2. Vortrag: Die innere Abtötung – der Geist der Demütigung und des Gebets.
Was ich euch sagte, dass wir nämlich stets mit uns die Abtötung unseres Herrn im Äußeren herumtragen sollen, ist nicht vollständig. Gewiss sollen wir alles willig annehmen, was gegen unseren Geschmack, gegen Neigung und Gefühl ist. Auch ist es nötig, dass unsere Abtötung sich auf den Nächsten ausdehnt in einer echten Nächstenliebe. Auf zwei Aspekte muss sich diese Nächstenliebe erstrecken: 1. dass wir uns selbst jederzeit zu Gunsten der anderen einschränken, und 2. dass wir die anderen erbauen. Jeder von uns sollte bei all jenen, mit denen er zu tun hat, ein Gefühl religiöser Hochachtung und Frömmigkeit hervorrufen. Um diese Wirkung hervorzubringen, genügt aber das Äußere allein nicht, es muss noch etwas anderes dazukommen. Unser hl. Stifter will, dass unser Äußeres ganz einfach und natürlich sei, dass man nicht nach dem Äußeren allein urteilen könnte, ob wir gut oder schlecht, geistlich oder weltlich, gütig oder mürrisch sind. Gewiss sollte unser Äußeres nicht blass und nichtssagend sein, denn das bedeutet nicht das Wort unseres Stifters. Vielmehr sollte es, nach unserem Herrn gestaltet, aussagen, ob Jesus in uns lebt, ohne dass wir das selbst sagen müssen. Unsere Seele also male unseren Zügen und unserem ganzen Sein das auf, was wir sind, oder besser, was wir sein sollen. Dazu bedarf es zweierlei Dinge: den Geist der Demütigung und den Geist des Gebets.
Der Geist der Demütigung: Eines Tages beichtete ich auf der Reise bei einem Pfarrer von Savoyen unweit des Dorfes Echelles. Diesen Pfarrer traf ich in einem blauen, kurzen Leinenhöschen mit brauner Weste auf dem Kopf, wie er eben aus dem Dickicht des Waldes heraustrat. Ich schwor mir, bei einem ähnlichen Pfarrer nicht mehr zur Beichte zu gehen. Vielleicht klagte ich mich eines Mangels an Demut an. Jedenfalls unterbrach er mich mit der Bemerkung: „Mein Freund, Sie brauchen weniger die Demut, als die Demütigung.“ Ein Doktor der Theologie hätte es mir sicher nicht so treffend gesagt. Ich wunderte mich, wie Gott mir durch den Mund dieses seines Dieners in seinem lächerlichen Aufzug die Wahrheit mitteilte. Das war nämlich eine tiefe Philosophie und bestimmt das, was mir nottat. Das ist aber auch das, was wir alle brauchen. Wir müssen in uns jene Gesinnung schaffen, die ich nicht Demut nennen möchte, sondern Demütigung (im Sinne einer Selbstverdemütigung). Die Demut ist recht schwierig zu definieren. Lest nur bei den Vätern des geistlichen Lebens nach, dann erkennt ihr, wie schwer es ihnen fällt, die Demut zu erklären. Die beste Definition ist immer noch jene, die sagt, die Demut sei die wahre Erkenntnis unserer selbst. Und das bekanntlich ist schwer, sich selbst zu erkennen. Demütigung ist dagegen viel leichter zu verstehen. Wir haben alle möglichen Beweggründe, die Demütigung zu lieben: zunächst unsere Sünden. Was wir seit unserer Taufe begangen haben bis zur ersten heiligen Kommunion, dann von dieser bis zur Priesterweihe, und schließlich von dieser bis zum heutigen Tag. Wer ist der, der angesichts seines ganzen Lebens nicht die Schamröte auf die Stirn steigen fühlt? Warum sollten wir also nicht in dieser Demütigung leben? Gewiss hat Gott uns verziehen. Dennoch haben wir diese Sünden begangen. Gott mag sie vergessen haben. Wir sollen aber nicht vergessen. Wer hat diesen Fehler, diese Sünde, diese beschämenden Verstöße begangen? Leben wir doch in der Erinnerung an sie, leben wir also auch in der Demütigung aufgrund unserer Sünden.
