Exerzitienvorträge 1887

      

9. Vortrag: Der Oblate.

Wir beendigen unsere Exerzitien morgen, Sonntag, um 12 Uhr 30. Mehrere unserer Patres haben eine Seelsorge in den Werken, das gäbe sonst eine auseinandergerissene Sache. Heute Abend wird die Ordnung der morgigen Übungen bekannt gemacht.
Während dieser Einkehrtage konnte ich euch verschiedene Punkte zu überlegen geben über unsere Pflichten, über die Praxis unserer Berufung. Heute Morgen möchte ich diese Gedanken zusammenfassen, indem ich euch das Portrait, den Umriss eines Oblaten zeichne. Jeder Orden hat seinen spezifischen Charakter, seine eigene Physiognomie, es ist unbedingt nötig, dass auch wir unseren Charakter, unsere Physiognomie, unser eigenes Gesicht haben. Das Leben der Guten Mutter, die Vorträge, die euch gehalten wurden, müsste euch ins Bild setzen, was ihr Oblaten darstellen sollt. Euch eine gewisse Kenntnis und einen hinreichend deutlichen Begriff geben, dass ihr gute Ordensleute werden könnt. Aber es scheint mir notwendig, noch einmal in einem eigenen Vortrag darauf einzugehen, damit sich jeder darüber Rechenschaft ablegt, was er sein muss. In der Kirche Gottes war es der Beweggrund und das Ziel der religiösen Orden, eine bestimmte Tugend des Herrn nachzuahmen: seine Selbsterniedrigung, seine Armut, seinen Seeleneifer, seine Liebe. So hatte jeder Orden sein eigenes Gepräge, weil jeder seine eigene Tugend verwirklichen wollte. Das hat einen großen Vorteil, es verleiht Ordnung, Lebendigkeit und Kraft. Auch in einer Armee gibt es verschiedene Armeekorps, verschiedene Waffengattungen: Die Infanterie, die Kavallerie, die Artellerie, verschiedene Kategorien, die Energie und Lebenskraft entfalten.

Was sind wir also, wir zuletzt Gekommene? Was war die Prophezeiung unseres hl. Stifters auf dem Sterbebett? Er sagte, man werde eines Tages sehen, wie seine Gedanken in gewissen Priesterseelen, die mit einer besonderen Kraft ausgestattet sein werden, Wirklichkeit und Fleisch annehmen. Er sagte, eine gewisse Zahl von Priestern, in deren Herzen die Liebe brennt, werde die Pläne, die er für das Heil der Seelen hegte, ausführen. All das vertraute er seinem Beichtvater an, der dies bezeugt hat.

Schwester Maria Genofeva hatte seit über zwanzig Jahren Erleuchtungen über diesen Punkt. Sie sah unseren hl. Stifter im Himmel überaus eifrig mit einer ganz neuartigen, ungemein fruchtbaren und überströmenden Mission beschäftigt. Lest schließlich das Leben der Guten Mutter, und ihr werden erkennen, dass die Oblaten eine ganz besondere Sendung haben. Um welche Sendung geht es da? Gott allein kennt die Zukunft. Die Gute Mutter sagte, wir würden über die ganze Erde gehen, um das Heilswerk unseres Herrn zu vollbringen, um ihn darzustellen. Sie sagte, diese Sendung habe einen ganz eigenen Charakter, ihre Aktion sei machtvoll und ganz von Liebe zu den Seelen geprägt. Alles, was wir für dieses Gotteswerk täten, sei wirklich das Werk Gottes und nicht das von Menschenhänden. Gott interveniere da persönlich und nicht unsere menschliche Willenskraft. Das ist in groben Zügen, was die Gute Mutter für die Oblaten entworfen hat.

