7. Vortrag: Der Gehorsam
Viel Mut für die Fortsetzung eurer hl. Exerzitien, meine Freunde! Und nochmal sage ich: Es bedarf großer Pünktlichkeit bei den einzelnen Übungen. Man muss Herz und Seele mitbringen zu den Dingen, die euch gesagt werden. Bleibt in der Gegenwart Gottes und tötet euer Inneres ab: Diese Selbstüberwindung darf euch nie verlassen, besonders nicht bei der Erfüllung der hl. Regel. Heute will ich über den Gehorsam sprechen.
Der Gehorsam hat einen besonderen Charakter. Er hat im Ordensleben denselben Stellenwert wie der Glaube in der Religion: Basis, wesentliche Vorbedingung für das Gebet und für das Heil. Niemand kann zu Gott kommen als über die Brücke des Glaubens. Der Glaube ist es, der das Verdienst bewirkt. Überall, wo unser Herr ein Lob ausspricht im Evangelium, geschieht es wegen des Glaubens. Dieser ist das unfehlbare Mittel, unsern Herrn zu gewinnen: „Frau, wie groß ist dein Glaube!“ Der römische Hauptmann, die Diener, die den Herrn aufsuchen, jene, die die Tochter des Jairus umgeben, jene, die den Jüngling von Naim zu Grabe tragen, wem verdanken sie alle die Wunder des Herrn? Ihrem Glauben. Der Glaube ist alles, oder fast, so sehr, dass die Irrlehrer übertrieben haben mit der Behauptung, er genüge allein ohne die Werke. Sicher jedoch ist es, die erste Bedingung der Religion, an das Wort unseres Herrn zu glauben. Nun besteht aber eine umfassende Ähnlichkeit zwischen dem Glauben und dem Gehorsam. Der Gehorsam ist der Glaube des Ordensstandes. Der Glaube hat etwas Zwingendes, Gebieterisches an sich, insofern er in Form des klösterlichen Gehorsams nicht nur die Unterwerfung der Handlungen, sondern sogar des Urteils verlangt. Der Glaube fordert von uns ein ungeteiltes, absolutes Anhangen, ohne dass irgendetwas ausgenommen wird, ohne Wenn und Aber. Und der Gehorsam verlangt das Gleiche. Er ist die oberste theologische Tugend des Ordensstandes. Es ist ebenso wenig möglich, sich Gott ohne Glauben zu nähern als Ordensmann zu sein ohne Gehorsam.
Ist das aber leicht? Der Gehorsam ist dermaßen schwer, dermaßen gegen die menschliche Natur, dass selbst der menschgewordene Gott sich erst unterwerfen konnte, nachdem er es gelernt hatte. Das sagt der hl. Paulus: „Aus dem, was er gelitten hat, lernte er den Gehorsam.“ Unser Herr musste leiden und durchhalten, um als Mensch zu verstehen, was gehorchen heißt. Als Mensch wusste er es nicht. Ohne Schmerzen, Prüfungen und Leid konnte er es nicht wissen. Ist also gehorchen leicht?
Es ist für den Menschen unmöglich. Es widerstrebt seiner Natur und seinem ganzen Wesen. Nichts ist entehrender, als gehorchen, nichts auch feiger. Jeder, der nur ein bisschen Wert in sich verkörpert, ein bisschen Persönlichkeit darstellt, kann sich natürlicherweise nicht unterwerfen. Und in der Tat unterwirft man sich denn in der Welt? Betrachtet die Versammlungen, die regieren: Wir streiten uns, schlagen uns in Stücke und stellen schließlich eine Regel, ein Gesetz auf, dem wir uns unterwerfen sollen. So zwar, dass wir uns zu guter Letzt uns selbst (unseren selbstgemachten Gesetzten) unterwerfen und niemand anderem. Das ist der Sinn der Gesetze heutzutage.