Das ist nicht nur ein Rat, den ich da gebe. Das ist ein Weg, den ich zeichne. Dieses Bewusstsein unserer Niedrigkeit wird in uns jene Gesinnung erhalten, die uns zur Liebe führt, von der ich heute Morgen sprach. Zur Liebe und Gefälligkeit dem Mitmenschen gegenüber. Die Verdemütigung, die wir in uns tragen, wird uns immer an die begangenen Sünden erinnern, selbst wenn unser Gewissen davon nicht mehr belastet wäre. Wer die Strafe menschlicher Gerechtigkeit in der Finsternis der Kerker zu ertragen hat, angekettet an eine Zuchthauskette oder gar auf dem Schafott, und das nur für den Fehler eines Augenblicks, vielleicht eines Moments, der ist für immer gedemütigt und entehrt. Wir sollten uns darum nichts einbilden auf die Situation, die wir uns Gott gegenüber geschaffen haben, auch vor den Engeln und Menschen, die doch unsere Fehler kennen. „Dennoch gedenke er seiner Lage“, oder wie es in der hl. Messe heißt: „Im Geist der Demut und mit zerknirschtem Herzen.“ Ja, unsere Sünden sind zahlreich und entwürdigend, sowohl jene, die unserer Leidenschaft entspringen, wie jene, die eine Folge eines verkehrten Charakters, einer Schwäche oder Feigheit der Seele sind. Und glaubt ihr nicht, dass wir in unserem tiefen Inneren eine lebhafte Verdemütigung verspüren, wenn wir uns derlei Gedanken vor Augen halten.
Nicht nur unserer Sünden sollten wir gedenken, sondern auch unserer Fahrlässigkeiten, charakterlichen Verschrobenheiten und lächerlichen Eigeneiten. Unsere Fehler haben immer irgendeine Leidenschaft als Quelle. So z.B. ein Fehler der Eigenliebe, woher kommt er denn? Aus Eifersucht? Aus einem Mangel von Ehrlichkeit, Geradheit und Stolz etwa?
Die Fehler. Wer hat keine Fehler? Würden wir sie doch mit Hilfe der Gewissenserforschung untersuchen! Würden wir sie doch denen, die uns kennen, die uns umgeben, ehrlich und herzlich offenbaren: Werft in die Urne, was ihr an mir an Fehlern feststellt! …Glaubt ihr nicht, man fände so eine stattliche Zahl? Unter unseren Fehlern kennen wir einige ganz gut. Andere würden uns, wenn wir sie entdeckten, kränken. Wieder andere würden wir nie zugeben, obwohl sie vorhanden sind: „Von meinen verborgenen Fehlern reinige mich.“ Hätten wir mit dieser Gewissenserforschung nicht das Mittel in der Hand, zerknirscht zu werden und unsere Seele Gott gegenüber in die Verfassung zu versetzen, die die geistlichen Schriftsteller so dringend anraten? Dahin zu gelangen, dass wir von uns loskommen und uns mit Gott vereinigen?
Da die Exerzitien die „Form des Lebens“ sind, müssen während des ganzen Jahres darüber oft unsere Betrachtung machen. Das seien nicht nur vorübergehende Überlegungen, sondern eine bleibende Gewohnheit. „Damit aber, Herr Pater, zerstören Sie jede Selbstbetätigung unseres Charakters. Sie werfen Unsicherheit und Furchtsamkeit hinein…“ Sicher nicht. Der stärkste Charakter und die hochherzigste Seele ist jene, die in dieser Gedankenwelt lebt, die wahr ist gegen sich selbst, gegen den Mitmenschen und die Gläubigen. Wenn es darum geht, seine Liebe zu Gott unter Beweis zu stellen, seine Liebe zum Nächsten, seine Hingabe für die Seelen. dann werdet ihr sehen, inwieweit diese Seele bereit ist, weil sie in der Wahrheit lebt.
Es ist das Wort des Lieblingsjüngers: Wenn ihr eure Sünden bekennt, ist das Leben Gottes in euch, weil ihr euch nach Ihm ausrichtet. Bekennt ihr sie nicht, und leugnet ihr, dass ihr Sünden habt, so seid ihr Lügner und die Wahrheit ist nicht in euch, Gott hat mit euch nichts zu schaffen… Hier liegt die höchste Kraft, die stärkste Energie für uns beschlossen. Das ist die Grundlage, hier bereitet sich und entwickelt sich alle Aktivität, von hier nimmt sie ihren Ausgang. Macht die Probe darauf. Tragen wir also in aller Demut unsere Fehler, Sünden, Verkehrtheiten und Armseligkeiten. Möge diese Selbstverdemütigung unser treuer Begleiter sein.