Um dieses Ziel zu erreichen, welches ist die Rolle des Oblaten Gott gegenüber? Ihm gegenüber bedarf es des Großmutes bis zum Tod. Es heißt, treu sein und lieben bis zur Vollkommenheit der Liebe, indem wir den im Direktorium vorgezeichneten Weg gehen. Wir gebrauchen keine großen Worte, wir rühmen uns nicht einer großen Erfahrung mit den Seelen, reden auch nicht ständig von Apostolat, Hingabe und Martyrium. Dieses Vokabular kennen  wir nicht. Unser einziges Mittel ist ein ungeteilter und vorbehaltloser Großmut gegen Gott ohne große Taten oder Worte. Was ist letztlich das Martyrium? Gottes Gnade, die in diesem allerhöchsten Augenblick die Kraft zur Treue verleiht, wie man vorher in den kleinen Dingen sich treu erwiesen hat. Das ist so wahr, dass die Theologie verbietet, sich zu fragen: Hätte ich den Mut gehabt, das Blutzeugnis zu bestehen? Sie will nicht, dass wir uns einen ganz übernatürlichen zukünftigen Akt vorstellen, wenn wir gegenwärtig diese notwendig übernatürliche Gnade noch nicht haben. Dafür legen wir einen ganz großen Mut an den Tag für die Erfordernisse der klösterlichen Observanz, für die Führung der Seelen, für die Erziehung, und lehren auch eine ganz andere Art zu handeln, diesen Großmut, der auf die eigenen Neigungen verzichtet, um die Gnade ungehindert wirken zu lassen. Der Oblate ist in der äußeren Erscheinung und in sich selbst nichts. Sein ganzes Sein und Handeln besteht darin, dem göttlichen Willen im gegenwärtigen Augenblick zu entsprechen. Was war die Gute Mutter? Eine Heilige von Kindheit an. Wie gelangte sie dahin? Indem sie jeden Augenblick ihre natürliche Neigungen bezähmte und den aktuellen Willen tat. Ich habe sie niemals angetroffen, dass sie Gott etwas verweigerte. Ist aber das nichts? Ist das Schwäche? Nein, das ist alles, ist Heroismus. Der Soldat ist ein Held, wenn er beim Angriff stirbt. Da übt er heldenmütigen Großmut. Der Ordensmann vollbringt in jedem Augenblick einen Widerwillen und seine Leidenschaften. Und auf dem Gipfel all dieser Überwindungen pflanzt er die Siegesfahne. So wird er der Herr der Situation. Das ist doch etwas Großes. Darin liegt der Wesenscharakter des Oblaten. Das ist doch nichts Kraftloses und Fades, sondern eine Folge von Akten von äußerster Energie und ständig wiederholter Hochherzigkeit. Das ist unsere Aufgabe: In allem großmütig sein gegenüber Gott. Es bedeutet Opfer, auf diese Weise seinen Unterricht zu erteilen, in dieser und jener Lage zu gehorchen.

Gehorcht also, schlagt eine Breche in euren Widerwillen, lasst nie darin nach und erringt schließlich den Sieg! Bleibt immer bereit, immer in Aktion. Das ist unsere Regel, zu der wir berufen sind, unser Kapitel, unser Leben. Ihr leidet, fühlt euch krank, abgearbeitet, man bezweifelt eure Behauptung, demütigt euch, man schiebt euch ab, was weiß ich noch… Nehmt alles an, heiligt es, erhebt es auf das Niveau Gottes, auf das Niveau eurer Berufung. Ohne Liebe zu Gott und zu den Menschen stellt das alles nichts dar, „scheppernde Zimbel“, frustrierte Handlungen, leere Worte, herzloser Klang, Geräusch.

Die Liebe belebt dies alles. Wie weit soll sich diese Liebe erstrecken? Fragt unseren Herrn! „Bis zum Tod.“ Aber, sagt ihr mir vielleich, solch ein Gefühl kenne ich nicht. Gott hat mir ein Herz gegeben, das seiner Natur nach nicht zur Liebe neigt. Das macht nichts: Der das Gute tut – das ist die Erkennungsmarke. Bringt also gute Wirkungen hervor! Wenn Gott euch das Gefühlsmäßige nicht gegeben hat, ist es nicht schlimm. Das Tun ist entscheidend. Unser hl. Stifter sagt es oft: Wenn ihr das Gefühl nicht habt, so habt ihr wenigstens das Wort: Sagt also Gott, dass ihr ihn liebt. Und dann, es lebt im Grund eures Lebens ein Wille, Gott zu gehören und ihn zu lieben, und dieses Wollen, wäre es auch von allem Stimmungsvollen entblößt, hat Gott selbst in uns gelegt und ist etwas Heiliges. Es ist das aktivste Element und eine unwiderstehliche Kraft im Werk unserer Heiligung. Dieses Wollen ist nichts anderes als Liebe. Denn unser Herr ist es, der uns zum Handeln treibt, und nur weil wir lieben, handeln wir. Statt unsere Liebe sich auf uns hin drehen zu lassen, zum Geschöpf, richteten wir sie auf Gott aus.

Daraufhin sollen wir arbeiten. Wenn wir uns darum bemühen, Gott mit einer tätigen Liebe zu lieben, durch Reden, Handeln und Leiden für ihn einzutreten, werden wir ihn zu guter Letzt auch ein wenig mit einer affektiven Liebe lieben. Darin besteht die Belohnung Gottes, dass er uns schließlich auch das Gefühl die Liebe schenkt, das wir dann im Grunde unseres Herzens spüren. Niemand kennt die echte affektive Liebe, wenn er die effektive nicht hat. Beim Glauben ist es anders: Ihn kann man kennen, obwohl man nicht großmütig ist und nicht für Gott sich einsetzt. Aber bei der Liebe ist es anders… Bald bildet sich die Gewohnheit, so zu handeln und man handelt unter dem Antrieb des Geistes Gottes. Und die Liebe, die göttlicher Geist ist, kommt und wohnt auf eine beständige Weise in uns. So also ist das Verhältnis des Oblaten Gott gegenüber.