Gehorsam ohne Gott ist also eine menschenunwürdige Feigheit. Natürlicher Gehorsam findet in uns unüberwindliche Widerstände in unserer Natur selbst. Was kann diese Widerstände brechen? Die übernatürliche Sicht, der lebendige, energische Glaube allein kann ihn bejahen. Der Ordensmann muss hier einen größeren, umfassenderen und vollkommeneren Akt setzen als in irgendeiner anderen Tugend oder in anderen Umständen. Es ist die Gnade, die das bewirkt, so wie sie ja auch den Glauben ermöglicht. Ich kann ohne göttliche Gnade nicht glauben. Tausendmal weniger kann ich aber ohne sie gehorchen. Sein Urteil, seinen Willen im Gehorsam unterwerfen ist eine ganz andere Erprobung als die Unterwerfung des Glaubens. Der Glaube bietet immerhin sichere Unterlagen, theologische Begründungen, die nichts anderes sind als die Stützen der Vernunft. Der Gehorsam entbehrt dieser Stützen. Man gibt euch beim Gehorsam weder Motive noch Gründe an.
Nichts in der Natur der befohlenen Dinge, nichts auch in den Umständen kann euch helfen. Keine andere Autorität als das Wort des Befehls. Das ist Knechtschaft im höchsten Grad. Im Buch Ekklesiastikus (Anm.: In der Einheitsübersetzung findet man dies unter dem Namen „Jesus Sirach“, d. Red.) heißt es: Die die Handlungen der göttlichen Weisheit vollbringen, wirken im Namen des Herrn. Ihre Nation heißt Gehorsam und Liebe.
Jene, denen die Werke Gottes anvertraut sind, denen er seine Vollmacht, die Vollstreckung seiner Aktion in der Welt übergibt, diese Nation und sehr wohl die Oblaten des hl. Franz v. Sales, die hier gemeint sind. Es ist der Gehorsam und die Liebe, der Gehorsam aus Liebe. Es ist die Liebe und die Gnade, die alles macht.
Gehorchen heißt, sich der hl. Regel und den Befehlen der Oberen unterwerfen, und das unter Sünde. Denn es ist schwer, gegen den Gehorsam, gegen die Regel, zu verstoßen, ohne dass eine Nachlässigkeit vorliegt, alles Dinge, die den Akt schuldbar machen. Gehorchen bedeutet sich dem Oberen unterwerfen, und solch ein Ungehorsam ist immer Sünde, weil er dem Gehorsamsgelübde immer entgegensteht. Es ist aus sich heraus ein Verstoß, leicht, wenn die Materie leicht ist, schwer, wenn die Übertretung eine wichtige Sache betrifft. Ein Ungehorsam in wichtiger Sache gegenüber einem Vorgesetzten, der die Absicht hat zu befehlen, ob du nun ein Professe mit zeitlichen oder ewigen Gelübden bist, ist unwichtig, weil die Verpflichtung alle betrifft, solch ein Verstoß ist äußerst schwerwiegend.
Welchen Oberen musst du gehorchen? Dem Generaloberen in allen Fällen und Gelegenheiten. Beim Lokaloberen (Anm.: Provinziale oder Provinzobere gab es in der Zeit Brissons noch nicht) hat der Gehorsam, obschon ernstgemeint, zweifellos nicht dieselbe Ausdehnung, denselben Absolutheitscharakter, obschon er auch hier nicht ohne Sünde, ohne Gewissenschuld verweigert werden kann. Auch denen heißt es gehorchen, die den verschiedenen Ämtern vorstehen, ob Studienpräfekten in den Kollegien, oder Disziplinarpräfekten, jeder auf seinem jeweiligen Gebiet. In allen schuldet ihr einen religiösen, ehrfürchtigen und vollständigen Gehorsam. Gewiss könnt ihr euch diesbezüglich an den Lokal- oder Generaloberen wenden, doch alle Regeln sagen euch, dass ihr zunächst gehorchen müsst, und dann erst könnt ihr euch erst an den zuständigen höheren Oberen wenden, um eure Gründe geltend zu machen. Darin besteht jedenfalls der klösterliche Gehorsam, unser Urteil dem Willen eines anderen zu unterwerfen. Das ist das Gegengewicht gegen alle Tendenzen unserer Natur und unserer Lust und Laune, gegen alles, was uns besser passen würde und sehr gefiele, der Widerspruch gegen sämtliche menschliche Neigungen.
