beim Sitzen keine weichliche Haltung vor Frauen ein. Ein Oblate sollte sich immer vor Frauen ein bisschen Gewalt antun, das gelte uns als Regel. Macht es euch nie vor euren weiblichen Beichtkindern und überhaupt vor Frauen bequem. „Castitas“ und „castanea“ haben dieselbe Wurzel: die Kastanie lässt sich aber nicht berühren (wegen der Stacheln). Wir, die wir im Blickfeld stehen, vor allem durch unsere Seelsorge bei Frauen und Mädchen, sollten uns erinnern, dass wir vor ihnen stets vor Oberen, Bischöfen und Päpsten sein sollen. Warum dies? Weil unsere Haltung von Anfang an verrät, ob wir keusch sind, und das dient der Erbauung. Eure Haltung wird euer weibliches Gegenüber an ihre Pflicht erinnern, wird ihr Vertrauen, Ehrfurcht und Frömmigkeit einflößen. Auf diese Weise predigen wir durch unser Äußeres. Auch unser Herr wurde Mensch, hauptsächlich um nach den Worten des hl. Paulus, durch seine Bescheidenheit die Menschen zu beeindrucken. Die Gnade seines Leibes kann sich allen Christen mitteilen. Die göttliche Salbung, die in ihm ausgebreitet war, weil er Gott ist, kann und soll auch auf uns übergreifen.
Die Zeitschrift der Jesuiten veröffentlicht zurzeit eine sehr fesselnde Arbeit über die hl. Menschheit unseres Herrn, über seine Größe, sein Antlitz. Darüber sagen die hl. Kirchenlehrer schöne Gedanken, Augustinus und vor allem Chrysostomos. Daraus erhellt, dass der Gott-Mensch in sich, in seiner Menschheit eine machtvolle Tätigkeit der Bekehrung und Heiligung ausübt bei allen, die ihm nahekommen. Chrysostomos sagt bei der Erklärung der Wort des Apostels sehr schöne Dinge: Bekleidet euch mit unserem Herrn. Das ist ein prächtiger Mantel, da es ja der Mantel Gottes ist. Werft ab den Mantel der Eitelkeit und bittet den Menschensohn um seinen Mantel. Dann seid ihr nicht mehr, was ihr jetzt seid, sondern ihr werdet Götter sein. Was Chrysostomos hier im Redestil sagt, enthält beste Theologie. So muss auch unser Leib die Gnade in sich tragen, wie es unser Herr tat. Wie soll er das aber, wenn wir nicht keusch, in unserer Haltung nicht zurückhaltend sind, sondern wie alle uns benehmen, wenn es bei uns also keine „castanea“ gibt? Das wäre furchtbar, eine schwere Sünde, sich bei Frauen gehen zu lassen. Sobald sie den Mann spüren, spüren sie nicht mehr Gott. Bei Männern mag das etwas anderes sein. Aber auch hier wahren wir die Bescheidenheit, die gerade und einfach dahin schreitet und bewirkt, dass wir uns allzeit für die anderen etwas Zwang antun. Wir tragen einfache, natürliche, herzliche Manieren zur Schau, die gute Erziehung verraten.
Diesen Überlegungen bezüglich des Keuschheitsgelübdes sollten wir größte Bedeutung beimessen. Ihr könnt unmöglich in der Außenwelt ohne Unsegen erscheinen, wenn ihr nicht in euch und auf euren Zügen das Bild unseres Herrn, unseres Modells, tragt. Sind eure Haltung, eure Gesten und Manieren nicht keusch, d.h. nicht christlich, lasst ihr euch gehen, dann zeugt das nicht von Ordens-, und vor allem nicht von Oblatengeist. Trappisten kann man erlauben, sich zu entspannen und zu verschnaufen. Sie schlafen auf harter Erde, essen nur das Nötigste, und die Gerichte, die sie zu sich nehmen, liegen ihnen schwer im Magen. Auch Kapuzinern kann man Zugeständnisse machen. Sie haben viele andere Gelegenheiten, sich abzutöten. Wir haben sie nicht. Eine der großen Vorbedingungen der Keuschheit ist es, sich in seinen Beziehungen zu wem immer, nicht Gefahren auszusetzen, und sich so Bitterkeiten, Beschämungen und Reue zu ersparen.