Uns selbst gegenüber, wie soll unser Verhalten sein? Es gab nichts Aufrichtigeres und Ehrlicheres als die Gute Mutter. Unsere erste Eigenschaft uns selbst gegenüber wird darum die Ehrlichkeit sein. Wir schätzen uns so ein wie wir in unserem Inneren sind, entsprechend unserem Verhältnis zu Gott. Die Fähigkeiten, die Gott uns verliehen hat, schätzen wir nach ihrem richtigen Wert ein und geben uns keinen Illusionen hin. Darin erkennen wir das Werk des hl. Geistes, der wie am Schöpfungstag über den Wassern unserer Seele schwebt und sie befruchtet. Sehen und urteilen wir in diesem Licht, dann urteilen wir in Klarheit und Ehrlichkeit. Beurteilen wir diese Gaben richtig, dann schätzen wir sie auch nach ihrem richtigen Wert ein. Scheint unser Nebenmann weniger Begabung und weniger Wert aufzuweisen, was beweist uns das? Er hat zwar weniger empfangen, aber ist er deshalb weniger gut? Nein. So lasst uns über uns über unsere Talente, Fähigkeiten und unseren Gewissenszustand Gott gegenüber urteilen. Gott kann sich niemals über uns täuschen. Täuschen wir uns also auch nicht selber über uns. Möge dieser Schatz der Wahrheit in unserem Charakter fest verankert sein, in unserem ganzen Leben. Möge diese Ehrlichkeit gegen sich selbst eins der Erkennungszeichen des Oblaten sein.

Und ein zweites Charakteristikum des Oblaten sich selbst gegenüber: er sei arbeitsam.

Fleißig, nicht gerade in äußerer Wirksamkeit, durch Einsatz der Kräfte im Amt, das uns anvertraut ist, sondern fleißig uns selbst gegenüber: „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde, und wie Tage eines Tagelöhners seine Tage.“ Das Leben eines jeden Menschen ist ein Kampf, eine ständige Arbeit ohne Ruh und Rast. Alle Mühen und Strapazen des Lebens sollen wie Geschenke Gottes angenommen werden, großmütig und einsatzfreudig. Begleiten wir diese Mühsale ständig mit übernatürlichen Anmutungen. Geben wir aber nicht acht, sind gleich die Leidenschaften zur Stelle und bemächtigen sich ihrer: Der Stolz, die Sinnlichkeit, der Ehrgeiz, was weiß ich… All das fesselt den Aufschwung der Seele wie das Netz des Voglers den Vogel. Von diesem Netz heißt es sich immer wieder befreien durch Arbeit und innere Erneuerung. Wenn wir die Mühe und Arbeit nicht durch Trägheit fliehen, wird das Netz statt aus Fäden nur noch aus Werg bestehen, das bald brechen und verschwinden wird. Doch lassen wir diesen Faden aus Werg nicht so dicht werden wie ein armdickes Kabel, das wie nicht mehr zerbrechen können… „Aber, Herr Pater, das ist eine schwierige Lektion…“ Darum sage ich noch einmal: Es ist leichter, das Stroh bündelweise wegzutragen als einen ganzen Getreidehaufen auf einmal zu transportieren.

Das wir gerade von der inneren Arbeit sprechen, lasst uns auch ein Wort verlieren über die äußere Arbeit. Jeder sollte sich bemühen, und zwar, um unseren Herrn so besser nachzuahmen… Die da unterrichten oder studieren oder Handarbeit betreiben, mögen den festen Wunsch und Willen haben, es in ihrem Amt zur Perfektion zu bringen. Nur nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Geben wir uns diesem Geschäft gewissenhaft und großmütig hin aus Liebe zu Gott, dann werden wir diese Liebe auch erringen. Wir werden der Genossenschaft nützen  und ihr Menschen schenken, die fähig sind zu lehren, die in der Welt ihren Mann stehen, und das nicht aus Selbstüberschätzung, sondern aus Pflichtgefühl, und um unseren Herrn ähnlich zu werden. Jeder möge sich darum anstrengen, dahin zu gelangen, die Statuten wohl zu beobachten. Jeder mache sich ans Werk mit allem Eifer und Großmut, die ihm möglich sind, und keiner bleibe unterwegs stecken. Unser Herr hatte es wahrlich nicht nötig, körperlich zu schaffen. Er hat es trotzdem getan während seines ganzen Lebens, um sein materielles Brot zu verdienen.