Und wiederholen wir es: Dieser Gehorsam gebührt allen Vorgesetzten. Dem Novizenmeister, wenn wir Novizen sind. Sind wir Professen, so schulden wir einen umfassenden Gehorsam in allem, auch in der Leitung der Studien. „Aber das kann ich nicht…“ Dann bist du kein Ordensmann, sondern du bist in einem gefährlichen Seelenzustand. Dann droht eurer Berufung Gefahr, wenn ihr schon in tausend unwichtigen und erbärmlichen Dingen so sehr an eurem Urteil festklebt, dass ihr in wichtigen und heiligen Dingen versagt. Ein Professe, der seinen Unterricht nicht hält, wie man es ihm gesagt, befindet sich in einem zehnfach schuldbareren Zustand als wenn er seine Betrachtung verpflichtet, das Gelübde verpflichtet ihn aber, den Weisungen des Vorgesetzten zu folgen. Darüber müssen wir unsere Theologie verbessern. Seht die großen Theologen, die Kirchenväter, die Ordensgründer (Anm.: der alten Orden), und fragt die Römischen Kongregationen, alle werden euch die gleiche Antwort geben: Das ist Ziel eures Gehorsamsgelübdes, und das habt ihr gelobt. Es genügt nicht, fromm zu sein, wichtiger ist es, gehorsam zu sein. Frömmigkeit ist sicher sehr notwendig, ein unfrommer Ordensmann ist ein sehr kleiner Ordensmann. Lest den hl. Thomas, was er über den klösterlichen Gehorsam sagt, bis wie weit dieser geht. Was er da behauptet, ist von äußerster Strenge. Daran heißt es sich halten. Habt ihr einen Beweggrund, das zu tun? Alle Beweggründe der Welt.
Entweder seid ihr Ordensleute oder ihr seid es nicht. Wenn ihr nicht fähig seid, zu gehorchen, dann seid ihr nicht imstande, Ordensmann zu sein, dann tut etwas anderes. Wollt ihr aber Ordensmann sein? Man hat euch die Verpflichtungen erklärt, ihr habt die Gelübde darüber angenommen, habt euch auf etwas eingelassen, was ihr nicht tun wollt. Das ist eine Verschrobenheit des Urteils, ein mangelnder Verstand, eine Unfähigkeit.
Die Gute Mutter sagte, die Mehrzahl unserer Sünden rühre von solchen geistigen Unfähigkeiten her, und die größte Wunde, die die Erbsünde geschlagen habe, sei die Unwissenheit, denn sie verschulde im Allgemeinen fast alle Sünden. Gebt ihr aber zu, die Unwissenheit und Unfähigkeit erzeuge den Ungehorsam und ihr seid dennoch ungehorsam, dann gebt ihr zu, es fehle euch an der nötigen Intelligenz. Erkennt darum, dass ihr dazu unfähig seid. Besitzt ihr aber genügenden Verstand, dann begreift auch, dass es ohne Gehorsam nicht geht. Habt ihr das Herz und dazu die Gnade Gottes, so verfügt ihr über alles Nötige, um zu gehorchen. Ich sehe nicht ein, welches Hindernis euch dann noch abhalten könnte. Wenn ihr Männer mit Herz und Ehrgefühl seid, Persönlichkeiten also, so sagt zu euch selbst: „Ich habe den Gehorsam gelobt, also gehorche ich auch. Ich will nicht feilschen und kritisieren, das ist miserabel, lächerlich und feige.“ Ist das ein Soldat, den sein Hauptmann zum Angriff ruft und der sich hinter einem Gebüsch verbirgt, indem er sagt: „Ich gehe schon, erst aber will ich sehen, woher die Kugeln kommen…“
Fassen wir also einen guten und festen Vorsatz, zu gehorchen. Was vielleicht fehlt, ist die Einsicht. Gott allein kann sie geben, so wie er allein die Gabe des Glaubens gibt. Wie? Wenn wir ihn darum gebeten haben. Machen wir es wie unser Herr: Er hat den Gehorsam gelernt in den Peinen, Mühen und Leiden. Glaubt mir, es gibt kein anderes Mittel. Der hl. Petrus sagt am Ende eines seiner Briefe an die ersten Christen, der Gehorsam sei ein großes Mittel der Heiligung, aber auch ein wirksames Mittel, die Verzeihung der Sünden zu erlangen: Kasteit eure Herzen im Gehorsam der Liebe, in liebendem Gehorsam.