Mit welchem Mittel widerstehen wir den Versuchungen gegen die Keuschheit? Alle Gottesgelehrten empfehlen das Gebet. Einverstanden. Aber genügt das? Ist es in jedem Fall ein sicheres Mittel? Nein, es gibt welche, denen man es direkt abraten muss, um sie vor zusätzlichen Versuchungen zu bewahren. Das erste Mittel ist vielmehr, sich dem Beichtvater zu eröffnen. Bei der ersten leisen Versuchung legen wir ihm alles dar, sagen ihm alles, und dann haben wir unsere Ruhe. Kehrt die Versuchung zurück, so sagen wir auch das, und wir werden vor einem Fall bewahrt bleiben. Seien wir also wachsam: Tiefe Fälle, große Unglücksfälle kamen davon, dass man das Geheimnis wahren wollte vor seinem Beichtvater. Schreckliche Selbsttäuschungen und kaum glaubhafte Selbstbeschwichtigungen haben sie in die Irre geführt: Was ich da tue, ist doch nicht schlimm, bis jetzt habe ich keine Sünde begangen, und ich habe auch nicht die Absicht, je eine solche zu begehen… Der Teufel ist listiger als Du. Du merkst nicht, dass er wie eine Spinne sein Netz auswirft und den Faden immer enger zieht. Zum Faden fügt er einen zweiten, und du wirst darin gefangen. Seid vor allem misstrauisch gegen jene natürlichen Schwächen, dass man sich von Sympathie zum schönen Gesicht eines Jungen, von seinem Blick, seinem Lächeln einnehmen lässt… Derlei Dinge können zu großen Erbärmlichkeiten führen, die umso schlimmer sind, weil niemand sie uns verzeiht, und weil sie den Weg freimachen zu jeder Art von Beschämung und Rache. Davor müssen wir uns fürchten, darum bitte ich euch. Und dann: Man kann es nicht abschätzen, es hat keinen Namen. Es ist eine unwürdige Schwäche.
Selbst das Gebet, ich sage es noch einmal, ist oft nicht imstande, von diesem Abgleiten in den Abgrund abzuhalten. Hingegen ist die Eröffnung des Herzens, die Offenlegung der Seele und ihrer Neigungen, die Offenbarung der Versuchungen und ihrer Einflüsterungen das Hauptmittel gegen den Fall. Dadurch vermeidet ihr die immer tiefen und unverzeihlichen Fälle. Ihr vermeidet das Ärgernis mit seinen so peinlichen Schrecken. Alle anderen Ärgernisse verzeiht die Welt, diese nie. Die menschliche Gerechtigkeit, oft leider vorgestellt durch Menschen, die selbst nicht immer sehr moralisch sind, lässt nie eine Leichtigkeit der Materie zu in solch einem Fall. Die kleinste Unklugheit, das geringste Sichgehenlassen zieht schauderbare Folgen nach sich, ja einen europäischen Wiederhall.