Franz v. Assisi sagte: „Ich habe die Armut zur Braut gewählt.“ Eines Tages stieg ich den Kalvarienberg hinauf und erbat vom Herrn Jesus die Braut, mit der ich mein Leben verbringen sollte. Jesus blickte mich an und sagte: „Vermähle Dich mit der Armut!“ Franz von Assisi tat es, und aus dieser Verbindung erwuchs eine immense Familie, die seit dem 12. Jahrhundert die Welt erfüllt und sich auch heute noch ausbreitet, in unseren unglückseligen Zeiten ebenso zahlreich wie damals. Wir hingegen, meine Freunde, wir vermählen uns mit der Selbstverdemütigung. Sie wird ebenso fruchtbar sein wie die Armut. Sie wird Mutter einer vielleicht ebenso zahlreichen Familie werden, jedoch einer, die dem Herrn Jesus sicherer noch teurer ist als die Armut. Tragen wir daher in uns diese Selbstverdemütigung, die sich als feste Gewohnheit auf alle Akte unseres Lebens erstrecken soll. Dieser Geist der Demut sollte in uns ebenso herrschen wie der Geist des Gebetes.
Das Direktorium, meine Freunde, ist die große Schule des Betens, das nicht allein mit den Lippen formuliert wird, oder mit dem Herzen, oder in Gedanken, das die Erhebung eines Augenblicks der Seele zu Gott, also eine vorübergehende Vereinigung mit Gott. „Man muss immer beten!“ Wie sollte man denn immer mit den Lippen oder dem Geist beten können? Durch das Direktorium! Da kommt unsere Seele in einen unaufhörlichen Austausch und Umgang mit Gott, ein Gebet des Willens, der Tat wie des ganzen Wesens. Das ist die wahre Lehre und reine Theologie bezüglich des Direktoriums, eine nicht abreißende Folge von Liebesakten, vollstreckt für Gott. Hier ist unser ganzes Leben in Beschlag genommen. Unsere Hände, unsere Augen, unser Herz, alles ist beschlagnahmt, alles gehört da Gott.
Und bedenkt es wohl, meine Freunde, so denken die Gläubigen von den Oblaten: es sind Männer des Gebetes, und ihr Gebet hat Macht über Gott. Allein seid ihr nichts, seid von gestern, seid wertlos auf allen Gebieten. Ich behaupte jedoch, dass man sich nach meiner Meinung dem Gebet keines Ordens so viel empfiehlt wie uns. Da täuscht man sich aber, damit hat man Unrecht… Jawohl, einverstanden, vorausgesetzt, dass wir uns nehmen in dem, was wir aus uns sind und sind im Geist unserer Genossenschaft, dann hat man tausendmal recht. Ich habe bislang niemand, wer es auch sei, kennengelernt, der sich dem Gebet der Kongregation nicht empfohlen hätte. Unnütz, Beispiele anzuführen, ich käme an kein Ende. Doch einen Namen möchte ich nennen, den des Bischofs von Basel, Exzellenz Fiala, den och auf meiner letzten Reise einige Monate vor seinem Tod traf und den ich um seinen Segen bat für uns und unsere ganze Gemeinschaft. Er erteilte ihn mir, dann faltete er seine Hände und sagte: „Herr Pater, versprechen Sie mir, mir jeden Tag bei der hl. Messe zusammen mit den Gebeten Ihrer Genossenschaft Ihren Segen zu schicken.“ Auch in Rom sah ich keine einzige hervorragende Persönlichkeit, die mir nicht mit tiefem Vertrauen gesagt hätte: „Lassen Sie ihre Patres für mich beten!“ Sämtliche Heimsuchungsklöster, mit denen wir in Beziehung stehen, haben nicht verfehlt, mir lange Seiten zu schreiben und sich den Gebeten unserer Patres zu empfehlen. Und gerade das fühlt man dabei so stark, dass das nicht leere Redewendungen sind, sondern ehrliche Überzeugung, ein Akt des Glaubens und des Vertrauens in die mächtige Wirksamkeit eurer Gebete.