Welches sind im Äußeren die Kennzeichen eines Oblaten? Der Oblate ist ein einfach gekleideter Ordensmann. Auch unser Herr trug keine ungewöhnlichen Kleider. Darum soll sich der Oblate so kleiden, wie es das Direktorium und das Gebräuchebuch angeben. Der Oblate ist einfach in seinem Reden, seinem Tun, seinen Manieren. Er gibt sich in allem natürlich, und damit wird er jedermann sehr erbauen. Er ist bestrebt, seine Füße in die Fußstapfen unseres Herrn zu setzen. Alles, was er sagt und tut, trägt den Stempel großer Einfachheit, der immer auch ein Zeichen großer Würde und Vornehmheit ist. Beachtet wohl, dass alle Menschen mit bedeutender Intelligenz einfacher erscheinen als die geistig weniger Begabten. Suchen wir nicht aufzufallen, weder durch Geist noch durch eine ungewöhnliche, äußere Frömmigkeit. Unser ganzes Äußere sei vielmehr einfach und einheitlich. Wenn man einen Oblaten sieht, sollte man sie alle gesehen haben. Legen wir uns bezüglich dieser äußeren Umgangsformen fest, auf die die Weltmenschen so viel Gewicht legen. Bei Tisch stützen wir und nicht auf und gestikulieren nicht mit dem Messer wie es römische Gladiatoren täten. Wahren wir treu die Tradition der alten feinen Höflichkeit. Halten wir es hier so wie in Rom, wo ich mehrere Male Gelegenheit hatte, in guten Familien zu dinieren, desgleichen beim Hl. Vater selbst. Alles atmet dort Einfachheit, Würde und Schicklichkeit. Heute vergisst man diese guten alten Sitten. Herren und Damen schockieren durch ihr Sichgehenlassen. Sie schreien, halten sich schlecht, haben ständig die Zigarette im Mund… Nehmen wir diese Art nicht an, bei uns sei alles einfach und schicklich, vorzüglich, alles mache guten Eindruck und lasse uns nicht auffallen, wie die neue Avantgarde es tut. An uns sollte alles erbauen und predigen. Zu Bruder Leo sagte der hl. Franz von Assisi: Gehen wir predigen!... Sie durchstreiften die Straßen der Stadt, die verschiedenen Plätze, und kehrten ins Kloster zurück. Aber, mein Vater, sagte Br. Leo, wir gingen predigen und haben kein Wort gesagt. – Br. Leo, wir haben besser gepredigt als wenn wir laut gesprochen hätten, denn unsere Haltung, die gesenkten Blicke, unsere arme Kutte haben Jesus Christus inmitten der Menschen dargestellt. Wir haben so Christus mehr dargestellt, als wenn wir über Christus geredet hätten. Seien wir Ordensmänner in unserem ganzen Verhalten und unseren Manieren. Keine erhitzten Diskussionen! Lassen wir uns nicht fortreißen in der Unterhaltung. Können wir nicht kaltes Blut bewahren, so ziehen wir uns zurück ohne ein Wort zu sagen, oder wir schweigen in aller Klugheit. Erheben wir nicht die Stimme. Unser Herr sagte von sich, er lasse seine Stimme nicht auf öffentlichen Plätzen hören. Ist es unsere Pflicht zu sprechen, so sagen wir ein liebevolles und klares Wort, ohne auf unsere Leidenschaft zu hören. Ja, seien wir recht einfach und gütig, um die anderen zu erbauen, damit niemand uns tadeln kann in was immer es sei, wie der Apostel sagt. Wir tragen allezeit die Gestalt Jesu Christi in uns.