Tut alles, um diese Tugend zu erwerben: Haltet das Direktorium, nehmt die Demütigungen an, die euch begegnen, gebt einen guten Unterricht, wie man es euch sagt. Das alles ist sehr verdienstlich, in dieser Schule der Pein und Leiden lernt ihr, was ihr anders nicht lernen würdet. Ihr seid Männer. Wie wäre es, wenn ihr euch nun ein bisschen Gewalt antätet? Seid tapfer, hört nicht so viel auf euch, schon legt es euch zurecht: Heute muss ich bei dieser oder jener Gelegenheit meinen Eigenwillen bekämpfen. Gott, hilf mir, dass ich es gut mache… Lasst euch nicht gehen und verweichlichen. Nehmt euch in Acht vor den schlechten Beispielen eurer Umgebung, ja vor der Luft, die ihr einatmet.
So haben wir den Gehorsam also wohl verstanden. Wie der Glaube die erste Tugend ist und Wunder wirkt, so ist der Gehorsam die erste Tugend des Ordensstandes und wirkt seinerseits Wunder. Sämtliche im Leben hl. Ordensleute berichteten Wunder wurden vom Gehorsam gewirkt. Da ist der hl. Maurus, der auf den Ruf des hl. Benedikt über die Wogen geht. So hat Gott bei vielen Gelegenheiten wegen des Gehorsams Wundertaten vollbracht. Oder ein wegen des Gehorsams unvollendeter Brief, der nachher mit Goldbuchstaben gefunden wird. Nehmt die Annalen von Clairvaux zur Hand, sie sind köstlich an Poesie und bewundernswert ob des ekstatischen Ordensgeistes. Alles eine Frucht des Gehorsams.
Machen wir uns darum ans Werk, wir sind ja Männer. Seien wir starke, mutige und hochherzige Männer. Unser Mut bestehe nicht in Selbstlob und Selbstbewunderung, sondern darin, uns selbst zu bekämpfen. Das Ziel ist schwierig und steil, es gibt nichts Mühsameres und Härteres als den Gehorsam.
Fassen wir darum den festen Entschluss, vollkommen zu gehorchen, mit Furcht und Zittern, verbunden mit der Sorge, den Gehorsam nicht gut zu verstehen, ihn nicht auszuführen. Der Ordensmann, der es dahin bringt, taugt zu etwas. Der es bis zur Hälfte oder einem Viertel schafft, ist nur ein halber oder viertelter Ordensmann. Und manchmal taugt man zu gar nichts mehr. Die ganze Substanz und Struktur des Ordenslebens findet hier ihren Ausdruck. Unser Gehorsam, das haben wir verstanden, gründet in der Liebe. Wir erweisen ihn Gott ja aus Liebe, und zwar aus der vollendetesten und vollkommensten Liebe. Durch unseren Gehorsam helfen wir, das Band der Liebe zu knüpfen zwischen den Oberen und den Untergebenen. Und das ist ein Punkt für den Ordensgeist. Den Oberen an seinem Platz lassen, überzeugt sein, er spreche bei all seinen Befehlen im Namen Gottes, von dem er allein seine Autorität hat, somit sein Urteil aus Liebe unterwerfen, das heißt wahrhaft Ordensmann sein. Anders handeln, seinen Weg anderswo als über den Oberen suchen, heißt irregehen und seinem Ruin entgegengehen. Leben in vollem Einklang mit ihm ohne sich je davon abbringen zu lassen, das zieht uns die Gnaden und Segnungen Gottes zu. Darum bilden alle in der Kommunität ein Herz und eine Seele, haben dasselbe Gepräge und das gleiche Sinnen und Denken. Darin bestehen die Kraft, das Band und der Nerv des Ordenslebens. Ja, das ist etwas Schönes, der Gehorsam, wenn man ihn so sieht. Es ist ein freier Akt, ein Akt souveräner Freiheit, der uns über alle Neigungen und Einflüsse der Natur erhebt: „Ich will!“ Da ahmt der Mensch Gott nach, dieses kleine Wort ist nach dem Glauben das wirkmächtigste Wort Gottes. Es ist Medium, unfehlbares Agens für die größten Dinge, ja für alles, was existiert.
Bittet den göttlichen Gehorcher auf Tabor, Jesus, in seiner Verklärung, er möge nicht herabsteigen, sondern möge immer zu Moses und Elias Worte des Gehorsams zum Leiden sprechen, die die Seelen derer, die sie hören, so glücklich machen. Sagt zu ihm: Bleibe, Herr, es ist so gut, hier zu sein. Sprich zu uns immer die Worte des Gehorsams und lehre uns, sie in die Praxis zu überführen.