Wir müssen darum Männer des Gebetes sein und für alle jene beten, die sich uns empfehlen. Wir nehmen diese Bitten nicht für bloße Höflichkeiten. Wir wollen ihnen das geben, was sie von uns erbitten. Ich hatte diesbezüglich eine Liste aller Gebetsbitten aufstellen lassen, die in der letzten Zeit an uns gerichtet wurden. Sie ist so lang, dass ich sie hier nicht vorlesen kann. Unsere Gemeinschaft aber möge dies zur Kenntnis nehmen. Zahlreiche Klöster der Heimsuchung wie des Karmels empfehlen sich herzlich den Gebeten der Oblaten während dieser Exerzitien. Man ist überzeugt, dass wir gerade während der Einkehrtage viel beten, Männer des Gebetes sind, man vertraut auf uns. Die Gabe des Gebetes ist für uns tatsächlich eine wesentliche Gabe, so wir unsere Sendung wohl verstehen wollen. Und diese Sendung erfüllen wir trefflich durch das ständige Gebet des Direktoriums, durch jenen immerwährenden Aufstieg unseres Willens zum göttlichen Willen, der ein Gebet ohne Ende ist.
Pflegen wir wohl diesen Geist des Gebetes. Tragen wir ihn in uns beim Kommen und Gehen, bei allen einzelnen Übungen. Habt ihr dies treu durchgeführt, dann betrachtet einmal die Seelen, mit denen ihr Umgang habt, und seht nach, was ihr ihnen geschenkt habt. Diese letzten Tage machte ich einen Versehgang zu einer armen Frau, die seit ihrer ersten hl. Kommunion abständig gewesen war. Sie hat eine tiefgläubige Tochter, die sie auf einen guten Tod vorbereitete. Neulich brachte ich ihr die hl. Krankenzehrung. Ich kann hier beteuern, dass ich ganz eingehüllt war vom Duft des Gebetsgeistes, den ich bei dieser Frau vorfand. Woher kam ihr dieser Geist des Betens? Es war etwas anderes als die Gnade der Sterbesakramente. Ihre Tochter nimmt an unseren „Werken“ teil und lebt von diesem Leben des Glaubens und Betens, der unser Leben bestimmt. Und diese Gabe hat sie an ihre Mutter weitergegeben. Die arme Frau konnte sicherlich gläubig die hl. Sakramente empfangen und alle Bedingungen erfüllen, die die Theologie zum guten Empfang stellt. Doch der Geist des Gebetes entfaltet sich in einer Seele nicht auf einen Schlag. In einer Seele, die das Gebetsleben nicht gepflegt und diese Gewohnheit erworben hat. Wurzeln wir den Geist des Gebets fest in uns ein, dann werden wir die Früchte sehen, die er in den Seelen bewirken wird. Ich erhalte von P. Simon, von den Patres und Schwestern aus Afrika Briefe, aus denen man ersieht und spürt, wie sie diesen Geist ihren Schutzbefohlenen mitteilen auf eine so kraftvolle und liebliche Weise, dass man beim Lesen ihrer Berichte ganz gerührt ist, indem man meint, den beschriebenen Szenen selbst beizuwohnen.
Ja, ich beschwöre euch, nährt euch den Geist des Gebetes durch eine einfache, aber starke Aufmerksamkeit auf das, was ihr zu tun habt. Betet auch durch alle Bewegungen eures Leibes und eurer Seele, indem ihr überall Gott seht und alles für ihn tut. Dieses Gebetsleben sei euer eigentliches Leben. Erlaubt mir, dass ich beständig dasselbe wiederhole: Teilt diesen Geist den anderen mit, und das tut ihr unfehlbar, weil er ja euer Wesensgrund ist. Macht während der Exerzitien die Selbstverdemütigung zu eurer Wesensform. Der gute Pfarrer hat mir gesagt, dass uns das nottut, und er hat recht. Demütigen wir uns sehr vor der Menge unserer Fehler, Erbärmlichkeiten und Beschämungen. Dann müssen wir all das benutzen, um den Geist des Gebetes in uns zu fördern, so stark, dass, alles in uns betet und bei der Berührung mit anderen wir auch sie zum Beten bringen. Welch eine große Gnade, wenn der Herr durch seinen Segen diesen doppelten Geist in uns legt. Ja, Herr, du allein kannst dies bewirken. Gib uns, Vater, deinen zweifachen Geist. Jenen, den der Prophet (Elischa) von seinem himmelfahrenden Vater (Elija) erbat. Darum bitten wir dich, Erlöser Jesus Christus. Gewähre ihn uns. Denn auch wir sollen die Menschen evangelisieren und deinen Namen vor die Nationen tragen, dass sie dich loben, anbeten und lieben, Herr Jesus Christus, während der Zeit und der Ewigkeit. Also sei es!