Ich habe bereits lange gesprochen heute. Dennoch möchte ich euch, bevor wir auseinandergehen, ermutigen, gesammelt zu bleiben, großmütig zu sein und im Inneren wie im Äußeren das Bild des Oblaten treu wiederzugeben. Bleibt einfach und bescheiden, klug und ehrlich. Alles in eurem Wesen sei wahr, zuverlässig, genau, und fleißig bei der Arbeit. Überwinden wir uns in all dem und schwimmen wir immer gegen den Strom. Zeigen wir den Gläubigen, dass wir ein Herz und eine Seele bilden. Sorgen wir dafür, dass die Menschen nicht zwischen diesem und jenem von unterscheiden, sondern man immer, wenn man von uns redet, sage, wir seien eine gute Art, wie der Grieche sagt.
Hütet euch, eure Meinung aufs Geratewohl vor den Leuten zu bekunden, besonders vor den Frauen.  Denn letztere haben von der Natur aus ein Verlangen, dass man sich mit ihnen beschäftige, dass sie alles mögliche Übel von ihren Vorgesetzten behaupten sowie von jenen, die euch als Seelsorger vorangegangen sind bei ihnen, damit ihr euch um sie kümmert. Ich lernte nur eine einzige Frau kennen, die nicht so war, die Gute Mutter, und vielleicht noch die Schwester Maria Genofeva… Wenn ihr in eine Kommunität kommt, wird man nicht verfehlen zu sagen: „Pater Poupard ist sehr gut, aber er ist noch etwas jung, und dann merkt man halt gut, dass er nicht so viel Intelligenz und Erfahrung hat wie Sie…“ So sprechen sie immer. Seid also auf der Hut, seid auf zurückhaltend. „Glaubt nicht einem jenen Geist“ und vor allem, traut nicht einer jeden Zunge! Geht derlei Dingen aus dem Weg, und hegt einander nicht den geringsten Verdacht und Zweifel. Seien wir wirklich nur ein Herz und eine Seele. Das empfehle ich euch mit allem Nachdruck. Immer wieder begegnet man Mitgliedern ein und desselben Ordens, heiligmäßige Ordensleute, die zu euch sagen: „Der und der Pater ist dies und das…“ und wenn ihr ihn hochschätzt, geben sie sich besondere Mühe, ihn in eurer Achtung herabzusetzen. Gehen wir dem mit besonderem Eifer aus dem Weg. Kostet es euch ein Opfer, zu schweigen oder etwas anderes zu sagen, denkt daran, dass ein Verdienst daran geknüpft ist. Im Umgang mit der Welt sollte alles an uns die anderen erbauen und sie näher an Gott und zu Jesus Christus zu führen. Folgen wir der Linie, die uns die Gute Mutter gezeichnet hat, denn so erfüllen wir unsere Berufung. Lange Zeit hindurch, ich hab es Papst Leo XIII. gestanden, wollte ich nicht, dass sie zu mir sprach, weil sie eine Frau war… „Warum haben Sie ihr nicht gefolgt?“ fragte er (Anm. der Papst Leo XIII.)  mich. Hl. Vater, wäre es mein Beichtvater gewesen, einer meiner Oberen oder sonst ein ehrwürdiger Mann, ich hätte sofort nachgegeben, aber es war ja eine Frau… Ja, es war eine Frau. Nach dem Abschied unseres Herrn und seiner Himmelfahrt, was hat da die Kirche getan? Wer führte den Vorsitz im Abendmahlsaal über die versammelten Apostel? Wer erklärte den Aposteln und den ersten Jüngern seinen Geist in der Praxis des Alltags, seine Art zu leben, sich zu kleiden und mit den Menschen umzugehen? Die seligste Jungfrau. In unserem Anfang gibt es etwas Ähnliches wie am Anfang der Kirche. Darüber brauchen wir uns nicht zu wundern, denn der Geist der Oblaten ist so evangelisch, so tief verankert im Geist der Erlösung und der Rettung der Welt.

Noch einmal, seien wir das, was wir sein sollen, meine Kinder, dann erlangen wir, dass unsere Werke und Unternehmungen nicht unfruchtbar bleiben, sondern reichste Frucht bringen.

Ich habe Nachrichten von Springbok, von Pella. Man erkennt da wirklich eine außerordentliche Aktion Gottes, den Geist, der die Seelen bekehrt. Alles geschieht dort in großer Einfachheit, Liebe, Glauben, Einheit untereinander. Man spürt, dass unsere Patres wirklich im Geist unseres hl. Stifters wirken, jenem Geist, der die Familie und die Gesellschaft so tief christlich macht. Bitten wir Gott, bitten wir die Gute Mutter, uns allen diesen Geist zu schenken.

10. Vortrag: Bilanz des nächsten Jahres.

Während der ganzen Exerzitien haben wir über unsere Pflichten unterhalten, und ihr müsstet jetzt ein Bild haben von euren Verpflichtungen Gott gegenüber. Ihr konntet euch auch Rechenschaft ablegen über das, was ihr den Seelen in aller Gerechtigkeit und Liebe schuldet. Am Ausgang dieser Tage sollt ihr eurem Mitmenschen die Bilanz eures guten Willens entgegenbringen. Fertigt euch einen detaillierten Denkzettel an, wie die Merkzettel von Maurern. Ich habe nämlich soeben solch einen erhalten, Seite um Seite beschrieben. Erst heißt es Steine kaufen, dann sind sie zu behauen, zu setzen, Mörtel bereiten. Sodann sind die Tage zu bezahlen, während denen gearbeitet wurde, sodass am Fußende der letzten Seiten eine enorme Zahl erscheint. Schaut man sich diese Summe gleich am Anfang schon an, staunt man. Man muss sie sich Posten für Posten zu Gemüte führen, um sie zu verstehen. So möchte ich euch jetzt die Summe im Detail geben.