Fürchtet euch davor, meine Freunde: „Flieht vor dem Angesicht der Schlange.“ Sobald ihr die Schlange unter den Blättern hervorkriechen seht, ergreift die Flucht. Sobald der Teufel nur einen Schritt näherkommt, nehmt eure Zuflucht zum Gehorsam, zum Vertrauen in den Beichtvater. Um uns davon zu überzeugen, genügen in der Tat die schrecklichen Beispiele, die mitunter vorkommen. Offenbart ihr euch aber nicht, dann hält euch der Satan Hände wie Füße gebunden. Dem offenen Tageslicht widersteht er nie. Genügen nun als vorbeugende Mittel das Gebet und die Offenheit dem Beichtvater gegenüber? Nein, es gibt da manchmal furchtbare Schwächen, fast unwiderstehliche Versuchungen… Wie mit ihnen fertig werden? Wenn ihr viel betet, erregt das mitunter eure Phantasie noch mehr. Eröffnet ihr euch dem Beichtvater, so bringt auch dies nicht immer den gewünschten Erfolg hervor. Was also tun? Unser hl. Stifter gibt uns das Mittel an die Hand. Er sagt: „Wir tragen in uns ein starkes Bedürfnis nach Liebe. Aus dieser Quelle kommen fast alle Handlungen, die wir vollziehen und die die Menschen auf dieser Welt vollbringen. Diese Liebe bewirkt, dass der Weg des Menschen entweder zum Leben oder zum Tod führt. Der Mensch liebt sich selbst, liebt, was ihm gefällt, was ihm Befriedigung einbringt. Das dürfen wir uns nicht verheimlichen: Wir drehen uns nun einmal um unser liebes Ich und gehen über unsere eigene Person nicht hinaus. Muss eure Liebe dahin ausgerichtet sein?“ Hört unseren hl. Stifter, wie er uns sagt, dass wir nur für unseren göttlichen Bräutigam leben, ein- und ausatmen sollen. Unser Herz sollte in einem Maße auf ihn ausgerichtet sein, die Verbindung mit ihm sollte eine so starke Gewohnheit sein, dass diese Liebe uns ganz und gar ausfüllt und befriedigt. Dann aber braucht das Herz nichts anderes mehr. Denn da, unser Schatz ist, ist auch unser Herz. Zielt die Liebe dahin, wohin sie zielen soll, so klopft die Versuchung vergebens an der Tür unseres Herzens, sie bekommt keinen Einlass. Das große Mittel also, keusch zu sein, ist die Frömmigkeit.
Wie soll in solch einem erbarmungswürdigen Leib ein vollkommen reines Herz wohnen, wenn kein Strahl der göttlichen Liebe, wenn keine göttliche Gnade es entflammt und in Beschlag nimmt? Betrachtet die Heiligen Welches sind die… (Anm.: Hier fehlt das Wort im Text) und die keuschesten? Es sind jene, die unseren Herrn am meisten geliebt haben: Aloysius von Gonzaga, Franz von Assisi, Franz von Sales, Karl Borromäus. Ihre große Keuschheit, ihre erlesene Reinheit kam allein aus ihrer großen Gottesliebe. Unsere Gute Mutter Maria Salesia, ich sage es hier feierlich – und ich weiß das nicht aus ihrer Beichte – hat ihr ganzes Leben die Taufunschuld bewahrt. Wem oder was verdankt sie diese große Auszeichnung? Ihrer Liebe zu Gott, ihrer Frömmigkeit eines kleinen Kindes und später ihrer innigen Vereinigung mit unserem Herrn. Die Gottesliebe ist also ein starkes Mittel, die Keuschheit zu bewahren. Und wer soll unseren Herrn denn lieben wenn nicht wir? Wozu arbeiten, zu welchem Zweck? Wer könnte uns mit mehr Gnaden und Gunsterweisen überhäufen als er? Ich wüsste nicht…
„Die Segnungen des Himmels kommen von Oben… und aus dem Fett der Erde.“ Die Segnungen von Oben kommen in Fülle über uns, der Tau des Himmels wird uns durchdringen. Die Erde gibt dem Himmel den Widerhall zurück. Sprechen wir uns also Mut zu und verharren wir unverbrüchlich auf diesem Weg, der der richtige ist. Weihen wir unser Herz der Liebe Gottes, der hl. Jungfrau, der Liebe zu allen heiligen Dingen. Das ist das einzig wirksame und umfassende Mittel, die Keuschheit in uns sind wir ja sicher. Er schenkt uns große Privilegien… Niemand hat (zu seinen Lebzeiten) seine Tugend in Zweifel gezogen, niemals konnte man etwas gegen ihn vorbringen. Als er mit der Samariterin sprach, wunderten sich die Apostel, ihn mit einer Frau im Gespräch zu finden, doch wagte keiner etwas zu sagen. Das ist unser Vorbild, unser Meister, der uns alles geben wird, was wir brauchen, um keusch zu bleiben. Wir wollen ihn darum bitten.