Ihr habt ja euer Direktorium, eure Gelübde und eure Amtspflichten zu halten. Ja, man muss sich dazu aufraffen, sein Direktorium zu befolgen. Kümmert ihr euch nicht darum, dann erfüllt ihr nicht darum, dann erfüllt ihr nicht einmal den 100., ja den 1000. Teil eurer Schulden und Verpflichtungen. Dann stellt ihr nichts dar, gar nichts. Das ist wahr, in aller Weisheit wahr. Ohne Direktorium geht euch der Geist eures Berufes ab. Das Direktorium soll euch ja führen und leiten, euch die großen Linien eurer Bewegung aufzuzeigen und dazu liefern, oder besser gesagt, den Sinn dieser Bewegung erhellen. Es sollte ganz und ohne Abstriche und Einschränkungen ernst genommen werden. Macht es zum Gegenstand eurer Betrachtung, denkt daran bei der hl. Messe, beim Breviergebet. Man kann es nicht schon beim ersten Anlauf. Dreißigmal muss man es versuchen, bevor man es beherrscht. Ist man aber dann soweit, so ist man in einem Zustand beständiger Gottvereinigung und lebt ununterbrochen, unter der Aktion seiner Gegenwart. Dahin sollten wir kommen nach konsequenten Bemühungen. Hier geht es um eine sehr ernste Verpflichtung, aus der wir nicht ausbrechen dürfen. Es ist schließlich nicht ein Meer zum Austrinken. Große Hilfe findet ihr hierfür, um es noch einmal zu sagen, in der Betrachtung. Betrachtet drei Monate lang darüber. Bald kennt ihr es dann auswendig, vielleicht nicht gedächtnismäßig, aber mit eurem Herzen. Das Direktorium ist ein leichtes Gepäck auf Reisen, tragt es allezeit mit euch, unterwegs, in der Mission. Der Sekretär des Bischofs Mermillod sagte mir: „Franz v. Sales ist der beste Stratege der Spiritualität.“ Er versteht es, seine Feinde zu umzingeln und kampfunfähig zu machen, ohne dass sie es merken. Es umzingelt die Fehler, sie haben nicht einmal die Zeit, es zu bemerken. Glauben wir dem hl. Stifter, den die hl. Kirche zum Kirchenlehrer und Pius IX. zum Unfehlbaren Lehrer erklärt hat. Haltet treu zum Direktorium. Bringt Gott eine Buße dar, wenn ihr es vergessen habt bei einer bestimmten Gelegenheit. Euer ganzes inneres Leben hängt ausnahmslos von ihm ab.

Wenn ein großer Seelenführer, der hl. Vinzenz Ferrer sagen konnte: Man zeige mir einen Menschen, der zwanzigmal am Tag an Gott denkt, dann verpflichte ich mich, ihm einen Ausweis zu geben, mit dem er verdient, im Himmel als großer Heiliger zu gelten, was sollen wir dann denken vom Verdienst eines Menschen, der sein Direktorium treu hält? Gebt dieses Büchlein einem in die Hand, und er wird nichts Besonderes daran finden, wie nichts Herausragendes, Auffälliges und Mitreißendes an ihm erscheint. Und doch ist es das Werk der geschicktesten Strategie des geistlichen Lebens. Hier ist der ganze Franz v. Sales enthalten und jedermann wird euch sagen, dass Franz v. Sales einer der größten Meister des inneren Lebens ist, die je gelebt haben. Zur Stunde machen sich die Seminaristen, die Theologen, die römischen Kongregationen überall zum Echo der Worte des hl. Franz v. Sales und betrachten ihn als Meister, ihren Lehrer und übernehmen seine Art zu reden und zu handeln.

Was ist Franz v. Sales? Er ist das inkardinierte Direktorium. Welche Titel der Heiligkeit hat er aufzuweisen? Das Direktorium. Ich hatte ein markantes Beispiel für den Wert dieser Anleitung: Vierzig Jahre lang hatte ich in der Heimsuchung von Troyes den Beweis aller klösterlichen Tugenden unter den Augen. Wem gebührt das Verdienst dieser Heiligkeit, die so etwas wie eine Schule des Paradieses, ein wahrhaft unvergleichliches Haus daraus machte? Während langer Jahre kannte ich keine einzige Schwester, die dem geringsten Gedanken gegen den Gehorsam hatte. Das sind Tatsachen. Wem ist das zuzuschreiben? Dem Direktorium.

Die Gelübde. Zunächst das des Gehorsams. Heute wird man jedem ein anderes Amt übergeben. Du warst Direktor des Kollegs, ab heute wirst du Studienleiter sein. Gehorche ganz einfach. Wozu schöne Worte über den Gehorsam sagen? Hier ist ein Faktum, eine nackte Zahl, wie Zahlen und Tatsachen eben sind. Vollzieh den Akt des Gehorsams.

Gehorsam… Man sagt dir, zum Kap zu fahren. Man sagt dir, eine leichte, angenehme Situation zu verlassen, und dich unter die Sonne Afrikas verbrennen zu lassen. Tu es in aller Einfachheit: Das ist Gehorsam. Doch es gibt keine schwierigere Sache als nach Afrika zu gehen. Du hältst deinen Unterricht nicht gut, vernachlässigst die Bestimmungen. Du solltest beim 100. Vers der Schullektüre stehen, die du den Schülern zu erklären hast,  und bist erst beim 50. Es ist sicher schwerer, sich in all dem nach den Vorschriften zu richten, in einen vollen, bedingungslosen und peinlich genauen Gehorsam sich einzuordnen, als sich in ein Schiff nach Pella einzuschiffen. Oder man wechselt dein Amt, deinen Posten. Du hattest bisher etwas, was dir gefiel, dir etwas Bewegung und Abwechslung gewährte. Da gibt man dir eine ermüdende, langweilige Studiersaalaufsicht bei Schülern, die nicht parieren, die dir auf die Nerven gehen. Wieder ein Beitrag, den es zu bezahlen gilt. Entschließt man sich nicht großmütig dazu, was folgt daraus? Unsere Phantasie, unser Urteil widerstreben dem Gehorsam. Sie zerstören alles und lähmen den Willen. Der Gehorsam kommt nicht zustande. Der Obere muss euch anderswohin tun. Das ist nicht nur Ungehorsam, das ist Verrat.

Die Armut. Du hast eine Kleinigkeit zu Eigen. Du machst einen kleinen Handel auf. Da stockt alles. Ich will euch ein Beispiel geben, ein weibliches Exempel, ein Beispiel aus dem Frauenkloster. Ich darf darüber sprechen. Es gab in der Heimsuchung eine gewisse Schwester Philomena. Alle fanden es seltsam, sie so pünktlich zu sehen, im Pensionat, eine tüchtige Vorsteherin, jederzeit treu und gehorsam, sie glich in keiner Hinsicht den anderen Nonnen. Eines Tages, als die Gute Mutter das ganze Haus visitierte, fand sie in einer Ecke zwei bis drei Koffer. Sie öffnete sie und findet sie voll von kleinen Seifenstückchen, von Kämmen, Rosenkränzen und tausend Dingen von geringem Wert, die den Pensionatsschülerinnen gehört hatten und die sie gesammelt hatte. All das sammelte sie ohne irgendeine Erlaubnis. Damit war sie nicht mehr arm, nicht mehr Ordensfrau, sondern Besitzerin von Kerzenstummeln und Seifenstücken. Für wen tat sie das? Für ihre kleinen Neffen und Nichten, glaube ich, die sie besuchen sollten, und denen sie mit diesen kleinen Geschenken eine Freude machen wollte.
Beobachten wir treu das Gelübde der Armut. Niemand möge sich erkühnen, das Geringste zu behalten, um daraus Nutzen zu ziehen. Hat einer Erlaubnis, seine Messintention (mit Stipendien) oder andere Kleinigkeiten zu behalten, möge er diese Erlaubnisse (von Zeit zu Zeit) sich erneuern lassen, damit er keinen Eigentumsakt vollziehe, sondern ein gehorsamer und armer Ordensmann bleibe. Behalten wir auch sonst keine kleinen Dinge für uns zurück in bestimmten Ämtern, z.B. in der Sakristei. Man hat eine kleine Kasse für dies und das.  Das hindert uns, Ordensmann zu sein. Dies Verhalten ist nicht ehrlich und loyal. Für das müssen wir unbedingt die Erlaubnis einholen. Aber, das ist doch nichts. Nun, das ist so wenig nichts, dass in der ersten Zeit meiner Tätigkeit in der Heimsuchung, als das Kloster ausschließlich aus äußerst erbaulichen und fähigen Personen bestand, eine beklagenswerte Seele sich auf diesen armutswidrigen Weg begab und dabei blieb. Nun, keine Prüfung, Züchtigung, und Gnadenentzug wurde ihr 10, 20, 30 Jahre hindurch erspart. „Aber, Herr Pater…“ Es gibt kein „Aber, Herr Pater…!“ Du hast das Gelübde der Armut abgelegt, das ist klar und unzweideutig, tu also, was du gelobt hast, ohne Winkelzüge und Ausflüchte. Unser Geist ist so weit und versöhnlich und verlangt kaum körperliche Abtötung, dafür aber geistige. Und er erwartet vor allem, dass du auf eine klare und ehrliche Weise vorgehst.

Die Keuschheit. Ich glaube, darüber genug gesagt zu haben. Ich betone noch einmal, dass es notwendig ist, dass wir hier gute Theologen sind und nicht die hl. Regel unter alle Arten von Aus- und Andeutungen beugen, die die Sache nur verwirren. Das ist entweder so oder es ist nicht so, basta. Haltet euch an die Grundsätze und beurteilt eure Taten und Gedanken und Neigungen klar in diesem Licht. Dieses Gelübde kann nicht ohne gewisse Abtötung betrachtet werden. Man sagt, die Kastanie sei das Sinnbild der Keuschheit. Kastanie kommt aber von „castania“, und die Kastanie ist in der Tat bedeckt mit Stacheln… Die Keuschheit vermeidet auch Dinge, die nicht direkt Sünde sind, die aber dahin tendieren: Die Neigung zur Weichlichkeit, Schwächlichkeit, zum Überfluss an irdischen Dingen. Seid auf der Hut davor. Habt Festigkeit und Hochgemutheit, dass man im Angesicht der Versuchung klar sieht, was erlaubt ist und was nicht, was man also niemals tun darf.

Maßt euch keine Verantwortung an für die Dinge der Gemeinschaft. Macht euch darüber keine Sorgen, und wenn man euch sagt: tut dies…,  so tut es ohne Hintergedanken. Das wird aber nicht gut enden? Umso besser. Ein andermal werdet ihr recht bekommen. Verzichtet auf euer eigenes Urteil. Gott wird eher ein Wunder wirken, als dass er zulässt, dass euch etwas Übles zustößt. Vertraut auf den Gehorsam in euren Ämtern. Unser hl. Stifter lehrt: Macht leidenschaftlich gut, was ihr tut! Je höher ein Mensch steht, umso besser erfüllen seine Diener ihre Verpflichtungen, um ihre zu machen. Jeder möge darum eingedenk sein, dass er in seinen Oberen Gott gehorcht, ebenso in seinen Studien, Klassen und Handarbeiten. Gehorcht nicht sprunghaft, in der Absicht, eine gewisse Zeit im Gehorsam zu verharren, um im nächsten Augenblick daraus auszubrechen. Beständig gehorchen ist sicher eine mühselige Sache, aber darum umso verdienstlicher.

Durch das Direktorium, durch die absolute Abhängigkeit von euren Gelübden, euren Pflichten jedem gegenüber, seid ihr wahre Oblaten. Prüft euch hierüber, damit ihr euch am Ende dieser Einkehr, wenn man euch ein Opfer abverlangt, bereit seid.

Jene, von denen man verlangen wird, was ihnen am wenigsten zusagt, sollen in Jubel ausbrechen, und jene, die man benachteiligt, sollen ein Freudenlied anstimmen. Das sind keine unnützen Arbeiter und sie essen ihr Brot wahrlich nicht in Müßiggang und Feigheit. Der Prophet brach auch auf den Befehl Gottes auf. Da wurde er sehr müde, litt Hunger und Durst. So lässt er sich nieder im so seltenen Schatten eines Baumes in der Wüste, die Juda von Ägypten trennte. Er hat nur den einen Wunsch, zu sterben. Ich habe keine Kraft mehr, weiterzugehen, mein Gott, nimm meine Seele von dieser Welt, ich bin nicht besser als unsere Väter, geselle mich ihnen bei. Und siehe da, ein Engel erscheint und gibt ihm ein unter der Asche gebackenes Brot zu essen. Da weckt ihn der Engel auf. Der Prophet isst noch einmal von dem geheimnisvollen Brot, steht dann auf und wandert bis zum Berg Horeb, wo er der Gottesschau gewürdigt wird und den Willen Gottes erfährt. Das ist auch die Geschichte der Exerzitien. Dasselbe passiert auch euch. Ihr seid müde und mutlos. Während der Einkehrtage habt ihr himmlische Nahrung gereicht bekommen: Brot und Wasser. Steht also auf und vernehmt das Wort Gottes. Steigt auf den Berg und hört den Willen Gottes für dieses ganze Jahr. Möchtet ihr in der göttlichen Speise die Kraft finden für 40 Tage, 40 Monate, ja 40 Jahre, wenn es sein soll. Fiat, fiat!